Zum UNO-Bericht über eine Verstrickung Syriens in den Anschlag auf den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri

Wie aus der Tagespresse hinlänglich bekannt, waren dem von Detlev Mehli, dem UNO- Sonderberichterstatter erstellten Bericht zufolge ranghohe syrische und libanesische Geheimdienstoffiziere an dem Bombenanschlag auf den ehemaligen libanesischen Premierminister Hariri beteiligt. Diesem fielen am 14. Februar 21 Menschen zum Opfer. Das Attentat hätte ohne Kenntnis und Zustimmung der Geheimdienste niemals verübt werden können, heisst es in dem Bericht. Hier stellt sich unmittelbar die Frage, welcher Geheimdienst seine Hände im Spiel hatte. So hat der Vizepräsident Syriens, Abdel-Halim Khaddam, in einem Interview mit Reportern Israel angeklagt, Hariri ermordet zu haben. 1 Ein Artikel der Jungen Welt vom 18.2.05 legt wenig bekannte Hintergrundfakten offen. 2 Es gibt einen "Golden Circle" genannten prominenten Führungskreis des neokonservativen Committee for a Free Lebanon, das sich seit Jahren mit extremer Polemik gegen Rafik Hariri hervorgetan hat.

Zu diesem gehört der US-Republikaner Eliot Engel, der auch ohne Indizien sofort wusste, wer das Attentat gegen Hariri organisiert hatte: Syrien. »Der Mord zeigt, dass die Syrer weiterhin ungestraft handeln« war sein Kommentar in der Washington Post vom 17.2.05. Beweise, gilt es hier hinzuzufügen, stellen bekanntlich keinerlei Notwendigkeit dar, denn ein Prozedere dieser Art scheint sich seit dem Irakkrieg zur Standardmethode der USA zu entwickeln. Zusammen mit dem exilkubanischen Abgeordneten Ileana Ros-Lehtinen bildet Engel das Führungsgespann der antisyrischen Lobby im US-Kongress. Auf der website des Komitees für ein freies Libanon, www.freelebanon.org, erscheinen die meistgesuchten Terroristen der Welt. Daneben gibt es, wie es in der Jungen Welt heisst,  einen link zu einem Kartenspiel, in dessen oberster Reihe Hariri als Herz-As erscheint. Der Pik-Bube des Kartenspiels, Elias Hobeika, ehemals Führer einer rechten christlichen Miliz, wurde rot durchkreuzt. Er starb im Januar 2002 durch eine Autobombe, wie jetzt Hariri im Februar dieses Jahres. Kurz zuvor hatte Hobeika angekündigt, dass er bereit sei, in einem in Belgien geführten Kriegsverbrecherverfahren gegen Ariel Scharon wegen des Massakers von Sabra und Schatila 1982, an dem seine Miliz beteiligt war, auszusagen. Der Mord an Hobeika wurde nie aufgeklärt. Dies, sei noch vermerkt, dürfte zumindest für die nächste Zeit auch bei dem Mord an Hariri mit Sicherheit der Fall sein. 
 
Wie in dem Artikel weiter dargelegt wird, wäre es wohl nicht zuviel gesagt, wenn man in diesem Kontext das Kartenspiel des Komitees als Ermunterung zur Ermordung führender Politiker und Militärs des Libanons interpretierte. Das Komitee prangert seit Jahren alle massgeblichen libanesischen Politiker als Agenten Syriens an. Es hat nach eigenen Angaben mehr als 10 000 Mitglieder in 200 US-amerikanischen und anderen Städten; angeblich sind
20 % der Mitglieder Moslems. Im Vorstand des Komitees sind neben rechtsgerichteten, überwiegend christlichen Libanesen und einigen Israelis auch etliche Neokonservative vertreten, darunter Richard Perle. Zu ergänzen wäre, dass dies kaum etwas Gutes verheissen kann; auch Perle ist ein alter Bilderberger.
 
Inzwischen wurde die Debatte über den Ermittlungsbericht Detlev Mehlis im UNO-Sicherheitsrat eröffnet. Mehli hat Syrien zu einer besseren Zusammenarbeit aufgefordert, um Lücken in der Nachforschung zu füllen. Selbstverständlich hat der UNO-Gesandte der USA,  John Bolton, bereits «eine unmissverständliche Botschaft» für Syrien angekündigt. Diese wird wohl die Worte Bushs wiederholen, der in einem Interview mit dem Nachrichtensender El Arabija ein militärisches Vorgehen gegen Syrien nicht ausschloss. Bush räumt zwar ein, dass ein solches nur als «letzter Ausweg» denkbar sei, wenn alle anderen Mittel, die Führung in Damaskus zur Vernunft zu bringen, gescheitert seien. Ungeachtet des von der USA im Irak angerichteten Desasters fährt Washington unbeirrt mit Terroranklagen und der Androhung von Vergeltungsmassnahmen fort; andere Mittel scheint es nicht mehr zu kennen. In dem Bericht Mehlis heisst es, dass es übereinstimmende Beweise gäbe, die darauf hinwiesen, dass sowohl der Libanon als auch Syrien in dem Anschlag impliziert seien. Das Motiv für den Mord sei wahrscheinlich politisch, da Hariri zu der Zeit, als Syrien die einflussreichste Macht in Libanon war, immer weniger mit dem prosyrischen Präsidenten Emile Lahoud einigging. Das Komplott, so Mehli, sei komplex und sei offensichtlich während Monaten geplant worden, was nicht ohne Zustimmung hoher syrischer Sicherheitsbeamter möglich gewesen sei, und die weitere Organisation hätte auch nicht ohne die geheime Absprache mit den Kollegen des libanesischen Geheimdienstes erfolgen können.  
 
