»Man muß sich an den Kopf fassen, was Herr Ischinger da von sich gibt.« 14.01.2018 22:20
So lautet der Kommentar des ehemaligen Vizepräsidenten der
Parlamentarischen
Versammlung der OSZE, Willy Wimmer, zu den jetzt erfolgten Aussagen des Vorsitzenden
der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. In dem mit Tilo Gräser
von ›Sputnik Deutschland‹ geführten Gesprächbehauptet Ischinger, daß der Westen
insgesamt ein besseres Verhältnis zu Moskau möchte, was Rußland
hingegen nicht wolle;
er macht daher Rußland für die seit 2014 anhaltende Krise verantwortlich
und unterstellt dem Land auch eine Mitverantwortung für die Flüchtlingskrise. [1]
In dem mit der Zeitschrift
›Internationale
Politik‹ am 5. 1. geführten Interview führt der ehemalige deutsche
Botschafter in der USA, der der Münchner NATO-Konferenz seit 2008 vorsteht, aus,
daß »das Ziel, eine möglichst konfliktfreie Beziehung zu Rußland herzustellen«, »Teil
der deutschen Staatsräson«
sei. Wie er erklärt, sei die Rußland-Politik in
Deutschland »nicht
nur rationale Politik.« Es gebe »da ein emotionales
Element, das mit der Vergangenheit zu tun habe«; deshalb sei die deutsche
Politik gegenüber Rußland in ihrem Denken »häufig etwas romantischer«, was sie auch erschwere. Ischinger
meint ferner, daß Deutschland im Vergleich zur »existenziellen Krise der
EU« die Krise mit Rußland »emotional deutlich stärker als die Partner« treffe. Diese habe sich
bereits 2008 angekündigt. [2]
Wie Ischinger Gräser gegenüber
darlegt, hätten schon die Rede von Präsident Putin, die dieser auf der Münchner
Konferenz 2007 hielt, sowie der Krieg in Georgien 2008 gezeigt, »daß
eine neue Epoche in den West-Ost-Beziehungen angebrochen war.« Der damals »neu aufbrechende Ost-West-Gegensatz« sei inzwischen zu einem
Konflikt geworden. Der Westen habe noch bis Mitte der 1990er Jahre gedacht, »alles im Griff zu haben« und daß dem Ost-West-Konflikt eine »neue Phase« folge.
Weggelassene Tatsachen Ischinger, so Gräser, läßt nicht nur aus, daß
die russischen Truppen 2008 den georgischen Angriff auf die Republik
Südossetien auf der Basis internationaler Abkommen zurückschlugen und dort mit
einem international vereinbarten Mandat agierten; sie handelten damit »rechtskonform«, wie der Politologe
Reinhard Mutz 2014 in der Zeitschrift ›Blätter für deutsche und internationale Politik‹ feststellte. Der
Westen, so Ischinger, habe das dagegen als eine Art »Betriebsunfall« gesehen; aus seiner Sicht hat Putin 2008 »umgeschaltet« und das westliche Angebot einer »Modernisierungspartnerschaft« ausgeschlagen, »aus einer ganzen Reihe von
Gründen.« Zudem
wirft Ischinger Rußland vor, »2014 mit der Annexion der Krim« eine neue Ära eingeläutet zu haben und den Glauben, »daß
wir mit der ›Charta von Paris‹ von 1990 dauerhafte,
nachhaltig wirksame und verlässliche Strukturen für die euro-atlantische
Gemeinschaft geschaffen hätten, an die sich alle halten würden«, plötzlich zerstört zu
haben.
Das haben Anfang Dezember
2017 ehemalige hochrangige deutsche Politiker und Diplomaten, darunter sein
Vorgänger Horst Teltschik bei einer Veranstaltung in Berlin anders beschrieben:
Die westliche Seite habe die Instrumente für eine gemeinsame Sicherheit mit der
Sowjetunion bzw. Rußland und den anderen osteuropäischen Staaten,
wie sie 1990 in der »Charta
von Paris für ein neues Europa« vereinbart wurden, nicht genutzt.
