Ein neues »Wunder an der Weichsel«? - Von Wolfgang Effenberger 16.07.2017 21:54
Vor dem Denkmal für den Warschauer Aufstand gegen die deutschen
Besatzer im Zweiten Weltkrieg - damals halfen amerikanische Piloten den
polnischen Aufständischen - huldigten
jubelnde Polen US-Präsident Trump [1], der sich mit der Aussage ›Das amerikanische Volk
liebt Polen‹ [2] die Sympathien
sicherte.
Im Vorfeld hieß es dazu aus dem Weißen Haus, der erste
bilaterale Besuch in Europa diene dazu, »Amerikas unerschütterliches Bekenntnis zu einem unserer
engsten europäischen Verbündeten zu bekräftigen« [3]
und die Bedeutung zu unterstreichen, die die US-Regierung der »Stärkung der gemeinschaftlichen
Verteidigung«
durch die NATO beimesse. Die polnische Regierung verspricht sich von Trump,
dass er Polen gegen die angeblich von Deutschland dominierte EU den Rücken
stärkt, vor allem gegen Merkels Flüchtlingspolitik. [4] Polen will keine
Flüchtlinge aufnehmen. In seiner denkwürdigen Rede zeichnet Trump, mit ›Donald Trump, Donald Trump‹-Rufen begeistert gefeiert, die Geschichte
Polens, welches von Rußland und Deutschland zerrieben worden sei, als ein
leuchtendes Beispiel für die
Widerstandsfähigkeit der westlichen Zivilisation. Die Verklärung Polens gipfelte
dann in dem Statement: ›Polen ist
das Herz Europas‹ [5].
In der Tat: Bereits 1361 wurden das Königreich Polen und das Großfürstentum
Litauen zusammengeführt. [6] 1604 drangen polnisch-litauische Truppen bis nach
Moskau vor [›Zeit der Wirren‹. 1618 umfaßte das polnisch-litauische
Gebiet in der größten territorialen Ausdehnung seiner Geschichte den größten
Teil des Staatsgebiets des heutigen Polen, das heutige Litauen, Lettland und
Weißrußland sowie Teile des heutigen Rußland, Estland, Moldawien, Rumänien und
der Ukraine. Zwischen 1772 und 1795 wurde dieses riesige Gebiet zwischen
Rußland, Preußen und Österreich-Ungarn aufgeteilt. Um Preußen vollständig zu
bezwingen, gründete Napoleon 1806 einen von Frankreich abhängigen Rumpfstaat [7],
der bis zur Auflösung 1795 noch zum Königreich Polen gehört hatte.
1916, nach militärischem Raumgewinn im Osten,
proklamierten die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn im November
1916 die Gründung eines selbstständigen Königreichs Polen (Zweikaisermanifest)
aus zuvor russischen Gebieten. [8] Damit wurden die Friedensverhandlungen mit
Zar Nikolaus II. und Rasputin, die keinen polnischen Staat mehr dulden wollten,
unmöglich gemacht. Mit Kriegsende 1918 entstand auf dem Gebiet des Königreichs
Polen die ›Zweite Polnische Republik‹. Diese begann unverzüglich, die
Nachbarn mit Krieg zu überziehen. Gehalten hat sich aber nur der Mythos vom ›Wunder an der Weichsel‹: Mitte August 1920 stand der
sowjetische Reitergeneral Michail Tuchatschewski mit seiner Armee vor den Toren
Warschaus. Mit Unterstützung Frankreichs führte Marschall Jósef Pilsudski den
Gegenangriff und drängte die sowjetischen Kräfte bis weit in die Ukraine
zurück. Der anschließend am 18. 3. 1921 in Riga erzwungene Friedensschluß - die Sowjets waren durch die
Konterrevolution geschwächt - verlegte
die am 8. 12. 1919 festgelegte polnisch-russische Grenze (›Curzon-Linie‹) um ca.
