Weltweite Reaktion auf die Pariser Anschläge zwingt Präsident Obama zum Kurswechsel - Von Alexander Hartmann 29.11.2015 21:21
Was immer die Hintermänner der Pariser Anschläge vom 13. November bezweckt haben mögen,
eines
haben die Anschläge jedenfalls bewirkt: Daß der weltweite Einfluß der
amerikanischen Regierung unter Präsident Barack Obama schlagartig
zurückgegangen ist. Nicht mehr die USA geben den Ton an, sondern Rußland unter
Präsident Wladimir Putin. Putin erklärte auf der Grundlage der
Syrien-Gespräche, die am 14. November in Wien stattgefunden hatten, und der
laufenden Gespräche zwischen US-Außenminister John Kerry und Rußlands
Außenminister Sergej Lawrow, daß ein Teil der syrischen Opposition »es für
möglich hält, mit Unterstützung der russischen Luftwaffe militärische Aktionen
gegen den IS zu beginnen, und wir sind bereit, diese Unterstützung zu gewähren.«
Dann würden Baschar al-Assads »Armee auf der einen und die Opposition auf der
anderen Seite gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen.« Rußland brauche die
Unterstützung der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens und des Irans im Kampf
gegen den Terrorismus. »Jetzt ist nicht die Zeit für eine Debatte darüber, wer
im Kampf gegen den IS effektiver ist; wir müssen unsere Bemühungen
konsolidieren.« Augenzeugenberichte vom Treffen des G-20-Gipfels im türkischen
Antalya am 15./16. November, also unmittelbar nach den Pariser Anschlägen,
lassen darauf schließen, daß Obama äußerst ungehalten darüber war, daß dort
nicht er, sondern Putin im Mittelpunkt stand, weil es Rußlands bahnbrechende
Intervention in Syrien möglich macht, den IS zu zerschlagen und den inzwischen
schon 5 Jahre währenden Krieg in Syrien zu einem friedlichen Ende zu führen. Obama
flog dann weiter zum APEC-Treffen nach Manila auf den Philippinen, in der
Hoffnung, dort den quasikolonialen Status des Landes wieder herzustellen. Statt
dessen stieß er auf eine Revolte philippinischer Patrioten. Der Senat des
Landes wies seine Truppenstationierungspläne zurück, und die APEC weigerte
sich, über seine Aggressionsvorwürfe gegen China - weil dieses auf Inseln, die es sowieso
schon beherrscht, Gebäude errichtet - überhaupt
zu diskutieren.
Vielleicht
hoffte Obama, daß er beim anschließenden ASEAN-Treffen in Malaysia und beim
Ostasien-Gipfel mehr Erfolg haben würde. Jedoch haben sich die
Verteidigungsminister der ASEAN-Staaten bereits Anfang des Monats geweigert,
China als Aggressor zu bezeichnen, und die ASEAN-Verkehrsminister haben sogar
enthusiastisch ihre Bereitschaft verkündet, sich an Chinas Programm der Neuen
Seidenstraße - ›Ein Gürtel, eine Straße‹
- zu beteiligen.
Obama zum
Nachgeben gezwungen Tatsächlich
ist der US-Präsident gezwungen, zum Spiel der anderen gute Miene zu machen. Wie
aus gutinformierter Quelle verlautete, haben Berater Obama klargemacht, daß
sein ganzer Nachruhm zunichte gemacht würde, wenn der IS nicht besiegt wird
oder vielleicht sogar einen ähnlich verheerenden Anschlag in den Vereinigten
Staaten wie am 11. September 2001 verüben sollte. Der IS hat solche Anschläge
in Washington oder anderen amerikanischen Städten in einem Video angekündigt. So
mußte der US-Präsident ›Kreide
fressen‹. In einem Interview mit ›ABC News‹, das Obama noch vor den Pariser Anschlägen gegeben hatte und das
am 20. November gesendet wurde, hatte er noch angetönt, Rußland habe in Syrien
gar nicht interveniert, um den IS zu bekämpfen, ›sondern um al-Assad zu stützen‹,
und die USA hätte den IS erfolgreich ›eingedämmt‹. Ganz anders war der Tonfall dann in
der Erklärung des Weißen Hauses nach Obamas Treffen mit Putin am Rande des G-20-Gipfels
in Antalya. Darin begrüßte der US-Präsident »die Bemühungen aller Länder im
Vorgehen gegen den Islamischen Staat«, und es wurde ausdrücklich auf die
Bedeutung der militärischen Aktionen Rußlands in Syrien gegen den IS
hingewiesen. Obama mußte bestätigen, was zuvor bereits bei den Wiener
Syrien-Gesprächen vereinbart worden war, nämlich daß die USA ihre
Zusammenarbeit mit Rußland verstärken wird; dies gibt Außenminister Kerry in
seinen Verhandlungen mit Lawrow größeren Spielraum.
