Ukraine - Kein Einlenken

d.a. Letzten Berichten zufolge wird in der Gegend um Mariupol gekämpft, was die Brüchigkeit

des Minsker Abkommens unterstreicht. Dort wird sich wahrscheinlich entscheiden, ob der Waffenstillstand hält, oder ob der verheerende Krieg im Osten weitergeht. Der in Minsk vereinbarte Abzug schwerer Waffen, so die Journalisten Ralph Rudolf und Uwe Markus in der Jungen Welt, wurde von der ukrainischen Armee und dem an deren Seite operierenden, extrem rechten Freikorpsbataillon Asow nicht umgesetzt. Denn in Mariupol und Umgebung, vor allem in dem Ort Schirokine, sollte gelingen, was sich Anfang des Jahres bei Donezk und im Kessel von Debalzewe als unmöglich erwiesen hatte: die Erringung einer zumindest punktuellen militärischen Überlegenheit über die Verbände der international nicht anerkannten DVR, die von Kiew abtrünnigen Donezker und Lugansker Volksrepubliken (DVR bzw. LVR) im Osten des Landes. »Für Experten ist jedoch längst klar, dass die Region um Mariupol ein Gebiet ist, über das der ukrainische Staat und seine Streitkräfte immer weniger Kontrolle haben. Zugleich ist gerade deshalb die militärische Instabilität hier besonders hoch. Beide Konfliktparteien richten sich offenbar auf eine Intensivierung der Kampfhandlungen ein.«  [1]

In Berlin waren schon Anfang März Warnungen vor einem Totalkollaps der Ukraine und Forderungen nach einer Aufnahme des Landes in die EU, eventuell auch in die NATO, laut geworden. Wolle man verhindern, dass in der Nachbarschaft der EU auf Dauer ein schwacher oder zerfallender Staat mit allen ... Konsequenzen entstehe, dann komme man um eine EU-Integration der Ukraine mit allen finanziellen und politischen Folgen nicht herum, erklärte ein Osteuropa-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).  Mit der Durchführung eines solchen Schrittes kämen auf die EU-Mitgliedsländer weitere exorbitant hohe, die Verschuldung weiter steigernde finanzielle Lasten zu.  [2]  

Darüber hinaus eskaliert in der Ukraine der Konflikt zwischen der Kiewer Regierung und den faschistischen Milizen im Osten des Landes. Waren die Milizen und ihre Vorläufer auf dem Majdan noch nützlich, um zunächst Präsident Janukowitsch zu stürzen und danach die ostukrainischen Aufständischen zu bekämpfen, so drohen sie nun den geforderten Waffenstillstand endgültig zu brechen. Gegen den militanten Rechten Sektor hat die EU keine Massnahmen erlassen. Dessen Chef Dimitri Jarosch hatte bereits am 14./15. 2. angekündigt, dass die Minsker Vereinbarungen für seine Gruppe nicht gelten. Deshalb behalte man sich das Recht vor, nach eigenen Plänen weiter zu kämpfen.  [3]  

In diesem Zusammenhang sei nochmals kurz auf die Majdan-Proteste zurückgekommen: Während diesen, hält German Foreign Policy fest, hatten militante Aktivisten der extremen Rechten, insbesondere des Rechten Sektors, eine ganz entscheidende Rolle gespielt: Ohne sie wäre die Realisierung der Eskalationsstrategie, die letztlich zum Sturz von Präsident Janukowitsch führte, kaum möglich gewesen. Bekanntlich schlossen sich die gewalttätigen Faschisten vom Majdan nach Janukowitschs Sturz in die als Bataillone bezeichneten Milizen zusammen, um die Aufstände im Osten der Ukraine niederzukämpfen. In deutschen Medienberichten waren selbst Kämpfer des faschistischen Bataillons Asow als Freiheitskämpfer gegen den russischen Einfluss geehrt worden. Offensichtlich ist Kiew derzeit nicht in der Lage, den Bürgerkrieg im Osten militärisch zu gewinnen. Bei einer Weiterführung des Krieges, heisst es bei GFP, seien erneute Gebietsverluste keineswegs unwahrscheinlich. Die »faschistischen Milizen lassen keinen Zweifel daran, dass sie das zweite Minsker Abkommen samt dem Waffenstillstand dezidiert ablehnen: Die Übereinkunft sei Unsinn, äusserte der Gründer des Bataillons Donbass, Semen Sementschenko, am 3. Mai in Mariupol exemplarisch; ebenso positioniert sich das Bataillon des Rechten Sektors, das Berichten zufolge den Waffenstillstand bereits mehrmals gebrochen hat. Der fanatische Kampf gegen die Aufständischen hat für die Miliz Vorrang vor taktischer Zurückhaltung.« In der letzten Aprilwoche hatte die Regierung in Kiew veranlasst, dass Fallschirmjäger der regulären ukrainischen Streitkräfte den Hauptstützpunkt des Bataillons des Rechten Sektors umstellten, wobei sich beide eingegraben hatten und sich bewaffnet gegenüber lagen, so dass der Konflikt zu eskalieren droht.

