Nein-Komitee warnt vor eingeschränkter Arztwahl - Patienten würden nicht mehr in jedem Fall von einem Arzt versorgt werden 09.05.2014 21:36
In letzter Minute macht nun doch noch ein Komitee gegen den Bundesbeschluss
über die
medizinische Grundversorgung - den Gegenvorschlag zur Hausarzt-Initiative - mobil. Nur zehn Tage vor der Abstimmung
präsentierten sie vor den Medien in Bern erstmals ihre Argumente.
Im
Nein-Komitee vertreten sind rund 20 Ärzte und gut ein Dutzend amtierende und
ehemalige SVP-Nationalräte. Die Ärzte warnten davor, dass Patienten bei einem
Ja zur Vorlage gezwungen werden, sich in Gesundheitszentren versorgen zu lassen.
Die
freie Arztwahl werde abgeschafft, die Rolle des Hausarztes geschwächt.
Patienten würden nicht mehr in jedem Fall von einem Arzt versorgt, so komme es zu
Fehldiagnosen und Verzögerungen bei der Behandlung, erklärten die Vertreter des
Komitees.
Keine Erwähnung im
Bundesbeschluss Im
Bundesbeschluss, über den am 18. Mai abgestimmt wird, sind die von den Ärzten
kritisierten Punkte allerdings nicht erwähnt. Im Verfassungstext heisst es
lediglich, Bund und Kantone sollen für eine ›ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von
hoher Qualität‹ sorgen. Sie sollen zudem die Hausarztmedizin
fördern. Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bundesrat, dass es ›vermehrt neue Versorgungsmodelle wie
Gemeinschaftspraxen und Gesundheitszentren braucht‹. Von einem Zwang, ein Gesundheitszentrum zu besuchen oder einer
Einschränkung der Arztwahl ist keine Rede. Trotzdem sind die Gegner überzeugt,
dass es so weit kommen wird. In Hintergrundpapieren des Bundes werde genau dies
erwähnt, sagte die Ärztin Susanne
Lippman-Rieder. Und was einmal auf Papier stehe, werde bekanntlich auch so
umgesetzt. Am Ende wird allerdings das Parlament und nicht eine Bundesstelle
bestimmen, wie der neue Verfassungsartikel gesetzlich umgesetzt werden soll.
Kaum Chancen Der
Gegenentwurf zur Hausarzt-Initiative blieb lange oppositionslos. Alle Parteien
ausser die SVP unterstützen die Vorlage, ebenso Ärzte- und andere
Gesundheitsberufe-Organisationen. Selbst die SVP verzichtete auf eine
Gegenkampagne, da die Partei bereits beim Gripen und den Mindestlöhnen die
Federführung hat. Gemäss der SRG-Trendumfrage vom 7. Mai dürfte die Vorlage
klar angenommen werden, aktuell würden 71 % dafür stimmen. Auf die späte
Nein-Komitee-Gründung angesprochen sagte die Ärztin Lippmann, man habe erst
nach intensivem Studium von Hunderten von Seiten von Hintergrundpapieren
gemerkt, was wirklich hinter der Vorlage stecke. Die Bürger würden
getäuscht, weil sie nicht richtig informiert seien.
Das
NEIN-Komitee weist auf einen schweren Vertrauensbruch durch die Initianten der
Volksinitiative und die Verantwortlichen in Bundesbern hin.
Anzumerken
hierzu ist auch der Fakt, dass über 200 000 Bürger die Volksinitiative ›Ja zur Hausarztmedizin‹ unterschrieben haben, um den Hausarzt
zu stärken. Die Initianten haben die Volksinitiative nach einem intransparenten
Deal zugunsten des Gegenvorschlags des Bundesrates zurückgezogen. Der
Gegenvorschlag verkehrt nun die Volksinitiative in ihr Gegenteil, weil der
Hausarzt im Verfassungstext nicht mehr erwähnt wird und durch den misteriösen
Begriff ›ausreichende medizinische
Grundversorgung‹ ersetzt wird. Die
bisherigen Tätigkeiten des Hausarztes (Diagnose, Behandlung,
Medikamentenabgabe) sollen von einem nicht ärztlich ausgebildeten Team
übernommen werden (Gate-Keeper-Modell, WHO - Barfussärztekonzept). Der Hausarzt
würde nur noch die Fälle übernehmen, die das Team im zuweisen würde. Der
Hausarzt wäre dem Team hierarchisch gleichgestellt und nicht für die Arbeit des
Teams verantwortlich. Mit diesem Konzept
wird die Stellung des Hausarztes geschwächt und der Beruf noch unattraktiver. Der Rückzug der Initiative ist ein schwerer
Vertrauensbruch und ein Affront gegenüber den über 200 000 gutgläubigen
Unterzeichner der Volksinitiative und allen die sich in vielen Gratisstunden
bei der Unterschriftensammlung eingesetzt haben. Den Stimmbürgern wurde die
Möglichkeit genommen, zwischen Initiative und Gegenvorschlag zu wählen.
Damit ist nicht nur ein Vertrauensschaden bei der Direkten Demokratie
entstanden, sondern die Initianten haben damit möglicherweise ihrem eigenen
Berufsstand (!) schwer geschadet, ist doch das Vertrauen, die wichtigste
Voraussetzung für die Beziehung zwischen Arzt und Patient.