Ischinger sieht das
anscheinend anders; er meint: »Die Reparaturarbeiten, die wir seit 2014 zu erledigen
haben, sind zwar angelaufen, aber sie sind bislang nicht erfolgreich gewesen.« Mit Blick auf ein
mögliches besseres Verhältnis zu Rußland als angeblichem Teil
der bundesdeutschen Staatsräson sagt er: »Die andere Seite muß
es auch wollen, und im Augenblick will sie es nicht. Sie will jedenfalls nicht
dorthin zurück, wo Putin mit seiner Bundestagsrede 2001 war, als er sagte: ›Ich will nach
Westen, ich will zu euch‹; das ist gescheitert - jedenfalls vorerst.« Ischinger behauptet sogar,
daß die Flüchtlingskrise »letztlich eine Folge« der seit 2014 erfolgten »russischen Intervention in der Ukraine und in Syrien« sei; und erklärt, dies betont ›halbironisch‹: »Dank Putins Politik bräuchte er sich keine Sorgen um
die weitere Existenz der von ihm geführten Münchner Sicherheitskonferenz zu
machen.« So
würden die Themen für das jeweils zu Jahresbeginn in der bayerischen Hauptstadt
stattfindende Treffen nicht ausgehen. Dort hatte der damalige
deutsche Bundespräsident Joachim Gauck auf der Konferenz des Jahres 2014 für
Aufsehen gesorgt, als er in einer Rede eine stärkere Rolle Deutschlands in der
Welt einforderte. Das begründete er bereits damals unter anderem mit den
Bestrebungen der USA, ihr globales Engagement zurückzufahren. Ischinger
bestätigt nun in seinem Interview, daß das, was Gauck
einforderte, jedoch auf zahlreiche Kritik stieß, schon lange angestrebt wird.
Der Auftritt des Bundespräsidenten »war«, wie er sagt, »von langer Hand geplant.«
Was mit Blick auf das
Verhältnis zu Rußland von Ischingers Aussagen zu halten ist und was dabei
hinsichtlich der weiteren Entwicklung zu erwarten sein könnte, deutet ein
Arbeitspapier der offiziellen Bundesakademie für Sicherheitspolitik vom
November 2017 an: Darin heißt es: »Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben bzw. den
Eindruck aufkommen lassen, daß der derzeitige Konflikt
mit Rußland von vorübergehender Dauer sei und wir in absehbarer
Zeit wieder zur Normalität zurückkehren könnten. Vielmehr sollten wir uns an
diesen Konfliktzustand gewöhnen.« Der Autor Marek
Menkiszak, Leiter der Rußlandabteilung des Zentrums
für Oststudien (OSW) in Warschau, macht hierfür ebenfalls Moskau verantwortlich
und empfiehlt, die Konfrontation samt antirussischer Sanktionen und NATO-Truppen
an der russischen Grenze aufrechtzuerhalten. Zwar heißt es in dem Papier,
dieses gebe nur die »persönliche
Meinung des Autors«
wieder, aber ein offizieller Widerspruch dazu war bisher nicht zu vernehmen.
Im Gegensatz zu den
Ausführungen Ischingers sieht Wimmer [3] den Westen
seit 1990 auf dem Pfad der Lüge und des Krieges. Im
Zusammenhang mit der Münchner Sicherheitskonferenz, so Wimmer, muß man
folgendes sagen: Was die Grüne Woche in Berlin für die Landwirtschaft ist, ist
diese Veranstaltung offensichtlich für diejenigen geschaffen, die sie als
Werbeveranstaltung für Krieg, Mord, Folter und Vertreibung auf dem ganzen
Globus empfinden. Man kann nur erstaunt sein, was sich die Bundesregierung
diese Veranstaltung kosten läßt, um weltweit für Krieg und Vernichtung
zu plädieren. Das Perverse an dieser Veranstaltung ist, daß
diejenigen, über die man demnächst im Westen herzufallen versucht, auch noch
eingeladen werden. Und man wird mit Interesse beobachten, ob dieses Mal der
Iran eine prominente Rolle spielt.