Das Bataillon ist inzwischen in vielfacher Hinsicht fest verankert und übt einen starken Einfluss aus. Es gilt als schlagkräftig und ist daher militärisch unverzichtbar, denn eine Schwächung der Kiewer Truppen käme nicht gelegen. Zudem sind Anführer und Aktivisten des Rechten Sektors in einflussreiche Positionen von Polizei und Militär gelangt: Wadim Trojan, Kämpfer des Rechten Sektors auf dem Majdan, ist seit November 2014 Polizeichef der Oblast Kiew; Dmitro Jarosch, Führer der Organisation, ist kürzlich zum Berater des ukrainischen Generalstabschefs ernannt worden. Zugleich verfügt der Rechte Sektor über ein erhebliches Gewaltpotential. Am 29. April waren Aktivisten der Organisation vor dem Präsidialamt in Kiew aufmarschiert und hatten verlangt, dem Druck auf ihre Miliz ein Ende zu setzen; andernfalls werde man den Sitz des Staatsoberhaupts niederbrennen. Die Verantwortlichen seien  Verräter, sie müssten   erbarmungslos bestraft werden, forderte ein Führungsmitglied. Auch mit Blick auf die Stärke des Rechten Sektors ist die Situation als höchst angespannt beschrieben worden.

Wirtschaft
Es stellt sich ferner die Frage, wie ein totaler Zusammenbruch der ukrainischen Wirtschaft bei einem fortdauerndem Bürgerkrieg verhindert werden kann. Während der Westen auf eine Einhaltung des Waffenstillstands dringt, ergeht von deutsche Ökonomen der Vorschlag, den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft ohne die abtrünnigen Gebiete um Donezk und Luhansk in Angriff zu nehmen. »Ein Verzicht auf die beiden Regionen entlaste den Staatsetat, erklärt die Deutsche Beratergruppe Ukraine, die die Kiewer Regierung seit Jahren in Wirtschaftsfragen instruiert.« Eine Loslösung der beiden Regionen werde zwar die Grösse, aber nicht unbedingt die Stärke der ukrainischen Wirtschaft vermindern, heisst es in einem von der Beratergruppe kürzlich erstellten Papier. Zwar würde eine Abtrennung der ostukrainischen Metallindustrie Wirtschaftsleistung und Exporte deutlich senken, doch könne der Staatshaushalt infolge des Wegfalls von Sozialleistungen und Subventionen für den unrentablen Kohlebergbau auf umfangreiche Einsparungen hoffen. Zudem seien in der Ostukraine beträchtliche Bürgerkriegsschäden zu beklagen; verzichte Kiew auf Donezk und Luhansk, dann müsse es die Kosten für den teuren Wiederaufbau nicht tragen.  [4]    

Dessen ungeachtet hatte Victoria Nuland, die den Maidan-Putsch gesteuert hatte, die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine vor dem Aussenpolitischen Ausschuss des US-Kongresses in den ersten Märztagen in rosigen Farben gemalt und behauptet, das Parlament in Kiew habe »wichtige, aber schwierige Wirtschaftsreformen« beschlossen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, und habe deshalb mehr Hilfen vom IWF und anderen internationalen Geldgebern verdient. Indessen sind Überbrückungskredite des IWF stets an harte Bedingungen geknüpft, zu denen auch die Erhöhung der Energiepreise zählt; letztere waren Anfang Februar um annähernd 300 % gestiegen; der Monatsmindestlohn liegt inzwischen unter 40.- Euro.  [5]    

