»Wir müssen klarmachen, dass ein EU-Beitritt nicht infrage kommt« 03.05.2015 23:46
Das Beitrittsgesuch der Schweiz lagert bekanntlich seit 23 Jahren in Brüssel
und wird in der kommenden Woche auch Gegenstand der Debatte des Nationalrats
über das Verhältnis zur EU sein. Doch während es in all den Jahren im
EU-Hauptquartier unbearbeitet Staub ansetzte, schreibt die ›Basler Zeitung‹, ist das
Papier hierzulande omnipräsent. »Schon die knappe
bundesrätliche Entscheidung, das Gesuch nach Brüssel zu entsenden, hatte im Mai
1992 für heftige Kontroversen gesorgt. Als das Stimmvolk ein halbes Jahr später
Nein zum EWR-Beitritt sagte, war die Konsternation über die nunmehr vertrackte
Europapolitik gross.« Seither hat das Parlament
regelmässig über Vorstösse abgestimmt, die einen Rückzug des Gesuchs fordern
und dem Anliegen jedes Mal eine Absage erteilt. Nach dem EWR-Nein sei das
Beitrittsgesuch gegenstandslos geworden: »Das
Beitrittsgesuch beeinflusst die Verhandlungen mit der EU in keiner Weise, und
dessen Rückzug brächte der Schweiz keinen Nutzen.«
Der
SVP-Nationalrat Lukas Reimann beurteilt das anders, wie er gegenüber der ›BaZ‹ in dem nachfolgenden
Interview erläutert. Mit Ihrer
Rückzugsforderung, so die BaZ, betreiben Sie Symbolpolitik.Wenn das Beitrittsgesuch wirklich gegenstandslos wäre, könnte es ja
problemlos zurückgezogen werden. Äusserungen von EU-Politikern zeigen, dass das
Gesuch in Brüssel zu Irritationen führt: Nach der Annahme der
Masseneinwanderungsinitiative sprach zum Beispiel der luxemburgische EU-Abgeordnete
Frank Engel von einem ›faktischen Austritt‹ der Schweiz aus der EU. Andere Stimmen bezeichneten
das Volksverdikt als Abbruch der Annäherung an die EU.
Aber die
EU betrachtet die Schweiz gar nicht als potentielles Beitrittsland. Wir haben
keinen entsprechenden Status. Und trotzdem hört man immer wieder Äusserungen, die den gegenteiligen
Eindruck erwecken. Viele Politiker in Brüssel denken, dass die Schweiz früher
oder später ohnehin der EU beitreten wird. Mit dem offiziell deponierten Gesuch
bestätigen wir diese Ansichten. Wir müssten darum eindeutig klarmachen, dass
der Beitritt nicht infrage kommt und auch keine Option ist.
In den
letzten Jahren scheiterten bereits mehrere Vorstösse zum Thema. Warum versuchen
Sie es gerade jetzt erneut, mitten in einer europapolitisch heiklen Phase? Das hat zwei Gründe. Zum einen hat auch Island das EU-Beitrittsgesuch
formell zurückgezogen, ohne dass das zu Problemen geführt hätte. Im Gegenteil:
Die EU hat das zur Kenntnis genommen und akzeptiert. Zum anderen würde der Rückzug
die Position der Schweiz in den zugegebenermassen
schwierigen Verhandlungen stärken.
Inwiefern? Ein Land geht anders in Gespräche, wenn es als unabhängig gilt, als wenn
es formell Mitglied des Verhandlungspartners werden möchte. Nur so würden wir auf
Augenhöhe verhandeln. Wer hingegen formell beitreten will, muss sich auch an
die Beitrittsbedingungen der EU-Organisation halten. Würde diese Frage
geregelt, würde auf beiden Seiten Klarheit über das Verhältnis herrschen.
Nun wird
Ihr Vorstoss in einem Wahljahr debattiert. Mit dem aufgewärmten Anliegen will
die SVP doch nur um Wählerschaft buhlen. Wir greifen damit ein grosses Anliegen vieler Menschen in diesem Land
auf. Dass wir dies zum wiederholten Mal tun, zeigt, dass wir beharrlich am
Thema dranbleiben. Die Mitgliedschaft steht noch
immer im Raum, und wir wollen das auch im Inland klären. Diese Diskussion wäre
auch für den Bundesrat und die anderen Parteien eine Chance, für die Wähler ein
Zeichen zu setzen, dass sie nicht in die EU wollen. Die EU-Lobby unternimmt
doch alles, um zu verhindern, dass das Thema vor den Wahlen debattiert wird.
Der Wähler hat aber ein Recht zu wissen, was Sache ist.
