Die Mär vom hundertjährigen Frieden - Von Doris Auerbach

Man erinnere sich: Als der Europäischen Union im Dezember des Jahres 2012 in Oslo der

von Barroso, van Rompuy und Schulz entgegengenommene Friedensnobelpreis zugesprochen wurde, sprach van Rompuy in seiner Dankesrede davon, »dass wir in 40 Jahren einen hundertjährigen Frieden feiern werden«, wobei er das Ende des Zweiten Weltkriegs als zeitlichen Ausgangspunkt zugrunde gelegt haben dürfte. Ganz offensichtlich gelang es ihm dabei, den eigentlichen Bruch in dieser EU-Friedensachse, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999, der die Abspaltung des Kosovos mit sich brachte, problemlos auszublenden. Ähnlich glaubwürdig liess sich Wolfgang Schäuble vernehmen: »Die Begründung keine Kriege mehr in Europa erscheine 67 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zwar zu selbstverständlich als Argument. Doch diese lange Friedensphase habe das geeinte Europa erreicht.« Auch die kriegerischen Einsätze der NATO wurden mühelos übergangen. So lautet denn damals auch der gemeinsame Kommentar der drei Politiker: »Es ist eine grosse Ehre für die Europäische Union: Dieser Preis ist die stärkst mögliche Anerkennung der tiefen politischen Motive hinter unserer Union: Die einzigartige Anstrengung von immer mehr europäischen Staaten, Krieg und Spaltungen zu überwinden und gemeinsam einen Kontinent des Friedens und des Wohlstands zu gestalten.« Für Bundeskanzlerin Angela Merkel war die Verleihung, wie sie sagte, einewunderbare Entscheidung. Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich, auch für mich ganz persönlich. Mit den römischen Verträgen sei nach Jahrhunderten furchtbaren Blutvergiessens, schrecklicher Kriege, Mord und Verwüstungen der Grundstein für eine Friedensgemeinschaft Europa gelegt worden, so Merkel ferner. An Aussagen dieser Art, die sich nur beschränkt resp. überhaupt nicht mit der Wirklichkeit decken, haben wir uns längst gewöhnt.

Um auf Jugoslawien zurückzukommen, so ist festzuhalten, dass sich die strategische Neuausrichtung der USA seit dem Jugoslawienkrieg dahingehend entwickelt hat, dass die USA die Welt jederzeit mit Krieg überziehen kann, wenn es im amerikanischen Interesse ist. Hierzu äusserte sich Willy Wimmer, der vormalige Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa [OSZE], in einem Interview mit dem deutschen Zweig des iranischen Radios am 27. 2.14 wie folgt: »Die USA hat sich in der ersten Hälfte der 90er Jahre offensichtlich genötigt gesehen, das politisch-militärisch-völkerrechtliche Faustrecht zu ihren Gunsten wieder einzuführen, weil sie offensichtlich ein Europa der Kooperation fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Vereinigten Staaten, und ich bedauere das sehr wegen der engen Kooperation, die es über Jahrzehnte hinweg gegeben hat, haben sich dazu entschieden, den Krieg nach Europa zurückzubringen. …. Wenn man sich heute die Ukraine ansieht, wenn man sich ansieht, was in Syrien gemacht worden ist, um die russische Föderation von Süden her aufzurollen, dann kann man in Moskau den Eindruck haben, dass demnächst auf Moskauer Strassen das so losgehen soll, wie es derzeit auf den Kiewer Strassen stattfindet. Und ich sage das vor dem Hintergrund der Umstände, dass immer viele Gründe zu einer solchen Entwicklung führen: Aber die USA und Grossbritannien haben immer die Finger drin.«

Der Fortgang der wunderbaren Entscheidung unter der NATO  
Sergej Naryschkin, der Präsident der russischen Staatsduma, erklärte Anfang letzten Dezember: »Die Streitkräfte Russlands haben die letzten 20 Jahre nie ausserhalb der Russischen Föderation geschossen. Und trotzdem hat sich die Militärinfrastruktur der NATO immer mehr unserer Landesgrenze genähert.« Das Russland vor 25 Jahren gegebene Versprechen, dass die NATO keine Schritte an unsere Grenzen machen wird, ist  -  heute für jeden sichtbar -  nicht eingehalten worden. »Wenn sich bei dieser Entwicklung jemand zu fürchten hätte«, so Naryschkin, »dann wohl am ehesten wir. Wir haben jedoch keine Angst. Russland war immer imstande, sich selbst zu verteidigen. Unser Appell ist aber ein anderer. Wir appellieren an den Frieden und den Dialog in Europa.« Ebenso sichtbar ist, dass dieser auf Regierungsebene ungehört verhallt. In diesem Zusammenhang sei nochmals der konservative britische Unterhausabgeordnete William Cash zitiert, der im März letzten Jahres zum Ausdruck brachte, dass das Projekt Östliche Partnerschaft und das Assoziierungsabkommen der Ukraine eindeutig den Weg in die Europäische Union und vermutlich auch in die NATO bahnen sollte. In beiden Fällen verfolge die EU eine bemerkenswert naive Aussenpolitik«, schrieb Cash auf der Internetseite Conservative Home. Die EU müsse anerkennen, dass sie »einen überproportional grossen Anteil an der Verantwortung für die Krise trägt, die vermieden werden können hätte.« Nun haben Strategien in der Regel lange Vorläufer, so auch die Anbindung der Ukraine an die EU, die schon Anfang Dezember 2006 ein Thema bei dem Treffen von Jacques Chirac, Lech Kaczynski und Angela Merkel in Mettlach (Saargebiet) war; deutsche Militärkreise debattierten Anfang Dezember 2009 sowohl über eine Osterweiterung der NATO als auch über eine Spaltung der Ukraine. Laut einem Bericht von German Foreign Policyvom 1. 12. 2009  [1]  schrieb ein früherer Mitarbeiter des Amtes für Studien und Übungen der Bundeswehr, ein Oberstleutnant der Reserve, dass die Ausdehnung des westlichen Kriegsbündnisses auf ukrainisches Territorium weiterhin im Gespräch sei. »Komme es tatsächlich zu einem solchen Schritt, dann träte wahrscheinlich nur die Westukraine der NATO bei. Die Ostukraine würde in diesem Fall unabhängig oder ein De-facto-Staat wie Abchasien.« Dem Autor zufolge ist der Cordon Sanitaire zwischen dem Kriegsbündnis und Russland, den die Alliierten des Zweiten Weltkriegs der Sowjetunion zugestanden hatten, inzwischen weitgehend von der NATO absorbiert worden; dabei habe man alle roten Linien Moskaus überschritten. Auf der Krisensitzung der NATO zur Ukraine am 29. 8. 14 in Brüssel erklärte der inzwischen von Jens Stoltenberg abgelöste Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dass »das Bürgerkriegsland alsbald in die NATO aufgenommen werden soll.« 