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des Landes vermerkte Strategic Alert diesen März, dass am 2. 3. 15 in Wien eine neue Agentur zur Modernisierung der Ukraine[AMU] vorgestellt worden  ist, die angesichts des heruntergekommenen Zustands der Wirtschaft die Finanz- und Wirtschaftspolitik neu strukturieren soll. Die 500 Millonen € schwere Initiative wird von den drei berüchtigten ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch, Rinat Achmetow und Viktor Pintschuk finanziert. Alle drei gehören zu den Oligarchen, die von der wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe des Landes in den letzten 20 Jahren am meisten profitiert haben. Den Vorsitz führt der frühere österreichische Finanzminister Michael Spindelegger; aus dem Westen beteiligen sich ferner drei frühere EU-Kommissare: Peter Mandelson, Günter Verheugen und Stefan Füle; des weiteren Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Ex-BRD-Verteidigungsminister Rupert Scholz, der frühere französische Aussenminister Bernard Kouchner, die frühere Chefin des französischen Arbeitgeberverbands Laurence Parisot sowie der frühere polnische Ministerpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz. Die Initiative diskreditiert sich schon deshalb selbst, weil zu den Gründern der Agentur der französische Intellektuelle Bernard Henri-Levy gehört, einer der wichtigsten Förderer des Maidan-Putsches im letzten Jahr war.  [6]

Um den vollständigen ökonomischen Kollaps zu verhindern, hatte der US-Milliardär George Soros zusätzlich zu den jüngsten Finanzhilfen des Westens - sie belaufen sich auf 40 Milliarden US-$ - ein erneutes Stützungsprogramm im Wert von 50 Milliarden $ gefordert. Soros' Begründung ist bezeichnend: Der wirtschaftliche Zusammenbruch der Ukraine wäre für Putin der maximale Erfolg; dies müsse verhindert werden.  [2]

Dabei räumen selbst Kommentatoren, die gemeinhin proukrainisch berichten, offen ein, dass der Grund für den Absturz der ukrainischen Wirtschaft zwar der Bürgerkrieg sei, aber nicht nur. Vor allem die Korruption und die Machenschaften der Oligarchen trügen Schuld daran. Gegen sie richteten sich bereits die Majdan-Proteste; dennoch sind sie seit dem Machtwechsel in Kiew nicht geringer geworden. Tatsächlich gehörte es zu den ersten Massnahmen des Kiewer Umsturzregimes, Oligarchen in zentrale Machtpositionen zu bringen, etwa Ihor Kolomojskij, der als Gouverneur von Dnipropetrowsk zunächst mit der Niederschlagung von Protesten gegen das Umsturzregime betraut wurde und heute als Finanzier teilweise faschistischer Milizen eine entscheidende Rolle im ostukrainischen Bürgerkrieg spielt. Zu den in Amt und Würden gekommenen Oligarchen gehört selbstverständlich Poroschenko, der sein Wirtschaftsimperium nach seiner Wahl keineswegs veräussert hat, wie er dies angekündigt hatte, und so bis heute nicht nur den Süsswarenkonzern Roshen, sondern auch den Fernsehsender Kanal 5 kontrolliert. Ganz wie vor dem Umsturz könnten Fachleute unter den Abgeordneten des Parlaments in Kiew eine Poroschenko- von einer Kolomojskij-, einer Firtasch- und einer Achmetow-Gruppe recht klar unterscheiden, berichtete kürzlich ein ukrainischer Experte. Es gebe grossen Unmut in der Bevölkerung; allerdings seien die meisten nicht so resolut wie die Einwohner des Donbass, die eine Nationalisierung der Industriebetriebe fordern, weil die Milliardäre sie verarmen liessen.  [2]   

Wie den Deutschen Wirtschafts Nachrichten vom 6. Mai zu entnehmen war, hat sich der Rubel im Osten der Ukraine inzwischen weitgehend als Zahlungsmittel durchgesetzt. Ausschlaggebend hierbei ist, dass sich die Rebellen durchgehend mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und weiteren Materialien eindecken müssen und dafür den Rubel als Währung benutzen. Der ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz hat diese herausgehobene Stellung des Rubels im Osten der Ukraine bestätigt. Die Verdrängung der ukrainischen Hrywnja durch den Rubel führt auch dazu, dass der Einfluss der Regierung in Kiew in den Rebellen-Gebieten schwindet. »Die zunehmende Nutzung des Rubels ist ein weiteres Zeichen für Russlands de facto-Souveränität in den Rebellen-Gebieten«, sagt Cliff Kupchan, Vorsitzender der Eurasia Group in New York. Die Ukraine ist das einzige Land der Welt, in dem der Rubel 2014 trotz eines Wertverlusts gegenüber dem Dollar in Höhe von 46 % nicht an Attraktivität verlor; die Hrywnja verlor im selben Zeitraum gegenüber dem $ 48 % an Wert. Auch in Abchasien, Süd-Ossetien und Moldawien wird der Rubel bereits als Zahlungsmittel eingesetzt.  [7] 

