Personenfreizügigkeit - Von Nutzen für die Schweiz?

Eine interessante neue Broschüre: Als Beilage zu der März-Ausgabe des

Schweizer Monats erscheint dieser Tage eine Studie des Weltwoche-Wirtschaftsredaktors Florian Schwab, die mit einem einführenden Essay von Tito Tettamanti ergänzt ist. Der Titel: »Was hat der Bürger von den Bilateralen? Eine Kosten-Nutzen-Analyse aus ökonomischer Sicht«. Die Broschüre umfasst 48 Seiten; wir vermitteln nachstehend Auszüge aus dem Kapitel Welche Zuwanderung aus der EU ist nach Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz optimal?; die Zwischentitel sind von der Redaktion EU-NO eingesetzt. 

Nutzen und Kosten

Der abnehmende Grenznutzen ist eigentlich eine Standardannahme der Ökonomie, ebenso wie die steigenden (bestenfalls konstanten) Grenzkosten.  Bezogen auf die Zuwanderung heisst dies: Der erste, respektive der produktivste Zuwanderer bringt in ökonomischer Hinsicht am meisten und kostet am wenigsten. Jeder zusätzliche Einwanderer schafft einen geringeren Nutzen als der vorhergehende und bewirkt höhere Kosten, die bei einem jährlichen Bevölkerungswachstum von einem Prozent ins Gewicht fallen. Wie gesagt, bauen alle neuesten Arbeiten auf dem schwer zu plausibilisierenden (Neben-)Ergebnis der KOF [Konjunkturforschungsstelle - Schweizer Forschungsinstitut der ETH Zürich] auf, das besagt, die durch das FZA [Personenfreizügigkeits-Abkommen] bedingte, zusätzliche Einwanderung belaufe sich auf 12 500 Personen pro Jahr. Zudem wird in den Untersuchungen angenommen, dass diese EU-Zuwanderer erstens im Durchschnitt produktiver seien als die inländische Bevölkerung und dass sie sich stärker am Arbeitsmarkt beteiligten, also im Durchschnitt häufiger erwerbstätig seien als die inländische Bevölkerung.

Stimmen die Annahmen?

Dieses Vorgehen ist einmal deshalb nicht ohne Tücken, weil es die Einwanderer in ihrem Beitrag zur schweizerischen Volkswirtschaft auf eine homogene Masse reduziert. Es wäre vielmehr die Frage zu stellen: Welche Zuwanderung aus der EU ist nach Kosten-Nutzen-Erwägungen für die Schweiz optimal? Die Antwort auf diese Frage liegt nicht in erster Linie in einer Maximalzahl, sondern vielmehr in der Qualität der Zuwanderung: Sind die Zuwanderer willens und in der Lage, langfristig für sich selbst und ihre Familien zu sorgen, und belasten sie die gemeinschaftlichen Infrastrukturen nicht über Gebühr? Steigern sie das BIP pro Kopf oder sind sie in Sektoren mit ausgetrocknetem Arbeitsmarkt tätig? Wie sähen die Ergebnisse aus, wenn es mit einer klugen Migrationspolitik gelänge, die volkswirtschaftlich betrachtet am wenigsten produktiven 12 500 Zuwanderer jährlich aus der EU fernzuhalten? Oder wie sähen die Ergebnisse aus, wenn man die am wenigsten produktiven 25 000 EU-Zuwanderer durch 12 500 noch produktivere Einwanderer aus dem Rest der Welt ersetzen könnte?

Indem man die gesamte Nettozuwanderung aus den EU-Staaten von 55 529 Personen pro Jahr seit 2009 (ohne Grenzgänger) weitgehend arbiträr in einen FZA-bedingten (12 500 Personen) und einen nicht-FZA-bedingten Teil (43 029 Personen) aufspaltet, verstellt man den Blick auf die Tatsache, dass für die volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse der Zuwanderung selbstverständlich die gesamte (Netto-)Zuwanderung massgeblich ist.

