Freie Bahn für den IS

Der von der USA geschaffene Islamische Staat hat sich offensichtlich zu einer irrreversiblen

Bedrohung entwickelt. »Davon, daß der Westen der Schwächung des Irans weiterhin oberste Priorität einräumt«, schreibt German Foreign Policy, profitieren salafistisch-jihadistische Milizen in Syrien bis heute.  [1]  Zugunsten des Kampfs gegen die Regierung Assad billigen die westlichen Mächte noch immer verschiedene Unterstützungsleistungen für den IS, die von Seiten ihrer engsten Verbündeten in Nah- und Mittelost erbracht werden. So kommentierte ein EU-Diplomat diesen März türkische Behauptungen, Ankara gehe inzwischen energisch gegen den IS vor, wie folgt: »Das ist nur Augenwischerei. Wir haben immer noch starke Beweise dafür, daß die türkischen Terrorismus-Bekämpfer bei unseren Bemühungen, den IS zu bekämpfen, nicht umfassend mit uns kooperieren.«  [2]  Vertreter der kurdischen Bevölkerung geben an, Fotobelege dafür zu besitzen, daß der IS in der Woche vom 22. 6. 15 seine Angriffe auf Kobane vom türkischen Territorium aus starten durfte.  [3]    

Das Spiel mit dem Terror      
Ungeachtet von Terroranschlägen wie diejenigen vom 26. Juni, so GFP ferner, unterstützen enge Verbündete des Westens im Nahen und Mittleren Osten bis heute jihadistische Terrormilizen. Ziel ist es, den Iran und seine schiitischen Kooperationspartner sowie die mit ihm verbündete Assad-Regierung zu schwächen. Zu diesem Zweck begünstigen Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien die tödlichsten Feinde des schiitischen Islams, die sunnitischen Jihadisten. Von türkischer und saudischer Hilfe profitieren nicht zuletzt al-Qaida sowie der IS. Ohnehin wurde die Gründung des IS von den westlichen Staaten ausdrücklich gebilligt, da dieser lange als nützliches Instrument im Kampf gegen Assad galt. Die Türkei und Saudi-Arabien fördern zudem gemeinsam ein Bündnis einer Reihe salafistisch-jihadistischer Milizen, in dem der al-Qaida-Ableger al-Nusra eine führende Rolle spielt. Obwohl die Bundesregierung in Berlin nun zu einem verschärften Kampf gegen den jihadistischen Terror auf ruft, kooperiert sie weiterhin anstandslos mit der Türkei und Saudi-Arabien und beliefert sie mit Waffen. Maßnahmen gegen Ankara oder Riad wegen Terrorförderung sind im gemeinsamen Machtkampf gegen Teheran nicht geplant. Bei den drei am 26. 6. erfolgten Terroranschlägen sind mehr als 60 Menschen ums Leben gekommen. 38 Personen wurden im tunesischen Sousse erschossen; dort griffen die Täter ein Strandhotel an - offenkundig davon ausgehend, Bürger westlicher Staaten zu treffen. In Kuwait starben 28 Menschen bei einem Suizidanschlag auf eine schiitische Moschee. Zu den beiden Anschlägen hat sich mittlerweile der Islamische Staat bekannt. Ebenfalls am 26. 6. köpfte ein Jihadist im französischen Saint-Quentin-Fallavier einen Mann und versuchte anschließend, auf dem Gelände eines Gaswerks eine gigantische Explosion auszulösen; letzteres konnte mit Glück verhindert werden.  

Gegen die schiitische Expansion‹  
Aus einem internen Dokument des US-Militärgeheimdiensts DIA [Defense Intelligence Agency] vom August 2012, das Ende Mai bekannt wurde, geht hervor, daß sich Washington zumindest 2012 durchaus darüber im klaren war, daß Salafisten, die Muslimbruderschaft und al-Qaida im Irak die Hauptkräfte waren, die den Aufstand in Syrien antrieben.  [4]  Der Aufstand, mutmaßte die DIA 8 Monate vor der tatsächlichen Gründung des IS im Osten des Landes, würde möglicherweise darauf hinauslaufen, daß im östlichen Syrien ein salafistisches Fürstentum entsteht. Die Errichtung eines solchen sei genau das, was die Mächte, die die Opposition unterstützen, wollen, urteilten die DIA-Autoren; es werde helfen, das syrische Regime zu isolieren und den Einfluß des Irans, die schiitische Expansion, zurückzudrängen. Der Ursprung derlei westlicher Sympathien für Salafisten und Jihadisten in Syrien und der Anlaß für die anfängliche Billigung des IS liegen demnach im gemeinsamen Bestreben, Assad zu stürzen und auf diese Weise vor allem Teheran, mit dem Damaskus bis heute kooperiert, zu schwächen. Indessen wurde der brutale Terror des IS von seinem Aufbau an  - er begann im April 2013 im ostsyrischen Raqqa -  bis zum Juni 2014 auch in der BRD weithin ignoriert.      