Das ist das Gesamtspektrum
dieser Konferenz, die im wahrsten Sinne des Wortes in den letzten Jahren
degeneriert ist. Dazu hat Joachim Gauck, der ein deutsches robustes Auftreten in
der ganzen Welt als vorrangig empfunden hat, wesentlich beigetragen. In unserer
Verfassung steht, daß Deutschland einen Beitrag zum Frieden in der
Welt zu leisten hat. Vor diesem Hintergrund muß
auch die Erklärung von Herrn Ischinger im Zusammenhang mit Rußland gesehen werden. Es wird gelogen und verbogen, daß sich die Balken nur so biegen. Denn keiner, der die
Entwicklung seit 1990 in Europa verfolgt hat, kann für das, was Herr Ischinger
da geschrieben hat, Verständnis haben. Wenn man die gesamte Entwicklung seit
1990 sieht, dann ist der Westen seit der ›Charta von Paris‹ auf dem Pfad der Lüge und des Krieges gewesen. Das
haben wir zum ersten Mal im völkerrechtswidrigen, gegen die Charta der
Vereinten Nationen und gegen das Versprechen in der ›Charta von Paris‹: ›Kein Krieg mehr in Europa!‹ gerichteten Krieg gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien erlebt. Bill Clinton und Madeleine Albright haben diesen Krieg nach
Europa gebracht.
Die Russische Föderation
ist 1990 in der gleichen Weise auf den Westen wie auf die NATO hereingefallen
und geleimt worden, wie es vor 100 Jahren mit dem deutschen Reich und
Österreich-Ungarn geschehen ist, als wir auf die 14 Punkte und die
Friedensüberlegungen des amerikanischen Präsidenten Wilson hereingefallen sind.
Das heißt, die Lüge wird im Westen zum Herrschaftsprinzip gemacht. Deswegen
braucht man keinen in Moskau oder anderswo, um sein verhängnisvolles Tun zu
legitimieren.
Bezüglich Ischingers
Meinung, selbst die Flüchtlingskrise sei auf Rußland
zurückzuführen, erklärt Wimmer: Mit Verlaub: Das erinnert an die Hysterie in
Bezug auf Rußland, die wir seit einiger Zeit aus der USA kennen. Man
muß in diesem Zusammenhang mit Entsetzen feststellen, daß die Bundesregierung – und das ist etwas anderes als
derjenige, der von der Berlin in der Person von Herrn Ischinger subventioniert
wird – Hunderttausende von Menschen in Deutschland als Instrument gegen die
legitime Regierung in Syrien betrachtet. Die Entwicklung in Syrien hätte schon
längst dazu führen müssen, mit der legitimen Regierung – und das ist die
Regierung des Präsidenten al-Assad – in
Verhandlungen über die Rückführung einzutreten. Vor diesem Hintergrund ist man
über das Verhalten der deutschen Politik eigentlich nur noch erstaunt und
beschämt.
In welchem Land leben wir
eigentlich, wenn Herr Ischinger im Zusammenhang mit der Vergangenheit bezüglich
Rußland von einem gewissen romantischen Gefühl in
Deutschland schreibt? In diesen Wochen jährt sich zum 75. Mal das Ende der 6. Armee
in Stalingrad. Damit ist nicht nur das Schicksal einer deutschen Armee
verbunden, sondern das ist Ausdruck für ein millionenfaches Leid in der
Sowjetunion und damit in weiten Gebieten der heutigen Russischen Föderation. Da
muß man jedenfalls die deutsche Staatsräson anders sehen
und auf diesen Nachbarn nicht dadurch zugehen, daß
man an seinen Grenzen schon wieder aufrüstet und mit aggressiven Aktionen
operiert. Das ist so etwas von Geschichtsverkennung, daß
es nur noch schrecklich genannt werden kann.
Ischinger spricht auch von
einem ›Slow-Motion‹-Prozeß, in dem die Bevölkerung
langsam an den Gedanken von Auslandseinsätzen des deutschen Militärs
herangeführt wurde. Ja, so Wimmer, da muß man nur an George
Orwell erinnern und an ›1984‹. Das ist die Situation in der deutschen und
europäischen Medienlandschaft. Wir werden nur noch zu Kriegen im NATO-Interesse
geführt. Es gibt doch keinen Diskurs mehr in der Bundesrepublik über den
besseren Weg. Wenn alle Parteien im deutschen Bundestag - bis auf die neu hinzugekommene AfD - ein Interesse daran haben, der Regierung
anzugehören, müssen sie den Kriegen zustimmen. Und das äußert sich auch im
Zustand der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung in diesem Lande. Wir
sind, was diese Situation anbetrifft, wirklich verkommen.