Beim
APEC-Gipfel in Manila machte Obama dann Andeutungen, die ›Aussicht auf eine militärische Koordinierung mit Rußland‹ bieten, wie ›Associated Press‹
berichtete. AP zitiert Obama: »Wenn wir ein besseres Verständnis mit Rußland
über den Prozeß erreichen, wie man dem syrischen Bürgerkrieg ein Ende setzen
kann, dann eröffnet dies offensichtlich mehr Gelegenheiten zur Koordination
bezüglich IS.« Obama fügte sogar hinzu, Rußland habe seit Wochen eine
hilfreiche Rolle bei den Wiener Gesprächen gespielt. Die neue Position, die der
US-Regierung aufgezwungen wurde, brachte am 15. November auch Michael Morell,
bis vor kurzem Vizechef der CIA, zum Ausdruck: »Ich denke, die Frage, ob
Präsident Assad gehen muß oder ob er hier Teil der Lösung sein wird, müssen wir uns noch einmal
anschauen. Offensichtlich ist er Teil des Problems, aber er könnte auch Teil der
Lösung sein.« Das beste Resultat erziele man möglicherweise durch eine
Vereinbarung, wonach Assad noch ein weiteres Jahr an der Macht bleibt und den
IS zusammen mit der syrischen Armee sowie mit Unterstützung der von der USA geführten
Koalition und Rußland bekämpft.
Aber
nicht nur Obama ist unter Druck, sondern auch die britische Regierung. In
London sagte der ehemalige Chef des britischen Verteidigungsstabs, Sir David
Richards, gegenüber BBC, Premierminister David Cameron müsse seine ›widersprüchlichen Kriegsziele‹ fallenlassen. Man müsse den
erzwungenen Regimewechsel zugunsten des Kampfes gegen den IS aufgeben. »Jeder
General wird Ihnen erklären, daß man in einem Krieg eine gemeinsame Absicht und
eine klare Zielsetzung haben muß.« Außerdem müsse Cameron akzeptieren, daß die
syrische Armee, der Iran und die Hisbollah realistisch betrachtet die einzigen
kompetenten Bodentruppen darstellten, um den IS zu bekämpfen. Man müsse Syrien
das Schicksal des Iraks ersparen. »Rußland spielt in dieser Hinsicht, ob wir es
mögen oder nicht, eine führende Rolle. Neben den traurigen Ereignissen in
Frankreich, könnte man sagen, hat die russische Intervention [in Syrien] diesen
Sinneswandel hervorgebracht. Wir müssen uns damit abfinden, daß sie [die
Russen] dort sind.«
Die
Terroristen ›finanziell aushungern‹ Ein
weiterer Aspekt, der durch die internationale Debatte nach den Pariser
Anschlägen eine neue Wendung bekommen hat, ist die Frage der Finanzierung des
internationalen Terrors. Beim G-20-Gipfel in Antalya forderten sowohl Präsident
Putin als auch Indiens Premierminister Narendra Modi Maßnahmen gegen die
Finanzierung des Terrorismus. In einem Treffen der Staats- und Regierungschefs
der BRICS-Staaten vor dem G-20-Gipfel forderte Modi eine »umfassende Strategie,
um die Finanzierungs-, Nachschub- und Kommunikationskanäle der Terroristen«
abzuschneiden. Der IS müsse finanziell ›ausgehungert‹ werden, betonte Modi. Putin äußerte
sich in seiner Pressekonferenz sehr deutlich: »Ich habe Beispiele unserer Daten
über die Finanzierung von Einheiten des Islamischen Staats durch natürliche
Personen in verschiedenen Ländern vorgelegt.
