Venezuela - Die Eskalation seit Monaten geplant 03.02.2019 21:44
d.a. Es ist immer wieder erstaunlich, was sich in der US-Presse findet,
aber in den Zeitungen der deutschsprachigen Systempresse in der
Regel nicht zu entdecken ist. So auch der folgende Bericht von ›AP News‹:
Die Koalition lateinamerikanischer Regierungen, die dem Beispiel
der USA gefolgt ist und Juan Guaido als Venezuelas Interimspräsidenten
anerkannt
hat, fand sich, wie die an den Gesprächen Beteiligten berichteten, über Wochen
hinweg insgeheim zusammen, wobei Aktivisten, die unter konstanter Beobachtung
standen, Meldungen zugingen. Dazu gehörte auch eine Hochrisikoreise des
Oppositionsanführers.
Mitte Dezember letzten Jahres war Guaido in aller Stille nach Washington,
Kolumbien und Brasilien gereist, um offizielle Regierungsmitglieder zu
befragen, wie sie sich zu der Strategie der Opposition, Massendemonstrationen
zu veranstalten, die mit der Vereidigung von Maduro für seine zweite Amtszeit
am 10. Januar zusammenfallen sollten, verhalten würden; dies in Anbetracht der
breiten internationalen Verurteilung Venezuelas, wie es der im Exil lebende
vormalige Bürgermeister und Verbündeter Antonio Ledezma darlegte. Um die Beamten
der Einwanderungsbehörden zu umgehen, und um keinen Verdacht zu erwecken,
überquerte Guaido die, wie es wörtlich heisst, ›gesetzlose‹ Grenze mit Kolumbien.
Der Aufbau einer Übereinkunft in der fragmentierten
Antiregierungskoalition erwies sich als harter Kampf, da die Opposition seit
Jahren durch eigennützige Interessen und Strategien gespalten ist, aber auch
infolge eines scharfen Durchgreifens der Regierung, die mehrere prominente
Oppositionsführer ins Exil verbannte, was persönliche Zusammentreffen
verunmöglichte. Gegner innerhalb des Landes standen unter strenger Beobachtung
durch die Geheimdienste, wobei alle die Besorgnis traf, bei der Regierung
angezeigt zu werden. Lange Sitzungen mit verschlüsselten Nachrichten
wurden zur Norm; einem US-Beamten zufolge wurden Zwischenträger eingesetzt, um
dem politischen Mentor des Oppositionsführers, der unter Hausarrest stehende Leopoldo Lopez, Mitteilungen zukommen zu lassen. Lopez
hatte versucht, im März 2014 einen Massenaufstand gegen Maduro loszutreten,
worin er allerdings scheiterte. Aus Sicherheitsgründen erfolgte die Aussage des
Beamten unter Wahrung der Anonymität. Trotz der von
Guaido in Bogota ausgesprochenen Zusicherung, dass er sich bei einer
Massenversammlung am 23. Januar, die mit dem Jahrestag des Putschs von 1958, der die
Militärdiktatur in Venezuela beendete, zusammenfallen würde, zum
Übergangspräsidenten ausrufen würde, hielt die Spannung bis Stunden vor der
Ankündigung an, wie ein der sogenannten Lima-Gruppe angehörender Diplomat, der
ebenfalls anonym bleiben wollte, sagte. Einige moderat gesinnte
Splittergruppen, die für ein langsameres Vorgehen eintraten, da sie
befürchteten, dass ein dreister Schritt zu einem weiteren Fehlschlagen für die
Opposition führen würde, waren im Dunkeln belassen worden. Schlussendlich
wurden diese Differenzen jedoch ohne Streit beigelegt. Ein kanadischer Beamter,
der ebenfalls ungenannt bleiben wollte, erklärte, dass dies das erste Mal in
mindestens fünf Jahren sei, dass die Opposition sich imstande zeigte, in einer
konstruktiven Weise zusammenzutreten.
Die Entscheidung, Maduro direkt zu
konfrontieren, wurde nur deshalb möglich, weil sie durch die Trump-Administration
effizient unterstützt wurde, was dazu führte, dass die überwiegend konservativen
lateinamerikanischen Regierungen dazu veranlasst wurden, Guaido unmittelbar
anzuerkennen.