Anmerkung politonline Nun ist es ausgeschlossen,
daß Ischinger die zahleichen Drohungen, die die USA in
den zurückliegenden Jahren an Rußland gerichtet hat, nicht
bekannt sein sollten. Subsumiert wird die US-Einstellung in der Rede, die
George Friedman, der Leiter des einflußreichen Think Tanks
›Stratfor‹, am 4. 2. 2015 vor
dem renommierten ›Chicago Council on Global Affairs‹ hielt und in der das
seit langem verfolgte zentrale geopolitische Ziel der USA unverhüllt formuliert
wird: »Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik
während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg sowie im
Kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Denn vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann. In
unserem Hauptinteresse galt es, sicherzustellen, daß dieser Fall nicht eintritt. (…) Für die
Vereinigten Staaten besteht die Hauptsorge darin, daß sich deutsches Kapital, deutsche
Technologie, die russischen Rohstoff-Ressourcen und die russische Arbeitskraft
zu einer einzigartigen Kombination verbinden. Dies versucht die USA seit einem
Jahrhundert zu verhindern.« Wie Friedman
ferner erklärt, »ist die NATO für die USA lediglich ein politisches und kein
wirklich militärisches Instrument. Wenn internationale Einsätze durchgeführt
werden sollen, sprechen wir uns mit unseren potentiellen Koalitionspartnern
einzeln ab. Es gibt keine NATO, die eine Entscheidungsbefugnis darüber hat,
Truppen nach Syrien zu entsenden. Wir verhandeln einzeln mit den Briten, den
Franzosen oder den Polen.«
Hierzu Wolfgang
Effenberger »Seit 1871 ist einer Elite der angelsächsischen
Länder jedes Mittel recht, um eine starke Mittelmacht in Europa zu verhindern:
Wirtschafts- und Handelskriege, Intrigen und gezielte
Destabilisierungsmaßnahmen. Und schon 1919 gab es die Idee, einen Gürtel von
Pufferstaaten zwischen Deutschland und Rußland zu schaffen; den Begriff ›Cordon
Sanitaire‹ hatte der damalige französische Außenminister S. Pichon aus
der Seuchenthematik in die politische Diskussion eingeführt. Bald erstreckte
sich tatsächlich von Finnland über die baltischen Staaten und Polen bis
Rumänien ein Staatengürtel, der die Sowjetunion vom übrigen Europa trennen
sollte, angeblich zum Schutz vor der ›bolschewistischen Weltrevolution‹.
Um heute den Alptraum einer deutsch-russischen Kombination zu verhindern, will
die USA auf diese Idee zurückgreifen: Einen Gürtel aus antirussischen Staaten
aufbauen, um Deutschland und Rußland von einander abzuschneiden bzw. zu
schwächen.«
[4] Im übrigen hat der erste NATO-Generalsekretär, Lord Hastings
Lionel Ismay, den Zweck der NATO ganz
einfach definiert: »To keep
us in, the Russians out and Germany down«.