200 km nach Osten. Die Bevölkerung zwischen alten und der nun neuen
polnisch-russischen Ostgrenze umfaßte etwa 6 Millionen Ukrainer und Weißrussen,
etwa 1,4 Millionen Juden und nur etwa 1,5 Millionen Polen. [9]
In dem Narrativ vom ›Wunder
an der Weichsel‹ wird unterschlagen,
dass die polnischen Truppen unter Marschall Pilsudski und die sie
unterstützenden ausländischen militärischen Verbände Ende 1919 bis nach Kiew
vorstoßen konnten. Diese Erfolge wurden
bald durch die sowjetische Rote Armee zunichte gemacht: Sie warf die polnische
Armee so weit in das Landesinnere Polens zurück, dass eine Besetzung Polens
drohte. [10] Parallel zum polnisch-sowjetischen Krieg überfiel Polen Litauen
und eroberte im Oktober 1920 die litauische Hauptstadt Vilnius (polnisch
Wilno).
Dem polnischen Armeegeneral und Ministerpräsidenten von
1981 bis 1985, Woijech Jaruzelsiki (1923-2014) [11], verdanken wir einen
Einblick in die patriotische Seele vieler Polen. In seinen Erinnerungen ›Mein Leben für Polen‹ schildert er seine Erfahrungen vor
Kriegsbeginn 1939: »Wir
sind eine Macht. Wir sind ein großes Land …… Einmal drangen wir in der
Tschechoslowakei ein und nahmen die Region Teschen in Besitz [im Oktober 1938,
W.E.]. Dann richteten wir ein Ultimatum an Litauen, das sich zurückziehen mußte.
Überall Defilees und Paraden, eine ständige Zurschaustellung von Macht. Und vor
allem eine dauernde Geringschätzung der Kräfte des Gegners. …… Die Bolschewiken
zählen sowieso nicht, eine Armee auf tönernen Füßen. Und außerdem haben wir
mächtige Verbündete im Westen …… Doch damals wünschten wir uns diesen Krieg herbei
….. und wir würden diesen Deutschen zeigen, mit wem sie es zu tun hatten.« [12]. Heute, so Jaruzelski 1991 bei
Abfassung seiner Erinnerungen, »erscheint uns das unerhört, und wenn ich daran denke,
schäme ich mich.«
Wenn alle Staats- und Regierungschefs in einer so
ehrlichen Weise ihre Geschichte reflektieren würden, sähe es in der Welt weitaus
friedlicher aus. Von dieser Größe scheint Donald Trump noch weit entfernt zu
sein. Sein Auftreten in Warschau glich einem Fußtritt in Richtung der
polnischen Nachbarn Rußland und Deutschland. Rußland wird destabilisierendes
Verhalten vorgeworfen - einen Tag vor
dem Treffen mit Putin sicherlich sehr konstruktiv - und gegen Deutschland wird gleich eine dreifache
Attacke geritten: Trump »will eine andere EU, höhere deutsche Beiträge für die
NATO und geht vor allem die deutsch-russische Energiekooperation an.« [13] Wie bei seiner
ersten Auslandsreise nach Riad geht es dem ›Dealmaker‹ Trump vor allem um das Geschäft - vornehmlich
das Waffengeschäft: Für bis zu 7,6 Milliarden $ soll Polen 8
Patriot-Raketenabwehrsysteme des Herstellers Raytheon ankaufen. [14] Dann soll Polen vom russischen Gas abgekoppelt werden und
amerikanisches Flüssiggas kaufen. Da trifft es sich gut, dass sowohl die
USA als auch Polen dem Klimaschutz keine Priorität einräumen. Wie in Riad traf
sich Trump mit Staats- und Regierungschefs aus der Nachbarregion. Die aus
mittel- und osteuropäischen EU-Staaten stammenden Politiker hatten sich zu
einem Gipfeltreffen der ›Drei-Meere-Initiative‹ in Warschau eingefunden, mit Trump
als Ehrengast. [15] Geplant ist ein Korridor
unabhängiger Staaten von Finnland bis nach Rumänien, der, wie schon ab 1919/20,
Europa vor der Sowjetunion ›schützen‹ soll. Heute geht es in erster Linie
darum, die Annäherung Deutschlands an Rußland zu verhindern bzw. zu erschweren.