In der
Schweiz denkt zurzeit keine Partei ernsthaft über einen Beitritt nach. Selten
herrschte in dieser Frage so grosse Einigkeit. Warum braucht es dann diese
Diskussion? Offiziell denkt zwar niemand darüber nach, das stimmt. Aber inoffiziell
schon. Das zeigt die Arbeit im Parlament: Sobald die EU ein Gesetz ändert,
fordern Politiker hierzulande in Vorstössen, die Schweiz solle diese Änderungen
der Einfachheit halber übernehmen. Das ist eine Salamitaktik und zielt nur
darauf ab, die Bevölkerung, die den Beitritt nicht will, nicht zu verärgern.
Der Rückzug des Gesuchs wäre ein deutliches symbolisches Zeichen im In- und
Ausland, dass wir den Beitritt nicht wollen.
Also doch Symbolpolitik? Das Gesuch hat hohen symbolischen Charakter. Nur so lässt sich erklären,
warum es der Bundesrat nicht zurückziehen will, wenn es doch angeblich so
unbedeutend ist.
Ex-Staatssekretär Michael Ambühl hält es für schädlich, wenn Parteien,
Medien und Öffentlichkeit den Bundesrat bei den Verhandlungen mit der EU nicht
stützen, sondern verzettelte europapolitische Debatten führen. Was sagen Sie
dazu? Mit seinen Aussagen, die Schweiz müsste bei den Verhandlungen sachfremde
Dossiers verknüpfen und selbstbewusster auftreten,
hat er mir aus dem Herzen gesprochen. Nur so ist ein Kompromiss möglich. Und
auch in diesem Punkt gebe ich ihm recht: Die Debatte in der Schweiz, ob wir
noch einmal abstimmen sollen, schwächt unsere Verhandlungsposition massiv.
Genau eine solche Abstimmung will doch die EU letztlich erreichen. Es
war ein Fehler, dass wir uns nicht zuerst im Inland über einen
Umsetzungsvorschlag der Masseneinwanderungsinitiative geeinigt haben, bevor wir
nach Brüssel gingen. [1]
EU verlangt
bedingungslose Unterwerfung Die
Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über einen sogenannten ›Rahmenvertrag‹ stocken. Sie waren Mitte 2014 aufgenommen worden; dies aufgrund
der von der EU gestellten Forderung, dass weitere bilaterale Abkommen mit der
Schweiz nur noch denkbar seien, wenn sich die Schweiz in die EU ›institutionell einbinden‹ lasse. Was die EU unter ›institutioneller Einbindung‹ versteht, hat sie in 5 Punkten
festgehalten:
- Die Schweiz muss EU-Recht zu allen
Sachbereichen, die in bilateralen Verträgen und Vereinbarungen zwischen Bern
und Brüssel je angesprochen worden sind oder in Zukunft noch angesprochen
werden, automatisch von Brüssel übernehmen – ohne Mitspracherecht.
- Die Schweiz muss bei
Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung bilateraler Verträge Entscheide
des EU-Gerichtshofs als nicht anfechtbar anerkennen.
- Kann die Schweiz einen Entscheid des EU-Gerichtshofs
nicht übernehmen, zum Beispiel wegen eines anders lautenden Volksentscheids in
der Schweiz, dann muss sie Sanktionen, also Strafmassnahmen seitens der EU,
hinnehmen.
- Die EU verzichtet zwar künftig auf
Forderungen nach einzeln von der Schweiz zu bewilligenden ›Kohäsionszahlungen‹ [Entwicklungshilfeleistungen
an wirtschaftsschwache EU-Mitglieder im Osten]. Stattdessen müsse die Schweiz
Jahresbeiträge an die EU entrichten.
- Die Schweiz hat ein von der EU eingesetztes
Überwachungsorgan zu akzeptieren, das, mit Sitz in der Schweiz, zu beaufsichtigen
habe, ob die Schweiz Verpflichtungen, die sie gegenüber Brüssel vertraglich
eingegangen ist, auch einhält.