Syrien hat den Bericht, der die syrischen Beamten anklagt, in den Mord verwickelt zu sein, erzürnt zurückgewiesen. Mehlis Team sei befangen und einige Staaten würden die Flammen des Hasses gegen Syrien anfachen. Fayssal Mekdad, Syriens UNO-Gesandter sagte u.a., dass der Bericht die seltsame Hypothese enthalte, gemäss der Syriens starker Einfluss im Libanon bedeute, dass es in den Mordfall involviert sein müsse. Die Behauptung, dass sie bei der Untersuchung nicht kooperiert hätten, stelle eine grosse Ungerechtigkeit dar. Ahmad Arnous, der stellvertretende Aussenminister Syriens, erklärte, dass Syrien das einzige Land sei, dass die negativen Auswirkungen des Berichts zu tragen hätte. Rijad Dawoodi, ein Berater des syrischen Aussenministeriums, brachte zum Ausdruck, dass das Dossier von regionalen sowie internationalen Parteien politisiert und daher in einem speziellen politischen Kontext ausgearbeitet worden sei. Womit er sicherlich den Nagel auf den Kopf trifft. „Alles, was darin steht,“ so Dawoodi, “basiert auf Vermutungen und Behauptungen. Es gibt keine Beweise.“.
 
Wie jetzt bekannt wurde, stützt sich die durch die Mainstream-Medien verbreitete Anklage gegen Syrien in erster Linie auf die Aussage eines mehrfach verurteilten Betrügers und weckt Erinnerungen an die kriegstreiberischen Lügen des Irakers Achmed Chalabi. Die Anklage des Berliner Sonderermittlers Mehlis erscheint wie ein Déjà vu, zieht man die erfundenen Berichte und Informationen über die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen in Betracht. Wie Achmed Chalabi, der wegen Bankbetrugs über mehrstellige Millionenbeträge verurteilt worden war, ist auch der angebliche Geheimdienstler Al Sadik wegen Veruntreuung von Geldern und wegen Betrugs vorbestraft. Aus UNO-Kreisen wird berichtet, dass Al Sadik nachweislich gelogen habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Al Sadik für seine Aussage zum Mord an Hariri Geld erhalten. Seinem Bruder gegenüber teilte er im Spätsommer mit, dass er nun Millionär sei. Anschliessend erklärte er die Verwicklungen der syrischen Seite in das Attentat.
 
Der israelische Autor Uri Averny liess sich im März dieses Jahres wie folgt vernehmen: „Wenn es den Amerikanern (mit unserer diskreten Hilfe) gelingt, die regierende syrische Diktatur zu stürzen, gibt es überhaupt keine Sicherheit, dass sie durch „Freiheit“ und „Demokratie“ ersetzt wird. Syrien ist fast so zersplittert wie der Libanon. Es gibt eine starke drusische Gemeinschaft im Süden, eine rebellische kurdische Gemeinschaft im Norden, eine alawitische (zu der die Assadfamilie gehört) im Westen. Die sunnitische Mehrheit ist traditionell zwischen Damaskus im Süden und Aleppo im Norden geteilt. Das Volk hat sich aus Furcht vor dem, was nach einem Regimekollaps geschehen könnte, mit der Assad-Diktatur abgefunden. Es ist unwahrscheinlich, dass hier ein wirklicher Bürgerkrieg ausbrechen wird. Aber eine längere Phase von totalem Chaos ist ziemlich wahrscheinlich. Sharon würde darüber glücklich sein, obgleich ich mir nicht sicher bin, ob dies für Israel gut sein wird.“ 4
 
In Le Monde vom 20.5.05 hiess es, dass die Verstärkung der Rhetorik gegen Damaskus nach dem Blitzbesuch von Condoleezza Rice am 15. Mai in Bagdad erfolgte. Der Grund: Die Unterstützung des irakischen Widerstands durch ausländische Terroristen, die, wie man glaube, sich auf syrischem Gebiet versammelten und von dort die Grenze überschritten. Der mangelnde Wille, so Rice, sich damit zu befassen, sei für die Iraker frustrierend. Es trifft zu, dass Syrien Palästina und die Hisbollah unterstützt und den Kampf der ‚Aufständischen’ im Irak so wenig wie möglich behindert. Jedoch gibt es, wie gesagt, bislang keinen Beweis für die Beteiligung Syriens oder der libanesischen Regierung an der Ermordung Hariris. Syrien ist für die USA ein unbequemes Land, das einen unabhängigen politischen Kurs verfolgt und sich davon so wenig wie möglich abbringen lässt. Nach dem Anschlag auf Hariri hatten Syrien und der Iran eine engere Kooperation verkündet, die sich gegen den amerikanischen Druck richtet, was den anhaltenden verbalen Angriffen der USA gegen beide Länder sicherlich Vorschub leistete.
 