Wie es gegenwärtig um den Ansporn und die Verpflichtung steht, ist ebenfalls am Verhalten der NATO, die seit Jahren damit beschäftigt ist, ihre Militärpräsenz in Osteuropa auszubauen, abzulesen. Dem für Europa zuständigen US-Heereskommandeur Generalleutnant Ben Hodges zufolge will die USA in diesem Jahr etwa 150 gepanzerte Fahrzeuge nach Europa verlegen, von denen etwa ein Drittel an den Ausbildungsstätten in Deutschland stationiert werden dürften. Eine endgültige Entscheidung steht allerdings noch aus. Insgesamt sind gegenwärtig in Europa etwa 60.000 US-Soldaten stationiert. Die beim NATO-Gipfel in Newport / Wales geplante Eingreiftruppe Speerspitze für Osteuropa soll schon ab diesem Frühjahr einsatzbereit sein. Diesbezüglich sprach Aussenminister Steinmeier von einem guten und wichtigen Beitrag, im Fall der Fälle sollten die sich durch Russland bedroht fühlenden Länder wie Polen und Litauen sicher sein können, dass die NATO militärisch hinter ihnen steht und bei einem unerwarteten Angriff in der Lage ist, sie zu verteidigen. Wie es ferner heisst, würde Russland mit dem Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland einen Angriff auf die ganze Allianz begehen. Immer der gleiche Tenor: Das Gute in Brüssel und das Böse in Moskau. So betonte denn auch Stoltenberg am 3. 12. 14, wie wichtig das momentane Vorhaben der NATO angesichts der andauernden russischen Aggression sei. Und Wolfgang Schäuble: »Eine Beeinträchtigung von Frieden und Stabilität wäre im übrigen die grösste Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung. Niemand in Moskau darf den Eindruck gewinnen, Russland könne mit seinem Vorgehen am Ende erfolgreich sein. Dazu gehört auch, die Verlässlichkeit der NATO zu betonen.« Er übergeht nicht nur, dass von einer russischen Aggression nicht die Rede sein kann, sondern dass die US-Aussenpolitik in Wahrheit einen Regimewechsel in Moskau verfolgt, was ihm nicht verborgen geblieben sein kann. Denn Henry Kissinger hatte schon im Februar letzten Jahres auf CNN ganz unverhohlen erklärt, dass die USA die Fäden in der Ukraine zieht und das Ganze nur eine Generalprobe für einen Regime Change in Moskau ist.

Unmittelbar vor der letztjährigen Münchner Sicherheitskonferenz vom 31. 1. bis 2. 2. 14 hatte sich Steinmeier dahingehend geäussert, dass eine Politik militärischer Zurückhaltung nicht als ein Prinzip des Heraushaltens missverstanden werden dürfe; für die Bundesrepublik stehe jetzt tätige Aussenpolitik an. Deutschland sei zu gross, um die Weltpolitik nur zu kommentieren. Es wird zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen. Militärinterventionen dürfe man dabei nicht aus dem Denken verbannen. Und zuvor hatte die BRD-Verteidigungsministerin von der Leyen erklärt, Europa komme ohne kriegerische Mittel im Spiel der globalen Kräfte nicht voran, wenn die einen sich immer dezent zurückhalten, wenn es um militärische Einsätze geht, und die anderen unabgestimmt nach vorne stürmen. Wer hätte geahnt, schreibt Peter Scholl-Latour in seinem letzten Werk Der Fluch der bösen Tat,  dass sich ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der feierlichen Bereinigung des Ost-West-Konflikts die Gegnerschaft zwischen Washington und Moskau neu entzünden würde und dass die Europäer unfähig sein würden, diesen Rückfall in den Kalten Krieg  zu verhindern? Der unselige Konflikt entzündete sich vollends, als die Westliche Gemeinschaft, die den Beitritt der Ukraine in die von Moskau gesteuerte Eurasische Union zu hintertreiben suchte, eine wirtschaftlicher Assoziation mit der Europäischen Gemeinschaft anbot.

