DER TIEFE STAAT 01.10.2017 23:37
Mit diesem Begriff, der vernetzte, sich unerkannt im Hintergrund
abspielende
Strukturen der Einflussnahme auf unsere westlich-parlamentarischen Demokratien bezeichnet,
hat man sich zunächst in der USA befasst, wo dieser ein Konglomerat aus
Ministerien, Behörden, Politikern, Rüstungsindustrie,
Geheimdiensten, privatisierter Sicherheitsindustrie, Kontraktfirmen und
Lobbyisten umfasst und dort weitgehend die Kontrolle
übernommen hat. Im deutschsprachigen Raum war der Soziologe Professor Dr. Bernd
Hamm der erste, der die vernetzten Tiefenstrukturen aufgriff und diese in seinem
Manuskript vom Herbst 2014, das den Titel ›Das
Ende der Demokratie - wie wir sie kennen‹
trug, beleuchtete; in diesem hatte er die Parallelstrukturen als dunklen Staat bezeichnet.
Im
Januar 2016 gab dann Jürgen Roth, d e
r Spezialist für mafiose Strukturen,
gleich auf welcher Ebene, ob staatlich oder privat, sein Buch mit dem Titel ›Der tiefe Staat: Die Unterwanderung
der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob‹ heraus. In diesem geht er u.a. der Rolle der bundesdeutschen
Geheimdienste nach, sowie der Frage, ob
zwischen antidemokratischen Gruppen und öffentlichen Behörden eine
stille Komplizenschaft herrscht. Roth deckt verborgene Netzwerke auf, »einen
›tiefen Staat‹, in dem Geheimdienstagenten, Politiker und Kriminelle
zusammenwirken. Sie agieren außerhalb jeglicher Legalität und sind für keine
parlamentarische Kontrolle zu fassen - schattenhafte Strukturen, die ans Licht
gebracht werden müssen.« Zuvor war von ihm ›Der stille Putsch - Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und
Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt‹ erschienen.
Am
7. September lag nun das im Promedia-Verlag Wien erschienene Werk ›Fassaden-Demokratie und Tiefer
Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter‹ vor. Dieses haben Ulrich Mies und
Jens Wernicke herausgegeben; es enthält Aufzeichnungen der Autoren Ernst Wolff, Rainer
Mausfeld, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Rainer
Seidel, Andreas Wehr, Wolf Wetzel, Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm,
Hans-Georg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz und Mike Lofgren. Der
nachfolgend veröffentlichte Beitrag ist der darin enthaltene von Bernd Hamm.
»Zur Untersuchung der bestehenden
Machtbeziehungen, wie sie für die globale Gesellschaft von Bedeutung sind«,
legt Prof. Hamm dar, »schlug ich bereits früher einen
analytischen Bezugsrahmen vor und sprach dabei folgende Fragen an:
- Wie ist die global herrschende Klasse im
Inneren strukturiert?
- Ist es theoretisch korrekt, für die
Gruppe der Herrschenden den Begriff Klasse zu verwenden? - Welches sind die wichtigsten Instrumente,
mit denen sie ihre Macht ausübt?
Die innere Struktur der global herrschenden Klasse Stark
beeinflußt von C. Wright Mills’ klassischem Werk ›The Power Elite‹,
hat die neue Machtstrukturforschung ein idealtypisches Modell mit vier konzentrischen Kreisen entwickelt:
- Im innersten Kreis finden
wir die globale Geldelite, die reichsten Individuen, Familien oder Clans mit
einem Vermögen deutlich über einer Milliarde Euro.
- Den zweiten Kreis bilden
die CEOs großer transnationaler Konzerne und die größten internationalen Finanzmagnaten.
Sie beschäftigen sich vor allem damit, den Reichtum des innersten Kreises und
somit auch ihren eigenen zu mehren.
- Im dritten Kreis befinden
sich die wichtigsten internationalen Politiker, einige in Regierungsfunktion,
andere als Berater im Hintergrund und in internationalen Institutionen, sowie
die Spitzen des Militärs. Diese im engeren Sinn politische Klasse hat zwei
Aufgaben: Sie muß die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts so
organisieren, dass soviel wie möglich hin zu den beiden inneren Kreisen
transferiert wird; und sie muß den politischen Zirkus einer vermeintlich
pluralistischen Demokratie mit der erforderlichen Legitimität absichern.
- Im vierten Kreis finden wir die Spitzen der
Wissenschaft, die Medienmogule, Rechtsanwälte, zuweilen auch prominente
Schriftsteller, Stars aus Film und Musik, Künstler, wenige Vertreter von NGOs
oder der Kirchen, ein paar Spitzenkriminelle - kurz: alles, was die Angehörigen
der inneren Kreise für ihre Dekoration schätzen. Sie genießen den Zugang zu den
Mächtigen, sind gut bezahlt und werden alles dafür tun, diese Privilegien nicht
zu verlieren.
Die
beiden innersten Kreise waren immer international orientiert. Der dritte und
vierte Kreis sind jedoch durch Eigentum und Wahl viel stärker national
gebunden. Die Strategie, mit deren Hilfe man die Oligarchen des inneren Kreises
schafft, ist leicht zu verstehen. Sie ist durch den IWF bis heute als
Strukturanpassungspolitik praktiziert worden: Abschaffung aller Preiskontrollen und Subventionen, Kürzungen
der öffentlichen Haushalte durch Entlassungen, Verminderung öffentlicher
Investitionen und sozialer Infrastrukturen, außer für das Militär, Begrenzung
der Löhne, nicht jedoch der Kapitaleinkünfte, Abwertung der Währung,
Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Infrastrukturen, Privilegien für
ausländische Investoren, also das, was auch als ›Washington Consensus‹
bekannt ist. Weit verbreitete Armut ist
die unmittelbare Folge, begleitet von in wenigen Händen konzentriertem,
extremem Reichtum.