Die Produktivität der Zuwanderer

Das BIP pro Kopf, das den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, ist ein vager Gradmesser für die Produktivität einer Volkswirtschaft. Eine Zuwanderung von Personen, die produktiver sind als der Durchschnitt der ansässigen Bevölkerung, hebt das BIP pro Kopf, eine Immigration von weniger produktiven Arbeitskräften hingegen senkt dieses pro Kopf. Sofern die Zuwanderer unter der Personenfreizügigkeit im Durchschnitt besser qualifiziert sind als die ansässige Bevölkerung, müsste sich dies demnach in der Stundenproduktivität zeigen.

Zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit auf die Produktivität schreiben die ETH-Forscher, eine erkennbare Verbesserung der Wachstumsrate des BIP/Kopf würde durch die Personenfreizügigkeit »wohl nur dann bewirkt, wenn diese die Wachstumsrate der totalen Faktorproduktivität beschleunigt« (Graff & Sturm, 2015, S. 15). Die Bezifferung eines solchen Effekts erscheine »beim jetzigen Kenntnisstand zumindest schwierig«. Mit anderen Worten: Es wurde bislang statistisch nicht gezeigt, dass die Schweizer Wirtschaft durch die Personenfreizügigkeit in dem Sinn effizienter geworden wäre, dass sie mit gleichbleibendem Faktor-Input mehr produzieren könnte.

Einen Produktivitätsschub nach Einführung der Bilateralen sieht auch jene Studie nicht, die im Auftrag des Seco die Entwicklung der Arbeitsproduktivität pro Stunde untersuchte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeits-Produktivität in der Schweiz seit Jahrzehnten im Vergleich zu anderen Ländern, auch der industrialisierten Vergleichsgruppe, nur wenig wächst. Während sich die Stundenproduktivität selber aufgrund der Bilateralen nicht nachweislich verändert hat, hat sich bei ihren Determinanten offenbar durchaus etwas verschoben: »Im Zeitraum 2003-2013 waren die Schweizer Kapitalinvestitionen für sich alleine betrachtet nicht besonders tief, sondern nur dann, wenn man sie ins Verhältnis zum Arbeitseinsatz setzt. Das bedeutet, dass die Investitionen mit der Beschäftigungszunahme nicht Schritt halten konnten«. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man die Investitionen in Kapital der Ausweitung der Arbeitsstunden gegenüberstellt.

Personenfreizügigkeit bremst Produktivitätswachstum

Investitionen in physisches Kapital waren zwischen 1985 und 2002 der dominante Treiber des Produktivitätswachstums. Ihre relative Bedeutung hat nach der Einführung der Personenfreizügigkeit abgenommen, was darauf hindeutet, dass die Personenfreizügigkeit eine dämpfende Wirkung auf die durchschnittliche Kapitalausstattung der Arbeitsplätze hatte. Im Gegensatz zu einem Regime mit beschränkter Zuwanderung mussten die Unternehmer weniger in den Faktor Kapital investieren.

Man steht vor einem Rätsel: Einerseits hat die Personenfreizügigkeit gemäss Statistiken des Seco überdurchschnittlich viele hochqualifizierte Zuwanderer angezogen, andererseits ist die Stundenproduktivität weiterhin nur langsam gewachsen. Woher kommt diese Diskrepanz? Ein möglicher Erklärungsansatz wäre das Auseinanderdriften zwischen der formalen Ausbildung der EU-Zuwanderer und ihren tatsächlichen Fähigkeiten zur Wertschöpfung (Stichwort: freizügige Vergabe akademischer Titel in manchen europäischen Ländern). Ein zweiter Erklärungsansatz wäre, dass nur der Ausbildungsstand der Zuwanderer erfasst wird, nicht aber jener der Rückwanderer. Ein deutscher Doktor der Computerwissenschaften, der im Jahr 2008 bei Google in Zürich angestellt wird und im Jahr 2010 nach Kalifornien zieht, wird im Jahr 2008 als gut qualifizierter Zuwanderer erfasst, nicht aber bei seiner Abwanderung aus der Schweiz. Die Aufschlüsselung der Bildungsabschlüsse findet nur in der Betrachtung der Bruttozuwanderung statt, nicht in der Betrachtung der Nettozuwanderung. Unterstellt man, dass die besonders Hochqualifizierten auch besonders mobil sind, dann ergibt sich daraus, dass das Bildungsniveau der langfristig im Land verbleibenden Einwanderer aus der EU tiefer ist, als es die Statistiken über die Bruttozuwanderung vermuten lassen.