Die Beziehung der BRD zu
Rußland Was diese angeht, so hatte
der damalige Aussenminister Guido Westerwelle auf der Sicherheitskonferenz 2010 folgendes
erklärt: Die Bundesregierung bestehe auf Sonderbeziehungen zu Rußland, die
Deutschland eine Möglichkeit zu Positionsgewinnen gegenüber der USA verschaffen
sollen; sie favorisiere aus diesem Grund ein neues Bündnissystem, das neben
Washington auch Moskau einschließt. Neben dem Aufbau einer EU-Armee hielte
Berlin, wie Westerwelle bekräftigte, auch eine ›strategische Partnerschaft‹
mit Rußland für ›unverzichtbar‹. »Wir
wollen diese Partnerschaft, und wir wollen sie dort, wo uns gemeinsame Interessen
verbinden, auch weiter ausbauen.« Dies beinhalte nicht
zuletzt eine »substantielle Diskussion«
von Vorschlägen des russischen Präsidenten Medwedjew, einen neuen »Sicherheitsvertrag«
abzuschließen, der neben der USA und den NATO-Staaten auch Rußland einbeziehen
soll. Eine Diskussion über dieses Vorhaben auf der Konferenz hatte Washington
jedoch vor Beginn der Veranstaltung kategorisch zurückgewiesen. [5] Hierzu behauptet Friedman, der die Idee einer
EU-Armee für ein Phantasiegebilde hält: »Es sind nicht nur die USA,
die eine Allianz zwischen Deutschland und Rußland verhindern wollen. Es gibt
kein einziges Land in Europa, das eine derartige Allianz befürworten würde.
Polen und Frankreich sind beispielsweise vehemente Gegner einer derartigen
Allianz. Eine Allianz zwischen Deutschland und Rußland würde in Europa zu Angst
und Schrecken führen.« [6]
Interessant
ist in diesem Zusammenhang die von Ischinger Ende Januar 2015 ausgesprochene
Einstellung, die mit seiner jetzigen Behauptung, daß Berlin wie der Westen
insgesamt ein besseres Verhältnis zu Moskau will, nicht wirklich etwas gemein
hat: »Zwar müsse der Westen gegenüber Rußland auch in Zukunft
eine ›Position der Stärke‹ demonstrieren; da es aber gegenwärtig
offenbar nicht gelinge, Moskau mit einer Politik reiner Konfrontation niederzuringen, müsse man eine
neue Phase der Einbindung Rußlands einleiten. Dazu böten sich Gespräche über
eine Kooperation zwischen der EU und der auf russische Initiative hin neu
gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion an. Eine solche Kooperation sollte, wie
Experten urteilen, den Kampf »zwischen Rußland und dem
Westen vom militärischen Feld zurück auf das ökonomische«
bringen. [7] Allerdings ließ er unerwähnt, daß
es kaum anzunehmen ist, daß Putin mit der EU ohne Stilllegen der Sanktionen
verhandeln wird.
Bundeskanzlerin
Merkel ihrerseits rechnete im Februar 2015 mit einem ›Sieg‹ des Westens im
Machtkampf gegen Moskau. Wie sie auf der 51.
Konferenz in München erklärte, sei der Konflikt aktuell militärisch »nicht
zu gewinnen«. Daher müsse man sich »etwas
anderes ausdenken«. Die Kanzlerin verglich den Machtkampf mit den
Auseinandersetzungen im Kalten Krieg und bekräftigte: »Ich
bin zu hundert Prozent überzeugt, daß wir mit unseren Prinzipien siegen werden;
Deutschland übernimmt dabei eine militärische Führungsrolle.«
In diesen Worten ist allerdings kein Hauch des von Ischinger vorgebrachten »emotionalen
Elements, das mit der Vergangenheit zu tun hat«,
zu verspüren.
Gleicht
die von Ischinger und von Merkel beschriebene Strategie gegen Rußland im wesentlichen
derjenigen aus der Zeit der Systemkonfrontation, schreibt hierzu ›German Foreign Policy‹, so besteht ein
entscheidender Unterschied zwischen der heutigen und der damaligen Zeit darin,
daß die westlichen Streitkräfte nicht mehr auf die frühere Grenze zwischen BRD
und DDR zurückgeworfen sind. In den
baltischen Staaten operieren sie bereits regulär auf dem Territorium der
früheren Sowjetunion. In der Ukraine und in Georgien verfügen sie auf
ehemals sowjetischem Hoheitsgebiet über verbündete Staaten und führen dort
Kriegsübungen durch. Im ostukrainischen Bürgerkrieg kämpfen Neonazi-Bataillone
an der Seite des Westens gegen Rußland. Für Moskau handelt es sich militärisch
gesehen um Kämpfe an seiner letzten Verteidigungslinie, die es um jeden Preis
sichern muß, will es seine staatliche Souveränität nicht vollends preisgeben.