Ist Ihnen
aufgefallen, schreibt auch Peter Aebersold in der ›SÜDOSTSCHWEIZ.CH‹, dass
im Verfassungstext des Gegenvorschlags der Hausarzt nicht mehr erwähnt wird?
Die ›medizinische Grundversorgung‹ ist eine Mogelpackung mit einer ›Hausarztmedizin‹ ohne Hausarzt. Beim WHO-Konzept der ›medizinischen Grundversorgung‹
ist für die breite Bevölkerung eine zweitklassige - letztendlich jedoch teurere - ›Hausarztmedizin‹ vorgesehen: Der Patient würde in
erster Linie von einem Nichtarzt (Krankenschwester,
Ernährungsberater, Fusspfleger usw.) empfangen und ›behandelt‹ und nicht
mehr unbedingt von seinem Hausarzt. Dieses WHO - Barfussärzte-Modell wurde in den
1970ern als billiger Basisgesundheitsdienst für Entwicklungsländer propagiert
und ist gescheitert. Das nach dem Vorbild von Maos ›Barfussärzten‹
konzipierte WHO-Modell führte in der Praxis zu einem unzureichend
ausgestatteten öffentlichen Gesundheitswesen mit unmotivierten, überarbeiteten
und schlechter qualifiziertem Personal sowie einem Privatsektor, der
qualifizierte Leistungen nur gegen hohe Bezahlung bereitstellte. Der
zentralistische Gegenvorschlag ist gefährlich und unnötig, weil die Kantone die
Hausärzte in eigener Initiative fördern können, wie es der Kanton Uri vormacht.
[2]
Darüber
hinaus ist die Redaktion gebeten worden, die nachfolgende Stellungnahme des
Sozialpädagogen [FH] Georg Koch zu veröffentlichen; diese zeigt auf, was wir erwarten können, wenn der
Gegenvorschlag durchkommt und bei uns der Gesundheitsvogt in Bern eine ›ausreichende medizinische
Grundversorgung‹ diktieren könnte:
Zur Eidgenössischen
Volksabstimmung vom 18. 5. 2014 Vor etwa
einem Jahr musste ich erleben, wie meine Schwester in Schweden an Lungenkrebs
in einem grausam langwierigen Prozess sterben musste. Neben ihrer Nikotinsucht
wurde sie das Opfer des skandinavischen Gesundheitsmodells, mit dem Bundesrat
Berset mit seiner Mogelpackung ›Bundesbeschluss
über die medizinische Grundversorgung‹
auch uns hier ›beglücken‹ möchte. In Skandinavien ist im
Gesundheitsbereich ein sogenanntes ›Gate-Keeper-System‹ üblich, Pflegefachpersonen nehmen
Patienten entgegen und haben darüber zu entscheiden, ob ein erkrankter Bürger dem Arzt
vorgestellt wird oder nicht. Hat man diese Hürde genommen, entscheidet
der Hausarzt darüber, ob man zu einem Facharzt darf oder nicht. Bei
meiner Schwester hat dies dazu geführt, dass bei ihr über Monate hinweg
fälschlich eine Lungenentzündung diagnostiziert wurde, die mit diversen
Antibiotika erfolglos behandelt wurde. Nach
den Pflegefachpersonen zögerte auch ihr Hausarzt eine genaue Abklärung beim
Lungenspezialisten über Monate hinaus, bis es schliesslich zu spät war. Ihr
Krebs hatte bereits so gestreut, dass er nicht mehr zu operieren war. Von der Fehldiagnose
Lungenentzündung bis zur korrekten Diagnose hatte es über sieben Monate
gedauert, obwohl sie bereits so schwach war, dass ich sie am Telefon kaum mehr
verstehen konnte.
In seiner
Botschaft zu dieser Verfassungsänderung (!) schreibt Bundesrat Berset ›Deshalb sollte in Zukunft verstärkt
auf eine integrierte Versorgung hingearbeitet werden, in der zur Beratung,
Triage und Behandlung der Patientinnen und Patienten auch andere Fachpersonen
der medizinischen Grundversorgung einbezogen werden.‹ (S. 7568) In einer Studie zu Neuen Versorgungsmodellen für die
medizinische Grundversorgung wird vom BAG das Skandinavische Modell empfohlen.
Auf Grund meiner bitteren Erfahrungen kann ich nur davor warnen, der
wohlklingenden Mogelpackung zur medizinischen Grundversorgung zuzustimmen und
empfehle statt dessen eine Ausweitung der Studienplätze zum bewährten Schweizer
Hausarzt.
Stetten,
den 6. Mai 2014 georgko@bluewin.ch
[1] http://www.news.ch/Nein+Komitee+warnt+vor+eingeschraenkter+Arztwahl/625393/detail.htm resp. https://www.google.ch/#q=http%3A%2F%2Fwww.Nein-zum-Bundesbeschluss-ueber-die-medizinische-Grundversorgung.ch info@Nein-zum-Bundesbeschluss-ueber-die-medizinische-Grundversorgung.ch
[2] http://www.suedostschweiz.ch/community/leserforum/nein-zum-gegenvorschlag-keine-barfussmedizin 30. 4. 14
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