Die Bemerkung, die den Wendepunkt
einleitete, war die von Donald Trump in August 2017 auf den Stufen seines
Golfclubs in New Jersey ausgesprochene wuchtige Erklärung, dass eine ›militärische Option‹ auf dem Tisch läge, um die Krise
in Venezuela aufzugreifen. In der Folge wurde Maduro von Trump in dessen Rede
vor der UNO-Generalversammlung hart verurteilt. Gleichzeitig fuhr der Präsident
fort, persönliche Berater und einige lateinamerikanische Führer hinsichtlich
der Möglichkeit eines militärischen Einmarsches in Venezuela in aller Stille
unter Druck zu setzen.
Von diesem Zeitpunkt an realisierten die
Staaten der Region, dass sie in der USA einen Partner besassen, der willens
war, die Krise, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hatte, in Angriff zu
nehmen, wozu Fernando Cutz, der frühere Sicherheitsberater für Lateinamerika
von Obama, aber auch von Trump, erklärte, dass es die vorhergehenden
Administrationen bevorzugt hatten, die Krise herunterzuspielen, da sie die
US-Sicherheit nur beschränkt betraf. »Trump hat
einen grossen Teil der [jetzigen] Initiative in Gang gesetzt«, wie Cutz darlegte.
»Bei buchstäblich jedem Austausch mit den lateinamerikanischen Regierenden«, so
Cutz ferner, »hat er, seit er sein Amt antrat, das Gespräch auf Venezuela
gebracht. Dies hat zahlreiche Mitagierenden zum Handeln gezwungen«.
Einen Tag bevor Guaido als
Präsident der Nationalversammlung vereidigt wurde, hatten die Aussenminister der 13 zur
Lima-Gruppe gehörenden Länder - der die
USA jedoch nicht angehört - am 4. Januar
erklärt, dass sie eine zweite Amtszeit von Maduro nicht anerkennen würden. Im
Hintergrund spielte Kanada, Mitglied der Lima-Gruppe, eine Schlüsselrolle.
Kanadas Aussenministerin Chrystia Freeland hatte am Abend vor der Vereidigungszeremonie
von Maduro mit Guaido gesprochen und ihn der Unterstützung ihrer Regierung
versichert, sollte er Maduro angreifen. Eine aktive Rolle hat auch Kolumbien
inne. Das Land hat mehr als 2 Millionen Venezolaner, die vor dem im Land
herrschenden wirtschaftlichen Chaos geflüchtet sind, aufgenommen. Zu den
Aufnahmeländern für letztere zählen auch Peru und Brasilien. [1] Auf das Erscheinen obigen Artikels hatte
die Journalistin des Wiener ›Standards‹, Sandra Weiss,
dankenswerterweise hingewiesen.
[2]
Inzwischen hat Maduro vor einem Bürgerkrieg gewarnt.
Sowohl die Grosskundgebungen von Regierungsanhängern als
auch die der Opposition begannen diesen Samstag. Wie Maduro sagte, gebe es eine
Kampagne, um Venezuela »als Monster, als Diktatur darzustellen«. Das am Sonntag,
3. 2., ablaufende Ultimatum von 7 EU-Staaten, dem zufolge Deutschland,
Frankreich, Spanien, Portugal, Grossbritannien, die Niederlande und Belgien
Guaido als legitimen Übergangsstaatschef anerkennen wollen, sollte Maduro keine
freie Präsidentenwahl ausrufen, hat Maduro zurückgewiesen. »Wir akzeptieren von niemandem Ultimaten. Das ist so, als
ob ich der EU sagen würde: ›Ich gebe
Euch sieben Tage Zeit, um die Republik von Katalonien anzuerkennen, oder ich
ergreife Massnahmen‹. Die
internationale Politik könne nicht auf Ultimaten basieren«. Gemäss einem Agenturbericht hat Italien als einziges
EU-Land gegen die Anerkennung des selbsternannten Interimspräsidenten Guaido gestimmt
und somit die entsprechende Entscheidung in einer EU-Aussenministersitzung in
Bukarest blockiert. [3]
Dennoch hat sich Maduro jetzt einem Bericht vom 2.
Februar zufolge für vorgezogene Wahlen ausgesprochen. Wie er am Samstag in
Caracas vor seinen Anhängern erklärte, sollten die nächsten Parlamentswahlen
noch in diesem Jahr abgehalten werden.
