Die Hidden Agenda der neuen Provokation in der Kertsch-Strasse - Von Peter Korzun 10.12.2018 00:01
Am 25. November sind drei ukrainische Kriegsschiffe ohne Erlaubnis
in russische Territorialgewässer
eingedrungen. Die russische Küstenwache ergriff Massnahmen, um sie zur
Einhaltung der Regeln zu zwingen. Dem entsprachen sie nicht. Es bestehen kaum
Zweifel, dass Kiew diese Schiffe bewusst entsandte, um Russland zu provozieren.
Jedes Schiff, das diesen Wasserweg passiert, muss die Behörden des Seehafens Kertsch
kontaktieren, Route und Destination bekanntgeben, und es braucht eine Erlaubnis
zum Durchfahren. Es ist wirklich so einfach, aber die Gruppe ukrainischer
Schiffe hat Russland über ihre Pläne nicht vorgängig verständigt. Warnungen,
ihr gefährliches Manövrieren zu beenden, stiessen auf taube Ohren. Die
ukrainischen Schiffe ignorierten bewusst die Aufforderungen zum Verlassen
der russischen Territorialgewässer.
Kiew beeilte sich, Moskau der ›militärischen Aggression‹ zu beschuldigen. Der Zwischenfall
war sofort in den Schlagzeilen, wobei die westlichen Führer eiligst ihre
Stimmen zur Unterstützung der Ukraine erhoben, ohne irgendwelche Einzelheiten
darüber vorzulegen, was genau geschehen war oder was diese gefährliche
Entwicklung der Ereignisse entzündet hatte. NATO-Generalsekretär Jens
Stoltenberg brachte unverzüglich »die
volle Unterstützung der NATO für die territoriale Integrität und Souveränität
der Ukraine, einschliesslich ihrer vollen Seefahrtsrechte in ihren
Territorialgewässern gemäss internationalem Recht« zum Ausdruck. Neben einigen anderen
Ländern schlossen sich Kanada, Polen und Dänemark schnell mit ihren Stimmen dem
antirussischen Chor an. Das erfüllt den Zweck, sowohl die Einzelheiten als auch
jeden Versuch beiseite zu schieben, Einblick in die wahren Ursachen des
Zwischenfalls im besonderen oder der Verschlechterung der Situation im
Asowschen Meer im allgemeinen zu erhalten.
Am 26. November unterschrieb der
ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine Vorlage zur Einführung des
Kriegsrechts. Sobald sie vom Parlament gutgeheissen wird, bleibt dieses für
mindestens einen Monat in Kraft. Danach kann es verlängert werden. 2014, als
die Krim per Referendum den Anschluss an Russland verlangte, hat der
ukrainische Präsident die Frage der Verhängung des Kriegsrechts nicht
aufgebracht. Auch 2015, in der Hitze des Gefechts im Osten des Landes beim
Kampf um Debalsevo Bulge [in Donezk], hat er diesen Schritt nicht unternommen.
Der anhaltende Konflikt mit den selbsternannten Republiken hat ihn nie dazu veranlasst,
den Ausnahmezustand in Erwägung zu ziehen. Den jüngsten Zwischenfall auf See
hingegen fand er schwerwiegend genug, um vor den Präsidentschaftswahlen - bei denen er gemäss Meinungsumfragen nur
eine geringe Chance hat, zu gewinnen -
die Verhängung des Kriegsrechts zu rechtfertigen.Der Schritt begrenzt die bürgerlichen
Freiheiten und gewährt den staatlichen Institutionen während der Wahlen, die
auf den 31. März 2019 angesetzt sind, falls sie nicht verschoben werden, mehr
Macht. Während der Dauer des Kriegsrechts sind Präsidentschafts-, Parlaments-
und Kommunalwahlen ebenso verboten wie Streiks, Proteste, Kundgebungen und
Massendemonstrationen. Der Zwischenfall zur See ist möglicherweise nicht die
einzige Provokation, die geplant ist. Die Lage an der Grenze zu den selbsternannten
Republiken fing an, sich zu verschlechtern, als die Berichte über den
Zwischenfall zur See hereinzuströmen begannen. Im Laufe des Abends vom 26.
November wurde heftiger Beschuss von Wohngebieten in der Ostukraine durch die
ukrainischen Streitkräfte gemeldet.
Ein weiteres Motiv: Die Provokation wurde
inszeniert, um das Verfahren zum NATO-Beitritt zu beschleunigen. Das Abkommen
von 2003 zwischen Russland und der Ukraine, das besagt, dass das Asowsche Meer
als Hoheitsgewässer beider Staaten gilt, könnte gekündigt werden. Letzten
Sommer war im ukrainischen Parlament (Rada) eine Vorlage zur Aufhebung des
Vertrags eingebracht worden. Der Vertrag verbietet jedem Kriegsschiff die
Einfahrt in das Meer ohne die Erlaubnis beider Staaten. Sollte dieses Abkommen
zunichte gemacht werden, würde die UNO-Seerechtskonvention von 1982 zum Tragen
kommen. Die Hoheitsgewässer von Russland und der Ukraine würden sich über 12
Seemeilen vor ihren jeweiligen Küsten erstrecken. Das Innere des Meeres würde
internationales Gewässer, was den Kriegsschiffen der NATO die unbeschränkte
Einfahrt ins Asowsche Meer erlauben würde.