Zur Krise in der Ukraine  
Wir in Europa und das, was sich zum Westen zählt, legt Wimmer u.a. dar, sollten nicht die Erinnerung daran vergessen, in welcher moralischen, wirtschaftlichen, finanzpolitischen und allgemein politischen Lage wir am Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands dagestanden sind. Und heute? Selten ist eine Lage, die es uns erlaubt hätte, wirksam gegen das Elend in der Welt vorzugehen, so verspielt worden, wie wir es heute feststellen müssen. Der Westen hat ausschliesslich durch eigene Schuld eine glänzende Ausgangsposition für jede mögliche Herausforderung über Bord geworfen. Warum? Weil wir uns in einem aus vielen Gründen notwendigen Bündnis mit einer Macht  [die USA; Anmerk. politonline]  befinden, die seit mehr als einem Jahrzehnt im wahrsten Sinne des Wortes um sich schlägt und alle Regeln, die uns eine Chance auf eine friedlichere Welt gegeben hatten, willentlich ausser Kraft gesetzt hat. Heute können wir nur beten, dass uns der Konflikt in der östlichen Ukraine nicht mehr als nur das nächste Weihnachtsfest verhagelt. Es war eben nicht förderlich, dass die Russische Föderation am Ende des Kalten Krieges und dem Ende der Sowjetunion eine Feder im Wind geworden war, die als Mit-Anker jeder europäischen Stabilitätsordnung lange Zeit ausfiel. Und jetzt nimmt es uns förmlich den Atem, dass die Russische Föderation wieder auf der weltpolitischen Bühne steht, nachdem sie mit den völkerrechtswidrigen Kriegen gegen Belgrad, Bagdad, Damaskus und Tripolis die neue amerikanische Vorgehensweise leidvoll und auch als gegen sich selbst gerichtet empfinden musste. Alles spricht derzeit dafür, dass der amerikanisch dominierte Westen weder mit der russischen Sprachlosigkeit, noch der heutigen Rückkehr der Russischen Föderation als global agierende Macht zurechtkommt. Wer, wie Frederica Mogherini, seit 1. 11. 14 die neue Aussenbeauftragte der EU, bereits in der ersten öffentlichen Erklärung deutlich macht, die künftige Politik gegenüber Moskau eng mit der NATO abstimmen zu wollen, der macht doch klar, wie wenig er zu sagen haben will. Es bedurfte noch nicht einmal der veröffentlichten Telefonate von Victoria Nuland, um die allgemeine westliche Strategie in der Ukraine zu begreifen. Der Westen hat an Präsident Janukowitsch und dem Oligarchenfestival in der Ukraine nichts auszusetzen gehabt, solange dieser bereit zu sein schien, die entsprechenden Verträge mit der Europäischen Union zu unterschreiben. Noch in der Nacht nach den Morden von Kiew wurden die mit den westlichen Hintermännern abgestimmten Brandfackeln in jene Gebiete der Ukraine geschleudert, die man sich vorgenommen hatte, um gegen Russland vorgehen zu können. Man war auch nicht zimperlich, sich jener Kräfte zu bedienen, die in dieser Region die Wirkung einer mittelalterlichen Pest haben: Alter und neuer Nazis. Es ist schon ebenso erstaunlich wie schändlich, wer in Kiew und bei uns dazu schweigt oder den Einsatz militärischer Formationen mit diesem Hintergrund an der russischen Staatsgrenze herunterspielt. Man mag es gar nicht glauben, wer in dieses Schweigen einbezogen ist. Eines sollten unsere Regierungen allerdings wissen: Wer ihnen oder den von ihnen beeinflussten Medien in Zusammenhang mit den ständigen Meldungen aus dem Konfliktbereich in der Ost-Ukraine noch etwas glaubt, dem kann man nicht helfen.  [2]

Dem Mitglied der Stern-Chefredaktion, Hans-Ulrich Jörges, zufolge, »ist die Art und Weise der Verankerung des Krisenjahres 2014 im öffentlichen Bewusstsein ein Meisterwerk der Bewusstseinstrübung und Perspektivenverschiebung. Seiner Meinung nach tragen die grossen Krisen unverkennbar amerikanische Handschrift: Dass der IS in Syrien und im Irak wuchern konnte, geht für Jörges auf die drei Golfkriege zurück, auf die Politik der USA und deren Verbündeten Saudi-Arabien.«  Auch Jörges legt dar, »dass die USA schon 2008 mit Macht zur Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO gedrängt hätte; beim Umsturz im Februar 2014 hätte dann die USA ihre Finger kräftig mit im Spiel gehabt.« »Alles, was uns über Jahrzehnte als verlässliche Grösse präsentiert worden ist und uns bei allen Dissonanzen einen gewissen Halt zu versprechen schien, steht«, wie Wimmer Ende Dezember ausführte, »in diesen ersten Wochen des neuen Jahres auf einem Prüfstand, wie er schlimmer nicht sein dürfte: In Washington wird ab sofort Feindschaft institutionalisiert, wenn sich in einer ohnehin verfeindeten Lage, die innerstaatlicher Auseinandersetzung zu eigen ist, eine republikanische Kongressmehrheit mit aller Brachialgewalt mit Präsident Obama herumschlagen wird. Grossbritannien und die dort zu erwartende Unterhauswahl macht die Lage auch nicht besser. Man kann sich zwar unverändert wundern, warum dieses menschlich eng befreundete Land jemals auf die Idee gekommen ist, dem vereinten Kontinentaleuropa beizutreten. Unterstellt man allerdings, dass alles immer dem nationalen britischen Interesse unterworfen wird, dann war es für Grossbritannien gewiss nicht ohne Reiz, sich einem aufstrebenden europäischen Projekt anzuschliessen, als man selbst nichts Besseres aufzuweisen hatte. Wenn Premier Cameron und andere auf der Insel heute damit nachhaltig spielen, die EU unter ebenso begründeten wie fadenscheinigen Argumenten verlassen zu wollen, muss einem vor dem Hintergrund einschlägiger Erfahrungen mit der Insel über Jahrhunderte eigentlich schlecht werden. Will sich London vom Kontinent lösen, um wieder seine eingeübten Reflexe spielen zu lassen, die seit langem darauf gerichtet sind, den Kontinent solange aufzumischen, bis alles wieder in Ruinen liegt?«