Die Provokationen des Westens an dieser Linie sind ein Spiel nicht mit dem
Feuer, sondern mit einem großen Krieg. [8]
In
der Folge sah Ischinger im November 2016 in der künftigen Präsidentschaft
Donald Trumps eine Chance für Europa. Unter der Politik von Barack Obama seien
die Beziehungen zu Rußland in den vergangenen Jahren schlechter geworden. Deshalb
werte er die Ankündigung Trumps, das Gespräch mit Rußland zu suchen, als
positive Nachricht für Europa. Die Bedingung sei jedoch, daß Trump sich
zunächst zu den Verpflichtungen gegenüber der NATO bekenne. [9] Ischinger
übersieht hier, daß die EU, gleich welcher Präsident der USA vorsteht, unter
den gegebenen Umständen für Washington immer eine ›US-Kolonie‹ bleiben
wird, was den EU-Staaten den Status von Vasallen verleiht; denn die gegen Rußland
gerichteten Sanktionen dienen ausschließlich US-Interessen. [10] Die
EU-Verträge in der zeitlichen Raffung ergeben die Auflassung fast aller
Souveränitätsrechte zugunsten eines supranationalen Pseudostaates unter
Oberhoheit der USA. Die mehrfachen zwischenstaatlichen Verträge zwischen der EU
und der USA sowie zwischen den Euro-Ländern und den EU-Mitgliedsländern haben
ein unsichtbares Netzwerk der totalen Abhängigkeit Europas von Brüssel, der EZB
und der USA geschaffen, auch wenn es so aussieht, als ob jeder Staat seine
Souveränitätsrechte bei allen Konferenzen noch vordringlich einbringen könnte;
mitnichten. [11]
Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen
Exil publizierte Thomas Mann 1953 einen Aufruf an die Europäer. Im Exil hatte
er die Neigung der US-Administration erkannt, »Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis,
als Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Rußland zu behandeln, als ein
zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen
vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um
die Weltherrschaft gilt.« [12]
Im
September 2016 hatte Ischinger Putin vorgeworfen, die letzten Monate der
amerikanischen Regierung unter Präsident Obama dazu nutzen zu wollen, ›mit der Abrißbirne‹ gegen die ›Pax
Americana‹ vorzugehen. »Er
möchte eine andere Weltordnung errichten und setzt darauf, daß er 2017 einen
strategischen Deal auf Augenhöhe mit dem nächsten amerikanischen Präsidenten
machen kann.«
[13] Was Ischinger wohl unter dieser ›Pax Americana‹ verstehen mag; wir
erleben diese heute doch mehrheitlich nur in Form von Kriegen und
Eingriffen in fremde Staaten.
Im Januar 2017 beliebte Ischinger dann zu
einer von Rußland und der USA vorzunehmenden Abrüstung sowie zu einer
verstärkten Militarisierung der EU aufzurufen. [14] Letzteres nicht zum
ersten Mal. Wie sich eine Abrüstung mit einer gleichzeitig geforderten Militarisierung
vereinbart, das bleibt Ischingers Geheimnis. Ischingers vor der
Sicherheitskonferenz 2017 abgegebene Stellungnahme legte u.a. folgendes dar: Nach
dem Machtwechsel in Washington »taugen« die Vereinigten Staaten »nicht
mehr als das politisch-moralische Führungssymbol des Westens«; es sei deshalb nun »Europas
Aufgabe, diesen Verlust zu ersetzen. Bei hinlänglicher Geschlossenheit, die
beispielsweise Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik erforderlich mache,