Waffen für al-Qaida   
Unterstützung von den engsten Verbündeten Deutschlands in der Region erhält weiterhin auch der syrische al-Qaida-Ableger, die al-Nusra-Front. Ende März, unmittelbar nach der Einnahme der nordsyrischen Stadt Idlib durch ein von al-Nusra geführtes salafistisch-jihadistisches Bündnis, kritisierten Kämpfer nicht-salafistischer Milizen, die Türkei hätte Waffenlieferungen, auf die sie ihrerseits gehofft hatten, an die al-Nusra umgeleitet. Zum selben Zeitpunkt schilderten syrische Militärs, al-Nusra sei bei der Eroberung Idlibs sowohl von der Türkei als auch von Jordanien unterstützt worden, zum Beispiel mit modernster Kommunikationsausrüstung aus der Türkei. Ankara hat das nicht dementiert. Im Mai wurde dann bekannt, daß das Bündnis, das seinen Sitz in Idlib genommen hat und gegenwärtig unter dem Namen Jaish al-Fatah [Armee der Eroberung] operiert, logistische und geheimdienstliche Unterstützung aus der Türkei erhält. Geld und Waffen liefert insbesondere Saudi-Arabien, das die Transporte über verschiedene Ortschaften an der türkisch-syrischen Grenze abwickeln kann; in der britischen Presse wurden kürzlich etwa die Grenzorte Güveççi, Hac?pa?a und Be?aslan genannt. Im syrischen Grenzgebiet zu Israel kämpft der al-Qaida-Ableger unter anderem gegen die libanesische Hizbollah, die von Tel Aviv als einer seiner Hauptfeinde betrachtet wird. Zu den Konsequenzen einer auch nur punktuellen Kooperation mit Organisationen wie dem IS oder al-Qaida hat kürzlich der türkische Publizist Burak Bekdil mit einer auf die Türkei gemünzten Feststellung  - die sich jedoch problemlos verallgemeinern läßt- folgendes geäußert: »Wenn man mit Jihadisten dealt, kann man eines Tages ihr Opfer werden.«  [5] 

Experten stufen Saudi-Arabien als denjenigen Staat ein, der den IS am stärksten gefördert hat; Katar und Saudi-Arabien unterstützen nicht selten rivalisierende islamistische Fraktionen. Dessen ungeachtet setzt auch Washington seine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien ungebrochen fort. Wie bereits vermerkt, ist die Golfdiktatur einer der wichtigsten Kooperationspartner Berlins im Syrienkrieg; auf die Beendigung der saudischen Hilfen für den IS hat Berlin, wie dies in einem Bericht vom 16. 6. 14 festgehalten ist, nie bestanden. Neben Saudi-Arabien hatte vor allem Frankreich gegenüber Washington auf eine stärkere Bewaffnung der Oppositionsarmee in Syrien gedrungen. Die wohl verhängnisvollste und folgenschwerste Aussage, die Markus Bickel  [6] anführt, dürfte die sein, »daß Riad eine Lösung des Syrienkonflikts ohne den Sturz Baschar al-Assads nicht für möglich hält.« Mit dem Vormarsch des IS, schrieb GFP im Juni letzten Jahres, erschüttert einmal mehr ein Produkt des auch von Berlin energisch angefeuerten Syrienkriegs den Mittleren Osten. Der IS verdankt seine aktuelle Stärke einer Radikalisierung des Aufstands gegen Assad, vor der Beobachter schon frühzeitig gewarnt hatten, ohne bei der Bundesregierung, die die Aufständischen weiter bestärkte, auf Gehör zu stoßen.  [7]  Insbesondere aber wird Doha in den Krieg gegen den IS und damit in die geplante Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens gemäß westlichen Interessen einbezogen - gemeinsam mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die arabischen Golfdiktaturen bleiben damit auch in Zukunft eine zentrale Säule der westlichen Nah- und Mittelostpolitik.   