Am 4. Februar 2015 hielt der Gründer und Vorsitzende des
führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks ›STRATFOR‹ (Abkürzung
für ›Strategic Forecasting Inc.‹),
George Friedman, eine Rede vor dem renommierten ›Chicago Council on Global Affairs‹. [16] Prominente Redner wie die US-Präsidenten John F. Kennedy
und Barack Obama sprachen hier zu hohen
US-Militärs, Hedgefonds-Managern, einflußreichen Politikern und Vertretern
internationaler Konzerne zu den globalen Aspekten amerikanischer Politik. In
erschütternder Offenheit legte Friedman in Chicago die strategischen Ziele der
USA in Europa auf den Tisch und machte gleich am Anfang deutlich, dass die USA
keine ›Beziehungen‹ zu ›Europa‹ haben. Es gäbe
nur bilaterale Beziehungen zu den europäischen Staaten. »Das Hauptinteresse der
US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten
Weltkrieg sowie im Kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen Deutschland und
Rußland….. Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigten Staaten das
Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem
Kapital, deutscher Technologie und russischen Rohstoff-Ressourcen,
russischer Arbeitskraft zu verhindern.« [17] England habe im unter Bismarck vereinten und
wirtschaftlich aufstrebenden Deutschland die Hauptgefahr gesehen. Da hätte
Reichskanzler Bismarck nicht widersprochen. Am 7. April 1888 äußerte er sich
wie folgt: »Das
Interesse Englands ist, daß das Deutsche Reich mit Rußland schlecht steht,
unser Interesse, daß wir mit ihm so gut stehen, als es der Sachlage nach
möglich ist.« [18] Seit 1871 ist einer Elite der angelsächsischen
Länder jedes Mittel recht, um eine starke Mittelmacht in Europa zu verhindern:
Wirtschafts- und Handelskriege, Intrigen und gezielte
Destabilisierungsmaßnahmen.
Und schon 1919 gab es die Idee, einen Gürtel von
Pufferstaaten zwischen Deutschland und Rußland zu schaffen; den Begriff ›Cordon Sanitaire‹ hatte der damalige französische Außenminister S. Pichon aus der
Seuchenthematik in die politische Diskussion eingeführt. Bald erstreckte sich
tatsächlich von Finnland über die baltischen Staaten und Polen bis Rumänien ein
Staatengürtel, der die Sowjetunion vom übrigen Europa trennen sollte -
angeblich zum Schutz vor der ›bolschewistischen
Weltrevolution‹. Um heute den
Alptraum einer deutsch-russischen Kombination zu verhindern, wollen die USA auf
diese Idee zurückgreifen: Einen Gürtel aus antirussischen Staaten aufbauen, um
Deutschland und Rußland von einander abzuschneiden/ bzw. zu schwächen. [19]
Zibigniew Brzezinski (1928-2017), Graue Eminenz der
amerikanischen Außenpolitik und zeitlebens ausgewiesener Rußlandhasser, wollte
Rußland aufbrechen und in 68 Teile zerschlagen. Friedman jedoch äußert sich
moderater: »Wir
wollen die Russische Föderation nicht töten, sondern nur etwas verletzen bzw. ihr Schaden zufügen.« [20] Seit dem 31.
Juli 2014 ist John F. Tefft Botschafter der Vereinigten Staaten
von Amerika in Moskau. Er hat sich einen Namen als notorischer Unruhestifter
und Experte für Regimewechsel gemacht. Seine Visitenkarte weist als Referenzen
die Operationen in der Ukraine, in Georgien und in Lettland aus. Offensichtlich
soll er jetzt die russische Bevölkerung gegen Präsident Putin aufbringen, damit
dieser gestürzt wird. Die von außen inszenierte Krise des Rubels mit
dramatischen Kursverlusten ist ebenfalls Teil der Strategie, in Rußland einen
Aufstand zu provozieren. [21] Für jeden, der, durch Trumps Wahlversprechen
ermutigt, den Konflikt mit Rußland zu entschärfen,
auf Frieden in Europa gehofft hatte, muß nun leider klar sein: Donald Trump ist
nicht die Alternative, sondern die Fortsetzung der expansionistischen und
ausbeuterischen US-Außenpolitik, die auf einen Krieg mit Rußland und
damit auf einen Weltkrieg zusteuert. [22]
Bereits unter US-Präsident Obama wurde das
Strategiepapier ›TRADOC 525-3-1‹ [23] vom Dezember 2014 mit dem Titel ›Win in a Complex World 2020 - 2040‹
verabschiedet. Danach haben sich die US-Streitkräfte auf Die Abwehr
nachfolgender Bedrohungen vorzubereiten:
- Rußland und China - Iran und
Nordkorea - Terrorismus
Im Klartext: Die US-Streitkräfte sollen sich also in erster Linie auf einen
Krieg mit Rußland und China einstellen. Zum Abschluß seiner Rede im Februar
2015 beruhigte Friedman die Europäer: Europa werde zum menschlichen Normalfall
zurückkehren und Kriege führen wie z.B. in Jugoslawien und in der Ukraine. Er
rechne aber nicht mit 100 Millionen Toten.
