Keine institutionelle Einbindung in die EU - Die Personenfreizügigkeit ist beendet 04.05.2014 20:51
Die SVP bedauert, dass es nun offenbar zu Verhandlungen über eine institutionelle
Einbindung
der Schweiz in die EU kommt. Ziel dieser Verhandlungen ist, dass die Schweiz zwingend
EU-Recht übernehmen und fremde Richter akzeptieren muss. Die SVP wird dies
nicht zulassen und das Zustandekommen eines solchen Kolonialvertrags mit
allen Mitteln bekämpfen. Gleichzeitig verlangt die SVP, dass der Bundesrat
endlich unmissverständlich anerkennt, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU
am 9. Februar 2014 durch Volk und Stände beendet wurde. Der Bundesrat hat nun
rasch ein Konzept vorzulegen, wie die Zuwanderung mit Kontingenten und
Höchstzahlen wieder eigenständig gesteuert werden kann. Eine institutionelle
Einbindung in die EU liegt nicht im Interesse der Schweiz, sondern ist eine
Forderung der EU, um ihre Interessen und ihren Machtanspruch auch in der
Schweiz durchzusetzen. Umso unverständlicher ist es, dass der Bundesrat
gegenüber der EU nun weitere Konzessionen für die Aufnahme solcher
Verhandlungen macht. Es ist beispielsweise auch nicht einzusehen, weshalb
die Schweiz 45 Millionen Franken an Kroatien zahlen soll. Ebenfalls ist
klar, dass es mit Kroatien keine Personenfreizügigkeit geben darf.
Aufgabe der
Unabhängigkeit für Zirkus-Kurse? Bedenklich
ist auch, dass der Bundesrat nun offenbar bereit ist, die Unabhängigkeit und
Selbstbestimmung der Schweiz für eine vollständige Assoziierung an die
fragwürdigen Bildungs- und Forschungsprogramme der EU zu opfern. Programme,
welche einem teuren Selbstbedienungsladen auf Kosten des Steuerzahlers
gleichkommen.
Volk und
Stände haben mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 die
Personenfreizügigkeit beendet und sich für die Rückkehr zu einer eigenständigen
Steuerung der Zuwanderung ausgesprochen. Diesen Entscheid gilt es durch den
Bundesrat endlich vollumfänglich zu respektieren. Die SVP verlangt, dass der
Bundesrat nun rasch ein Umsetzungskonzept vorlegt, wie die Zuwanderung in
Zukunft über Kontingente und Höchstzahlen zu steuern ist. Dabei kann er auf den
bewährten Regelungen aufbauen, welche zwischen 1970 und 2002 galten. Spätestens
in drei Jahren – nach Ablauf der Übergangsfrist der
Masseneinwanderungsinitiative – ist die Ära der Personenfreizügigkeit zu Ende
und die Schweiz kann die Zuwanderung wieder zum Wohle des Landes und seiner
Bürger eigenständig steuern.
Offensichtliche
Strategie zur Aushebelung der Masseneinwanderungsinitiative
- Von Martin Baltisser Die Medienkonferenz
von Bundespräsident Burkhalter am 30. April, die anschliessend an die Bundesratssitzung
erfolgte, war entwaffnend. Den Kern der präsidialen Ausführungen bildeten nicht
etwa die Beschlüsse des Bundesrats über die Zuwanderung aus Kroatien, sondern
das gleichentags erteilte Placet der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten
in Brüssel zu einem Verhandlungsmandat für
die sogenannten ›institutionellen
Fragen‹. Ein Rahmenabkommen mit
Brüssel sei ›der Schlüssel‹ für die künftigen Beziehungen der
Schweiz zur EU, betonte Burkhalter gleich mehrfach. Klar ist seit gestern
ebenfalls, dass ein solches Abkommen für den Bundesrat auch der Schlüssel für
die Umgehung
des Volksentscheids vom 9. Februar 2014 ist.