Rußland und der Iran versuchen, das Pulverfaß Südwestasien zu entschärfen 
Die gesamte Nahostregion, so ein Bericht von Strategic Alert, droht in einem beispiellosen Ausmaß zu explodieren: Schuld daran ist unter anderem der saudisch-türkische Plan für eine von der Türkei und Jordanien ausgehende massive Invasion islamistischer Terroristen in Syrien, wo sie von US- und britischen Spezialkräften ausgebildet werden; ferner die jüngsten militärischen Erfolge des IS in Palmyra und im irakischen Ramadi. Die Iraner, die sich und ihre Verbündeten bislang im Zaum hielten, verlieren langsam die Geduld, weil sie sich als nächstes Opfer sehen. Die Saudis machen keinen Hehl daraus, daß sie im Iran ihr eigentliches Ziel sehen, bedenken aber die Konsequenzen keineswegs ausreichend, und ihre Flucht nach vorn alarmiert immer mehr maßgebliche politische und militärische Kreise, sogar in der USA, in England und in der EU, ganz zu schweigen von Rußland. Offenbar mischen sich die Iraner nun energisch und offen auf den Schlachtfeldern ein, jedenfalls im Irak und in Syrien, vielleicht auch im Libanon. Ali Akbar Welajati, der außenpolitische Berater des iranischen Staatsführers, besuchte kürzlich Präsident Assad in Syrien und versprach im Kampf gegen die Takfiri-Terroristen weitere iranische Unterstützung, wie Wirtschaftshilfe und indirekt auch Militärhilfe. Aus Syrien wird berichtet, daß die nationale Armee zwar nicht vor dem Zusammenbruch steht, aber nach 4 Jahren intensiver Kämpfe personell und materiell ausgedünnt ist. Junge Männer entziehen sich der Einberufung, und der psychologische Krieg mit den Fortschritten von IS- und al-Nusra-Terroristen untergräbt die Moral der Bevölkerung in den von der Regierung kontrollierten Landesteilen. Im Libanon, wo Welajati den Hisbollah-Anführer und den Ministerpräsidenten traf, sagte er sogar, der Iran sei bereit, der irakischen Regierung dabei zu helfen, Ramadi vom IS zurückzuerobern. Der iranische  Verteidigungsminister Ali Dahghan war am selben Tag in Bagdad und traf Ministerpräsident Haidar al-Abbadi, der am nächsten Tag nach Moskau flog. Es gibt Berichte, wonach der Iran vorgeschlagen haben soll, daß der Irak Waffen und andere Unterstützung von Rußland anstatt von der USA erhalten soll. Allgemein hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Strategie der USA und ihrer Verbündeten, ihre Luftschläge nicht mit den Bodentruppen zu koordinieren, im Kampf gegen den Terrorismus sinnlos ist. Noch alarmierender ist, daß die Regierung Obama und andere politische und militärische Kreise in Washington vorschlagen, anstelle der irakischen Armee sunnitische Stämme im Westirak zu bewaffnen. Das droht das Land noch mehr zu spalten. Die offensichtliche Wahrheit, von der niemand spricht, ist jedoch, daß die Lage im Irak unmöglich getrennt von der in Syrien behandelt werden kann. So ist die Strategie, islamische Terroristen im Irak zu bekämpfen, ihnen aber gleichzeitig in Syrien zu helfen, indem man die syrische Armee schwächt, mehr als absurd. Hinzu kommt, daß die eigenen Verbündeten der USA und der NATO  - Saudi-Arabien, Katar und die Türkei -  für die Finanzierung, Bewaffnung, Logistik und Ideologie der terroristischen Gefahr verantwortlich sind. Was die Region braucht, ist eine grundlegend neue Strategie und eine Kräftekombination, die die nationalen Streitkräfte des Iraks und Syriens einschließt, dies mit militärischer, logistischer und nachrichtendienstlicher Hilfe aus dem Iran, der USA und Rußland. Gleichzeitig muß eine Militäroffensive aus Syrien und dem Irak den IS und die übrigen Terrorgruppen, die vom Grenzgebiet aus operieren, in die Zange nehmen. Sonst könnte sich der Iran gezwungen sehen, auf eigene Faust einzugreifen.  [8] 

