Nein-Komitee warnt vor eingeschränkter Arztwahl - Patienten würden nicht mehr in jedem Fall von einem Arzt versorgt werden

In letzter Minute macht nun doch noch ein Komitee gegen den Bundesbeschluss

über die medizinische Grundversorgung - den Gegenvorschlag zur Hausarzt-Initiative -  mobil. Nur zehn Tage vor der Abstimmung präsentierten sie vor den Medien in Bern erstmals ihre Argumente.

Im Nein-Komitee vertreten sind rund 20 Ärzte und gut ein Dutzend amtierende und ehemalige SVP-Nationalräte. Die Ärzte warnten davor, dass Patienten bei einem Ja zur Vorlage gezwungen werden, sich in Gesundheitszentren versorgen zu lassen. Die freie Arztwahl werde abgeschafft, die Rolle des Hausarztes geschwächt. Patienten würden nicht mehr in jedem Fall von einem Arzt versorgt, so komme es zu Fehldiagnosen und Verzögerungen bei der Behandlung, erklärten die Vertreter des Komitees.

Keine Erwähnung im Bundesbeschluss  
Im Bundesbeschluss, über den am 18. Mai abgestimmt wird, sind die von den Ärzten kritisierten Punkte allerdings nicht erwähnt. Im Verfassungstext heisst es lediglich, Bund und Kantone sollen für eine ausreichende, allen zugängliche medizinische Grundversorgung von hoher Qualität‹   sorgen. Sie sollen zudem die Hausarztmedizin fördern. Im Abstimmungsbüchlein schreibt der Bundesrat, dass es vermehrt neue Versorgungsmodelle wie Gemeinschaftspraxen und Gesundheitszentren braucht. Von einem Zwang, ein Gesundheitszentrum zu besuchen oder einer Einschränkung der Arztwahl ist keine Rede. Trotzdem sind die Gegner überzeugt, dass es so weit kommen wird. In Hintergrundpapieren des Bundes werde genau dies erwähnt, sagte die Ärztin Susanne Lippman-Rieder. Und was einmal auf Papier stehe, werde bekanntlich auch so umgesetzt. Am Ende wird allerdings das Parlament und nicht eine Bundesstelle bestimmen, wie der neue Verfassungsartikel gesetzlich umgesetzt werden soll.  

Kaum Chancen 
Der Gegenentwurf zur Hausarzt-Initiative blieb lange oppositionslos. Alle Parteien ausser die SVP unterstützen die Vorlage, ebenso Ärzte- und andere Gesundheitsberufe-Organisationen. Selbst die SVP verzichtete auf eine Gegenkampagne, da die Partei bereits beim Gripen und den Mindestlöhnen die Federführung hat. Gemäss der SRG-Trendumfrage vom 7. Mai dürfte die Vorlage klar angenommen werden, aktuell würden 71 % dafür stimmen. Auf die späte Nein-Komitee-Gründung angesprochen sagte die Ärztin Lippmann, man habe erst nach intensivem Studium von Hunderten von Seiten von Hintergrundpapieren gemerkt, was wirklich hinter der Vorlage stecke. Die Bürger würden getäuscht, weil sie nicht richtig informiert seien.

Das NEIN-Komitee weist auf einen schweren Vertrauensbruch durch die Initianten der Volksinitiative und die Verantwortlichen in Bundesbern hin.

Anzumerken hierzu ist auch der Fakt, dass über 200 000 Bürger die Volksinitiative Ja zur Hausarztmedizin unterschrieben haben, um den Hausarzt zu stärken. Die Initianten haben die Volksinitiative nach einem intransparenten Deal zugunsten des Gegenvorschlags des Bundesrates zurückgezogen. Der Gegenvorschlag verkehrt nun die Volksinitiative in ihr Gegenteil, weil der Hausarzt im Verfassungstext nicht mehr erwähnt wird und durch den misteriösen Begriff ausreichende medizinische Grundversorgung ersetzt wird. Die bisherigen Tätigkeiten des Hausarztes (Diagnose, Behandlung, Medikamentenabgabe) sollen von einem nicht ärztlich ausgebildeten Team übernommen werden (Gate-Keeper-Modell, WHO - Barfussärztekonzept). Der Hausarzt würde nur noch die Fälle übernehmen, die das Team im zuweisen würde. Der Hausarzt wäre dem Team hierarchisch gleichgestellt und nicht für die Arbeit des Teams verantwortlich.  Mit diesem Konzept wird die Stellung des Hausarztes geschwächt und der Beruf noch unattraktiver.  Der Rückzug der Initiative ist ein schwerer Vertrauensbruch und ein Affront gegenüber den über 200 000 gutgläubigen Unterzeichner der Volksinitiative und allen die sich in vielen Gratisstunden bei der Unterschriftensammlung eingesetzt haben. Den Stimmbürgern wurde die Möglichkeit genommen, zwischen Initiative und Gegenvorschlag zu wählen. Damit ist nicht nur ein Vertrauensschaden bei der Direkten Demokratie entstanden, sondern die Initianten haben damit möglicherweise ihrem eigenen Berufsstand (!) schwer geschadet, ist doch das Vertrauen, die wichtigste Voraussetzung für die Beziehung zwischen Arzt und Patient.

