Krieg um den Ölpreis

Wie Präsident Putin Mitte Oktober der russischen Agentur Tass gegenüber erklärte,

stelle sich Russland auf einen katastrophalen Verfall des Ölpreises ein, da ein solches Szenarium im Bereich des Möglichen liege. Auf dem G-20-Gipfel in Brisbane warnte er darüber hinaus vor einer neuen Blockbildung. Einem Bericht der FAZvom 16. 10. [1]  zufolge beschuldigt die russische Führung die USA, den Ölpreis künstlich zu senken, um Russland in den Bankrott zu treiben. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Nikolaj Patruschew, der zu Präsident Putins unmittelbarem Umfeld gehört, sprach in einem am 15. 10. veröffentlichten Interview mit der Regierungszeitung Rossijskaja Gasetaausführlich über den Verfall des Ölpreises in den achtziger Jahren; dieser war von der USA mit dem Ziel herbeigeführt worden, die von Rohstoffeinnahmen abhängige Sowjetunion in den Bankrott zu treiben. Gleichzeitig hatten die Vereinigten Staaten Moskau damals zu wachsenden Ausgaben gezwungen, indem sie in Polen und in anderen sozialistischen Ländern Unruhen anstifteten und so Russland in einen Rüstungswettlauf getrieben, was letztlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion führte. »Indessen ging Patruschew nicht so weit, den Preisverfall der vergangenen Tage als Werk der Amerikaner zu bezeichnen, legte jedoch dar, dass in der Ukraine mit amerikanischer Unterstützung ein Staatsstreich stattgefunden hat, »der dem klassischen Schema folgt, das in Lateinamerika, Afrika und im Nahen Osten entwickelt wurde. ….. Die Analyse zeigt, dass die Amerikaner, indem sie Russland zu Gegenmassnahmen provozieren, die gleichen Ziele verfolgen wie in den achtziger Jahren in Bezug auf die Sowjetunion.« In der Lesart Patruschews, der für die Formulierung der russischen Sicherheitspolitik verantwortlich ist, ist die Ukrainekrise die vorgreifende Reaktion auf eine Annäherung Russlands an China. In einem am 14. 10. vom russischen Institut für Strategische Studien[RISS] veröffentlichten Bericht heisst es, es gebe wie in den achtziger Jahren Abmachungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien, den Ölpreis durch Überproduktion zu drücken. Die Sanktionen, der sinkende Ölpreis und der seit Anfang Oktober stark fallende Rubelkurs bezeichnet das RISS, dessen Hauptaufgabe es ist, politische Analysen für den Kreml zu erstellen, als Instrumente einer grossangelegten Strategie zum Sturz Putins. Die Sanktionen würden nicht als Reaktion des Westens auf das russische Vorgehen in der Ukraine verstanden, sondern als Teil der westlichen Strategie gegen Russland. Inzwischen machen die geringeren Einnahmen durch den stetig fallenden Öl-Preis auch den erdölexportierenden Schwellenländern zu schaffen; betroffen sind vor allem Brasilien, Nigeria und Algerien. 

Den eigentlichen Hintergrund beleuchtet F. William Engdahl in seinem nachfolgenden Artikel  

Hat Washington ein fettes Eigentor geschossen? 
Mittlerweile berichtet sogar die New York Times über die geheime Strategie der Obama- Regierung, Russland in den Bankrott zu treiben, indem man den Busenfreund Saudi-Arabien dazu bringt, den Ölpreis weltweit in den Keller zu treiben. Allerdings sieht es immer mehr so aus, als hätten die konservativen Russlandhasser und Möchtegern-Kalten-Krieger um Barack Obama damit ein fettes Eigentor geschossen. Wie ich schon früher dargelegt habe [2],  ist diese Ölpreis-Strategie einfach dumm. Dumm deswegen, weil nicht alle Konsequenzen berücksichtigt wurden. Dabei bräuchte man doch nur einmal darüber nachzudenken, wie sich sinkende Ölpreise auf die Ölförderung in der USA selbst auswirken. Der Kollaps der US-Ölpreise seit September könnte schon bald die gesamte Schieferöl-Blase zum Platzen bringen. Damit wäre die Illusion dahin, die Vereinigten Staaten könnten Saudi-Arabien und Russland als grösste Ölproduzenten der Welt ablösen. Aber genau diese Illusion, die durch eine vom Energieministerium veröffentlichte getürkte Reserven-Einschätzung genährt wurde, war eine wichtige Stütze von Obamas geopolitischer Strategie. Schon bald wird sich das finanzielle Schneeballsystem hinter der in den letzten Jahren gestiegenen Ölförderung in der USA in Nichts auflösen. Der Absturz des Ölpreises um 23 % seit dem Geheimtreffen zwischen John Kerry und König Abdullah von Saudi-Arabien entzieht der Schieferöl-Förderung die wirtschaftliche Grundlage. Kerry und König Abdullah hatten sich Anfang September auf einen Ölpreis-Krieg gegen Russland geeinigt. Gerade haben Wall-Street-Analysten bei Goldman Sachs ihre Prognose für 2015 für die Preisentwicklung US-amerikanischen Erdöls veröffentlicht. Danach wird der Richtwert, der so genannte WTI (West Texas Immediate), auf 70 $ für das Barrel sinken. Im September 2013 lag der WTI bei über 106 $ pro Barrel. Das bedeutet einen Preiseinbruch von 34 % innerhalb weniger Monate.  