Die globale Oligarchie als soziale Klasse Ist
es theoretisch korrekt, die globale Oligarchie als soziale Klasse zu
bezeichnen? Dann müßte sie
- die Produktionsmittel kontrollieren, - durch ein Klassenbewußtsein untereinander
verbunden sein und - sich im globalen Klassenkampf um die
Verteilung des gesellschaftlichen Produkts einig sein.
Zur
Kontrolle der Produktionsmittel muß man bedenken, in welchem Ausmaß der
Finanzsektor die Kontrolle über Produktion und Dienstleistungen gewonnen hat.
Die enorme Menge an frisch gedruckten US-Dollars seit Aufkündigung des
Goldstandards 1971 ist hier entscheidend. Die Geldmenge, die auf der ständigen
Suche nach lukrativen Anlagen um die Welt vagabundiert, hat nichts mit realen
Werten in Form von Gütern und Dienstleistungen zu tun, sondern resultiert
alleine aus dem Druck von Papiergeld und der Ausgabe von Krediten. Dies hat es
der Finanzindustrie ermöglicht, über Aktien und Anleihen und ihre jeweiligen
Derivate produzierende Unternehmen innerhalb und außerhalb der USA aufzukaufen.
Damit
hat die Finanzindustrie tatsächlich die Kontrolle über viele Volkswirtschaften
übernommen, und zwar auch durch strukturelle Abhängigkeiten bis in die kleinen
und mittleren Unternehmen hinein, ferner über fruchtbare Böden und Rohstoffe.
Darüber hinaus beeinflußt die Finanzindustrie in hohem Maße Wissenschaft, Forschung
und Technologie sowie durch Lobbying und Zuwendungen die politische
Entscheidungsfindung und hat sogar die Unterstützung durch das Oberste
US-Bundesgericht erlangt. In der Tat gehören die Kongreßangehörigen in den USA
selbst zu den oberen Rängen der Finanzindustrie, damit zum dritten Kreis
unseres Modells; sie identifizieren sich also auf weiter Strecke mit den
Interessen der beiden inneren Kreise.
Zum
Klassenbewußtsein gilt: Die global herrschende Klasse tendiert dazu, sich
selbst - mit feudalen Königen vergleichbar
- von Gottes Gnaden hoch über alle
anderen Menschen gesetzt zu sehen. Faschismus dürfte eine tragende Säule ihrer
Ideologie sein und Krieg nur eines der
Werkzeuge, um ihre Macht und ihre Gewinne zu steigern.
Damit
ist sie durch ein übergeordnetes Klasseninteresse miteinander verbunden. Zur
Einigkeit im Klassenkampf läßt sich konstatieren: Es handelt sich um einen
global geführten Klassenkampf ›von
oben‹. Beim Begriff ›Klassenkampf‹ denkt jeder nur an Aktionen von Arbeitern, die ihre
Klasseninteressen verteidigen, und vergißt dabei den viel bedeutenderen
Klassenkampf, der von der herrschenden Klasse mit Hilfe des Staates organisiert
wird.
Der
vollständige Umfang neoliberaler Politiken, von der sogenannten ›Austeritätspolitik‹ über Massenentlassungen von privaten und öffentlichen
Angestellten bis zu massiven Vermögensübertragungen, geschehen in der Absicht,
die Macht, das Vermögen und die Vorherrschaft des Kapitals über die Arbeit zu
stärken. [….. ] Klassenkampf von oben will die Konzentration
des Vermögens bei der herrschenden Klasse verstärken, die [..…] Besteuerung der Arbeit fördern und die Unternehmenssteuern
senken, selektive Regulierungen durchsetzen, welche die Spekulation
begünstigen, und die Ausgaben für Renten, Gesundheit und Bildung für
Arbeiterfamilien mindern.
Klassenkampf
von oben zielt auf die Maximierung der kollektiven Macht des Kapitals über
restriktive Gesetze für Arbeiterorganisationen, soziale Bewegungen und die
Tarifrechte der Arbeiter. Die Armen haben keine Stimme. Die Belastung
staatlicher Haushalte durch Bankenrettung ist
Klassenkampf; die Banken betreiben den Klassenkampf zwischen Hypothekengebern
und Haushalten, zwischen Gläubigern und Schuldnern. ›Billionen von Dollars werden vom Staatshaushalt auf die Banken
übertragen. Um Hunderte von Milliarden werden Sozialausgaben gekürzt, was alle
Sektoren der Volkswirtschaft in Mitleidenschaft zieht.‹ Die Regierungen sind dafür verantwortlich. »Unsere
Welt wird beherrscht und umgestaltet von einer winzigen globalen Finanz-,
Unternehmens-, Politik- und Wissenschaftselite. Darunter müssen alle leiden,
nur damit die bekommen, was so mancher in ihrer Position anstreben würde: Mehr
– sie wollen alles. [..…] Wenn Du ein Problem damit hast: Dafür gibt es
Überfallkommandos, Gefängnisse und Faschismus«.
Internationale Machthierarchie und ihre wichtigsten Instrumente Auch
zwischen den Nationalstaaten besteht eine globale Machthierarchie. Die
mächtigste Nation tendiert dazu, sich selbst als durch göttliche Gnade über
alle anderen Nationen gestellt zu sehen. ›Nach
dieser selbstgerechten Überzeugung [des amerikanischen Exzeptionalismus] sind
die USA die unverzichtbare Nation. Sie sind von der Geschichte dazu auserwählt,
die Hegemonie eines säkularen ›demokratischen Kapitalismus‹ überall auf der Welt durchzusetzen.
Das
Primat dieses Ziels stellt die US-Regierung über alle traditionelle Moral und
über alle Gesetze, die nationalen wie die internationalen. ›Wenn wir Gewalt anwenden müssen‹, sagte Madeleine Albright einmal, ›dann - weil wir Amerika sind; wir sind die unverzichtbare Nation.