Warnungen vor einem Krieg 
Am 9. Januar hatte Michail Gorbatschow mit Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine vor einem Krieg in Europa gewarnt. »Ein solcher Krieg würde heute wohl unweigerlich in einen Atomkrieg münden. Wenn angesichts dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven verliert, werden wir die nächsten Jahre nicht überleben«, erklärte er.  »Ich sage so etwas nicht leichtfertig. Ich mache mir wirklich allergrösste Sorgen.« Bezüglich des, wie er sagte, katastrophalen Vertrauensverlustes zwischen Russland und dem Westen sprach er die Forderung aus, die beiderseitigen Beziehungen zu enteisen. Gorbatschow wandte sich gegen Versuche, Russland zu isolieren, ebenso gegen die westlichen Wirtschaftssanktionen: »Es war auch falsch, Russland aus der G-8 auszuschliessen. Das erinnert an Blutrache und führt ins Nichts.«  Darüber hinaus  kritisierte er die deutsche Ukraine-Politik mit scharfen Worten. »Das neue Deutschland will sich überall einmischen. In Deutschland möchten anscheinend viele bei der neuen Teilung Europas mitmachen«, sagte er.  Als extrem dumm und höchst gefährlich bezeichnete er Gedankenspiele im Westen, Putin zu stürzen. Der USA und der NATO warf er vor, die europäische Sichererheitsstruktur durch die Erweiterung des westlichen Verteidigungsbündnisses zerstört zu haben: »Kein Kremlchef kann so etwas ignorieren«, sagte er. Die USA hätte leider angefangen, ein Mega-Imperium zu errichten.  [8]

Am 5. Mai haben rund 100 Generäle der vor 25 Jahren aufgelösten Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR vor einem Krieg mit Russland gewarnt und sich mit einem Friedensappell an die Öffentlichkeit gewendet. Anlass hierzu bilden die eierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus. Zu den Unterzeichnern gehören zwei ehemalige  Verteidigungsminister, drei Generaloberste, 19 Generalleutnant sowie 61 Generalmajore und Admiräle. Der Berliner Umschau zufolge heisst es in dem Antikriegsappell u.a.: »Als Militärs, die in der DDR in verantwortungsvollen Funktionen tätig waren, wenden wir uns in großer Sorge um die Erhaltung des Friedens und den Fortbestand der Zivilisation in Europa an die deutsche Öffentlichkeit. Wir erinnern daran: Die Nationale Volksarmee war keinen einzigen Tag an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt, und sie hat bei den Ereignissen 1989/90 maßgeblich dafür gesorgt, daß keine Waffen zum Einsatz kamen. Frieden war immer die wichtigste Maxime unseres Handelns. Deshalb sind wir entschieden dagegen, daß der militärische Faktor erneut zum bestimmenden Instrument der Politik wird. Die von Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und dem früheren DDR-Verteidigungsminister Admiral a.D. Theodor Hoffmann angeführten Militärs kritisieren die gegen Rußland gerichtete Politik des Westens: Die Strategie der USA ziele darauf ab, Rußland als Konkurrenten auszuschalten und die EU zu schwächen: Mit dem Versuch, die Ukraine in die EU und in die NATO aufzunehmen, sollte der Cordon sanitaire von den baltischen Staaten bis zum Schwarzen Meer geschlossen werden, um Rußland vom restlichen Europa zu isolieren. Nach amerikanischem Kalkül wäre dann auch eine deutsch-russische Verbindung erschwert oder verhindert. Die Bundesrepublik müsse eine den Frieden fördernde Rolle spielen. Das gebieten sowohl ihre geopolitische Lage als auch die geschichtlichen Erfahrungen Deutschlands und die objektiven Interessen seiner Menschen. Dem widersprechen die Forderungen des Bundespräsidenten nach mehr militärischer Verantwortung und die in den Medien geschürte Kriegshysterie und Russenphobie. ….. Die forcierte Militarisierung Osteuropas ist kein Spiel mit dem Feuer, es ist ein Spiel mit dem Krieg!«  [9]    

