Trumps Schatten über der NATO - Von Dan De Luce, Robbie Gramer und Emily Tamkin

Ein Jahr nach Trumps Amtsantritt sind die europäischen Verbündeten

erleichtert, daß es die NATO noch gibt, jedoch steht die bisherige Führungsposition der USA infrage. Wenn sich im Februar Generäle und  Diplomaten zu der äußerst wichtigen Sicherheitskonferenz in München  versammeln, wird Präsident Donald Trump nicht dabei sein. Aber der US-Präsident wird einen langen Schatten über das jährliche Ereignis werfen, weil seine abfälligen Bemerkungen über die NATO das Vertrauen der transatlantischen Partner in die USA erschüttert haben. Es wird erwartet, daß Zweifel an der Einstellung Washingtons zur NATO die Münchner Sicherheitskonferenz vom 16. bis 18. Februar dominieren und europäische Sicherheitsexperten versuchen werden, die widersprüchlichen Botschaften aus dem Weißen Haus zu deuten. 

Gleich nach der Wahl Trumps im November 2016 stellten sich die europäischen Regierungen auf ein Horrorszenario ein; sie befürchteten, der Präsident, der der USA wieder Platz 1 verschaffen will, würde sich Rußland annähern und von der Hauptdoktrin der NATO, der kollektiven Verteidigung, abrücken. Ein Jahr danach sind ihre schlimmen Befürchtungen aber noch nicht wahr geworden. Trumps Äußerungen haben zwar viel Staub aufgewirbelt, die NATO existiert aber noch.

Offizielle aus der USA und aus Europa haben durchblicken lassen, daß sich im Hintergrund US-Militärs und Minister der Regierung Trump mit ihren europäischen Partnern darauf verständigt haben, bei der Abschreckung Rußlands auch weiterhin eng zu kooperieren. Trotz Trumps Gepolter hat seine Regierung konkrete Schritte unternommen, um die Allianz zu stärken und Moskau entgegenzutreten; Waffenverkäufe an die Ukraine sollen die Bekämpfung der prorussischen Separatisten erleichtern, und die Ostflanke der NATO ist mit zusätzlichen US-Panzern verstärkt worden. Die NATO-Verbündeten konnten mit Geld, militärischer Hardware und gemeinsam durchgeführten Manövern beruhigt werden. Eine Allianz ist aber nicht nur mit Waffen und höheren Budgets zusammenzuhalten. Die Äußerungen und der harsche Ton des US-Präsidenten haben nach Auskunft europäischer Offizieller ernste Zweifel aufkommen lassen, ob die USA in einer Krise ihre Beistandspflicht erfüllen wird.

Ein höherer europäischer Offizier hat gegenüber Foreign Policy geäußert: »Wir versuchen mit unseren amerikanischen Partnern die Spannungen innerhalb der NATO abzubauen, aber Trumps Äußerungen haben eine große Unsicherheit hervorgerufen.« »Andere europäische Verbündete meinen, es sei nicht ganz so schlimm gekommen, wie sie erwartet haben«, stellte Julianne Smith fest, die dem früheren Vizepräsidenten Biden als stellvertretende Sicherheitsberaterin gedient hat. Sie fügte noch hinzu: »Einige Verbündete haben zwar schon Erleichterung signalisiert, die ungeklärte Zukunft stößt ihnen aber immer noch sauer auf.« Die Europäer setzen ihre Hoffnung auf die schon länger als sechs Jahrzehnte andauernden engen militärischen Verbindungen. Und in Trumps Team sehen sie Verteidigungsministers James Mattis und General Joseph Dunford, den Chef des US-Generalstabes, als Verfechter der Allianz an. Bei einer Zeremonie, die am 15. Januar in Brüssel stattfand, wurde General Dunford das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen; das war eine deutliche Botschaft an Trump, obwohl sein Name überhaupt nicht genannt wurde. Diplomatisch erinnerte Dunford an die militärischen Beziehungen, die ein Gegengewicht zu den politischen Problemen zwischen Washington und Europa bilden könnten. Er sagte: »Ich denke, daß uns die Beziehungen zwischen den Streitkräften zusammenhalten, auch wenn es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten gibt.«
 
Als Maßnahme zur Beruhigung der europäischen Regierungen hat die Trump-Regierung beschlossen, mehr US-Soldaten und Panzer nach Osteuropa zu schicken und mehr Ausbildungs- und Trainingseinsätze mit NATO-Partnern durchzuführen. Im Jahr 2018 will das US-Verteidigungsministerium für die
European Deterrence Initatitive 4,8 Milliarden $ ausgeben; verglichen mit 2017 ist das eine Steigerung um 1,4 Milliarden $. Trump zögert zwar, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu kritisieren oder Moskau die Einmischung in die US-Präsidentenwahl 2016 vorzuwerfen, seine Regierung hat aber trotzdem russische Konsulate wegen  Spionageverdacht geschlossen, auf Drängen des Kongresses härtere Sanktionen gegen Rußland verhängt und grünes Licht für die Lieferung von Panzerabwehrwaffen an die ukrainische Regierung gegeben, was sein Vorgänger noch abgelehnt hatte. »Es läßt sich wohl nicht bestreiten, daß der Kandidat Trump Dinge gesagt hat, die Stirnrunzeln verursacht haben«, meinte ein europäischer Diplomat. »Langsam wird aber klar, daß das Engagement der USA für die NATO eher größer wurde, seit die Trump-Regierung komplett ist.«  

Mattis und Dunford werden von Atlantikern und Russengegnern unterstützt: von Wess Mitchell, dem Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten, von Kurt Volker, dem Sonderbotschafter für die Ukraine, von Thomas Goffus, dem Unterstaatssekretär für europäische und NATO-Politik im Verteidigungsministerium und von führenden Mitgliedern des National Security Council NSC wie Richard Hooker und Fiona Hill. »Mitglieder des NSC‹   verbringen viel Zeit damit, den Widerstand der Ultrarechten gegen Trumps Europapolitik zu brechen«, sagte ein ehemaliger führender Pentagon-Mitarbeiter, der unter George W. Bush gedient hat. Aber keiner von ihnen kann die NATO gegen Trump unterstützen.