Wir stehen aufrecht und blicken weiter in die Zukunft als andere Nationen‹. ›Ich
glaube an die Sonderstellung Amerikas mit jeder Faser meiner Existenz‹, so Präsident Obama bei seiner Rede
2014 an der Militärakademie West Point. So ist es nur folgerichtig, dass
Amerikas Sicherheitseliten davon ausgehen, jeder Winkel des Globus sei von
größter strategischer Bedeutung und amerikanische Interessen seien überall
bedroht. Sie brauchen eine Politik der globalen Dominanz, um die Welt für
Amerika sicher zu machen. Die herrschende Klasse erschafft so erst die Feinde,
die sie dann bekämpfen will.
Die
Einsetzung des US-Dollars als Weltreservewährung in Bretton Woods hat die
ökonomische Weltmacht der USA begründet. Ab diesem Zeitpunkt konnten die USA
neu gedrucktes Geld exportieren, sich die Arbeitsleistung anderer Länder
aneignen und diese zwingen, ihren Luxus, ihre überwältigende Militärmacht und
ihre Kriegstreiberei zu finanzieren. Geldpolitik, Strukturanpassungspolitik der
von den USA beherrschten IWF und Weltbank
- einschließlich der verdeckten weltweiten CIA-Operationen - verdeutlichen, dass die USA das Zentrum der
global herrschenden Klasse und damit der wichtigste Gegner im globalen
Klassenkampf sind.
Nach
Johan Galtungs ›Struktureller
Theorie des Imperialismus‹ muß sich
der Hegemon darüber hinaus auf Vasallen in untergeordneten Ländern sowie auf
deren Regierungen und Eliten verlassen können. Deren Führungseliten haben die
Aufgabe, den Welthegemon zu unterstützen, ihm ungehinderten Zugang zu lokalen
Ressourcen und Kontrollrechte zu gewähren und seinen Repräsentanten
Straffreiheit zu sichern: Zwei entscheidende Kriterien der Macht, auf individueller
wie auf kollektiver Ebene.
Ein
hervorragendes Beispiel für ausbleibende
Strafverfolgungen liefern die Anschläge des 11. September 2001. Wie Ruppert und
andere gezeigt haben, befinden sich diejenigen, die eine neue und gründliche
Untersuchung verhindern, zweifellos in
einer Machtposition. Das gilt auch für jene, die Kriege anzetteln, die für den
Mord an Hunderttausenden verantwortlich sind und dennoch dafür nicht vor
Gericht gebracht werden. Nie wurde ein Mitglied der US-Regierung für
Folterungen zur Rechenschaft gezogen, für gezielte Morde, Drohnen-Opfer, für
die Verletzung der Verfassungsrechte, für Ausspähungen ohne Gerichtsbeschluß
usw. Wer wurde für die Langzeitwirkungen der Atombomben auf Hiroshima und
Nagasaki zur Rechenschaft gezogen? Wer für die Folgen von Agent Orange in Vietnam? Wer für den Einsatz von Munition mit
abgereichertem Uran im Irak? Im Namen der US-Regierung sind eineinhalb
Millionen Iraker umgebracht worden, wurde das Land ruiniert und wurden dem
Steuerzahler 3 Billionen $ an Kriegskosten aufgebürdet. Die USA haben darüber
hinaus den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten mit für lange Zeit unabsehbaren
Folgen angeheizt. ›Das Justizministerium der Obama-Administration,
insbesondere seine strafrechtliche Abteilung […], hat sich niemals bemüht,
diese hochrangigen Kriminellen zur Verantwortung zu ziehen. Stattdessen haben
sie genau das getan, was sie bereits mit hochrangigen Kriminellen der
Bush-Regierung etwa im Fall von Folter und Ausspähung unternommen haben: Nämlich
die mächtigsten Gruppen in der Gesellschaft trotz überwältigender Beweislage
und schwersten Straftaten vor Verfolgung geschützt‹. Und weiter: Wer bringt die Bankster vor Gericht dafür, dass sie
die Mittelschicht ausgeplündert haben? Die Ruhe nach diesen Straftaten ist
ohrenbetäubend.
Der
Aufstieg der Neokonservativen - Erklärung
des aktuellen Zustands Tatsächlich
hat es bisher nur eine Gruppe gegeben, die das Recht auf Weltherrschaft für
sich beanspruchte: Die Neokonservativen in den USA. Die Neokonservativen hatten
ihren ersten großen Erfolg, als Ronald Reagan an die Macht kam und einige ihrer
Hardliner mitbrachte. Reagan war der am schlechtesten informierte Präsident. ›Reagans uninteressierter Stil und der
Mangel an außenpolitischer Erfahrung ließen die Tür offen für Palastintrigen
unter seinen Untergebenen, die begierig waren, diese Lücke auszufüllen.‹ Nach dem Zusammenbruch der
sozialistischen Regimes verloren die Neokonservativen an Einfluß, opponierten
aber weiter gegen das außenpolitische Establishment sowohl der republikanischen
Bush(Vater)-Administration als auch der demokratischen Nachfolger unter
Präsident William Clinton. Zu ihrer größten außenpolitischen Sorge sagt der ›Defense Planning Guidance‹, ein Dokument, das 1992 vom
stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz unter Rumsfeld
vorbereitet wurde: »Unser wichtigstes Ziel ist es zu
verhindern, dass ein neuer Rivale entsteht, ob auf dem Territorium der früheren
Sowjetunion oder anderswo, der eine ähnliche Bedrohung wie die frühere
Sowjetunion darstellt. Diese Überlegung
beherrscht die neue regionale Verteidigungsstrategie und verlangt, dass wir
jede feindliche Macht, die eine Region dominieren könnte, deren Ressourcen
ausreichen würden, um einen globalen Machtanspruch zu begründen, zu verhindern
suchen.«
1997
tauchte eine Gruppe unter dem Namen ›Project
for a New American Century‹ ›PNAC‹ auf, eine Denkfabrik in Washington, D.C.,
die von William Kristol und Robert Kagan gegründet worden war. Ihr erklärtes
Ziel war es, die globale Führerschaft der USA zu fördern. Im Kern ihres
Selbstverständnisses stand die Überzeugung, dass amerikanische Führerschaft gut
für Amerika und gut für die Welt ist. Ihre Mitglieder kamen in zahlreiche
hochrangige Positionen, und das ›PNAC‹ beeinflußte viele Regierungsmitglieder
der George W. Bush-Administration und prägte deren Entwicklung der
Verteidigungs- und Außenpolitik.