könnten wir Europäer eine politisch-militärische Macht sein, die tatsächlich
Eindruck machen würde.« »Wir brauchen ein Ende der Kleinstaaterei, und zwar
nicht in 20 Jahren, sondern jetzt«, wozu ein
Übergang zu außenpolitischen Mehrheitsentscheidungen unumgänglich sei. Zur
Absicherung solle man trotzdem für extreme Fälle eine Opt-out-Möglichkeit
schaffen: »Solche Regelungen sind möglich. Verbunden
mit außenpolitischer Entscheidungskraft wären wir Europäer dann eine
politisch-militärische Macht, die tatsächlich Eindruck machen würde.« [15]
Vor dieser Konferenz hatte
Trump in seiner Pressekonferenz am 16. 2. 17 deutlich gemacht - dies im Gegensatz zu den üblichen
US-Statements, die Angriffe auf Rußland
enthalten - daß er weiter für eine
diplomatische Annäherung an Rußland arbeiten werde, trotz aller Hysterie der
etablierten Medien und von Teilen der US-Dienste, denen es gelang, Trumps
Nationalen Sicherheitsberater, General Michael Flynn, zum Rücktritt zu zwingen. Trump verurteilte bei der Gelegenheit auch
scharf die Medien, die alles täten, um die von ihm angestrebte Normalisierung
und Zusammenarbeit mit dem russischen Präsidenten Putin zu sabotieren. Um die
Gefahr eines Atomkrieges zu reduzieren, sei es unerläßlich, mit den Russen zu
reden und Bereiche gemeinsamer Interessen für eine Kooperation zu finden. [16]
Was das Thema Flüchtlingskrise angeht, für die
Ischinger Rußland
mitverantwortlich sieht, so hatte er anläßlich der Konferenz 2016 eine Kehrtwende von
Europa gefordert und zu entschlossenen Schritten zur Beendigung des syrischen Bürgerkriegs
aufgerufen. Hier irrt er gewaltig. Es dreht sich mitnichten um einen ›Bürgerkrieg‹, sondern
ausschließlich um
einen von der USA lange im voraus konzipierten Krieg, den diese mit ihren
europäischen Verbündeten unter Aufbau sämtlicher Dschihad-Gruppierungen gegen
al-Assad eingeleitet und geführt hat. [17] Insofern ist auch seine Behauptung, daß die
Flüchtlingskrise ›letztlich
eine Folge‹ der seit
2014 erfolgten ›russischen
Intervention in der Ukraine und in Syrien‹ sei, geradezu absurd, denn der Aufstand in der Ukraine war erneut ausschließlich ein Werk der USA und der EU, der, wie anzunehmen ist, sonst
nie stattgefunden hätte, und dessen direkte Folge, die Abtrennung der Krim,
sich vermutlich nie ereignet hätte. Und ganz sicherlich kann Herr Ischinger den
Russen nur dankbar dafür sein, daß sie in den furchtbaren Syrienkrieg
eingegriffen haben, sonst wäre der US-Plan, das Land in vier Regionen aufzuteilen,
womöglich schon umgesetzt worden. Noch im September 2013 hatte
Ischinger darauf gedrungen, im Syrienkrieg für den Westen keine Option »von vornherein auszuschließen« - auch nicht eine Kriegsbeteiligung. Er verlangte,
der Westen müsse sich auch in Syrien auf das Prinzip der ›Responsibility to Protect‹, der sogenannten Schutzverantwortung beziehen
und, sofern machbar, bewaffnet intervenieren; verzichte man prinzipiell auf
kriegerische Maßnahmen, komme dies »moralisch
wie politisch einer Bankrotterklärung« gleich. [18] Letzterer Forderung ist die EU mit für alle sichtbaren
Folgen nachgekommen; von einer Schutzverantwortung bei diesem US-inszenierten
Krieg kann mitnichten die Rede sein, geschweige denn von einer Moral bei diesem
erneuten Wahnwitz von Destruktion.