Die Finanzierung kommt, wie wir festgestellt haben, aus 40 Ländern; unter diesen
befinden sich auch einige Mitglieder der G-20.« Er habe seinen Kollegen
Satellitenfotos zur Verfügung gestellt, »die den illegalen Handel [des IS] mit
Öl und Ölprodukten deutlich zeigen: Fahrzeugkolonnen, die sich über Dutzende
von Kilometern erstrecken, bis über den Horizont hinaus, wenn man sie aus einer
Höhe von 4-5000 Metern betrachtet.« Auch der Vorsitzende der britischen
Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte Maßnahmen gegen Länder, die den
Islamischen Staat unterstützen. In einer Fragestunde des Parlaments fragte er Cameron:
»Ein sicherlich entscheidender Weg, den IS zu schlagen, besteht darin, ihm die
Finanzierung abzuschneiden, seinen Nachschub an Waffen und seinen Handel. Kann
ich den Premierminister dazu drängen, sicherzustellen, daß unsere Verbündeten
in der Region - tatsächlich alle Länder
in der Region - alles tun, was sie tun
können, um gegen Individuen und Institutionen in ihren Ländern vorzugehen, die
dem IS eine wichtige Infrastruktur bieten? Werden wir über die Europäische
Union und andere Foren wenn nötig auch Sanktionen gegen Banken und Unternehmen,
und, wenn nötig, auch gegen Länder in Betracht ziehen, die ihre Augen vor denen
verschließen, die Geschäfte mit dem IS betreiben und ihn in seinem Werk
unterstützen?« Schon unmittelbar nach den Pariser Anschlägen hatte Corbyn eine
Erklärung abgegeben, worin er namentlich Saudi-Arabien als ein Land nannte, das
an der Unterstützung des IS beteiligt sei: »Saudi-Arabien hat, vielleicht nicht
auf Regierungsebene, aber sicher auf der Ebene der Unterstützer, dem IS
Unterstützung gewährt.« In seiner Antwort auf Corbyns Frage mußte Cameron
diesem zustimmen, auch wenn er versuchte, dem Thema auszuweichen und statt
dessen um Unterstützung für Militäraktionen in Syrien zu werben: »Wir können
der Frage, wie wir den IS im Irak und in Syrien zurückdrängen und zerstören,
nicht für allezeit aus dem Weg gehen….. Ja: Gehen wir gegen das Geld vor, gehen
wir gegen die Banken vor, schneiden wir ihren Nachschub ab. Aber das darf kein
Ersatz für die Aktionen sein, die notwendig sind, um diese Leute dort zu
treffen, wo sie sind«, so Cameron.
Das
Thema Terrorismusfinanzierung ist auch für Präsident Obama ein heikles Thema,
denn damit kommen die berühmt-berüchtigten 28 Seiten aus dem
Untersuchungsbericht des US-Kongresses über die Anschläge des 11. September
2001, die sich mit der Finanzierung der Anschläge insbesondere durch
Saudi-Arabien befassen, erneut auf die Tagesordnung. Wie wir wiederholt
berichteten, hat Präsident George W. Bush diese 28 Seiten unter Geheimhaltung
gestellt, und Obama hat dies in seinen sieben Amtsjahren nicht
geändert, obwohl er den Angehörigen der Opfer der Anschläge im
Präsidentschaftswahlkampf 2008 versprochen hatte, diese 28 Seiten freizugeben.