Die vollständige Studie ist auf   http://schweizermonat.ch/uploads/assets/bilaterale.pdf   einsehbar; insgesamt besticht die Abhandlung durch aufschlussreiche Untersuchungen, Tabellen und Grafiken und vermittelt interessante und überzeugende Schlussfolgerungen. Wir empfehlen daher, die ganze Studie herunterzuladen.  [1]

 

Die SVP kauft keine Katze im Sack - Zuwanderung endlich eigenständig steuern und begrenzen   

Mit der heute präsentierten Botschaft ans Parlament lässt der Bundesrat weiterhin offen, ob und wie er die Verfassungsbestimmung zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung konkret umsetzen will, obwohl der Handlungsbedarf dringend ist. Klare Vorstellungen, wie die Zuwanderung mit einer Schutzklausel markant gesenkt werden soll, fehlen und werden auf die später zu erlassende Verordnung verschoben. Der Bundesrat lässt damit offen, ob er trotz Verfassungsauftrag überhaupt eine wirkungsvolle Lösung verwirklichen will. Für die SVP ist zentral, dass die Zuwanderung rasch und deutlich gesenkt wird. Die Instrumente dazu, insbesondere Kontingente und ein Inländervorrang, sind von Volk und Ständen in der Verfassung vorgegeben. Die SVP wird die Einhaltung unserer Bundesverfassung auch auf parlamentarischem Weg konsequent einfordern. 

Für die SVP ist es unverständlich und nicht akzeptabel, dass der Bundesrat die von ihm vorgeschlagene Idee einer Schutzklausel in seinem Vorschlag für die Umsetzungsgesetzgebung nicht weiter vertieft und konkretisiert. Damit nährt er unweigerlich den Verdacht, den Schwellenwert für die Schutzklausel dereinst so hoch ansetzen zu wollen, dass die Zuwanderung nicht gebremst wird. Dies verunmöglicht eine seriöse Beurteilung der Wirkung und eine entsprechende Diskussion im Parlament. Der Bundesrat verschiebt den Entscheid über zentrale Elemente der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung damit auf die Verordnung. Das Parlament soll also einen Entscheid fällen, ohne von der Begrenzungswirkung überhaupt nur ein vage Vorstellung zu haben. Soll eine Diskussion über ein solches Modell möglich sein, muss der Bundesrat nun umgehend einen Entwurf für die Verordnung mit den Grundlagen für die künftige Begrenzung vorlegen, damit das Parlament in Kenntnis davon über die gesetzlichen Vorgaben entscheiden kann. Ansonsten ist anzunehmen, dass der Bundesrat weiterhin nicht daran denkt, die Zuwanderung signifikant zu senken und den Verfassungsauftrag umzusetzen. Für die SVP ist klar, dass sich die Umsetzung am Konzept mit Kontingenten und Inländervorrang orientieren muss, wie es sich bis zur Einführung der Freizügigkeit bewährt hat und wie es die Verfassung vorgibt. Das Konzept der SVP, das sie im Mai 2014 präsentiert hat, baut ebenfalls darauf auf. Die SVP wird diesen Weg auch im Parlament konsequent verfolgen.

Keine neuen flankierenden Massnahmen

Zudem lehnt die SVP neue flankierende Massnahmen entschieden ab. Flankierende Massnahmen schränken den freien Arbeitsmarkt massiv ein. Damit werden wichtige Standortvorteile der Schweiz preisgegeben. Das Parlament darf deshalb keinesfalls auf zusätzliche flankierende Massnahmen eintreten. Sollten Bundesrat und Parlament eine Umsetzung des Volksentscheids zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung verhindern oder von einem Veto der EU abhängig machen, wird die SVP nicht zögern, eine Volksinitiative zur Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens zu lancieren.  [2] 

Die SVP ist niederzustrecken!

Der Tages-Anzeiger präsentiert das Rezept: Der Leiter der Bundeshaus-Redaktion des Tages-Anzeigers, Fabian Renz, wartet mit dem finalen Rezept auf, wie aus der der SVP am 28. Februar beigebrachten Niederlage der Todesstoss gegen diese missliebige Partei geführt werden kann.