Bislang
wurden die Verhandlungen über eine weitere institutionelle Anbindung der
Schweiz mit dem Argument verkauft, dass eine Harmonisierung der Rechtsetzung
und der Rechtsauslegung für den künftigen Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt
notwendig sei. Immer mehr wird nun klar, dass ein solches Abkommen auch dazu
dienen soll, den Volksentscheid vom 9. Februar zur
Masseneinwanderungsinitiative rückgängig zu machen. Wenn sich die Schweiz zur
Übernahme des EU-Rechts und dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof
in allen für den Zugang zum Binnenmarkt relevanten Bereichen verpflichtet - was dem Verhandlungsmandat des Bundesrats
vom 18. Dezember 2013 entspricht - bedeutet das auch ein umfassendes Bekenntnis
zur Personenfreizügigkeit als eine der vier Grundfreiheiten des
EU-Binnenmarkts: Freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier
Kapitalverkehr, freier Personenverkehr. Dies, obwohl die Schweiz kein Mitglied
des EU-Binnenmarktes ist. Kommt ein solches Abkommen zustande und stimmt ihm
das Volk in einer absehbaren Referendumsabstimmung zu, hebelt es als
völkerrechtlicher Vertrag auch die seit dem 9. Februar 2014 geltende
Verfassungsbestimmung zur Steuerung der Zuwanderung aus. Genau dies ist die
Strategie des Bundesrats. Die angelaufene innenpolitische Umsetzung der
Masseneinwanderungsinitiative verkommt damit ebenso zum Nebenschauplatz wie das
aktuelle Geplänkel über den Zugang zu den EU-Bildungs- und
Forschungsprogrammen. Zu Verhandlungen mit Brüssel über eine Anpassung des
Freizügigkeitsabkommens als Folge der angenommenen Volksinitiative wird es nach
dem Wunschszenarium des Bundesrates nicht einmal mehr kommen, da ein
Rahmenabkommen vorher unter Dach und Fach sein sollte.
Spiegelfechterei
Und so wurde
die aufmerksame Öffentlichkeit gestern Zeuge einer bis ins letzte Detail inszenierten
Spiegelfechterei. Der Bundesrat winkte zwei von Brüssel bestellte Erklärungen
durch und kommunizierte diese bereits kurz nach Sitzungsbeginn per Communiqué.
Darauf wiederum warteten die EU-Botschafter in Brüssel, damit diese ihrerseits
grünes Licht für das Verhandlungsmandat mit der Schweiz zu den institutionellen
Fragen geben konnten. Ein Verhandlungsmandat, dessen Inhalt dem Mandat des
Bundesrats für die Schweiz entsprechen dürfte. Darauf hatten sich die beiden
Chefunterhändler der Schweiz und der EU, Rossier und O’Sullivan, bereits im
vergangenen Jahr verständigt. Die Beschlüsse des Bundesrats von gestern sind
dabei von untergeordneter Bedeutung. Die Erklärung des Bundesrats ›betreffend die Nicht-Diskriminierung
von kroatischen Bürgern und Bürgerinnen‹
entspricht einer materiellen Umsetzung der mit Kroatien vereinbarten
Kernelemente zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf dieses Land. Da in
der Übergangszeit begrenzte Kontingente vorgesehen waren, ist formell nichts
gegen dieses Vorgehen einzuwenden. Dass der Bundesrat auch den ›Erweiterungsbeitrag‹
von
45 Millionen überweisen will, erhält im aktuellen Kontext den
Beigeschmack einer Reparationszahlung.
Dieser Vorgang ist Sinnbild für die Befindlichkeit der Landesregierung nach dem
9. Februar.
Nichts ohne
Personenfreizügigkeit Was erhält
die Schweiz für dieses Entgegenkommen an Kroatien? Kurzfristig gar nichts.
Die EU sei nun bereit, wieder über eine vollständige Assoziierung der Schweiz
an die EU-Bildungs-, Forschungs- und Kulturprogramme zu verhandeln. Dem
Vernehmen nach macht die EU jedoch den Abschluss entsprechender Verhandlungen
und damit eine langfristige Lösung wiederum von einem Bekenntnis der Schweiz
zur Personenfreizügigkeit abhängig. Die Katze beisst sich in den Schwanz. Auch
die zweite Erklärung des Bundesrats ›betreffend
die erworbenen Rechte der Bürgerinnen und Bürger aus EU- oder EFTA-Ländern, die
in der Schweiz leben oder arbeiten‹
macht auf den ersten Blick mehr oder weniger ratlos. Darin wird auf einen
Artikel im Freizügigkeitsabkommen verwiesen, der für Personen, die unter dieser
Regelung in die Schweiz gekommen sind, den rechtlichen Besitzstand garantiert.
Zusammen mit der einleitenden Erklärung des Bundesrates, dass das Freizügigkeitsabkommen
›bis auf Weiteres‹ in seiner heutigen Fassung in Kraft
bleibt, kommt das einer Einladung an möglichst viele EU-Bürger gleich, unter
diesem Regime noch in die Schweiz zu kommen und hier zu bleiben. Die Auslegung
dieses Punktes wäre allenfalls in späteren Verhandlungen mit der EU noch eine
Trumpfkarte gewesen. Sie wurde gestern verworfen, weil die EU dies so gefordert
hat.