Den Kampf gegen saudisch-gestützte Dschihadisten und den IS hat der Iran inzwischen intensiviert. Am 4. 6. hatten saudische Medien die Meldung, der Iran habe 10.000 Kämpfer der Revolutionsgarden und irakische Schiitenmilizen entsandt, um Damaskus und Latakia gegen eine Offensive saudisch-türkisch-unterstützter Dschihadisten zu verteidigen, groß herausgebracht. »Kasem Soleimani, der Kommandeur der Quds-Brigaden, die Eliteeinheit der Revolutionsgarden, habe eine große Überraschung des Irans in Syrien angekündigt, hieß es.« Diese unbestätigten Meldungen, so Strategic Alert, könnten Provokationen sein, um Reaktionen gegen den Iran, die syrische Regierung und die irakischen Schiiten auszulösen; andererseits entsprechen sie der Tatsache, daß der Iran zunehmend die Geduld verliert, weil der Westen nicht ernsthaft gegen die Extremisten vorgeht. Gleichzeitig begann die mit dem Iran verbündete libanesische Hisbollah eine größere Offensive gegen die Stadt Irsal, die auf der libanesischen Seite der Grenze zu Syrien liegt und als logistische Basis für Angriffe von Terrorgruppen wie die al-Nusra und der IS gegen die syrische Armee dient. Dies verstärkt die konfessionellen Spannungen im Libanon, da Irsal eine sunnitische Stadt ist und von pro-saudischen Kräften  - wie die Familie al-Hariri und deren  politischem Arm, die Mustakbal-Partei -  verteidigt wird. 

Jüngste Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow und von Ali Welajati lassen darauf schließen, daß der Iran und Rußland entschlossen sind, der syrischen und irakischen Regierung gegen den IS und andere militante und terroristische Gruppen beizustehen. Sie werfen dem Westen und Saudi-Arabien offen vor, diese Gruppen zu unterstützen und streben eine neue internationale Koalition gegen den IS und den islamistischen Terrorismus an: Diese soll gänzlich andere Grundlagen haben als das Pseudo-Antiterrorbündnis von USA, Briten, Franzosen und Saudis, das den islamistischen Terror in Syrien, im Irak und anderswo nur verlängert und vergrößert hat. Letztere Koalition hatte Anfang Juni eine Konferenz in Paris veranstaltet, um über die Strategie gegen den IS zu diskutieren, hatte jedoch weder den Iran noch Rußland dazu eingeladen. Lawrow beharrte in einem Interview mit Bloomberg darauf, daß Rußland den Kampf gegen die Extremisten »auf einer kollektiven Grundlage, der Grundlage des Völkerrechts, durch den UNO-Sicherheitsrat« zu führen gedenkt. Dagegen verkündete die USA eine eigene Koalition zu ihren Bedingungen an, was sogar Luftangriffe in Syrien ohne Genehmigung der syrischen Regierung oder des Sicherheitsrats einschließt. 

Wenigstens gibt es unterdessen eine Zusammenarbeit zwischen Rußland, dem Iran und dem US-Außenministerium zur Entspannung der Lage im Jemen. Ein nationaler Dialog soll die mörderische, aber gescheiterte saudische Aggression gegen die jemenitische Bevölkerung beenden. Eine engere Zusammenarbeit zwischen der USA und Rußland wäre der Schlüssel dazu, dem Albtraum in ganz Südwestasien ein Ende zu bereiten.  [9]  