Ausländerkriminalität  - dies der Ausgangspunkt von Renzens Strategie -  gebe es als solche real eigentlich nicht. Denn in den Städten, wo die [nach Renz eigentlich gar nicht existierende] Ausländerkriminalität bezüglich registrierbarer Taten am meisten Spuren hinterlasse, habe die SVP am schlechtesten abgeschnitten. Das beweise, dass Forderungen nach konsequenteren Massnahmen gegen die überhand nehmende Ausländerkriminalität eigentlich im luftleeren Raum stünden. Sie glichen, meint Renz, der Forderung irgend eines kleinen Gebirgsnests nach einem Leuchtturm, der am Bergbach aufzustellen sei, auf dass niemals ein die Weltmeere kreuzender Supertanker mit einem Haus des Bergdorfes kollidiere (Tages-Anzeigervom 3. 3. 2016). Die Forderungen der SVP zur Ausländerkriminalität seien ebenso irrational, wie eine solche Forderung aus einem Gebirgsdorf irrational wäre.

Nur irrationale Aufbauschung 

Der hohe Anteil ausländischer Insassen in Gefängnissen sei, behauptet Renz, so irrational, als würde man behaupten, alle Männer seien kriminell, weil die meisten der Inhaftierten Männer seien. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Genau so sagt es Renz zwar nicht, aber dass er die Männer zum Vergleich mit den Ausländern im Rahmen seiner kruden Beweisführung herangezogen hat, lässt beim Konsumenten seiner wirren Gedankengänge vermuten, dass er den Vergleich so wie hier dargestellt gemeint haben könnte. Interessant auch: Die gleiche Zeitung hat im Chor mit fast allen anderen Medien des Landes im Vorfeld der Abstimmung unablässig behauptet, die von der Statistik präsentierten, von der SVP wiederholt zitierten Zahlen zur Ausländerkriminalität seien schon deshalb lückenhaft, weil ein Grossteil der ausländischen Kriminellen, die Kriminaltouristen nämlich, gar nicht erwischt werden könnten. Wenn das, woran wir keinesfalls zweifeln, stimmt, dann ist daraus allerdings abzuleiten, dass der Anteil von Ausländern an den Gefängnisinsassen, heute rund drei Viertel, noch viel grösser wäre als er heute ohne Kriminaltouristen bereits ist, wenn man letztere dingfest könnte. Eine Tatsache, die höchstens zum Ausdruck bringt, wie wandelbar Beweisführungen von Medienschaffenden sind, wenn ihnen die Manipulation der Öffentlichkeit wichtiger ist als eine an Tatsachen orientierte Berichterstattung. Doch zurück zu Renzens Strategie: Sein Rezept zur Ausmerzung der SVP beruht darauf, dass Medien über Verbrechen zwar noch berichten sollen, aber nur so, dass ein Täter nie als von ausländischer Herkunft erkannt werden könne. Dann könne man um so leichter behaupten, dass Ausländerkriminalität etwas rein Irrationales sei.

Interessant an dem hier nur auszugsweise wiedergegebenen Artikel von Renz ist der Einblick, den der Leser a in die Gedankenwelt eines Journalisten erhält, der sich auf dem Kriegszug gegen die SVP wähnt. Eine an Tatsachen orientierte Berichterstattung hat in einem solchen Zusammenhang dem ideologisch motiviertem Kalkül zu weichen, auf dass Fakten ins Reich irrationaler Aufklärung abgedrängt werden können.

Ob der seine Leser so masslos unterschätzende Herr Renz noch nie auf die Idee gekommen ist, dass seine Strategie tatsächlich einen Aderlass auslösen könnte, dies weit weniger bei den Mitgliedern der SVP, sondern viel einschneidender im Abonnentenstamm des Tages-Anzeigers .

 

 

[1]  Quelle: EU-NO Newsletter vom 4. März 2016  
http://eu-no.ch/news/personenfreizuegigkeit-fuer-die-schweiz-von-nutzen_115
4. 3. 16

[2]  Medienmitteilung der SVP Schweiz vom 4. März 2016

[3]  Quelle: Der Freitags-Kommentar vom 4. März 2016 von Ulrich Schlüer; «Schweizerzeit»   http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/die_svp_ist_niederzustrecken-2590