Was Griechenland betrifft, so fragt auch Wimmer, wo die 240 Milliarden Euro der EU-Hilfe denn geblieben sein könnten. »Bevor die verdutzten Bürger in Warschau, Berlin, Lissabon oder Paris diese Frage überhaupt formuliert haben dürften«, so  Wimmer, »wird die Welle der internationalen Finanzspekulation schon über uns alle hinweggerollt sein. Sollten die internationalen Pressemeldungen zutreffen, spricht seit geraumer Zeit der eine oder andere aus dieser Riege vom Ende des europäischen Experiments. Wohl wahr. Das alles dürfte nicht ohne innenpolitische Auswirkungen sein, die sich dann überaus schnell einstellen könnten.« Zu der demnächst wiederum stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz schreibt er: »Dieses Treffen hat seit Jahren den in den Augen vieler Menschen zweifelhaften Ruf erworben, schlimme Dinge anzukündigen oder einzuläuten. Man möchte fast ausrufen: Kriegstreiber aller Länder, versammelt euch. Wie in jedem Jahr, so dürfte dieser Ruf auch 2015 erhört werden. Sollte Senator McCain,  dem offenbar kein Krieg zuviel ist, in München auftauchen, werden wir uns noch umsehen. Selbst US-Amerikanern graust bei dem Gedanken daran, dass es in Washington bis zum Ende der Amtszeit Obamas ein Hauen und Stechen der brutalsten Art geben wird. Die absehbare politische Entwicklung in Washington ist für die Amerikaner lebensgefährlich und für uns durchaus tödlich. Die Entwicklung vor und nach dem Putsch in Kiew und das aggressive Vorpreschen des gesamten Westens gegenüber Russland seit dem Winter 2014 machen deutlich, was auf uns zukommt. Die unverzichtbare Nation [die USA, Anmerk. politonline]  - von den Deutschen über Jahrzehnte geradezu verehrt -  zeigt ihre Krallen und fegt mit Feuer und Schwert über den Globus.« Im Rückblick auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hält er folgendes fest: »Führende amerikanische Repräsentanten, darunter Henry Kissinger, haben vor gut zehn Jahren bei einem Treffen ehemaliger Staatschefs in Peking in Anwesenheit des vormaligen Bundeskanzlers Kohl ihre Sicht dazu freimütig artikuliert. Die Welt sei mit der dynamisch aufstrebenden Nation Deutschland nicht fertig geworden und man habe den Weg in den Krieg gewählt oder sei  hineingeschliddert. Die Mannen mit dem Briten Cecil Rhodes sahen es anders; sie wollten die britische Globalgeltung und die Vorherrschaft der angelsächsischen Rasse unter allen Umständen für die Zukunft sicherstellen. In einer Zeit, in der Kriege noch als zulässige staatliche Instrumente angesehen worden sind, galt es, Deutschland in den Griff zu bekommen. Das Teufelswerk von Versailles schuf die Grundlage für den zweiten europäischen und globalen Krieg, an dessen Ende allerdings nach Nürnberg die Ächtung des Krieges und die Charta der Vereinten Nationen standen. Krieg sollte nicht mehr das gängige staatliche Mittel zur Durchsetzung von Interessen sein. Der Sicherheitsrat sollte der Garant der friedlichen Konfliktbeilegung sein. Das war und blieb er in Europa auch, bis zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Betreiben der NATO und der amerikanischen Führungsmacht gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Seither wird die zentrale Errungenschaft der beiden Weltkriege, nämlich das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen  - und dies bis zum Vorgehen im Irak und in Syrien, wenn man in Zusammenhang mit den gewaltigen Opfern diesen Begriff überhaupt verwenden kann -  durch Washington gezielt beseitigt. Wir alle werden uns festhalten müssen, wenn wir den Jahreswechsel in diesen Tagen sehen. Es spricht alles dafür, dass Washington den Jahrestag des Sieges 1945 über das Deutsche Reich dazu nutzen wird, die Siegerkoalition mit Moskau endgültig aufzukündigen. Einladungen werden mit gehörigem Affront ausgeschlagen. Drohgebärden nehmen zu und eigentlich erwartet man den Ausbruch von non-verbalen Feindseligkeiten. Dieses Ringen, das uns in völliger Abkehr von den berechtigten Erwartungen zum Ende des Kalten Krieges im Jahr 2014 auf dem falschen Fuss erwischt hat, wird viele Facetten haben. Während des Kalten Krieges gab es das geflügelte Wort, nach dem der Schlüssel für die deutsche Wiedervereinigung in Moskau liege. Mal sehen, was noch in Moskau liegt.« [3]