Der
erste militärische Test nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Reiches
geschah, als der irakische Präsident Saddam Hussein 1990 in die Kuwait-Falle
gelockt wurde. Die aus 28 Nationen bestehende ›Koalition der Willigen‹
war zusammengekauft worden; das irakische Volk wurde mit Krieg überzogen,
zunächst mit mörderischen Waffen, dann mit Sanktionen. Am 16. Januar 1998
schrieben Mitglieder des ›PNAC‹, darunter Donald Rumsfeld, Paul
Wolfowitz und Robert Zoellick, einen offenen Brief an Präsident Clinton und
verlangten von ihm, Saddam Hussein aus dem Amt zu vertreiben. Sie
argumentierten, Saddam bedrohe die USA und ihre Verbündeten im Mittleren Osten
sowie die Ölvorräte der Region, wenn es ihm gelänge, weiterhin
Massenvernichtungswaffen anzuhäufen. Das
›PNAC‹ unterstützte ebenfalls
den ›Iraq Liberation Act‹ von 1998, den manche als Beweis dafür
betrachten, dass die Invasion des Iraks von 2003 eine lange beschlossene Sache
gewesen ist.
Darüber
sollte man nicht vergessen, dass auch der Krieg gegen Afghanistan deutlich vor
9/11 geplant war. Vertreter der USA waren in Verhandlungen mit den Taliban über
den Bau einer Ölpipeline vom Kaspischen Meer nach Karatschi, Pakistan, die
durch Afghanistan führen sollte, um den Iran zu umgehen. Im Juli 2001 wurde ein
deutscher Diplomat zitiert, der berichtete, die Gespräche hätten mit der
Ankündigung der USA geendet: »Entweder bedecken wir euch
mit einem Teppich aus Gold, wenn ihr tut, was wir sagen, oder wir bedecken euch
mit einem Bombenteppich.« Selbst der
voraussichtliche Beginn der Bombardierungen war mit Oktober 2001 angekündigt
worden. Das hatte überhaupt nichts mit den Anschlägen des 11. Septembers oder
mit Osama bin Laden zu tun.
›Rebuilding America's Defenses‹ vom September 2000, das am weitesten
verbreitete Dokument der ›PNAC‹-Gruppe, wurde von Rumsfeld, Cheney,
Wolfowitz und Scooter Libby erarbeitet und war der Frage gewidmet, ›wie die USA ihre Vorherrschaft
bewahren, konkurrierende Mächte in Schach halten und das globale
Sicherheitssystem nach den amerikanischen Interessen gestalten können‹. Abschnitt V enthält unter dem Titel ›Die dominierende Macht von morgen
schaffen‹ den Satz: ›Des Weiteren wird der Transformationsprozeß, auch wenn er einen
revolutionären Wandel bedeutet, wahrscheinlich lange dauern, wenn nicht ein
katastrophales und schicksalhaftes Ereignis eintritt – wie ein neues Pearl
Harbour.‹ Auch wenn dies nicht
zwingend impliziert, dass Mitglieder der Bush-Administration die Anschläge von
9/11 mit geplant haben, wurde doch oft argumentiert, dass ›PNAC‹-Mitglieder dieses
Ereignis als eben jenes ›Pearl
Harbour‹ nutzten, als eine günstige
Gelegenheit, um ihre lang gehegten Pläne durchzusetzen.
In
einer Rede vor dem ›Commonwealth
Club‹ hat der pensionierte General Wesley Clark 2007 ein geheimes Pentagon-Memorandum
von 2001 - also Monate vor den
September-Anschlägen - erwähnt, in dem
zu lesen war, dass die USA in den nächsten fünf Jahren 7 Länder angreifen
wollten: Den Irak, Syrien, den Libanon, Libyen, Somalia, den Sudan und den
Iran, um die Kontrolle über deren natürliche Ressourcen, allen voran Öl, zu
gewinnen und um fabelhafte Gewinne für die Rüstungs- und die Ölindustrie zu
ermöglichen. »Unser Land wurde
von einer Gruppe Größenwahnsinniger wie Paul Wolfowitz, Dick Cheney, Donald
Rumsfeld und anderen, die den Mittleren Osten destabilisieren und Kontrolle
über seine Ressourcen gewinnen wollten, beherrscht.«
Gegen Ende 2006 bestand das ›PNAC‹ nur noch aus ›einem Anrufbeantworter und einer Geister-Webseite‹ mit ›einem einzigen Angestellten zum Aufräumen‹. 2006 stellte Gary
Schmitt, der frühere Geschäftsführer des ›PNAC‹ und spätere Stipendiat am American
Enterprise Institute‹ sowie Leiter seines
Programms für ›Fortgeschrittene
Strategische Studien‹, fest, das ›PNAC‹ habe sein ›natürliches
Ende‹ erreicht. An dessen Stelle
gründete der neokonservative Falke Robert Kagan die ›Foreign Police Initiative‹.
Die Installation US-konformer Regimes Die
strategische Logik des ›PNAC‹ geht auf den früheren nationalen
Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski zurück, der schrieb: »Der
Welt-Energieverbrauch wird sich in den kommenden zwei oder drei Jahrzehnten
gewaltig erhöhen, [...] am meisten im Fernen Osten. [...] Zentralasien
und das Kaspische Becken sind für Gas- und Ölvorräte bekannt, die jene in
Kuwait, im Golf von Mexiko oder in der Nordsee weit in den Schatten stellen.