Während das Erstarken des IS klar auf die Interventionen des Westens in Nah- und Mittelost, die mit der Zerstörung des Iraks und dem Anfeuern des syrischen Bürgerkriegs begannen,   zurückzuführen ist, sind türkische Expansionskonzepte die Ursache dafür, daß zwar irakisch-kurdische Milizen unterstützt werden, auch von der Bundeswehr, nicht jedoch syrisch-kurdische Kämpfer gegen den IS. Die Konzepte, die im Westen auf Sympathie stoßen, spielen mit dem  Gedanken, einen Staat Kurdistan aus dem Irak herauszubrechen und ihn eng an die Türkei zu binden  - oder ihn sogar an diese anzuschließen -  mit dem Hintergedanken, auf diese Weise pro-iranische Kräfte zu schwächen und sunnitische Kräfte gegen den Iran in Stellung zu bringen. Und während die irakisch-kurdischen Streitkräfte, die mit Ankara kooperieren, für den Kampf gegen den IS aufgerüstet und trainiert werden, unterbleibt eine vergleichbare Unterstützung für den syrisch-kurdischen Abwehrkampf. Ursache sind strategische Großplanungen der Türkei, die im Westen auf Interesse stoßen und Ankara dazu veranlassen, den syrischen Kurden jede Hilfe zu versagen. Den Hintergrund der türkischen Großplanungen hat Günter Seufert, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP, im April 2013 in einer Reihe von Analysen offengelegt. Demnach befindet sich der Angelpunkt der Beziehungen zwischen Ankara und den kurdischsprachigen Kräften der gesamten Region in Erbil. Die dortige von Masud Barzani geführte Autonomieregierung kooperiert seit Jahren recht eng mit der Türkei, dies auf der Basis des für beide Seiten höchst profitablen Tauschs irakisch-kurdischer Energieträger gegen türkische Industrieprodukte. Nachdem der Zerfall Syriens auch dessen kurdischsprachige Gebiete faktisch freigesetzt hat, hat Ankara weit ausgreifende Expansionskonzepte entwickelt. Anfang 2013 äußerte etwa der damalige Außenminister und heutige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, es sei »an der Zeit«, die 1916 im Nahen Osten geschaffenen »künstlichen Grenzen zu überdenken«. Ihm nahestehende Kreise sprächen ausdrücklich »von der Möglichkeit, daß die kurdischen Gebiete des Iraks und Syriens in fünf bis zehn Jahren Teil einer politisch vollkommen neu strukturierten föderalen Türkei sein könnten«, so die SWP. Von derlei Überlegungen ist Ankaras Syrien-Politik nicht mehr zu trennen. In diesem Zusammenhang sind strategisch motivierte Plädoyers im Westen, die Neuziehung staatlicher Grenzen in der gesamten Region ernsthaft zu diskutieren, von Bedeutung. Eine  komplette ›Neuordnung‹ heißt es, biete die Chance, den Iran zu schwächen, denn die Zerschlagung Syriens und des Iraks gehe zu Lasten der dortigen pro-iranischen Regierungen und ermögliche es, etwa durch das Herausbrechen eines Staates Kurdistan ein sunnitisch-säkulares Gegengewicht gegen das schiitische Teheran zu schaffen. Pläne dieser Art wurden zuletzt in Washington öffentlich erwogen. Dabei gingen sie in vielerlei Hinsicht durchaus mit den türkischen Expansionskonzepten konform.  [10]  

Die undurchsichtige Rolle der Türkei bei der Unterstützung des IS ist schon lange Gegenstand von Spekulationen, aber auch von systematischen Untersuchungen. So war beispielsweise das Genfer Forschungsprojekt Small Arms Survey im April 2014 zu dem Schluß gelangt, daß sich alle kämpfenden Gruppen in Syrien, insbesondere der ISIS, auf feste Netzwerke stützen können, die die Einreise auswärtiger Kämpfer aus der Türkei nach Syrien organisierten. Syrisch-kurdische Kämpfer beklagen schon lange, daß der IS auf türkischem Territorium Zuflucht findet und Waffen von dort erhält und Diplomaten räumen einem Bericht zufolge eine türkische Unterstützung für den IS zumindest für die Vergangenheit offen ein.  [11]  Darüber hinaus war Ende September letzten Jahres bekannt geworden, daß der IS Erdöl aus irakischen oder syrischen Quellen in die Türkei liefert und den Erlös zur Finanzierung seines Eroberungsfeldzuges nutzen kann.    