Das unverantwortliche, unheilvolle Gerede vom Krieg 
»Die NATO muss sich für eine mögliche Kriegsführung im 21. Jahrhundert fit machen.« Dies die Argumentation des deutschen NATO-Oberbefehlshabers für Nord- und Osteuropa, des Viersterne-Generals Hans-Lothar Domröse, ganz im Gegensatz zu dem in Aussicht gestellten hundertjährigen Frieden. Der Plan der NATO, Grossmanöver in Grenznähe zu Russland durchzuführen, lag laut Domröse, bereits Anfang letzten Oktober vor: »Wir haben bisher Grossmanöver von 25.000 bis 40.000 Mann nur in den westlichen NATO-Ländern durchgeführt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das in Zukunft auch in Osteuropa und im Baltikum machen«, so Domröse im Oktober 2014 im Hamburger Abendblatt. Bereits Anfang 2015 wollen die 28 Mitgliedsländer demnach über neue militärische Massnahmen entscheiden. »Wir werden eine Schnelle Eingreiftruppe der NATO aufbauen, die aus etwa 5.000 bis 7.000 Mann besteht und die innerhalb von zwei bis fünf Tagen im Einsatzgebiet sein kann. Nach unseren Planungen soll diese im September 2015 am Grossmanöver Trident Juncture in Spanien, Italien und Portugal teilnehmen.« Als ob die drei krisengeschüttelten Länder genau das bräuchten!

Mit Blick auf die EU-Militäraktivitäten hatte der Leiter der NATO-Sicherheitskonferenzen, Wolfgang Ischinger, kurz vor Beginn der Konferenz 2014 von einem Befreiungsschlag gesprochen. »Militärs«, sagte er, »dringen darauf, endlich einmal eine der EU-Battle Groups einzusetzen; diese Kampftruppen stehen schon seit 2007 bereit, sind bisher jedoch noch nie genutzt worden.« Wie bedauerlich! Kein Kriegseinsatz, keine Kriegstoten, für die man der Bevölkerung emotional geladene Reden präsentieren könnte! Auf derselben Konferenz erklärte Aussenminister Steinmeier: Es werde »zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen«; militärische Mittel dürfe man dabei nicht »aus dem Denken verbannen.« Das sind die Friedensstifter! Schon im Jahr zuvor hatten sich bellizistische Positionen abgezeichnet. In einer Stellungnahme hatte Ischinger darauf gedrungen, »für den Westen bezüglich des Syrienkriegs keine Option von vornherein auszuschliessen  - auch nicht eine Kriegsbeteiligung«. Ischinger zufolge, hielt GFPfest, »sähen die meistern Beobachter (...) den gegenwärtigen Konflikt in Syrien (...) durch eine Brille, die vor allem durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak geprägt sei. Aus deren Scheitern resultiere Skepsis oder aber Ablehnung gegenüber neuen Kriegen. Dies aber sei falsch. Ischinger verlangt, der Westen müsse sich auch in Syrien auf das Prinzip der sogenannten Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, beziehen und, sofern machbar, bewaffnet intervenieren; es sei politisch unverantwortlich, bestimmte Optionen von vornherein auszuschliessen. Verzichte man prinzipiell auf kriegerische Massnahmen, komme dies moralisch wie politisch einer Bankrotterklärung gleich.«  [4]  Ischinger erklärte denn auch Anfang September 2014: »Was wir brauchen, ist eine Doppelstrategie, mit der wir Putin einerseits machtpolitische Zugriffsmöglichkeiten in Europa verwehren und andererseits mit ihm den Dialog über die Zusammenarbeit führen und fortsetzen, so schwierig das unter den derzeitigen Umständen auch sein mag.«   

Wie einer Stellungnahme des German Marshall Fund of the United States [GMF] von Anfang Dezember 2014 zu entnehmen war, »warnen transatlantische Kreise vor einem globalen Rückzug des Westens und dringen auf einen neuen Schulterschluss der NATO-Staaten unter der Führung der USA.« Ein solcher lässt schwerlich Hoffnungen auf eine Beruhigung der Lage aufkommen, zumal daran Anstoss genommen wird, dass Russland die Krim übernommen hat und China seine Position im Streit um mehrere Inseln und Inselgruppen im Süd- und im Ostchinesischen Meer hartnäckig behaupten kann; dies beliebt der GMF als Folge einer westlichen Führungsschwäche zu bezeichnen. Wie es ferner heisst, sei derzeit eine globale Unordnung zu beklagen: Kein Wort davon, dass die USA diese im Verbund mit dem Westen selbst geschaffen hat. Der Autor der Studie, Daniel Twining, ist Senior Fellow beim GMF; er arbeitet auch für den National Intelligence Council der USA, der langfristige Prognosen für die US-Geheimdienste erstellt. Im weiteren wird einmal mehr die BRD angeschwärzt: Denn, so Twining, »führt die deutsche Kooperation mit Russland nur zu Spannungen mit den osteuropäischen Mitgliedern der eigenen Bündnisse. Mehr Erfolg verspreche es, in Frontstaaten wie der Ukraine, Georgien und Moldawien auf Reformen zu setzen und sie perspektivisch in die eigene Sicherheitsgemeinschaft einzubinden.« So lautet denn auch seine Schlussfolgerung, dass es bei alledem »keinen Ersatz für US-Führung gäbe. Wenn sie fehlt, füllen Konkurrenten das Vakuum.«   [5] 