Dazu sind sie [die zentralasiatischen Republiken] vom Standpunkt der Sicherheit
und der historischen Ambitionen aus von wenigstens drei ihrer unmittelbaren und
mächtigen Nachbarn, nämlich Rußland, der Türkei und des Irans aus gesehen
wichtig, wobei auch China wachsendes politisches Interesse an der Region
signalisiert.« Diese Analyse des globalen Schachspiels war das
ideologische Kernstück der Bush Jr.-Administration. Als logische Konsequenz aus
dieser Analyse verfolgten die USA seit 1991 unablässig die Strategie, Rußland
einzukreisen. So brachten sie zwölf zuvor mit Moskau verbündete Länder in die
NATO. Die Militärmacht USA steht nun direkt an der russischen Grenze. Auch die
aktuelle Krise in der Ukraine steht in diesem Zusammenhang. Seit Ende des
Kalten Krieges verläuft die US-amerikanische Politik gegenüber Moskau nach dem
Muster: Jeder Schaden, der Rußland trifft, ist ein amerikanischer Sieg, und
alles, was in oder für Rußland an Positivem geschieht, ist schlecht für die
USA.
In
der Absicht, überall Regierungen zu installieren, die amerikanischen Wünschen
und Interessen gehorsam sind, waren die USA am Umsturz zahlreicher
ausländischer Regierungen beteiligt, mit oder ohne Militärinterventionen.
Solche Operationen werden in der Regel der CIA oder dem ›National Endowment for Democracy‹ (NED) übertragen. Die Kunst des harten oder sanften Regimewechsels
ist sehr weit entwickelt. Sie ist seit dem Staatsstreich im Iran in den frühen
1950er Jahren ein wichtiger Teil der US-Außenpolitik. Sie wurde in
Mittelamerika, Südamerika, Südafrika und Fernost praktiziert und ist eigentlich
rund um den Globus bis heute gängige Praxis. Man kann jede dieser ›farbigen Revolutionen‹ als Teil eines Ringkampfs zwischen
Moskau und Washington interpretieren, wobei auch die EU versucht, eine Rolle zu
spielen. Die Propaganda ist immer die
gleiche und konzentriert sich auf Schlagwörter wie Demokratie, Menschenrechte,
Wohlstand, Recht und Freiheit. In Wirklichkeit geht es darum, kapitalistisch orientierte Regierungen zu installieren sowie
Deregulierungen und Privatisierungen durchzusetzen, den Zugriff auf natürliche
Ressourcen zu erhalten, Militärbasen zu errichten, Waffen zu verkaufen und
mögliche Rivalen zurückzudrängen. Um Wandlungsprozesse in Gang zu setzen,
werden die Massenmedien, vor allem Fernsehwerbung, und Meinungsforschung
genutzt.
Begleitend
dazu werden konterrevolutionäre Zellen aufgebaut, und es fließen
unerschöpfliche Geldmittel aus öffentlichen und privaten Quellen. George Soros’
›Open Society Fund‹ mit zahlreichen Ablegern und seine ›Central European University‹ sind dafür anschauliche Beispiele.
Ein Dokument, dessen Freigabe kürzlich in einem ›Freedom of Information Act‹-Verfahren
von der ›Orient Advisory Group‹ erzwungen wurde, bestätigt, dass das
US-Außenministerium überall im Mittleren Osten ähnliche Anstrengungen
unternimmt. Seit
dem 11. September 2001 sind die US-Spezialkräfte in jeder Hinsicht verstärkt
worden. In den letzten Tagen der Bush-Präsidentschaft waren solche
Spezialkräfte weltweit in etwa 60 Ländern stationiert, im Jahr 2013 in 134
Ländern. Dieser gigantische Zuwachs erfolgte während der Obama-Präsidentschaft.
›SOCOM‹, ›United States Special Operations
Command‹, ist Berichten zufolge von 33.000 in 2001 auf 72.000 Mann in 2014
angewachsen. Die Finanzierung dieser Kommandoeinheit ist 2001 von 2,3
Milliarden $ auf 6,9 Milliarden $ gestiegen und 2013 auf 10,4 Milliarden $
angewachsen, wenn man zusätzliche Finanzquellen mitrechnet. Unzählige
amerikanische Interventionen in anderen Ländern hatten Zehntausende Ermordete
zur Folge. Die Operation ›Gladio‹, in Washington entworfen und durch die NATO überwacht, hatte ein
einziges Ziel: Die demokratische Wahl linker Parteien in Europa zu verhindern.
Operacion ›Condor‹ benutzte überall in Lateinamerika
Terrorregimes und Todesschwadronen, um gehorsame Regierungen zu sichern,
unabhängig davon, wie grausam sie waren.
Zur
Zeit der Niederschrift dieses Manuskripts (2014) waren Operationen für
Regimewechsel in Ägypten, Thailand, Venezuela, in Syrien, Libyen, Georgien und
in der Ukraine zu beobachten. In keinem Fall haben diese Einmischungen zu demokratischen
Regierungen geführt: Ganz im Gegenteil ergriff jeweils eine korrupte Junta die
Macht, die eine kleine Clique lokaler Krimineller zusammen mit ihren Komplizen
in den USA bereicherte. Weit verbreitete Armut, soziale Polarisierung und
Konflikte sind die regelmäßigen Folgen. Statt USA-freundliche und gehorsame
Regimes zu etablieren, hat das ›PNAC‹ überall nur zu Chaos, Angst und
Feindschaft geführt. Das ›PNAC‹ hat den Sarg gezimmert, in dem die Weltmacht USA beerdigt werden wird.
Der
größte Erfolg der Neokonservativen war, dass sie die neoliberale
Wirtschaftsideologie nicht nur in westlichen Ländern, sondern vor allem auch in
den osteuropäischen Transformationsländern zur grundlegenden politischen
Philosophie machen konnten. Aus Sicht des Autors war es der schlimmste Fehler
der Neokonservativen, und zwar ein Fehler von globalem Ausmaß, dass sie alle
Abrüstungs- und Friedensvorschläge des früheren sowjetischen Präsidenten
Michail Gorbatschow ab 1986 zurückwiesen. Eifrig bemüht, dem globalen Konkurrenten einen tödlichen Schlag zu
versetzen, haben sie dazu beigetragen, diesen charismatischen Politiker
auszuschalten und an seine Stelle den pathologischen Alkoholiker, Boris Jelzin,
zu setzen. Dafür verantwortlich waren an erster Stelle: Richard Perle, Paul
Wolfowitz und Dick Cheney, damals Vorstandschef von Halliburton und später
Vizepräsident. Dasselbe geschah und geschieht mit Präsident Putins Vorschlägen
für vertrauensbildende Maßnahmen und engere Zusammenarbeit, die die
Obama-Administration sogleich zurückwies. Wie hätte die Menschheit von der
enormen Friedensdividende gewinnen können!