Ist Ihnen aufgefallen, schreibt auch Peter Aebersold in der SÜDOSTSCHWEIZ.CH, dass im Verfassungstext des Gegenvorschlags der Hausarzt nicht mehr erwähnt wird? Die medizinische Grundversorgung ist eine Mogelpackung mit einer Hausarztmedizin ohne Hausarzt. Beim WHO-Konzept der medizinischen Grundversorgung ist für die breite Bevölkerung eine zweitklassige  - letztendlich jedoch teurere -  Hausarztmedizin vorgesehen: Der Patient würde in erster Linie von einem Nichtarzt (Krankenschwester, Ernährungsberater, Fusspfleger usw.) empfangen und behandelt und nicht mehr unbedingt von seinem Hausarzt. Dieses WHO -  Barfussärzte-Modell wurde in den 1970ern als billiger Basisgesundheitsdienst für Entwicklungsländer propagiert und ist gescheitert. Das nach dem Vorbild von Maos Barfussärzten konzipierte WHO-Modell führte in der Praxis zu einem unzureichend ausgestatteten öffentlichen Gesundheitswesen mit unmotivierten, überarbeiteten und schlechter qualifiziertem Personal sowie einem Privatsektor, der qualifizierte Leistungen nur gegen hohe Bezahlung bereitstellte. Der zentralistische Gegenvorschlag ist gefährlich und unnötig, weil die Kantone die Hausärzte in eigener Initiative fördern können, wie es der Kanton Uri vormacht.  [2]

Darüber hinaus ist die Redaktion gebeten worden, die nachfolgende Stellungnahme des Sozialpädagogen [FH] Georg Koch zu veröffentlichen; diese zeigt auf, was wir erwarten können, wenn der Gegenvorschlag durchkommt und bei uns der Gesundheitsvogt in Bern eine ausreichende medizinische Grundversorgungdiktieren könnte:

Zur Eidgenössischen Volksabstimmung vom 18. 5. 2014  
Vor etwa einem Jahr musste ich erleben, wie meine Schwester in Schweden an Lungenkrebs in einem grausam langwierigen Prozess sterben musste. Neben ihrer Nikotinsucht wurde sie das Opfer des skandinavischen Gesundheitsmodells, mit dem Bundesrat Berset mit seiner Mogelpackung Bundesbeschluss über die medizinische Grundversorgung auch uns hier beglücken möchte. In Skandinavien ist im Gesundheitsbereich ein sogenanntes Gate-Keeper-System üblich, Pflegefachpersonen nehmen Patienten entgegen und haben darüber zu entscheiden, ob ein erkrankter Bürger dem Arzt vorgestellt wird oder nicht. Hat man diese Hürde genommen, entscheidet der Hausarzt darüber, ob man zu einem Facharzt darf oder nicht. Bei meiner Schwester hat dies dazu geführt, dass bei ihr über Monate hinweg fälschlich eine Lungenentzündung diagnostiziert wurde, die mit diversen Antibiotika erfolglos behandelt wurde.   Nach den Pflegefachpersonen zögerte auch ihr Hausarzt eine genaue Abklärung beim Lungenspezialisten über Monate hinaus, bis es schliesslich zu spät war. Ihr Krebs hatte bereits so gestreut, dass er nicht mehr zu operieren war. Von der Fehldiagnose Lungenentzündung bis zur korrekten Diagnose hatte es über sieben Monate gedauert, obwohl sie bereits so schwach war, dass ich sie am Telefon kaum mehr verstehen konnte.

In seiner Botschaft zu dieser Verfassungsänderung (!) schreibt Bundesrat Berset Deshalb sollte in Zukunft verstärkt auf eine integrierte Versorgung hingearbeitet werden, in der zur Beratung, Triage und Behandlung der Patientinnen und Patienten auch andere Fachpersonen der medizinischen Grundversorgung einbezogen werden. (S. 7568) In einer Studie zu Neuen Versorgungsmodellen für die medizinische Grundversorgung wird vom BAG das Skandinavische Modell empfohlen. Auf Grund meiner bitteren Erfahrungen kann ich nur davor warnen, der wohlklingenden Mogelpackung zur medizinischen Grundversorgung zuzustimmen und empfehle statt dessen eine Ausweitung der Studienplätze zum bewährten Schweizer Hausarzt.  

Stetten, den 6. Mai 2014  
georgko@bluewin.ch
 

 

[1]  http://www.news.ch/Nein+Komitee+warnt+vor+eingeschraenkter+Arztwahl/625393/detail.htm
resp.
https://www.google.ch/#q=http%3A%2F%2Fwww.Nein-zum-Bundesbeschluss-ueber-die-medizinische-Grundversorgung.ch
info@Nein-zum-Bundesbeschluss-ueber-die-medizinische-Grundversorgung.ch 


[2]  http://www.suedostschweiz.ch/community/leserforum/nein-zum-gegenvorschlag-keine-barfussmedizin  30. 4. 14