Nun ist ersichtlich, dass die in der Ukraine nach wie vor herrschende Korruption den geforderten Reformen kaum eine Chance einräumt, hat doch der eigene Wirtschaftsminister, Aivaras Abromavicius, das Land als das korrupteste Europas bezeichnet. Wie den Deutschen Wirtschafts Nachrichten am 1. Januar zu entnehmen war, ist etwa ein Viertel des Budgets des Verteidigungsministeriums gestohlen worden. »Niemand«, so der Berater des ukrainischen Präsidenten, Juri Birjukow, »wisse, wohin die Gelder geflossen seien. Der verschwundene Betrag könnte bei etwa 400 Millionen $ liegen.« Keine Sorge: Dafür springt die BRD einmal mehr in die Bresche und gewährt der Ukraine zwecks Wiederaufbau der in tödlich sinnentleerten Weise angerichteten Zerstörungen im Osten der Ukraine einen Kredit in Höhe von einer halben Milliarde €. Das geht alles ohne Widerstand über die Bühne, ungeachtet des horrenden und untilgbaren Schuldenstands der BRD. Im September 2014 war die Korruptionsbeauftragte der Ukraine, Tetjana Schornowil, zurückgetreten. Ihre Arbeit in der Regierung sei nach eigenen Angaben nutzlos gewesen. Schornowil erklärte, dass es in der Ukraine keinen politischen Willen für einen kompromisslosen, breit angelegten Kampf gegen Korruption gibt und dass Premier Jazenjuk nicht daran interessiert sei, die Geschäftsinteressen der Oligarchen anzugreifen, um nicht in den von Oligarchen kontrollierten Medien verunglimpft zu werden. Auch Investoren halten sich zurück, nicht nur aus Gründen des anhaltenden Konflikts mit Moskau, sondern auch aus Skepsis, ob Kiew es mit der Korruptionsbekämpfung ernst meint. Hinzu kommt, dass von der EU überwiesene Gelder ohne jede Auflage resp. Kontrolle fliessen. Wie man unausgesetzt verdummt wird, geht wieder einmal daraus hervor, dass Bundeskanzlerin Merkel bei dem Besuch Jazenjuks in Berlin am 8. 1. die Reformanstrengungen des Landes lobte und erklärte, die Vorhaben, welche die Regierung in Kiew in Angriff genommen habe, seien ambitioniert und entschlossen. »Zudem sei es ein Riesenerfolggewesen, vor Jahresende einen Haushalt zu verabschieden.« Verabschiedet und vermutlich sauber konzipiert wohl: Darüber hinaus nichts, denn die Ukraine ist, wie öffentlich nachgewiesen, bankrott. Daher wird dem Steuerzahler auch vermittelt, dass die EU-Kommission  Kiew mit zusätzlichen 1,8 Milliarden Euro helfen will. Und die braucht Jazenjuk auch: Denn, wie er selbst sagte, benötigt sein Land pro Tag 95 Millionen Gwirna, ca. 5 Millionen €, für die Armee und die Verteidigung des Landes. Seltsamerweise wurden die Goldreserven der Ukraine, die laut jüngstem Bericht des World Gold Council mit 42,3 Tonnen beziffert werden, Anfang März letzten Jahres in die USA ausgeflogen, dies auf Befehl der Regierung in Kiew. Hier fragt man sich, ob sich die USA auf diese Weise eine Garantie sichern will, falls die von der EU zur Verfügung gestellten Gelder für die von der USA zu liefernden Waffen nicht ausreichend wären. Der vom US-Senat am 11. 12. 14 verabschiedete Ukraine Freedom Support Act sieht effektiv Waffenlieferungen an die Ukraine vor; geplant sind Waffen im Wert von 350 Millionen $.   

Eine Monroe-Doktrin für Osteuropa 
»Die NATO«, schreibt der US-Journalist James Kirchick in einem Beitrag in der Internet-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung online, »soll ihren Hegemonialanspruch auf Osteuropa und den Südkaukasus mit einer neuen Monroe-Doktrin reklamieren.« Es ist erstaunlich, was uns mehr oder weniger hemdsärmelig diktiert wird. Seit wann und wieso könnte die NATO einen solchen Anspruch geltend machen? Als Monroe-Doktrin wird allgemein der Anspruch der USA bezeichnet, dass Mittel- und Südamerika ihrer Hegemonie unterstünden; der Autor dieser Forderung vertritt Ansichten der aussenpolitischen Hardliner der USA. Wie GFPvermerkt, hat Kirchick »in der Presse schon mehrfach Raum zur Darstellung seiner Positionen erhalten. Seine Beiträge stärken die Position deutscher Hardliner, die ihrerseits ein aggressives Vorgehen gegen Russland fordern.« Im Hinblick auf die Ergebenheit zahlreicher Medien gegenüber der USA kaum verwunderlich. Wie der Autor weiter ausführt, »lägen Länder wie etwa die Ukraine, Moldawien und Georgien in einer gefährlichen Grauzone, einer Zone des Streits zwischen West und Ost und nur durch einen geografischen Nachteil ausserhalb der NATO-Allianz. Das westliche Kriegsbündnis könne ihnen gegenwärtig keine Vollmitgliedschaft anbieten; deshalb solle man auf sie etwas anwenden, was der Monroe-Doktrin gleicht. Man müsse ihnen unabhängig von der Frage einer NATO-Mitgliedschaft einen Status verleihen, der alle Versuche einer aussenstehenden Macht, ihre Souveränität zu untergraben, zu einer Aggression gegen die westliche Allianz erkläre und für diesen Fall Massnahmen knapp unterhalb der NATO-Beistandsklausel vorsehen.« Und letztere verpflichtet bekanntlich sämtliche NATO-Mitglieder zum Kriegseintritt auf der Seite des angegriffenen Mitgliedstaates.« Allerdings, vermerkt GFP hierzu, ist diese Position im bundesdeutschen Polit-Establishment genauso umstritten wie in der USA selbst. In einem früheren, im Juli 2014 in der FAZ online erschienenen Artikel äusserte sich Kirchick wie folgt: »Angesichts der intensiven wirtschaftlichen und politischen Beziehungen [Deutschlands, Anm. politonline]  zu Russland und dem Iran ..... wären die amerikanischen Geheimdienste doch verrückt, wenn sie in Deutschland keine intensiven Spionageoperationen durchführen würden. Die Amerikaner müssen sich nicht dafür entschuldigen, in Deutschland spioniert zu haben.« »Das Problem sei nicht, dass die NSA Angela Merkel ausspioniert hat«, sondern nur, »dass dieser Vorfall öffentlich wurde. Die Deutschen sollten tief in sich gehen und sich fragen, warum Washington nicht das Bedürfnis hatte, dies viel früher zu tun.«  [6]  