»Warum hat sich die Obama-Administration für diese
Außenpolitik entschieden? Es geht einfach um zuviel Profit. Da ist Frieden
keine Option.« Friedliche Koexistenz mit der Sowjetunion war das
Allerletzte, was die USA wollten. Sie hätte den permanenten Aufstieg eines
dauerhaften Militär-Establishments nicht rechtfertigen können, auch nicht die
ca. 1000 Militärbasen im Ausland, noch die CIA, die ›National Security Agency‹
›NSA‹, verdeckte Operationen, Spionage, Interventionen in anderen
Ländern, Staatsstreiche, Morde, Folter, Überwachung oder die Unterstützung von
ausländischen Diktaturen. Die Macht und der Einfluß des
militärisch-industriellen Komplexes haben zu außergewöhnlichen Profitraten
geführt. »Nach einer neuen Studie von Morgan Stanley sind die
Aktienkurse großer Rüstungsbetriebe in den letzten 50 Jahren um 27.699 %
gestiegen, während es im übrigen Markt 6.777 % waren.«
Die Strategie der Spannung Wie
konnte es gelingen, dass die amerikanische Bevölkerung all das akzeptierte? Das
ist ein Erfolg der Strategie der Spannung. Diese dient dazu, die öffentliche
Meinung zu manipulieren und zu kontrollieren. Die Spannung erreicht sie durch
Propaganda, Desinformation, psychologische Kriegsführung, Agents Provocateurs
und terroristische Aktionen ›unter
falscher Flagge‹ und indem sie Angst
produziert. Obgleich der Kalte Krieg seit 25 Jahren vorüber ist, gibt es Anzeichen
dafür, dass die gleiche ›Angst vor
Rußland‹ nun wiederbelebt werden
soll, während gleichzeitig eine neue
Angst vor dem Feind im Inneren aufgebaut wird. In
einer Rede vor der ›National Defense
University‹ hat Präsident Obama 2013
den Feind wieder in die Nähe geholt, als
er argumentierte, dass »wir hier in den Vereinigten
Staaten einer wirklichen Bedrohung ausgesetzt sind - durch radikalisierte Individuen, fehlgeleitete
oder entfremdete Menschen - die oftmals
amerikanische Staatsbürger oder rechtmäßige Ansässige sind.«
Damit ist der Vorwand für den Überwachungsstaat geliefert. »Amerikaner
leben nun in einer Gesellschaft, in der
nahezu jeder jeden ausspäht, in ihm einen potentiellen Terroristen sieht und
einer staatlichen und betrieblichen Gesetzlosigkeit unterworfen ist, in der die
Arroganz der Macht keine Grenzen mehr kennt.«
Der
›National Defense Authorization Act‹ von 2012 gibt dem amerikanischen
Militär ausdrücklich die Macht, jede des Terrorismus verdächtigte Person
überall auf der Welt zu ergreifen und ins Gefängnis zu stecken, ohne Anklage,
ohne Beweise, ohne Gerichtsverfahren.
Die
amerikanische Regierung nutzt ihren riesigen Überwachungs- und
Datensammelapparat, um Dossiers von Personen anzulegen, die als politische
Dissidenten in Frage kommen. Damit werden politisch Oppositionelle
kriminalisiert. Die Liste der Überwachung von Abweichlern ist lang: Dazu zählen
die Programme ›COINTELPRO‹ des FBI, ›MINARE‹ der ›NSA, die ›MINERVA‹
Forschungsinitiative des Verteidigungsministeriums. Nun werden diese technisch
perfektioniert, mit dem Ziel, potentielle Abweichler zu Terroristen zu
erklären: ›Inventing Terrorists: The
Lawfare of Preemptive Prosecution‹.
Die Strategie der Spannung wirkt dann am besten, wenn die allgemeine Bildung gering ist und die Medien mehr oder
weniger ausnahmslos auf Linie gebracht wurden. Es gibt zwar mehr als 1.400
Tageszeitungen in den USA, aber kein einziger Fernsehsender hat sich klar gegen
die US-Kriege in Libyen, im Irak, in Afghanistan, Jugoslawien, Panama, Grenada
oder Vietnam ausgesprochen. Niemals zuvor waren die Medien so konzentriert: 6
Medienkonzerne kontrollieren etwa 90 % all dessen, was Amerikaner lesen, sehen
oder hören. Manche arbeiten direkt oder indirekt mit den Geheimdiensten
zusammen. Damit ist die Gehirnwäsche nahezu perfekt.
Der Tiefe Staat Erst
vor kurzem wurden von WikiLeaks, Edward Snowdon und anderen Whistleblowers
erdrückende Beweise dafür vorgelegt, dass die USA zunehmend von einem Tiefen
Staat, der auch als Geheime Regierung bezeichnet wird, regiert werden. Der Tiefe Staat entzieht sich jeder
demokratischen Kontrolle. Innerhalb der Vereinigten Staaten demonstrieren
militarisierte Strafverfolgungsbehörden auf Bundes-, Einzelstaats- und lokaler
Ebene diese Macht auf einschüchternde Weise. Außerhalb der USA kann der
Präsident nach Belieben Kriege anzetteln, Drohnenmorde anordnen und gemietete
Söldner einsetzen. Zur Zeit erhitzter Debatten angesichts der Budgetkrise
konnte die Regierung dennoch 115 Millionen $ zusammenkratzen, um den
Bürgerkrieg in Syrien in Gang zu halten und der britischen Regierung mindestens
100 Millionen £ für den Zugang zu Informationen des ›Government Communications Headquarter‹ zu bezahlen. Ferner hat
die Regierung zur gleichen Zeit 1,7 Milliarden $ für den Bau eines Gebäudes in
Utah, das so groß wie 17 Fußballfelder ist, ausgegeben. Dieses Mammutgebäude
soll es der ›National Security
Agency‹ ermöglichen, ein Yottabite an Informationen zu speichern. Ein
Yottabite entspricht 500 Quintillionen Textseiten. Die ›NSA‹ braucht soviel
Platz, um jede Spur unseres elektronischen Lebens zu archivieren.
