Falsche Debatte: Trotz Bondo: Klimawandel führt nicht zu mehr Felsstürzen - Im Gegenteil - Von Andreas Maurer 10.09.2017 19:25
Die Katastrophe von Bondo hat eine Debatte über die Folgen
des Klimawandels ausgelöst. Bundespräsidentin Doris
Leuthard sagte, der Felssturz sei Folge des Klimawandels. Ueli Gruner, Geologe
und Lehrbeauftragter für Naturgefahren der Universität Bern, kontert. Eine
Häufung in den letzten 150 Jahren könne nicht beobachtet werden.
Wenige Stunden nach dem Bergsturz bei Bondo GR lieferte
Bundespräsidentin Leuthard (CVP) eine Erklärung für die Katastrophe. Schuld sei
der Klimawandel. Sie sprach eine Warnung in die Fernsehkameras: »Auch wenn einige das immer noch nicht glauben.
Es wird mit solchen Zwischenfällen weitergehen.« Und: »Wir werden
uns auf diese Extremereignisse einstellen müssen.«
Leuthards Aussage wird von Geologen bestritten. Der
Klimawandel erhöht die Gefahr nur in Bergregionen, die höher als
2500 Meter über Meer liegen. Dort sorgt die Erwärmung dafür, dass das
normalerweise dauerhaft gefrorene Gestein, der Permafrost, auftaut.
Untersuchungen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) zeigen,
dass sich als direkte Folge davon kleinere Felsstürze lösen können. Davon sind
Bergsteiger und Kletterer betroffen, aber keine Dörfer, da es in
Permafrostgebieten keine Siedlungen gibt.
Von Bergstürzen wie der am 3369 m hohen Piz
Cengalo oberhalb von Bondo am 23. August spricht man, wenn Gesteinsmassen von
mehr als einer Million Kubikmetern abbrechen. Bei derartigen Grossereignissen
kann auftauender Permafrost gemäss SLF-Studien einer von mehreren Faktoren
sein, aber nicht die direkte Ursache. Ueli Gruner, Geologe und Lehrbeauftragter
für Naturgefahren der Universität Bern, hat Daten des SLF ausgewertet. Im
gesamten Alpenraum - also nicht nur in
der Schweiz - ereigne sich demnach im
Durchschnitt alle fünf Jahre ein Bergsturz. Eine Häufung infolge der seit
150 Jahren anhaltenden Erwärmung könne man nicht feststellen, sagt er.
Entscheidend ist der Regen Auch wenn man noch weiter zurückblickt, lässt sich der
Zusammenhang nicht erhärten. Im Gegenteil. Die letzte Warmzeit war vor 6000 bis
8000 Jahren. Ueli Gruner: »In diesem
Zeitraum sind, anders als in den dazwischen liegenden kälteren Jahrtausenden,
keine Bergstürze datiert worden.« Die Hälfte
der historisch dokumentierten Bergstürze hat eine Ursache, die nichts mit dem
Klimawandel zu tun hat. Sie sind auf intensive tagelange Regenfälle
zurückzuführen. Zum Beispiel der Bergsturz von Goldau SZ im Jahr 1806. Der
Klimawandel führt tendenziell zu mehr intensiven Gewittern, aber nicht zu
tagelangem Regen. Wissenschaftlich erwiesen ist also: Der Klimawandel führt in
ganz hohen Lagen, weit ab von Dörfern, zu mehr Felsstürzen. Ein Zusammenhang
mit Bergstürzen lässt sich statistisch nicht nachweisen.
Warme Winter machen den Berg stabil Wenn Leuthard nun aber sagt, dass wir uns auf mehr ›Zwischenfälle‹
einzustellen hätten, müsste das heissen, dass im Siedlungsgebiet mit mehr
Felsstürzen zu rechnen sei. Das Gegenteil ist
richtig. Die meisten Felsstürze ereignen sich im Frühling, besonders nach
überdurchschnittlich kalten Wintern. Bei Kälte zieht sich das Gestein zusammen
und es entstehen Risse. Sie sind umso tiefer, je kälter es ist. Wenn dann im
Frühling der Schnee schmilzt und starke Wechsel von Frost und Tau stattfinden,
wird der Fels instabil. Werden die Winter nun durch den Klimawandel aber
wärmer, wird der Fels stabiler. Gruner sagt: »In den Siedlungsräumen wird es dank des Klimawandels
tendenziell eher weniger Felsstürze geben.«
Die Bergkantone geben immer mehr Geld für die
Überwachung von Felsen aus, die ins Tal stürzen könnten. Der Ausbau ist nötig,
weil die Infrastruktur in gefährdete Gebiete vordringt. Es gibt mehr Strassen
und Bahnen in von Felsstürzen bedrohten Gegenden. Die Gesteinsbewegungen werden
deshalb mit Sensoren, Lasern und Radargeräten kontrolliert. Der Kanton Wallis
investiert in den Jahren 2017 und 2018 gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt
1,5 Millionen Franken für zusätzliche Überwachungsmassnahmen. Heute stehen
knapp 50 Orte im Wallis unter Beobachtung. Nun sollen zehn bis zwanzig neue dazukommen.
Der Walliser Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz sagt, dass
5 bis 10 % der heute überwachten Gebiete wegen des Klimawandels gefährdet
seien. Die Ursache ist meistens ein schmelzender Gletscher. Das bekannteste
Beispiel ist die Moosfluh oberhalb der Riederalp. Weil sich der
Aletschgletscher zurückzieht, wurde der Fels instabil. Vor einem Jahr mussten
deshalb Wanderwege gesperrt werden. Inzwischen haben sich die Felsbewegungen
stark verlangsamt. Nächstes Jahr könnte ein Teil der Wege wieder geöffnet
werden, sagt Mayoraz.