DER NATO-GIPFEL IN WALES VOM SEPTEMBER 2014  
Vor diesem Gipfel, schreibt GFP, hatten frühere US-Geheimdienstmitarbeiter aktuelle Behauptungen über eine angebliche russische Invasion in die Ukraine als ebenso zweifelhaft eingestuft wie die Belege für irakische Massenvernichtungswaffen 2003. Demnach haben NATO-Fotos, die russische Truppen in der Ostukraine zeigen sollen, starke Ähnlichkeit mit den Bildern, die am 5. Februar 2003 von Colin Powell vor den Vereinten Nationen gezeigt wurden und die nichts bewiesen. »Trifft die Einschätzung zu, dann wird die aktuelle Eskalation des Konflikts mit Russland zumindest von Teilen der NATO bewusst und mutwillig herbeigeführt - mit Zustimmung der Bundesregierung. Gravierend ist in diesem Zusammenhang, dass Kiew sowohl die Aufklärung der Todesschüsse auf dem Majdan vom 20. Februar als auch des Abschusses der malaysischen Boeing MH17 verweigert; beides diente dem Westen zur Legitimation für eine Verschärfung des Kurses gegen die damalige Regierung der Ukraine bzw. gegen Russland. Während die NATO ihre Einkreisung Russlands vorantreiben will, illustrieren deutsche Medien ihre Berichte über die angebliche russische Invasion mit gefälschten Bildern. Während der letzten 20 Jahre hat die NATO Russland immer enger in den Würgegriff genommen. Von allen Seiten. Seit Afghanistan hat Russland kein Land angegriffen oder einen imperialen Anspruch gezeigt und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan ist immerhin 30 Jahre her. So erreicht der antirussische Duktus neue Höhen und so ist von einem jahrhundertealten Drang Moskaus, so weit wie möglich im Westen Fuss zu fassen, die Rede. In einem offenen Brief an Angela Merkel hatten mehrere ehemalige Mitarbeiter verschiedener US-Geheimdienste die Behauptungen über eine angebliche russische Invasion in die Ukraine als unglaubwürdig eingestuft. Darin hiess es, dass sich für eine russische Invasion bislang keine glaubwürdigen Beweise finden liessen. Zu den Autoren gehört William Binney, ein ehemaliger Technischer Direktor der NSA. Von der NATO veröffentlichte Bilder aus der Ostukraine seien eine sehr fadenscheinige Grundlage dafür ..., Russland eine Invasion ... vorzuwerfen. Die Autoren gehen zwar davon aus, dass russische Unterstützung über die Grenze geflossen ist, einschliesslich ausgezeichneter Gefechtsfeld-Aufklärung. Für Lieferungen von Artillerie oder von gar Panzern gebe es jedoch bislang keinerlei Beweis.  [7]  Trotz dieser Feststellungen ist in der Presse unkorrigierbar und nicht nachlassend von der russischen Aggression die Rede. 

Vorzugsweise ehemalige Militärs haben in Wales beklagt, dass man Russland in die Ecke getrieben habe. Wie es hiess, hätte man ein kooperatives Russland bevorzugt. Denn die NATO und der Westen seien in vielen Fragen auf die Zusammenarbeit mit Russland als einem grossen und wichtigen Land angewiesen. Das Vorgehen in Bezug auf Syrien oder den Iran müsse mit Russland als permanentes Mitglied im Weltsicherheitsrat abgestimmt werden. Sollten zum Beispiel in der Arktis zwei Tankschiffe kollidieren, könne nur Russland helfen, denn nur Russland hat die entsprechenden Eisbrecher. Es ist kaum vorstellbar, dennoch Fakt, dass ein CDU-Politker angesichts des Chaos und der absolut desolaten Lage in der Ostukraine sowie angesichts der weiterhin angestrebten Niederwerfung Russlands erklären kann, dass das Krisenjahr 2014 die Bereitschaft der Deutschen zum internationalen Engagement erhöht hat. »Die Deutschen«, so Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, am 3. Januar, »denken am Ende des Jahre 2014 anders über das Verhältnis ihres Landes zur Welt als am Jahresanfang.« Wo gedenkt Röttgen noch Krieg zu führen? Reichen die Infernos in Syrien, im Irak, das anhaltende Chaos in Afghanistan und die ethnischen Kämpfe in Afrika noch nicht? Was stellt sich dieser Mann eigentlich vor? Kaum ein normal denkender Bürger dürfte noch imstande sein, Verständnis für die Fortsetzung kriegerischer Aggressionen, die uns demnächst ins Armenhaus verfrachten werden, aufzubringen. Hinzu kommt, dass die Antikriegsstimmung gerade in der BRD in zahlreichen Umfragen einwandfrei ermittelt worden ist.  