Der
Tiefe Staat ist eine Mischung aus nationalen Sicherheits- und
Strafverfolgungsbehörden, dem Verteidigungs-, Außen- und Justizministerium, dem
Ministerium für innere Sicherheit, der CIA und dem Finanzministerium, das für
die Geldflüsse zuständig ist sowie für die Durchsetzung internationaler
Sanktionen und die Symbiose mit der Wall Street. Das Executive Office des
Präsidenten koordiniert all diese Behörden über den Nationalen Sicherheitsrat.
Einige Schlüsselbereiche des Rechtssystems gehören ebenfalls zum Tiefen Staat,
wie der ›Foreign Intelligence
Surveillance Court‹, dessen Handeln
selbst für die meisten Mitglieder des Kongresses
geheimnisvoll bleibt. »Es gibt derzeit 854.000 zivile
Personen auf Vertragsbasis, die Zugang zu streng geheimen Unterlagen haben, eine
Zahl, die höher liegt als jene der Regierungsangestellten mit Zugang zur höchsten Geheimhaltungsstufe. Seit
dem 11. September 2001 wurden in oder um Washington herum 33 Einrichtungen für
streng geheime Nachrichtendienste gebaut. Zusammen nehmen sie eine Bürofläche
von beinahe drei Pentagons ein; [….]. 70 % des Budgets der Geheimdienste werden
für vertragliche Dienste aufgewendet. Die Membran zwischen Regierung und
Privatwirtschaft ist überaus durchlässig: Der Direktor der Nationalen Nachrichtendienste,
James R. Clapper, war früher leitender Angestellter von Booz Allen Hamilton,
einem der größten Geheimdienst-Auftragnehmer [Edward Snowdons früherer
Arbeitgeber; Eigentümer der Kanzlei ist die Carlyle Group]. Sein Vorgänger im
Amt, Admiral Mike McConnell, ist zurzeit der Vizepräsident der gleichen
Gesellschaft; Booz Allen hängt zu 99 % von Staatsaufträgen ab. Solche
Vertragsfirmen bestimmen zunehmend den politischen und sozialen Ton in
Washington sowie die Richtung, in die sich das Land bewegt. Aber sie tun das
leise, ihr Handeln wird nicht im ›Congressional
Record‹ oder im ›Federal Register‹
festgehalten und sie sind selten Gegenstand von Kongreßanhörungen. Nach Dokumenten, die Edward Snowdon der ›Washington Post‹ zugänglich machte, betrug das geheime schwarze Budget der 16
US-Geheimdienste zusammen 52,6
Milliarden $ und sie beschäftigten 2013 107.035 Personen. Als das
Repräsentantenhaus beschloß, sich nicht in die Ausspähaktionen der ›NSA‹ einzumischen, stellte es sich heraus, dass die 217
Nein-Stimmenden doppelt so viele Zuwendungen von der Verteidigungs- und
Geheimdienstlobby erhielten wie die 205 Ja-Stimmenden. Die Untersuchung ergab,
dass das Geld dieser Lobbyisten eine bessere Vorhersage des
Abstimmungsverhaltens ermöglichte als die Parteizugehörigkeit. Repräsentanten,
die sich für die Fortsetzung des Telefon-Metadaten-Programms aussprachen,
erhielten im Mittel 122 % mehr Geld aus diesen Quellen als diejenigen, die es
gerne beendet gesehen hätten. Politische Aktionskomitees und Angestellte von
Verteidigungs- und Geheimdienstfirmen wie Lockheed Martin, Boeing, United
Technologies, Honeywell International brachten 12,97 Millionen $ an Zuwendungen
für die Zweijahresperiode 2010-2012 zusammen. Zur Erklärung: ›Political Action Committees‹ (›PACs‹) sind Geldsammelstellen von Lobbygruppen in den USA,
mit deren Hilfe die Wahlchancen und das Verhalten von Abgeordneten beeinflußt
werden sollen. Parlamentarier, die sich dafür aussprachen, das ›NSA‹-Programm fortzusetzen, bekamen im Durchschnitt 41.635 $ aus
diesem Topf, während solche, die dem widersprachen, im Mittel nur 18.765 $
erhielten.
In
jüngster Zeit verändert sich die labyrinthische Struktur der Geheimdienste hin
zu Kampfverbänden. Unaufhörlich gewachsen
sind das Militär mit seinem eigenen Geheimdienst, das ›Department of Homeland Security‹ als Monsteragglomeration
von Behörden, die unüberschaubare Zahl an Waffenproduzenten, Auftragnehmern
sowie Profiteuren, die von einer Lobbyisten-Armee bestochen werden. Ein
erstaunlicher Bericht trägt Beweise dafür zusammen, wie einige der weltgrößten
Unternehmen sich mit privaten Nachrichten- und Geheimdiensten zusammengetan
haben, um Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen auszuspionieren. Umweltaktivisten
sind prominente, aber keineswegs alleinige Opfer solcher Aktivitäten.
Insbesondere Greenpeace wurde von verschiedenen Unternehmen verfolgt: Zum
Beispiel in den 1990er Jahren von der privaten Sicherheitsfirma Beckett Brown
International (BBI), dies im Auftrag des weltweit größten Herstellers von
Chlor, Dow Chemical, weil die Umweltorganisation eine Kampagne gegen den
Gebrauch von Chlor zur Herstellung von Papier und Plastik durchgeführt hatte.