Doppeltes Spiel schadet dem Kampf gegen den ISIS-Terrorismus 
Das Übergreifen der Terroranschläge im Irak und in Syrien auf Kuwait, Tunesien und sogar auf Frankreich, schreibt Strategic Alert, ist ein Anzeichen einer außer Kontrolle geratenen Lage. Der Grund dafür, daß im Kampf gegen den Islamischen Staat kein Sieg in Sicht ist, liegt kurz gesagt darin, daß einige Mächte und speziell Verbündete der USA, Großbritanniens und Frankreichs in den Terroristen nützliche Werkzeuge in der Regimewechsel-Strategie sehen, die sich seit der Irak-Invasion 2003 gegen viele Länder richtet. Dieses Frankensteinmonster läßt sich nur unschädlich machen, wenn man das Doppelspiel und die Doppelmoral beendet und ein neues Bündnis, das auch derzeit rivalisierende Mächte einschließt, schafft. Daß das bisher nicht gelungen ist, beweist die  Lage in Syrien und im Irak, wo sich, genau wie wir gewarnt haben, der Kampf jeder gegen jeden ausweitet, was einen großen regionalen Krieg auslösen kann. In Syrien unternahmen von Amerikanern, Briten und Franzosen ausgebildete und bewaffnete Gruppen einen Großangriff auf die syrische Armee in der Provinz Daraa jenseits der jordanischen Grenze und besetzten Ende Juni einen wichtigen Luftstützpunkt, doch interne Streitigkeiten und Kämpfe verhinderten, daß die Einnahme von Daraa gelang. Besonders peinlich war, daß diese vom Westen gestützten Gruppen gemeinsam mit der al-Qaida-Gruppe al-Nusra kämpften, die ihren Anteil an den Waffen und Geländegewinnen forderte. Berichten zufolge zwang dies die Kommandozentrale in Jordanien, davon abzusehen, die Operation bis zum Ende weiterzuverfolgen, so daß Daraa, wo die syrische Armee und Milizen heftigen Widerstand leisten, nicht erobert werden konnte. Einige Fraktionen der vom Westen gestützten moderaten Rebellen bestehen darauf, al-Nusra einzubeziehen, nachdem sie gemeinsam mit der Gruppe schon Idlib im Norden sowie andere Städte nordöstlich von Aleppo eingenommen haben. Auch in der Provinz Kunaitra, die an Daraa und die israelisch besetzten Golanhöhen angrenzt, belegt ein Skandal die schmutzigen Hintergründe: Drusen-Kämpfer im Golan entdeckten, daß zwei israelische Krankenwagen verwundete syrische Rebellen transportieren. Wie es heißt, werden verwundete al-Nusra-Kämpfer seit Monaten in israelischen Krankenhäusern behandelt. Eine weitere Komplikation ist der Faktor Iran. Wenn der Iran offiziell Truppen für den Kampf gegen die Dschihadisten nach Syrien und in den Irak entsendet, ist die Reaktion Israels und Saudi-Arabiens nicht vorhersehbar.  [12]  

d.a.  Der Islamische Staat, den uns die USA gewissermassen zum Dauergeschenk gemacht hat, wütet weiter und hat bei seiner Anschlagsserie vom 1. Juli auf der Halbinsel Sina 64 ägyptische Soldaten getötet; selbstredend wurde der Angriff von der USA eilends verurteilt, indem Ned Price, der Sprecher des Weissen Hauses, versicherte, die Vereinigten Staaten stünden durch ihre Sicherheitspartnerschaft mit Kairo weiterhin entschlossen an der Seite Ägyptens. Allerdings ging Price nicht so weit, hinzufügen, dass dieser Pakt durch die anhaltende Stützung des IS problemlos ein weiteres Mal durchlöchert werden kann.....  

 

Von den zahlreichen Artikel, die sich mit dem IS befassen, sind zumindest folgende wesentlich: Der ISIS oder die ewige Verdummung
Der Krieg, der nicht zu sein bräuchte - Von Doris Auerbach
Der ISIS - Reine Strategie

[1]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59147  30. 6. 2015
Das Spiel mit dem Terror  

[2]  Burak Bekdil: Turkey's Double Game with ISIS. Middle East Quarterly, Summer 2015
[3]  Thomas Seibert: IS dringt wieder in syrisches Kobane ein. www.tagesspiegel.de 25. 6. 2015
[4]  Department of Defense: Information report, not finally evaluated intelligence. 14-L- 0552/DIA/287-293. Einsehbar auf www.judicialwatch.org

[5]  Burak Bekdil: Turkey's Double Game with ISIS. Middle East Quarterly, Summer 2015

[6]  Markus Bickel: Israel stärkt Al Qaida. blogs.faz.net/bagdadbriefing 19. 1. 2015 sowie

UN Tribune: UN Peacekeepers Observe IDF Interacting With Al Nusra in Golan http://untribune.com/  4. 12. 2014

[7]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58891   16. 6. 14  Vormarsch auf Bagdad

[8]  Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 23 vom 3. Juni 2015

[9]  Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 24 vom 10. Juni 2015

[10]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58968    9. 10. 14   Berliner Prioritäten

[11]  Amberin Zaman: Syrian Kurds continue to blame Turkey for backing ISIS militants

www.al-monitor.com
   10. 6. 2014

[12]  Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 27 vom 1. 7. 2015