Viktor Juschtschenko, der in der ersten Phase der Orangenen Revolution an die Macht gehievt worden war, hat, wie die Bürgerrechtsbewegung Solidarität berichtet, Anfang Januar eindringlich gewarnt, dass 60 % der Ukrainer gegen das Vorhaben der Regierung in Kiew, der NATO beizutreten, seien und zu einem nationalen Dialog aufgerufen. Selbst der Direktor der Arbeitsgruppe Ukraine in Europa des Atlantikrats, Adrian Karatnycky, warnte, der Rechte Sektor und fanatisch russlandfeindliche ukrainische Oligarchen, welche die Extremisten finanzieren, gefährdeten die Sicherheit der Ukraine und müssten sofort unter Kontrolle gebracht werden. Unmittelbar nach der Parlamentswahl in der Ukraine am 26. 10. 14 hatten radikale Neonazi-Fraktionen in der Ukraine Präsident Poroschenko offen gedroht, er dürfe den Prozess der Einbindung der Ukraine in die EU - und damit auch in die NATO - nicht verlangsamen. Der Chef des Bataillons Dnipro-1, einer vom ukrainischen Oligarchen Igor Kolomoisky unterhaltenen Neonazi-Miliz, hatte erklärt, Poroschenko habe 6 Monate Zeit, um ihre Forderungen zu erfüllen, sonst werde es einen Militärputsch geben. Am 1.1. marschierten in Kiew Tausende zum 106. Geburtstag des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera und liefen dabei dieselbe Strecke wie die ersten Majdan-Demonstranten. Was den ukrainischen Faschistenführer Oleh Tiahnybok, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Swoboda, angeht, so war Steinmeier mit diesem am 20. 2. 14 in den Räumen der deutschen  Botschaft in Kiew zusammengetroffen. Tiahnybok hatte an den mehrstündigen gemeinsamen Verhandlungen über den bewaffneten Umsturz in der Ukraine mit zwei weiteren Oppositionsführern gleichberechtigt teilgenommen. Heute hat die rechtsextreme Swoboda-Partei, die sich bis 2004 noch Sozial-Nationale Partei nannte, acht wichtige Posten im Kabinett unter Premierminister Jazenjuk inne. Der tschechische Präsident Milos Zeman erklärte am 3. 1. in einem Interview mit der Tageszeitung Pravo: »Der Majdan war alles andere als eine   demokratische Revolution. In der Ukraine läuft jetzt ein Bürgerkrieg.« Regierungschef Jazenjuk sei »höchstwahrscheinlich der Kriegsministerpräsident, denn er will keine friedliche Lösung.« Am Jahresende hatten die Aussenminister Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs telefonisch über eine schnelle Fortführung des Minsker Abkommens vom September zur Beilegung der Krise verhandelt und sich darauf geeinigt, dass die Kontaktgruppe wieder zusammentreten solle. Alles, so die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, hängt jetzt davon ab, ob der dominierende Einfluss von Obama und seiner Neocons-Frau fürs Grobe in der Ukraine, Victoria Nuland, effektiv gekappt werden kann, um zu verhindern, dass die Ukraine als Zünder zu einer thermonuklearen Eskalation mit Russland benutzt wird.  [8] 

Abschliessend eine Feststellung von Michail Gorbatschow, der die USA für den neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland verantwortlich macht: »Ich habe gelernt, dass du den Amerikanern zuhören kannst, aber du kannst ihnen nicht trauen.«

 

[1]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57684  1. 12. 09 
De-facto-Staat Ostukraine   
[2]  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1957   Zeit-Fragen  >  2014  >  Nr. 28, 18.11.2014  Nato sehnt händeringend russischen Einmarsch in die Ost-Ukraine herbei  -  Von Willy Wimmer  [3] 
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/willy-wimmer/das-ende-des-europaeischen-experiments-fliegt-2-15-alles-in-die-luft-html;jsessionid=C582B2D7CCA7B99C4216FBEC95E0C9B6   31. 12. 14  Das Ende des europäischen Experiments: Fliegt 2015 alles in die Luft? Von  Willy Wimmer 
[4]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58677  2. 9. 13  Die Allianzen der Rivalen  Wolfgang Ischinger: Die syrische Hölle. Warum wir die Lehren aus Bosnien nicht vergessen dürfen; Internationale Politik September/Oktober 2013 
[5] 
Daniel Twining: Periphery as the New King: Lessons from the Current Global Disorder for the Transatlantic Allies. GMF Policy Brief, October 2014  
[6]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58983   4. 11. 14
Eine Monroe-Doktrin für Osteuropa
James Kirchick: Eine Monroe-Doktrin für die Nato. www.faz.net 03.11.2014
James Kirchick: Warum wir die Deutschen ausspionieren müssen. www.faz.net 11.07.2014 
[7]  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58941    4. 9. 14  
Moskaus Drang nach Westen 
[8]  http://www.bueso.de/node/7835  5. 1. 15