Als Präsidentschaftskandidat hat Trump die NATO wiederholt als obsoletbezeichnet und den Artikel 5 über die gegenseitige Beistandspflicht bis zur seiner zweiten Europareise im Juli 2017 infrage gestellt. Nach Aussage europäischer Offizieller war sein Besuch bei der NATO in Brüssel im Mai 2017 der absolute Tiefpunkt; dort hat er Verbündete öffentlich beschuldigt, Schmarotzer zu  sein, und sich bei einem gemeinsamen Essen hinter verschlossenen Türen wie ein Elefant im Porzellanladen benommen. Trump hat vor allem die NATO-Mitglieder angegriffen, die noch immer nicht die von der NATO beschlossenen 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Nur 5 der 29 NATO-Mitglieder, die USA, Großbritannien, Estland, Polen und Griechenland, haben diese Vorgabe erreicht, und nach Meinung einiger Experten wird die Bedeutung dieser Festlegung stark übertrieben. Trumps rüde Erpressermethoden haben einige NATO-Verbündete so verstört, daß sie sich fragen, ob ihnen der US-Präsident überhaupt beispringen würde, wenn es notwendig wäre. »In Gesprächen mit führenden Europäern höre ich immer wieder, daß in jeder Diskussion in NATO-Gremien sofort über die 2%-Marke geredet wird«, äußerte Ivo Daalder, ein ehemaliger US-Botschafter bei der NATO, der jetzt Präsident des Chicago Council on Global Affairs ist.

Seit Trump Präsident ist, spielt die USA nach Meinung von Insidern im NATO-Hauptquartier Brüssel nicht mehr die bisher unangefochtene Hauptrolle. Trump   kann nicht nur die unter Barack Obama eingeleiteten Initiativen weiterführen, er müßte auch neue, eigene Ideen in das Entscheidungsgremium der NATO, den Nordatlantikrat, einbringen. »Die bisher führende Stellung der USA im Nordatlantikrat existiert praktisch nicht mehr«, stellte Jim Townsend fest, der früher im US-Verteidigungsministerium für die Europa- und NATO-Politik zuständig war. »Der Motor der NATO arbeitet nicht mehr.« Die Allianz hat zwar beschlossen, ihre Präsenz in Osteuropa zu verstärken und will neue Kommandos für die Logistik und die Seestreitkräfte einrichten, nach Townsends Meinung vermissen die NATO-Mitglieder aber vor allem einen für alle verbindlichen Mobilmachungsplan für den Ernstfall. »Was die Abschreckung angeht, irren wir im Nebel umher«, beklagte Townsend. Trumps mangelnde Begeisterung für die NATO leitet Wasser auf die Mühlen der NATO-Skeptiker in Europa, die schon länger fordern, Europa müsse sich selbst um seine Verteidigung kümmern und sich nicht nur auf die USA verlassen.

Die offenen Fragen zum künftigen US-Engagement haben auch Wünsche nach einer stärkeren Annäherung an Ru
ßland wiederbelebt. »Wenn Zweifel an der   Sicherheitsgarantie des wichtigsten Verbündeten aufkommen, wächst das Bedürfnis nach Eigensicherung«, bemerkte Daalder. Trump hat nicht nur das Vertrauen in die NATO erschüttert, er hat mit seiner Kritik an der EU und seiner beabsichtigten Rückkehr zu einer protektionistischen Handelspolitik auch generelle Zweifel an den transatlantische Beziehungen geweckt. Die EU strebt jetzt eigenständig eine globale Handelsordnung an und will vor allem ihre Geschäftsbeziehungen mit Japan ausbauen, während die USA gleichzeitig dabei ist, ihre traditionelle Rolle als wichtigster Garant offener Märkte aufzugeben.

Mattis und seine Militärkommandeure bemühen sich zwar sehr, das   transatlantische Bündnis zu erhalten, aber der von Trump angerichtete Schaden könnte nach Meinung ehemaliger und aktiver europäischer Politiker so groß sein, daß die in Jahrzehnten aufgebaute Vertrauensbasis nicht wieder herzustellen ist. »Es könnte sehr lange dauern, bis die tiefen Wunden in den transatlantischen Beziehungen wieder vernarbt sind«, meinte Alexander Vershbow, ein ehemaliger US-Diplomat, der auch schon einmal stellvertretender NATO-Generalsekretär war. »Für Europa wird die USA jetzt immer das Land bleiben, das Donald Trump gewählt hat«, sagte er abschließend.

 

Dan De Luce ist Foreign-Policy-Chefkorrespondent für nationale Sicherheit, Robbie Gramer ist Foreign-Policy-Korrespondent für nationale Sicherheit und Diplomatie und Emily Tamkin ist eine bei Foreign Policy angestellte Journalistin, die über Botschaften und Diplomaten in Washington berichtet. 

Quelle:  
https://foreignpolicy.com/2018/01/29/trumps-shadow-hangs-over-nato-transatlantic-alliance-europe-defense-deterrence-europe-mattis-jens-stoltenberg/  29. 1.
18  resp.
http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP02118_160218.pdf 
Friedenspolitische  Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein
LP 021/18 vom 16. 2. 18