Kiew hofft auch auf eine Erhöhung der
Militärhilfe der NATO, die es ihm ermöglichen würde, eine starke Kriegsflotte
sowie eine Küstenverteidigung aufzubauen. Es hätte im Asowschen Meer gerne eine
internationale Überwachungsmission, wahrscheinlich unter der Schirmherrschaft
der OSZE und unter Beteiligung von Flotten, die Russland unfreundlich gesinnt
sind. Und noch etwas wollte der ukrainische Präsident gerne sehen: Dass
US-Präsident Trump sein Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin am G-20-Gipfel
in Argentinien absagt - wie inzwischen geschehen.
Was gab den Anlass für die Aktionen Kiews?
Es war die Unterstützung des Westens. Am 25. Oktober nahm das Europäische
Parlament eine Resolution zum Asowschen Meer an, um seine Unterstützung der
Ukraine zum Ausdruck zu bringen. Am 19. November erklärte die Hohe Vertreterin
der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, die
EU-Aussenminister hätten darüber gesprochen, auf Grund der Situation im
Asowschen Meer relevante ›gezielte
Massnahmen‹
gegen Russland zu unternehmen. Die USA, die bereits eine Militäreinrichtung in
Otschakiv besitzen, fahren fort, ihre Militärhilfe für die Ukraine auszuweiten.
Sobald die Fregatten der Oliver-Hazard-Perry-Klasse in der Ukraine eintreffen,
werden amerikanische Marineinstruktoren folgen. Die US-Präsenz und deren
militärische Infrastruktur werden schrittweise erweitert werden.
Grossbritannien tut das gleiche.
Der Rückhalt des Westens bedeutet, die
Ukraine zur Eskalation der Spannungen zu ermuntern. Das Verfassungsgericht der
Ukraine hat soeben eine Gesetzesänderung abgesegnet, um die NATO- und
EU-Mitgliedschaft als offizielle Ziele der Aussenpolitik zu proklamieren. Sollte
das Parlament dem zustimmen, wären die Abkommen von Minsk null und nichtig,
weil Russland deren Befolgung ursprünglich unter der Bedingung zustimmte, dass
die Ukraine ein neutraler Staat bleibt.
Niemand braucht solche erhöhten Spannungen
in einem Gebiet mit derart viel Schiffahrt. Alle seefahrenden Nationen wollen
freie und durch das Gesetz geschützte Schiffahrtslinien. Je mehr politische und
militärische Unterstützung Kiew erhält, desto höher die Wahrscheinlichkeit,
dass ein Funke ein Feuer im Asowschen Meer entzündet, das sich weiter
ausbreiten wird. Die Verantwortung lastet auf denjenigen, die Kiew anstacheln
und damit die Spannungen aufschaukeln, um politische Ziele zu verfolgen. [1]
Anlässlich des aktuellen Konflikts zwischen
Russland und der Ukraine hatte das deutsche Magazin ›Cicero‹ Frank Elbe, den ehemaligen
deutschen Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im
deutschen Auswärtigen Amt unter Aussenminister Hans-Dietrich Genscher, am 29.
November um seine Einschätzung gebeten: »Aber
ist nicht die russische Vorgehensweise«,
so die Frage von ›Cicero‹, »völlig unverhältnismässig aggressiv? Ein
Schiff zu rammen und auf Leute zu schiessen, so kann man doch nicht zur
Deeskalation der Lage beitragen«.
»Der Schutz der russischen Grenze«, entgegnete Elbe, »ist nun einmal die Aufgabe der
Küstenwache. Ausserdem hatten die Russen angekündigt, sich genauso zu
verhalten. Wenn ukrainische Schiffe sich nicht an die Regeln halten, lösen sie
die aktuelle Situation doch aus«.
Kurz vorher im Interview hatte Frank Elbe dargelegt: »Sie müssen sich auch einmal die Lage von
Russland anschauen: Das amerikanische Bemühen, die Ukraine und Georgien in die
NATO zu holen, der Aufbau eines Raketenabwehrsystems, das Heranrücken der NATO
an die russische Grenze - es ist doch logisch, dass das in Russland
Ängste auslöst. Und dass Putin diese Entwicklungen nicht einfach geschehen
lassen kann«.
[1] Quelle:
Strategic Culture Foundation on-line journal;
www.strategic-culture.org vom
27. 11. 2018 resp.
https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-2728-4-dezember-2018/hidden-agenda-der-neuen-provokation-in-der-kertsch-strasse.html
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