Richard Sakwa, der an der Universität Kent eine Professur für Russische und Europäische Studien inne hat und Fellow des Russia and Eurasia Programms am Royal Institute of International Affairs ist, befasst sich in seinem Buch Frontline Ukraine - Crisis in the Borderlands mit dem aktuellen Dilemma des Landes.  [1]  In dem Interview, das die Deutschen Wirtschafts Nachrichten Anfang März mit dem Autor führten, legte dieser unter anderem folgendes dar: Der Wendepunkt war die Konferenz von Malta im Dezember 1989. Hier wurde unmittelbar nach dem Fall der Mauer das neue Nachkriegssystem geformt. Präsident George H. W. Bush hatte zwar verstanden, dass die Macht der Sowjetunion im Schwinden war, aber er hat es versäumt zu verstehen, dass Michail Gorbatschow plante, eine neue Art der Politik zu etablieren, in der es weder Sieger noch Verlierer gab. Stattdessen hat die USA die Ereignisse als Sieg ihrer eigenen Politik gedeutet. Heute, 25 Jahre später, verstehen wir die Tiefe der strategischen Niederlage. Das Schlimme an der Konferenz von Malta war, dass es keinen europäischen Politiker gab, der, wie Churchill in Jalta, die Interessen der Westeuropäer vertreten hätte. Tatsächlich wurde über unser Schicksal auf unserer Seite des Kontinents ohne unsere eigene Mitwirkung bestimmt. Man hätte die NATO nach 1989 entweder auflösen können, oder aber Russland in eine reformierte Organisation aufnehmen müssen. Stattdessen haben wir die Schlimmste aller Möglichkeiten bekommen – eine erweiterte NATO, die nun damit beginnt, Russland von allen Seiten einzukreisen. Man muss kein strategisches Genie sein, um zu verstehen, dass Russland  - eine Nuklearmacht -  früher oder später gegen diese Entwicklung angehen würde. Die EU hat ihren schwachen Sinn für Strategie und die Folgen ihrer eigenen Aktionen für die bestehenden Machtverhältnisse bewiesen, als sie sich in die Ukraine bewegt hat. Das war Dummheit im grossen Stil, angetrieben von Polen und den baltischen Staaten.

Ich spreche hier über den neuen Atlantik-Pakt, in welchem die NATO, die USA und die EU faktisch miteinander verschmolzen sind. Das bedeutet nicht, dass Länder wie Frankreich und Deutschland nicht einzelne, unabhängige Initiativen ergreifen könnten. Aber alles, was sie tun, ist eng an die transatlantische Partnerschaft angebunden. Deutschland hat unter Merkel viel von seiner früheren  globalen Unabhängigkeit verloren. Das war der Preis dafür, dass Deutschland mit atlantischer Unterstützung in der Europapolitik und der Wirtschaftspolitik führend tätig werden konnte. Ich  glaube, dass die EU-Aussenpolitik unter Federica Mogherini das Potential hat, aus dem Fehlern der Geschichte zu lernen. Aber Mogerhini ist bereits unter enormen Druck der Atlantiker gekommen, die wollen, dass sie deren Sichtweise annimmt. Die Folgen sind desaströs, wie wir jetzt sehen. 

Putin ist eine bekannte Grösse und hat seit der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 davor gewarnt, dass Russland mit der aktuellen strategischen Situation nicht glücklich ist. Aber niemand hat ihm zugehört. Sie müssen bedenken, dass jeder russische Führer nicht viel anders agieren würde als Putin. Es ist nicht der Fall, dass Putin in einer anderen Realität lebt, das Problem ist, dass niemand im Westen darauf geachtet hat, dass Putin durch die aktuelle Situation in genau diese Lage geraten könnte. Putin braucht diesen Krieg nicht. Er hat alles getan, um ihn zu vermeiden. Die Verantwortung liegt komplett in Washington und Brüssel. Putin hat bereits fantastische Zustimmungsraten. Er hat die Olympischen Spiele in Sotschi erfolgreich veranstaltet. Was jetzt geschieht, ist das letzte, was er braucht. Er ist kein revisionistischer Führer, und daher ist die westliche Einschätzung seiner Handlungen meistens völlig falsch. 