Und nun zu den 90 bis 95 % der Fälle, die nicht
mit dem Klimawandel zusammenhängen. Raphaël Mayoraz: »Es handelt sich um normale Erosion der Alpen.« Also um ganz gewöhnliche Verwitterung. [1]
Die dreiste Frau Leuthard - Die Sache mit dem Klimawandel
ist einiges erfreulicher, als es die Apokalyptiker darstellen - Von
Andreas Kunz
Bergsturz in Bondo, Hurrikan in Texas, Monsun in
Südasien: Erneut dominieren schreckliche Bilder von Naturkatastrophen die
Nachrichten. Einmal mehr ist der Schuldige mit dem Klimawandel schnell
ausgemacht. Tatsächlich ist die Sache einiges komplizierter. Und vor allem: Weit
erfreulicher als es die Apokalyptiker darstellen.
Wie die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Landschaft der ETH 2016 festhielt, hat sich in der Schweiz die Zahl der
Naturereignisse, die zu Todesfällen führten, in den letzten 70 Jahren mehr als
halbiert und liegt aktuell bei rund 5 pro Jahr. »Stark rückläufig« sind auch
die durch Hochwasser, Erdrutsche, Steinschläge, Blitz, Sturm und Lawinen verursachten
Opferzahlen. Zwar kamen seit 1946 bei insgesamt 635 Ereignissen 1023 Menschen
ums Leben, doch dank besserer Vorhersagen, Schutzbauten und Gefahrenkarten hat
sich diese Zahl laufend verringert. Zugenommen hat einzig die Menge der
verunglückten Freizeitsportler, die abseits der Skipisten oder gesicherten
Wanderwege unterwegs waren. Ursache für diese tragischen Unglücksfälle ist aber
weniger der Klimawandel als menschlicher Leichtsinn.
Diese Daten haben Bundesrätin Doris Leuthard nicht
daran gehindert, nach dem Bergsturz von Bondo ›immer mehr‹ solcher Ereignisse zu beklagen und
eindringlich vor dem Klimawandel zu warnen. Für Leuthard, die ihre
Energiepolitik propagieren will, war Bondo die perfekte Bühne. Zum eigenen
Vorteil noch am Unglücksort falsche Tatsachen zu verbreiten - während acht Tote unter dem Schutt liegen
und ein ganzes Dorf um seine Existenz bangt -
zeugt allerdings von einer Dreistigkeit, die auch von künftigen
Bundesräten schwer zu überbieten sein wird. Zumal der Geologe des Kantons
Graubünden, Andreas Huwiler, einen Zusammenhang mit dem Klimawandel ebenfalls
ausdrücklich bezweifelte. Die Prozesse, die zu einem Bergsturz führten,
dauerten ›Tausende
von Jahren‹, sagte
Huwiler. Und der Eindruck, solche Ereignisse würden sich häufen, hänge schlicht
mit unserer Wahrnehmung zusammen.
Tatsächlich ist auch in den USA die Zahl der
Hurrikane, die auf amerikanischen Boden treffen, in den letzten Jahrzehnten
kontinuierlich zurückgegangen. Weltweit
sind die durch Stürme, Erdrutsche oder andere Naturkatastrophen verursachten
Opferzahlen per Anteil der Weltbevölkerung erheblich gesunken. Und auch die damit
verbundenen Kosten sind - trotz
anderslautender Behauptungen - nicht
gestiegen. Zwar hat sich die Summe seit 1990 fast verdoppelt, aber genauso
stark ist die Weltwirtschaft gewachsen, so dass der Anteil am weltweiten BIP
mit 0,3 % stabil geblieben ist, wie die ›New York
Times‹ diese
Woche schrieb.
›Was in den
letzten Jahren stärker zugenommen hat als die Temperatur der Erdatmosphäre, ist
die Propaganda der Behörden.‹ Verantwortlich
für diese positiven Nachrichten ist ausgerechnet das Wirtschaftswachstum, das
als Hauptursache für den Klimawandel gilt. Dank immer neuer finanzieller Mittel
konnten Sicherheitsstandards entwickelt, wissenschaftliche Forschung und
Naturschutz unterstützt sowie Abwasserwerke oder Schutzbauten installiert
werden. Umso paradoxer ist es, dass sich der reichste Teil der Welt am meisten
vor der Natur fürchtet, wo er doch am besten vor ihr geschützt ist.
Es geht hier nicht darum, den Klimawandel anzuzweifeln
oder dessen reale Folgen zu verharmlosen. Was in den letzten Jahren allerdings
merklich stärker zugenommen hat als die Temperatur der Erdatmosphäre, ist die
Propaganda der Behörden und der ihr angehängten Öko-Industrie. Die Verbreitung
selektiver oder gar falscher Fakten füllt zwar ihre Kassen – sorgt aber für
unnötige Angst und untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Klimaforschung. [2]
Quellen:
[1] ›Schweiz am Wochenende ‹ vom 2. 9. 2017
https://www.schweizamwochenende.ch/schweiz/trotz-bondo-klimawandel-fuehrt-nicht-zu-mehr-felsstuerzen-im-gegenteil-131671464?utm_source=Schweiz+am+Wochenende+Newsletter&utm_campaign=9c88bb3a71-EMAIL_CAMPAIGN_2017_09_03&utm_medium=email&utm_term=0_3f1df4fb10-9c88bb3a71-392837245
[2] https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/die-dreiste-frau-leuthard/story/30852422
Die Sache mit dem Klimawandel ist einiges erfreulicher,
als es die Apokalyptiker darstellen
- Von Andreas
Kunz
Redaktionsleiter @sonntagszeitung 02.09.2017
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