[4] Der General der Luftwaffe
Francisco Yanez Rodríguez ist inzwischen von den venezolanischen
Luftstreitkräfte des Hochverrats beschuldigt worden, da er Guaido als
Interimspräsident anerkannt hat. Die entsprechende Mitteilung wurde auf Twitter
veröffentlicht. [5] Der Westen begründet seine gegen Venezuela verhängten
Sanktionen gerne mit der Förderung von Demokratie und Menschenrechten. Doch
sind es gerade die Sanktionen - dies auch
laut einem vom UN-Menschenrechtsrat veröffentlichten Bericht - die massgeblich zum Elend in Venezuela beitragen. [6]
»Die US-Regierung muss aufhören,
sich in die Innenpolitik Venezuelas einzumischen«
Dies ist die Forderung, die 70
Persönlichkeiten, die meisten von ihnen sind US–Bürger, in einem von ihnen unterzeichneten
Brief dargelegt haben: Lösungen könnten nur auf dem Verhandlungsweg erreicht werden.
Zu den Signatären zählen Wissenschaftler, Lateinamerika-Experten, Politik- und Geschichtswissenschaftler. Hinzu kommen
Filmemacher, Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und andere Sachverständige.
Die Veröffentlichung des Schreibens erfolgte bereits am 24. Januar in New York.
Es richtet sich gegen die laufende Einmischung in Venezuela von Seiten der
Vereinigten Staaten.
Die Regierung der Vereinigten Staaten muss aufhören,
sich in die Innenpolitik Venezuelas einzumischen, insbesondere mit dem Ziel, die
Regierung des Landes zu stürzen. Aller Voraussicht nach verschlimmern Handlungen
der Administration Trump und ihrer Verbündeten in der Region die Situation in
Venezuela, denn sie führen zu unnötigem menschlichen Leid, Gewalt und
Instabilität. Die politische Polarisierung in Venezuela ist nicht neu; das Land
ist seit langem entlang rassischer und sozioökonomischer Linien gespalten.
Jedoch hat sich die Polarisierung in den
letzten Jahren vertieft, dies zum Teil auf Grund einer US-Unterstützung für eine
Oppositionsstrategie, die auf eine Entfernung der Regierung von Nicolas Maduro
durch andere Mittel als Wahlen abzielte. Während die Opposition bezüglich
dieser Strategie gespalten war, gab die Unterstützung durch die USA den harten
Kreisen der Opposition Rückendeckung für ihr Ziel, die Regierung Maduro durch
häufig gewalttätige Proteste, einen Militärputsch oder andere Wege zur Umgehung
der Wahlurne zu vertreiben.
Unter der Administration Trump hat sich die aggressive
Rhetorik gegen die venezolanische Regierung verschärft und ein extremeres und
bedrohlicheres Niveau erreicht; so sprechen Beamte von Trumps Administration
von einer ›Militäraktion‹ und verurteilen Venezuela zusammen mit Kuba
und Nicaragua als Teil der ›Troika der
Tyrannei‹.
Probleme, welche sich aus der venezolanischen Regierungspolitik ergaben, sind durch die
Wirtschaftssanktionen der USA, die sowohl gemäss der ›Organisation Amerikanischer Staaten‹ [›OAS‹] als auch
gemäss den Vereinten Nationen illegal sind
- genauso wie gemäss US-Gesetz und anderen internationalen Verträgen und
Konventionen - verschlimmert worden.
Diese Sanktionen haben der venezolanischen Regierung die Mittel entzogen,
mittels der sie ihrer wirtschaftlichen Rezession entkommen können hätte, da sie
einen dramatischen Einbruch bei der Ölproduktion verursachten, die Wirtschaftskrise verschlimmerten und zum Tod vieler
Menschen führten, weil diese keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten
hatten. Derweil fahren die US- und andere Regierungen damit fort, die
venezolanische Regierung allein für den wirtschaftlichen Schaden
verantwortlich zu machen, selbst für den durch die US-Sanktionen
herbeigeführten.