Während die von der USA und der EU gegen Rußland
verhängten Sanktionen den Europäern einen wirtschaftlichen Schaden in
Milliardenhöhe bescheren, importiert die USA jetzt infolge der Polarkälte
Flüssiggas aus Rußland. [19] Man muß noch einmal
bedenken, was Prof. Dr. Hamer zu den Sanktionen schreibt, um zu erkennen, in
welchem Ausmaß die EU hierdurch geschädigt
wird: »Der amerikanische ›CAATS‹-Akt sieht
vor, daß alle Sanktionen mit den US-Partnern abgestimmt werden müssen. Offener
kann man gar nicht zum Ausdruck bringen, daß diese Sanktionen nur dann und in
dem Maße verfolgt werden sollen, wie sie amerikanischen Partnern im Wettbewerb
schaden, und daß amerikanische Firmen letztlich Betreiber dieser Sanktionen
sein sollen und dürfen. Die USA will so Rußland nicht nur systematisch von
Europa isolieren, die russischen Firmen von allen Geschäften mit Europa und der
Welt abschneiden, sondern auch die übrige Welt, vor allem Europa, mit Strafe
bedrohen - und vollziehen - wenn sie mit
russischen Firmen Geschäfte machen. Dies hat erhebliche Auswirkungen in Europa,
wo sich der Handel mit dem hoffnungsvollsten Zukunftsmarkt, Rußland, allein in
den letzten zwei Jahren um 30 % reduziert hat. In gleichem Maße wie sich der
europäische Handel mit Rußland reduzierte, hat sich der amerikanische Handel
mit Rußland vermehrt. Es geht also nicht nur um die Schädigung Rußlands,
sondern auch um ›America first‹, das heißt den Ausschluß Europas
von Geschäften mit Rußland, welche amerikanische Firmen selbst machen wollen
und können. Brutaler kann man den Wirtschaftsimperialismus Amerikas zu Lasten Europas
gar nicht durchführen.« [20]
Es
ist unvorstellbar, daß weder in Brüssel, noch im Europäischen Parlament, noch
in den EU-Regierungen eine erforderliche Reaktion erfolgt.
Doris Auerbach d.auerbach@gmx.ch
[1] https://de.sputniknews.com/politik/20180110319007437-ischinger-ost-west-konflikt-kritik-verhaeltnisse/ 10. 1. 18
Tilo Gräser - Ischinger macht Russland für neuen Ost-West-Konflikt
verantwortlich
[2] https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/januar-februar-2018/sie-sehen-nur-die-spitze-des-eisbergs 5. 1. 2018 »Sie
sehen nur die Spitze des Eisbergs« [3] https://de.sputniknews.com/politik/20180111319022769-ischinger-westen-verhaeltnisse-krieg-luege/ 11. 1. 18 Willy Wimmer: Man muss sich an den Kopf fassen, was Herr Ischinger da von sich
gibt -
Armin Siebert [4] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2675 6.
7. 17 Ein neues »Wunder
an der Weichsel«? - Von Wolfgang Effenberger [5] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57732 8. 2. 2010 Europas
Motor [6]
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/01/31/us-geopolitiker-friedman-deutschland-ist-sehr-verwundbar-geworden/ 31. 1. 16 £ [7] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59042 28. 1. 15 Krieg
mit anderen Mitteln (I) [8] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59050 9. 2. 15 Krieg
mit anderen Mitteln (II) [9] http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/wolfgang-ischinger-muenchner-sicherheitskonferenz-donald-trump-chance 18. 11. 16 [10] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/09/14/die-sanktionen-gegen-russland-dienen-ausschliesslich-den-us-interessen/ 14. 9. 14 [11] http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2456
11. 10. 15 Europa steht vor dem Ausbruch einer gewaltigen
Feuersbrunst [12]
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2667
17. 6. 17 Mutti wird es schon richten! - Von Wolfgang
Effenberger
Thomas Mann: ›Deutsche
Hörer! Europäische Hörer‹ Darmstadt 1986 [13] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/ischinger-entwicklung-in-syrien-ist-eine-schande-fuer-europa-14454864.html 27. 9. 16 [14]
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59520 18. 1. 17 Die Stunde der Europäer [15]
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59539 14. 2. 17 Fackelträger des Westens [16] Strategic Alert Jahrgang 30, Nr. 8 vom 22.
Februar 2017 [17] http://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz/muenchner-sicherheitskonferenz-chef-ischinger-im-interview-14058796.html 11. 2. 16 [18] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58677 2. 9. 13 Die
Allianzen der Rivalen [19] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2018/01/11/wegen-polarkaelte-usa-importieren-fluessiggas-aus-russland/?ls=fp 11. 1. 18
Wegen Polarkälte: USA importieren Flüssiggas aus Russland [20]
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2726 3.
12. 17 Die USA treiben weitere Keile
zwischen Rußland und Europa - Von Prof. Eberhard Hamer
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