Warum ist das für die Schieferölproduktion in den USA so wichtig? Weil sich Schieferöl oder Tight Oil, wie es die Industrie nennt, sehr viel schneller erschöpft. Der kanadische Erdölgeologe David Hughes, der seit 30 Jahren für den Geological Survey of Canada tätig ist, präsentiert jetzt eine umfassende neue Analyse. Die darin verwendeten Daten aus der bestehenden Schieferölförderung, die zum ersten Mal veröffentlicht werden [Schieferöl wird ja noch nicht sehr lange gefördert], zeigen einen dramatischen Rückgang des Fördervolumens aus amerikanischen  Schieferölvorkommen. Die Dreijahres-Erschöpfungsrate der 7 Schieferölbecken, die für den Bericht erfasst wurde, reicht von 60 % bis 91 %. Das heisst, um diesen Prozentsatz ist die Menge des aus diesen Lagerstätten geförderten Schieferöls in den letzten drei Jahren zurückgegangen. Also wurden in den ersten drei Jahren auf der Anlage nur 43 bis 64 % des Gesamtpotentials [Estimated Ultimate Recovery] gewonnen. Die Produktivität von 4 der 7 Schiefergasbecken ist bereits ins Endstadium der Erschöpfung getreten, das gilt für den Haynesville-Schiefer, den Fayetteville-Schiefer, den Woodford-Schiefer und den Barnett-Schiefer. 

Ein Rückgang der täglichen Ölförderung von 60 bis 91 % in diesen besten Schieferölregionen bedeutet, dass die Fördergesellschaften tiefer bohren müssen, um die Förderung aufrecht zu erhalten, von einer Steigerung gar nicht zu reden. Das kostet Geld, und zwar sehr viel Geld. Laut Hughes hat Obamas Energieministerium völlig unkritisch viel zu optimistische Zahlen übernommen, die ihm von den Unternehmen übermittelt wurden, die das Märchen vom Schieferöl in Amerika verbreiten. Hughes eigene Berechnungen ergeben für 2040 eine Schieferölförderung von lediglich 10 % des Werts, den das Energieministerium zugrunde legt. Hughes beschreibt das Dilemma der Schieferölgesellschaften als »Bohr-Tretmühle«. Sie müssen immer mehr Löcher bohren, nur um die Produktion auf dem gegenwärtigen Stand zu halten. Bisher haben sich die Ölgesellschaften zur Maximierung der Produktion die aussichtsreichsten Regionen, die sogenannten »sweet spots«, vorgenommen. Aber jetzt, wo die Förderung endgültig zurückgeht, sind sie gezwungen, auch an Stellen mit geringerem Potential zu bohren. Hughes: »Wenn die Zukunft der Erdöl- und Erdgasförderung in der USA von Vorkommen in den tiefen Schieferlagern abhängt, … steht uns eine grosse Enttäuschung bevor.« 