Bei Philippi sehen
wir uns wieder Und so
kulminiert nun alles im besagten Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der
EU. Ein solches könnte schneller vorliegen, als derzeit angenommen.
Schliesslich wurde der Inhalt in einem längeren Prozess zwischen Bern und
Brüssel bereits im vergangenen Jahr umrissen. Mit der Zustimmung von Volk und
Ständen zur Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar dieses Jahres bekommt
dieses Abkommen nun eine weitere taktische Note. Es soll dazu dienen, den aus
Sicht des Bundesrats falschen Volksentscheid zu heilen. Dazu passt die
eingeschlagene Kommunikationsstrategie, die Folgen des 9. Februars in den
schwärzesten Farben auszumalen und jedes negative Ereignis im Land darauf
zurückzuführen. Das Ziel: Möglichst viele Personen, die der Initiative
zugestimmt haben, sollen sich ein schlechtes Gewissen machen. Das Volk soll
jedoch mit dem Rahmenabkommen die Möglichkeit erhalten, seinen Fehlentscheid zu
korrigieren.
Und so
wird es bei einer allfälligen Abstimmung über eine institutionelle Anbindung um
sehr viel gehen: Soll die Schweiz zwingend EU-Recht in zentralen
Rechtsbereichen übernehmen, also die Rechtsentwicklung aus der Hand
geben und den EU-Gremien übertragen? Soll die Schweiz die Rechtsauslegung dem Europäischen
Gerichtshof überlassen, also fremde Richter akzeptieren? Und
schliesslich: Soll die Schweiz zur Personenfreizügigkeit zurückkehren und damit
auch in Zukunft auf eine Steuerung der Zuwanderung verzichten?
Es wird
bei dieser Abstimmung also letztlich um nicht mehr und nicht weniger als um die
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gehen. Und auch hier war Bundespräsident
Burkhalter gestern entwaffnend offen. Er begründete das Vorgehen des Bundesrats
auf die Frage eines Journalisten mit dem Auftrag, den er aus dem Zweckartikel
der Bundesverfassung ableitet. Er erwähnte dabei zwar die Wohlfahrt und die
Sicherheit des Landes, vergass aber die Freiheit und die Unabhängigkeit, welche
in Artikel 2 der Bundesverfassung auf gleicher Stufe stehen. Auch das spricht
Bände.
Bern feiert einen »Durchbruch« so der
Kommentar von Ulrich Schlüer. Man habe, erklärt Bern mit demonstrativer
Erleichterung, jetzt den Weg gefunden, welcher die EU gegenüber der Schweiz an
den Verhandlungstisch zurückbringt. Fakt ist, dass das Ja zur Initiative gegen
die Masseneinwanderung am 9. Februar alle mit der EU laufenden Verhandlungen
blockiert hat und dass seither ein vielstimmiges Lamento der Landesregierung
als Echo auf das Bundesbern zutiefst enttäuschende Votum des Souveräns ertönt. Der
Studentenaustausch sei nach dem 9. Februar von Brüssel suspendiert worden. Und
die Verhandlungen über einen Rahmenvertrag zur ›institutionellen Einbindung‹
der Schweiz in die EU-Strukturen seien ›auf
Eis gelegt worden‹.
Die wahren Gründe Beide
Klagen erwiesen sich zwar bald schlicht als unwahr: Die Fortsetzung des sogenannten
›Erasmus-Programms‹ für den Studentenaustausch ist von
der Schweiz bereits im Januar abgelehnt worden, weil die EU der Schweiz mit
einer bewusst unscharfen ›Erweiterung‹ dieses Programms eine massive
Kostenerhöhung für allerlei zweifelhafte Zusatzprojekte weitab vom
Studentenaustausch aufbrummen wollte. Und das Verhandlungsmandat für den
Rahmenvertrag, für dessen Verabschiedung die EU-Mitglieder Einstimmigkeit
erzielen müssen hätten, wurde im Februar blockiert, weil Englands Regierung
ihre Unterschrift verweigerte, um mit diesem Manöver für London zusätzlich gewisse
Vorteile, die mit dem Abkommen wenig bis nichts zu tun haben, herauszuschinden.