Kürzlich
hat Brüssel eine schon früher geäusserte Drohung bekräftigt: Sie versagt sich
allen Gesprächen zu irgendwelchen denkbaren Sachbereichen, solange Bern die ›institutionelle Einbindung‹ gemäss den Vorstellungen der EU nicht
endlich akzeptiere. Seither verharren die Verhandlungen auf dem toten Punkt. [2]
Sommaruga anerkennt
Brüssel als Weisungsgeberin Angesichts
des Ausmasses der illegalen Einwanderung via Mittelmeer haben sowohl Schweizer
Hilfswerke als auch Parlamentarier Justizministerin Sommaruga die Forderung
unterbreitet, Asylgesuche bereits in den Schweizer Botschaften in den
Herkunftsländern der Gesuchsteller zu behandeln. Dieses System hat den Vorteil,
dass Gesuchsteller, deren Gesuche abgelehnt werden, nicht bereits in der
Schweiz sind und nach Gesuchsablehnung kaum mehr zur Ausreise veranlasst werden
können. Fällt der Entscheid im Herkunftsland der Gesuchsteller, fallen alle
Ausweisungs-Schwierigkeiten weg. Was unternahm hierauf Simonetta Sommaruga,
ihres Zeichens Schweizer Bundesrätin, mit dieser an ihre Adresse gerichteten
Forderung? Sie begab sich damit eilends nach Brüssel. Dort wurde ihr offenbar
kategorisch beschieden, dass die Behandlung von Asylgesuchen auf Schweizer
Botschaften in den Herkunftsländern der Gesuchsteller nicht infrage komme. Mit
dieser Antwort in der Tasche eilte die Bundesrätin nach Bern zurück, wo sie sie
brav nach Brüsseler Anweisung an die Urheber der Forderungen weiterleitete. Wofür
braucht die Schweiz eigentlich noch gut bezahlte Bundesräte, wenn sich diese
selbst zu Briefträgern Brüssels abwerten?
[3]
Der »Club Helvétique« legt Grossrat
Patrick Freudiger dar, ist eine illustre Schar linker oder linksliberaler
Intellektueller und Politiker. Dazu gehören etwa der Historiker Georg Kreis,
der Soziologe Kurt Imhof, alt Bundesrichter Giusep Nay, der Berner SP-Ständerat
Hans Stöckli oder die grüne alt Nationalrätin Cécile Bühlmann. Auch in seinem aktuellen
Thesenpapier positioniert sich der Club unhelvetisch links: Ein EU-Beitritt der
Schweiz sei ein »geeigneter, wenn nicht sogar der Königsweg zur Schaffung
verlässlicher langfristiger Perspektiven für Wirtschaft und Bevölkerung.« Auch
der Nutzen unseres Frankens - in den
Augen des Clubs einer »eigenen, nur scheinbar unabhängigen und unberechenbar
gewordenen Währung« - wird
angezweifelt. Schon der Inhalt der Forderungen an sich, aber erst recht deren
Zeitpunkt, irritieren: Die EU ist in einer Krise. Wie auch
die EU-Parlamentswahlen diesen Mai gezeigt haben, hat die politische Elite in
den Augen vieler Bürger den europäischen Einigungsprozess übersteuert. Ursprünglich
sollte die EU zum Frieden auf dem Kontinent beitragen. Heute aber erlässt sie europaweite
Vorschriften für die Verbraucher oder z.B. zur Errichtung eines ›Europäischen Instituts für
Gleichstellungsfragen‹. Es ist nicht
einzusehen, was dieser bürokratische Zentralismus noch mit einem
Friedensprojekt zu tun haben soll. Die Europäer von heute sind der heutigen EU
überdrüssig.
Erst recht
nicht nachvollziehbar ist die Forderung des »Club Helvétique«, einen
Beitritt zur Euro-Zone zu prüfen: Die letzten Monate haben die Untauglichkeit
des Euros schonungslos offengelegt. Die Einheitswährung macht Krisen in
einzelnen Euro-Staaten zur Bedrohung für den ganzen Euro-Raum. Das Sorgenkind
Griechenland will zudem die eingeleiteten überfälligen Strukturreformen wieder relativeren.
»Intellektuelle
neigen immer zu Spinnereien«, sagte einst der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut
Schmidt. Man muss das harte Verdikt nicht gleich wortwörtlich auf die
Intellektuellen im »Club Helvétique« anwenden. Aber der eigentliche
Gedanke hinter Schmidts Intellektuellenkritik trifft im Fall des Clubs zu:
Intellektuelle neigen dazu, fernab der Realität des wirtschaftlichen und
politischen Alltags Theorien zu entwickeln, die einem Praxistest nicht
standhalten.
Mit dem
gebotenen Respekt sei dem Club also geantwortet: Es ist das Privileg von
Intellektuellen, das ›Undenkbare‹ zu denken und unkonventionelle
Theorien zu präsentieren. Demgegenüber ist es das Privileg der Stimmbürger,
abgehobene Theorien nicht weiter beachten zu müssen. [4]
[1] http://bazonline.ch/schweiz/standard/Wir-muessen-klarmachen-dass-ein-EUBeitritt-nicht-infrage-kommt/story/29766363 29. 4. 15 Interview mit Raphaela Birrer
[2] http://eu-no.ch/news/eu-verlangt-bedingungslose-unterwerfung_58
Quelle:
Nordwestschweiz, 28. 4. 2015
[3] http://eu-no.ch/news/sommaruga-anerkennt-bruessel-als-weisungsgeberin_57 30. 4. 15
Quelle:
NZZ vom 27. 4. 2015
[4] Communiqué von Patrick Freudiger vom April
2015 http://www.patrick-freudiger.ch/
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