Einbrechender Ölpreis 
Hughes beschreibt den Zustand der Schieferölförderung vor dem Beginn des von Kerry und Abdullah eingeleiteten Ölpreiskriegs. Seither sind die amerikanischen WIT-Preise in nur sechs Wochen um 25 % gefallen, und der Absturz setzt sich fort. Andere grosse Ölförderländer wie Russland und der Iran überschwemmen den Weltmarkt ebenfalls mit Öl, um ihre Staatseinnahmen  zu erhöhen. Die Folge ist eine globale Ölschwemme, die die Preise weiter ins Wanken bringt. Laut Philip Verleger, ehemals Direktor von Präsident Carters Office of Energy Policy und heute Berater in Energiefragen, würde die Produktion in der wichtigen Bakken-Formation in North Dakota bei einem Ölpreis von 70 $ pro Barrel um 28 % auf 800 000 Barrel täglich zurückgehen; im Juli waren es noch 1,1 Millionen Barrel pro Tag gewesen. »In dem Masse, wie die Preise sinken, sinkt auch der Cash Flow, das Geld für weitere Bohrungen wird völlig versiegen; wir werden also einen deutlichen Rückgang der Bohrungen erleben«, sagte Verleger. Für die Erdöl-Geopolitik der USA würde ein Ende der Schieferölblase einen vernichtenden Schlag bedeuten. Schätzungen zufolge stammen heute 55 % des geförderten Erdöls in der USA und der gesamte Zuwachs der Förderung der letzten paar Jahre aus dem Fracking von Schieferöl. Stockt die Finanzierung wegen wirtschaftlicher Risiken inmitten fallender Ölpreise, werden die Betreiber gezwungen, neue Bohrungen, ohne die sich das Förderniveau nicht aufrechterhalten lässt, einzustellen. Die aggressive US-Aussenpolitik im Nahen und Mittleren Osten  - der Krieg gegen das Assad-Regime in Syrien, die strikten Öl-Sanktionen gegen den Iran, die Sanktionen gegen russische Ölprojekte, das zynische Tolerieren des ISIS in irakischen Erdölregionen, die Weigerung, zugunsten einer Stabilisierung der Erdölwirtschaft in Libyen einzugreifen und stattdessen eine Un-Ordnung hinzunehmen -  all dies beruht auf Washingtons grosspuriger Fehleinschätzung, die USA sei wieder der König des Erdöls in der Welt und könnte sich hochriskante geopolitische Spielereien leisten.

Das Wachstum der Schieferölförderung, das vom US-Energieministerium, das die CIA, das Verteidigungs- und Aussenministerium sowie das Weisse Haus in Energiefragen berät, prognostiziert wurde, beruhte auf Mythen und Lügen. Und genau diese Mythen und Lügen über die rosigen Aussichten der Schieferölförderung veranlassten das Weisse Haus unter Obama zu neuen Ölkriegen. Deutlich wurde diese ölige Arroganz bei einer Rede von Obamas früherem Nationalen Sicherheitsberater Tom Donilon im April 2013 an der Columbia University. Donilon, damals noch im Amt, sagte öffentlich: »Amerikas neue Stellung in der Energieversorgung gestattet uns, aus einer Position grösserer Stärke heraus zu agieren. Die bessere Versorgung wirkt als Puffer, der dazu beiträgt, unsere Verletzlichkeit durch globale Lieferunterbrechungen und Preisschocks zu reduzieren. Und sie verleiht uns eine stärkere Hand bei der Durchsetzung unserer internationalen Sicherheitsziele.« 

In einem können wir uns sicher sein, hatte F. William Engdahl in seinem Artikel ›Plant Obama mit den Saudis einen neuen Ölkrieg gegen Russland?‹ am 15. April erklärt: »Nach Washingtons blutigem Putsch in der Ukraine, der unter dem verlogenen Mantra von Demokratie Neonazis und Freimarkt-Plünderer an die Macht brachte, plant man jetzt in Washington, Russland als Opposition zur globalen Hegemonie der USA auszuschalten. Es ist eindeutig, dass die USA nach neuen Wegen sucht, um Russland aufs Kreuz zu legen. Eine Waffe, die dabei in Erwägung gezogen wird, ist so neu nicht: die Ölwaffe.

 

Quelle: Hat Washington ein fettes Eigentor geschossen?  - Von F. William Engdahl    http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/f-william-engdahl/hat-washington-ein-fettes-eigentor-geschossen-.html  30. 10. 14 

[1]  http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/moskau-attackiert-amerika-wegen-niedrigem-oelpreis-13212757.html   16. 10. 14  -  Provozierter Zusammenbruch
[2]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2250  6. 4. 14  
Zusammenarbeit mit Russland und China statt Untergang mit dem Empire