Nun haben die USA und ihre Verbündeten,
einschliesslich dem Sekretär der ›OAS‹, General Luis Almagro, und dem rechtsaussen
stehenden Präsidenten von Brasilien, Jair Bolsonaro, Venezuela an den Abgrund
gedrängt. Indem sie den Präsidenten der Nationalversammlung, Juan Guaido, als
neuen Präsidenten Venezuelas anerkannten
- was gemäss der Charta der ›OAS‹ illegal ist -
hat die Administration Trump die politische Krise Venezuelas massiv
beschleunigt, in der Hoffnung, das venezolanische Militär zu spalten, die
Bevölkerung weiter zu polarisieren und sie zu zwingen, sich auf eine Seite zu
stellen. Das offensichtliche und manchmal auch erklärte Ziel ist, Maduro durch
einen Staatsstreich aus dem Amt zu vertreiben.
Tatsache ist, dass Venezuela trotz Hyperinflation,
Unterversorgung und tiefer Depression ein politisch polarisiertes Land bleibt.
Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten müssen aufhören, Gewalt zu
fördern, indem sie einem gewaltsamen, ausserhalb des Gesetzes stehenden ›Regime Change‹ Vorschub leisten. Wenn die Administration Trump und
ihre Bündnispartner ihren rücksichtslosen Kurs in Venezuela weiterverfolgen,
wird die wahrscheinlichste Folge Blutvergiessen, Chaos und Instabilität sein.
Die USA sollten aus ihren Regimewechsel-Unternehmen im Irak, in Syrien und
Libyen, und ihrer langen gewalttätigen Geschichte der Förderung von
Regimewechseln in Lateinamerika etwas gelernt haben. Keine der beiden Seiten in
Venezuela kann die andere einfach bezwingen. Das Militär beispielsweise hat
mindestens 235 000 Frontsoldaten und mindestens 1.6 Millionen Milizionäre.
Viele dieser Menschen werden angesichts dessen, was zunehmend als US-geführte
Intervention erscheint, kämpfen, nicht nur auf Grund eines Glaubens an die
nationale Souveränität, der in Lateinamerika weitverbreitet ist, sondern auch,
um sich selbst vor einer wahrscheinlichen Repression zu schützen, sollte die
Opposition die Regierung mit Gewalt stürzen.
In solchen Situationen ist die einzige Lösung eine
Beilegung durch Verhandlungen, so, wie es in der Vergangenheit in
lateinamerikanischen Ländern geschah, wenn politisch polarisierte
Gesellschaften nicht in der Lage waren, ihre Differenzen durch Wahlen
beizulegen. Es gab Bemühungen, wie jene des Vatikans im Herbst 2016, die
Potential hatten, aber sie erhielten keine Unterstützung von Washington und
seinen Verbündeten, die einen Regime Change bevorzugten. Diese Strategie muss
sich ändern, wenn es eine tragfähige Lösung für die laufende Krise in Venezuela
geben soll.
Im Sinne des Wohles des venezolanischen Volkes und der
Region und des Prinzips der nationalen Souveränität sollten die internationalen
Akteure Verhandlungen zwischen der venezolanischen Regierung und ihren Gegnern
unterstützen, die es dem Land erlauben werden, seine politische und
wirtschaftliche Krise schliesslich hinter sich zu lassen.
Die Namen der Unterzeichner des Briefes finden sich
auf https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2019/nr-3-29-januar-2019/die-us-regierung-muss-aufhoeren-sich-in-die-innenpolitik-venezuelas-einzumischen.html
[1]
https://www.apnews.com/d548c6a958ee4a1fb8479b242ddb82fd 26. 1. 19 By JOSHUA GOODMAN, LUIS ALONSO LUGO and ROB
GILLIES AP Exclusive: Anti-Maduro coalition grew from
secret talks [2] https://www.derstandard.de/story/2000097113112/rivalen-in-venezuela-eskalieren-machtkampf 28. 1. 19 Eskalation in
Venezuela war seit Monaten geplant - Von Sandra Weiss
[3] https://de.sputniknews.com/politik/20190202323812457-italien-blockiert-anerkennung/ 2. 2. 19 [4] https://www.swr.de/swraktuell/Venezuela-Erster-General-laeuft-zu-Guaido-ueber,kurz-venezuela-general-100.html 2. 2. 19 [5] https://de.sputniknews.com/politik/20190202323816529-venezuela-generalverweigertMaduroGefolgschaftundwirdHochverratsbezichtigt/ 2. 2. 19
[6] https://deutsch.rt.com/amerika/83314-un-sonderberichterstatter-sanktionen-gegen-venezuela/ 30. 1. 19
UN-Sonderberichterstatter: Die Sanktionen gegen Venezuela töten viele
Menschen
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