Ich glaube, dass der am meisten beunruhigende Aspekt der ganzen Krise das Vorherrschen einer völlig einheitlichen westlichen Sicht der Dinge ist. Es ist erschreckend zu sehen, wie die westliche Öffentlichkeit und die Eliten sich dieser falschen Sichtweise angeschlossen haben. Es ist immer leicht, Russland für alles die Schuld zu geben. Russland ist sicher weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber es ist sicher nicht die böse Macht, als die es der Westen jetzt darstellt. Es ist für mich auch schockierend zu sehen, wie leicht die westlichen Wirtschaftsführer dieser falschen Interpretation aufgesessen sind.

Auf die Frage,  welche Art der staatlichen Organisation die beste für die Ukrainer wäre, antwortete Sakwa: Am besten wäre ein föderaler und nicht zentralistischer Staat. Dies ist zwar kurzfristig nicht sehr wahrscheinlich zu erreichen, aber auf lange Sicht ist es der einzige Weg für die Ukraine. Der Donbass wird niemals wieder ein Teil eines nationalistischen und zentralistischen ukrainischen Staates sein können. Wir brauchen eine grosse neue Konferenz, so wie Jalta oder Helsinki, die sich mit all diesen Themen beschäftigt. Im Moment werden diese Probleme immer dringender. Das betrifft auch Transnistrien und andere Regionen, sogar den Kosovo. Jazenjuk, so Sakwa ferner, ist heute der gefährliche Mann in Europa. Ich verstehe nicht, wie ein solch entschlossener Nationalist überhaupt mit Respekt behandelt werden kann. Im Grunde geschieht in der Ukraine dasselbe wie in Libyen oder Syrien oder im Irak. Ein ›Reich des Chaos‹ hat einen neuen Politik-Stil nach Europa gebracht, und wir haben nichts dagegen unternommen. Welchen Sinn hat denn die EU, wenn sie nicht einmal einen Krieg auf ihrem eigenen Kontinent verhindern kann?

Wir wandeln auf einem schmalen Grat zwischen einem umfassenden Krieg und einer Art Stillhalte-Abkommen. Die mutige Initiative von Merkel und Hollande für Minsk 2 könnte die Situation   stabilisieren. Aber wir müssen verstehen, dass dies bloss der Anfang eines möglichen Friedensprozesses sein kann. Die Regierung in Kiew muss unter Druck gesetzt werden, damit sie das Land so gestaltet, dass es für die Bürger des Donbass eine akzeptable Form der Rückkehr in die Ukraine gibt. Ich glaube jedoch, dass eine weitere Teilung der Ukraine nun sehr wahrscheinlich geworden ist. Die aktuelle Regierung in Kiew macht die Probleme lediglich schlimmer anstatt sie zu lösen.  [5]                                              

 

[1]  https://www.jungewelt.de/2015/05-08/010.php   8. 5. 15 
Ralph Rudolf, Uwe Markus  -  Faschistentrainer 

[2]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59068  3. 3. 15 
Mit allen Konsequenzen 
[3]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/02/16/gegen-putin-eu-belegt-mitglieder-von-russischer-regierung-mit-einreise-verboten/  16. 2. 15 
[4]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59108  5. 5. 2015 
Widerspenstige Kollaborateure 

[5]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/09/britischer-forscher-eu-politik-in-der-ukraine-war-dummheit-im-grossen-stil/  9. 3. 15
[6]  Strategic Alert Jahrgang 28, Nr. 11 vom 11. März 2015
[7]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/05/06/abschied-von-kiew-der-rubel-erobert-als-neue-waehrung-die-ost-ukraine/  6. 5. 15
[8]  http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=45317&title=Ukraine-Krise%3A+Gorbatschow+warnt+vor+gro%DFem+Krieg+in+Europa&storyid=1420823159705 
10. 5. 15 

[9]  http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=51732&title=Gener%E4le+der+aufgel%F6sten+NVA+warnen+vor+Krieg+mit+Russland&storyid=1430835289775  5. 5. 15 
[10]  http://www.amazon.de/Frontline-Ukraine-Borderlands-Richard-Sakwa/dp/1784530646  resp. http://www.ibtauris.com/Books/Society%20%20social%20sciences/Politics%20%20government/Frontline%20Ukraine%20Crisis%20in%20the%20Borderlands.aspx Frontline Ukraine: Crisis in the Borderlands