Und doch besteht seit dem 7. Juli 2017 wieder Grund zur
Hoffnung: Einen Tag nach dem provozierenden Auftritt in Warschau einigte sich
Donald Trump mit Vladimir Putin auf einen Waffenstillstand in Syrien, und zwar
in einer deutlich freundschaftlichen Begegnung.
Quellen:
[1[ http://www.deutschlandfunk.de/us-praesident-in-polen-hohe-erwartungen-an-trump.1773.de.html?dram:article_id=390266
[2] http://www.handelsblatt.com/politik/international/trump-in-polen-dreifacher-angriff-auf-deutschland/20028084.html
[3] http://www.epochtimes.de/politik/europa/trump-besucht-vor-g20-gipfel-polen-a2139369.html
[4] http://www.deutschlandfunk.de/us-praesident-in-polen-hohe-erwartungen-an-trump.1773.de.html?dram:article_id=390266
[5] http://www.handelsblatt.com/politik/international/trump-in-polen-dreifacher-angriff-auf-deutschland/20028084.html
[6] Davies Norman: ›Im Herzen Europas. Geschichte Polens‹ S. 299 [7] Monika
Senkowska-Gluck: ›Das Herzogtum
Warschau‹ in Heinz-Otto Sieburg
(Hrsg.): ›Napoleon und Europa‹ Köln, Berlin 1971, S. 225f
[8] Keya Thakur-Smolarek: ›Der Erste Weltkrieg und die polnische
Frage: Die Interpretationen des Kriegsgeschehens durch die zeitgenössischen
polnischen Wortführer‹ Berlin 2014
[9] Nach Angaben auf Grund polnischer
Quellen (Polen. Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze; Ostberlin, 1959, S. 863,
928f
[10] Norman Davies: ›White Eagle - Red Star. The Polish Soviet War 1919–1920‹ Pimlico, London 1972, 2004
[11] Woijech Jaruzelsiki von 1981 bis
1989 Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiter
[12] Woijech Jaruzelsiki: ›Mein Leben für Polen‹ München/Zürich 1993, S. 41 [13] http://www.handelsblatt.com/politik/international/trump-in-polen-dreifacher-angriff-auf-deutschland/20028084.html
[14] http://www.faz.net/aktuell/politik/donald-trump-kritisiert-russland-bei-besuch-in-polen-15093825.html
[15] http://www.zeit.de/2017/27/drei-meere-initiative-donald-trump-polen
[16] Gegründet ein Jahr nach dem ›Council on Foreign Affairs‹
(CFR) als ›Chicago Council on
Foreign Relations‹ am 20. Februar
1922
[17] George Friedman am 4 Februar 2015
in Chicago unter https://www.youtube.com/watch?v=oaL5wCY99l8&feature=youtu.be Hier die gesamte Rede über 70 Minuten: https://www.youtube.com/watch?v=QeLu_yyz3tc
[18] Max Lenz/Erich Marcks: ›Das Bismarck-Jahr‹ Hamburg 1915, Seite 190 [19]
Screenshot aus https://www.youtube.com/watch?v=QeLu_yyz3tc
[20] http://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-2015/klartext-aus-amerika-us-think-tank-benennt-offen-imperiale-ziele/
[21] Ukraine: ›The Brown (Shirt) Revolution‹
Interview mit Prof. Francis Boyle http://sputniknews.com/voiceofrussia/2014_02_22/Ukraine-The-Brown-Shirt-Revolution-Prof-Francis-Boyle-7578/
[22] Vgl.dazu Naomi Klein: ›No ist Not Enough. Resisting Trump’s Shock
Politics and Winning the World We Need No ist Not Enough. Resisting Trump’s
Schock Politics and Winning the World We Need‹ Chicago 2017 [23] http://tradoc.army.mil/tpubs/pams/TP525-3-1.pdf
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