Greenpeace-Büros in Frankreich und Europa wurden durch französische private
Nachrichtendienste im Auftrag von Électricité de France, dem weltgrößten
Betreiber von Atomkraftwerken, der zu 85
% der französischen Regierung gehört, gehackt und ausspioniert. Die Ölfirmen
Shell und BP hatten die Privatdedektei Hackluyt, der enge Beziehungen zum
britischen MI6 nachgesagt werden, beauftragt, Greenpeace zu unterwandern. Viele
der weltgrößten Unternehmen und ihre Wirtschaftsverbände, darunter die
US-Handelskammer, Walmart, Monsanto, Bank of America, Dow Chemical, Kraft,
Coca-Cola, Chevron, Burger King, McDonald’s, Shell, BP und E.ON sind mit
geplanten oder vollzogenen Spionageakten gegen NGOs, Aktivisten und
Whistleblowers in Verbindung gebracht worden. Der Tiefe Staat ist nur wegen der
strukturellen Vorteile, die die Exekutive vor der Legislative und der
Judikative genießt, möglich. Die Exekutive ist das bevorzugte Ziel von Lobbys und
Spendern. Sie hat direkten Zugriff auf die Sicherheits- und
Geheimdienstapparate, ist Partner internationaler Verhandlungen und Ziel der
Medien, und steht in Diskussionen mit Wirtschaftsgiganten. Während die
Demokratie in der Theorie auf Gewaltenteilung beruht, hebelt die Exekutive
demokratische Kontrollen permanent aus. Viel von der öffentlichen Aufregung
über die Spionagetätigkeit der ›NSA‹ ist heuchlerisch: Alle
Nachrichtendienste spähen nicht nur andere Länder aus, sondern auch oppositionelle Gruppen und Unternehmen. Solange
sich Regierungen gegenseitig in einer grundsätzlich feindlichen Welt
wahrnehmen, dürfte sich das auch kaum ändern.
Zu
den kriminellen Handlungen von Regierungen oder regierungsähnlichen
Institutionen gehören verdeckte Operationen. Sehr oft handelt es sich um
Staatsterrorismus wie Folter, Verschleppung, Operationen unter falscher Flagge,
Regimewechsel, Kriegstreiberei, Ausspähung ohne richterlichen Beschluß. Damit nicht genug: Unternehmerverbände sorgen
zusammen mit bestochenen Politikern dafür, dass Gesetze gemacht werden, die
unrechtmäßiges Verhalten erleichtern und vor Strafverfolgung schützen. Die
Grenzen zwischen legalem und illegalem Verhalten werden so zunehmend verwischt;
Geldwäsche hilft, Gelder kriminellen Ursprungs zu waschen und in legale
Geschäfte zu investieren. Dies geschieht vor allem mit Hilfe der
Finanzindustrie. Die leitenden Angestellten der Finanzriesen genießen de facto
Immunität. In einer Anhörung vor dem Rechtsausschuß des US-Senats am 6. März
2013 sagte Justizminister Eric Holder: »Ich mache mir Sorgen, weil
einige dieser Institutionen so groß wurden. Daher wird es für uns schwer, sie
zu verfolgen und ein strafrechtliches Verfahren zu eröffnen, weil man uns sagt, dies hätte
negative Folgen für die Volkswirtschaft oder sogar die Weltwirtschaft.« Sie
alle sind waschechte Vertreter der offiziellen Ideologie der herrschenden
Klasse. Im Inland glauben sie beinahe unterschiedslos an die neoliberalen
Prinzipien des ›Washington Consensus‹: Finanzialisierung, Outsourcing,
Privatisierung, Deregulierung und den Warencharakter
der Arbeit. International treten sie für den ›American Exceptionalism‹
ein: Das Recht und die Pflicht der Vereinigten Staaten, sich überall auf der
Welt mit diplomatischen und militärischen Zwangsmitteln einzumischen. Sie
vermeiden sorgsam die so schwer erkämpften Regeln internationalen zivilisierten
Verhaltens.
Die
neoliberale Ideologie hat dazu beigetragen, staatliche Regulierungen abzubauen
und Reichtum bei 1 % der Bevölkerung anzuhäufen. Die Reichen sind in der Lage,
einen erheblichen Teil der staatlichen Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu
beeinflussen. Sie und ihre Vermögen werden von Heerscharen von Parlamentariern,
Managern, Wirtschaftsprüfungsunternehmen, Anwälten, Steuerberatern,
Denkfabriken, Radiosendern, Filmstudios, Verlegern, Medien, Forschern,
Schreiberlingen, Lobbyisten, Bodyguards und anderen Lakaien in ihren Diensten
beraten und geschützt. Privateigentum ist das Goldene Kalb des Kapitalismus,
und unregulierter Kapitalismus die Bibel der herrschenden Klasse. Sie können
selbst Polizei und Militär in ihrem Interesse mobilisieren. Dafür bleiben der
Nationalstaat und seine Regierung wichtige Institutionen; vor allem aber müssen
die Regierungen die Massen unter
Kontrolle halten.
Dies
ist das Ende des Projekts Demokratie und die endgültige Übernahme durch die
Plutokratie, es ist ein stiller Staatstreich.«
Bernd
Hamm studierte an der Universität Bern Soziologie, Volkswirtschaftslehre,
Betriebswirtschaftslehre und öffentliches Recht. Er war Professor für
Soziologie an der Universität Trier. 2008 ging er aus Protest gegen die
Bologna-Reform vorzeitig in den Ruhestand. Von 1983 bis 1995 war er Mitglied
der Deutschen UNESCO-Kommission. Seine Arbeitsschwerpunkte waren unter anderem
Kapitalismuskritik, Neoliberalismus, Globalisierung und der Tiefe Staat.
Von
zahlreichen der obengenannten Autoren finden sich Beiträge auf unserer
homepage. Quelle: Neue Rheinische Zeitung Aktueller Online-Flyer vom 2. Oktober 2017 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24133 Das Ende der Demokratie - wie wir sie kennen
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