Anfang Oktober klagte Bush Syrien und den Iran der Mitschuld an Terroranschlägen in aller Welt an. Im Prinzip nichts Neues. Spätestens wenn Bush erklärt,  der weltweiten, durch die Terroristen geführten ‚Kampagne der Angst’ eine weltweite ‚Kampagne der Freiheit’ entgegenzusetzen, erhält das Ganze eine absolut absurde Note. Zu der von ihm angekündigten Fortsetzung des Kampfes gegen den Terrorismus bis zu einem ‚vollständigen Sieg’ zählt er dann noch die von ihm als Früchte bezeichneten Resultate auf. In mehr als 24 Ländern seien fast alle Verantwortlichen der Anschläge von 2001 festgenommen oder getötet worden. Mit der zitierten Festnahme wird er wohl nicht mehr lange hausieren können, da Stanley Hilton, der amerikanische Rechtsanwalt, der über 400 Opfer des 9. 11. vertritt, am Vorabend des 11. Septembers 2004 in einem Radio-Interview in der Alex Jones Show die Öffentlichkeit folgendes wissen liess: „Der 11. September war komplett vorausgeplant. Es war eine von der Regierung angeordnete Operation. Bush persönlich hat den Terrorakt autorisiert. Er ist des Landesverrates und des Massenmordes schuldig.“ 5  Was das Töten als solches betrifft, so spricht Bush allerdings aus, was geschieht: Die Zahl der Getöteten, von einer Festnahme ist fast nirgends mehr die Rede, wächst auf grauenhafte Weise.
 
Syrien erleidet auf Grund seiner hartnäckigen Weigerung, sich im Nahen Osten der USA unterzuordnen, entsprechende Wirtschaftssanktionen und ist als Schurkenstaat klassifiziert. Zu seinen Problemen gehören eine hohe verdeckte Arbeitslosigkeit und Auslandsschulden in Höhe von 21 Milliarden US-Dollar. Im Land leben 125.000 Flüchtlinge vom Golan, hinzu kommen 347.000 Palästinenser und sonstige Vertriebene. Ein Unruhepotential bildet auch die kurdische Minderheit von 6 % der Gesamtbevölkerung, die zum Teil nicht einmal die syrische Staatsbürgerschaft besitzt. Militärisch ist Syrien eine starke Regionalmacht, wirtschaftlich aber ein Sanierungsfall. Die militärische Orientierung belastet den Haushalt mit Sicherheitsausgaben von 50 %, mit denen eine Friedensarmee von 400.000 Mann unterhalten wird.
 
Wie BBC am 26.10.05 verlauten liess, zieht der Sicherheitsrat einen von Frankreich, England und der USA ausgearbeiteten Plan, Damaskus Sanktionen anzudrohen  - als ob das Land an den ihm bereits aufgebürdeten nicht schon schwer genug trüge -  in Erwägung. Es ist ein Segen, dass wenigstens Russland, ein langjähriger Verbündeter Syriens, erklärt hat, gegen jede Art von UNO-Sanktionen, die Syrien wegen dessen angeblicher Rolle in dem Hariri-Mord auferlegt würden, sein Veto einzulegen.
 
Abschliessend sei der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone zitiert, der im November 2003 folgendes aussprach: «Bush ist die grösste Bedrohung für das Leben auf diesem Planeten, die wir wahrscheinlich je gesehen haben».  Es mag sich hier jeder sein eigenes Urteil bilden.
 
 
1  http://www.boell.de/downloads/hariri.pdf
Heiko Wimmen, Kirsten Maas, Libanon am Scheideweg
 
2 http://www.jungewelt.de/2005/02-18/004.php       
Rainer Matthias,  Spielkarten des Todes. Die Spur führt zum »Golden Circle«: US-amerikanische Neokonservative hatten den libanesischen Expräsidenten Hariri zum Abschu ß freigegeben
 
3 http://omega.twoday.net/stories/1082070/ falscher zeuge
 
4 http://www.lebenshaus-alb.de/mt/archives/002826.html
Uri Averny, Die nächsten Kreuzzüge; 6. 3. 05
Uri Avnery, israelischer Publizist, vertritt seit 1948 die Idee
eines israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten:
Israel und Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt.
Für sein Engagement erhielt der 1923 geborene Averny viele Auszeichnungen.
 
5 http://www.rense.com/general57/aale.htm