Würden diese veröffentlicht, käme die Verwicklung der saudischen Regierung in
den 11. September ans Tageslicht, und damit natürlich auch die Tatsache, daß
die US-Regierung das seit 14 Jahren systematisch vertuscht hat. Angesichts
dieser neuerlichen Debatte stellt sich nun die Frage, wie lange sie an dieser
Politik noch festhalten kann. Obama hat nicht mehr die Macht, der Welt seine
Politik aufzuzwingen. Das ist eine einzigartige Gelegenheit, eine grundlegende
politische Wende in der transatlantischen Welt durchzusetzen, die schon längst
überfällig ist, und den Weg für eine Zusammenarbeit der Nationen für die
gemeinsamen Ziele der Menschheit freizumachen; nicht nur in Syrien, sondern
weltweit. [1]
Belgischer
Parlamentarier: Brüssel muß seine Beziehungen zu Riad überdenken Nach
den Anschlägen von Paris werden endlich die Stimmen lauter, die ein Vorgehen
gegen die finanziellen und logistischen Unterstützer des IS fordern. Das
bezieht sich einerseits auf die illegalen Ölverkäufe des IS, von denen man
annimmt, daß sie pro Tag etwa 1 Mio. $ in die Kassen der Terroristen spült. In
diesem Zusammenhang ist der Sohn des türkischen Präsidenten, Bilal Erdogan, als
Mittelsmann für den IS ins Gerede gekommen. Andererseits ist bekannt, daß Saudi-
Arabien und auch Katar die Sache des IS mit Waffen, Geld und ideologischer
Unterstützung betreiben. Dirk Van der Maelen, derzeit Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses der Abgeordnetenkammer, hat in Gesprächen mit
Pressevertretern die belgische Regierung mehrmals dazu aufgefordert, ihre
diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien gründlich zu überprüfen. »Nach den
Angriffen in Paris werden mehr und mehr Fragen über die Finanzierung des Terrorismus
durch die Golfstaaten - wie
Saudi-Arabien - gestellt, schreibt die flämische
Tageszeitung ›De Standaard‹ und zitiert dann Van der Maelen: »Die
Tatsache, daß Belgien freundschaftliche Beziehungen zu Ländern unterhält, die
die weltweite Verbreitung des Wahhabismus, eine Sparte des radikalen Islams,
betreiben und finanzieren, ist unverantwortlich. Man kann keine glaubwürdige
Politik der ›Entradikalisierung‹ [von Jugendlichen] betreiben und
gleichzeitig Wirtschaftsverträge mit Regierungen abschließen, die
extremistische Gruppen unterstützen. Vor allem wissen wir seit langem, daß
Saudi-Arabien Menschen- und Arbeitsrechte verletzt. Es ist deshalb an der Zeit,
diese wirtschaftliche Beziehungen zu überdenken.«
Brüssel und
der Wahhabismus Hierzu
ist anzumerken, daß Saudi-Arabien seit 1967, nur wenige Schritte von der
Europäischen Kommission entfernt, im Herzen Brüssels das Islamische und
kulturelle Zentrum Belgiens, ein Zentrum zur Verbreitung des Wahhabismus,
leitet und finanziert. Zwar hat das Zentrum noch am 14. November mit einer
Pressemitteilung, in der die Angriffe in Paris, die ›im völligen Gegensatz zu islamischen und menschlichen Werten‹ stünden, als ›ein abscheuliches Verbrechen‹
entschieden verurteilt wurden, eindeutig Stellung bezogen. Dennoch deckte der
französischsprachige belgische Fernsehsender ›Rtbf‹ laut von
Wikileaks enthüllten diplomatischen Kommunikationen auf, daß der saudische
Botschafter 2012 in Brüssel berichtet hatte, er sei von Belgiens Außenminister
sowie von der Staatssicherheit, Belgiens zivilem Nachrichtendienst, darum
gebeten worden, Khalid Alibri, den Rektor einer Moschee, dessen extremistische
und radikale Predigten als potentiell gefährlich eingeschätzt wurden, nach
Saudi-Arabien zurückzuschicken. Da die belgischen Regierung in dieser Frage
hartnäckig blieb, wurde Alibri am 14. April 2012 schließlich tatsächlich nach
Riad zurückgesandt. »Darüber hinaus«, betont Felice Dassetto, Soziologe an der
Katholischen Universität Löwen, »hat die Islamische Weltliga das von den Saudis
seit 1960 entwickelte strategische Ziel, hegemonisches Zentrum der moslemischen
Welt zu werden.«
Daß
aus Belgien ein neues Londonistan geworden ist, ist auch der relativ einfachen
Zugänglichkeit von Waffen zu verdanken. Heute wird fast die Hälfte aller in den
Nahen Osten exportierten Schußwaffen und Munition in Belgien produziert, wie
die flämische Wochenzeitung ›Knack‹ am 13. Oktober unterstrich. Die
exportierten belgischen Waffen tauchen sehr oft in Syrien und Libyen auf, und
viele der Schußwaffen, die beim Überfall auf die Charlie Hebdo-Journalisten am
7. Januar zum Einsatz kamen, stammten aus dem berüchtigten belgischen Unternehmen
›Fabrique Nationale‹.
[2]
[1]
http://www.bueso.de/node/8328 23. 11. 15 [2] http://www.bueso.de/node/8337 27. 11. 15
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