Bern findet eine
Hintertür Wahr
hingegen ist, dass die EU eine Fortsetzung aller laufenden Verhandlungen mit
der Schweiz davon abhängig machte, dass Bern die Personenfreizügigkeit auf das EU-Neumitglied
Kroatien ausdehne. Dies allerdings konnte Bern nicht mehr. Denn das Ja
zur Initiative gegen die Masseneinwanderung untersagt unserer Landesregierung
ab Abstimmungsdatum den Abschluss
jeglichen weiteren Vertrags, welcher der Schweiz eine zusätzliche
Einwanderung bescheren würde. Nach Wochen des Suchens hat Bern jetzt aber einen
Dreh gefunden, der die Blockade aufzubrechen vermochte. Brüssel, mit den
Besonderheiten der direkten Demokratie wenig vertraut, benötigte allerdings
einige Zeit, bis es erfasste, wie raffiniert dieser Berner Dreh auf Brüssels
Wünsche zugeschnitten ist. Jetzt aber scheint in Brüssel ›der Zwanziger gefallen zu sein‹.
Umgehung des
Referendums Bundesbern
hat einerseits zwar bekräftigt, es könne die Erweiterung der Personenfreizügigkeit
auf Kroatien infolge des Abstimmungsresultats vom 9. 2. nicht vertraglich
vereinbaren. Es werde aber das, was in diesem Vertrag steht, ab sofort so
anwenden, als ob ein Vertrag unterzeichnet worden wäre – um Brüssel damit zufriedenzustellen.
Was
dieser kleine Unterschied bedeutet? Mehr als Bern dem Schweizer Volk
gegenüber zugibt. Würde ein solcher Vertrag mit der Unterschrift Berns
rechtsgültig, so unterstünde er selbstverständlich dem Referendum. Seit Monaten
ist das Referendum zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien auch
bereits angemeldet. Ob der Vertrag die daraus erforderlich werdende
Volksabstimmung überstehen würde, darf zumindest bezweifelt werden. Indessen
kann man ein Referendum immer nur gegen eine Rechtsgrundlage - gegen einen Staatsvertrag oder gegen ein
Gesetz - ergreifen. Nicht aber gegen das
konkrete Handeln, das aufgrund einer ordentlich geschaffenen Rechtsgrundlage
entfaltet wird. Indem sich der Bundesrat Brüssel zuliebe gegenüber Kroatien für
ein Handeln ohne Rechtsgrundlage entscheidet, entzieht er die
Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien ganz einfach dem Referendum.
Er missachtet seine verfassungsmässige Verpflichtung gegenüber dem Schweizer
Souverän, indem er sich dem Diktat Brüssels beugt, ohne dafür eine Rechtsgrundlage
zu schaffen.
Brüssel frohlockt Damit
erhält Brüssel alles, die Schweiz dagegen nichts - mit Ausnahme der Nachteile der Ausdehnung
dieser Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Es bedurfte gegenüber Brüssel
etwelcher hartnäckiger Nachhilfe bezüglich des Funktionierens der direkten
Demokratie, bis die Verwaltungszentrale der EU begriff, welch verlockende
Offerte Bern ihr mit der beschriebenen Umgehung demokratischer Verpflichtungen
gegenüber dem Schweizervolk präsentiert. Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit
wird durch das Handeln Berns Tatsache, ohne dass dem Schweizervolk die
Möglichkeit einer Abstimmung - und damit
auch die Möglichkeit einer Ablehnung - eingeräumt
wird. Brüssel erhält somit, was es will, ohne dass es erneut mit einem Nein des
Schweizer Souveräns rechnen muss. Ein Nein, das zweifellos wiederum in ganz
Europa ein breites politisches Echo auslösen würde: Wütende Schmähung seitens
der EU-Funktionäre, bewundernde Zustimmung seitens der von Volksabstimmungen
ausgeschlossenen Völker in den EU-Mitgliedstaaten. Bern feiert so einen »Durchbruch«, indem
es der EU einen Eckpfeiler der direkten Demokratie opfert. Und Brüssel
darf, indem es auf die formelle Unterschrift der Schweiz unter einen Vertrag
verzichtet, einen wichtigen Etappensieg über die bei seinen Funktionären so
abgrundtief verhasste direkte Demokratie feiern.
d.a. Nun ist die von Brüssel verhängte
Einwanderungspolitik eine in vielfacher Hinsicht tiefgehende Streitfrage. Zu
dieser hat sich Václav Klaus, bis 2013 Staatspräsident Tschechiens und ›messerscharf analysierender
Intellektuelle‹, in einem Interview
mit der ›Weltwoche‹ wie folgt geäussert: »Für mich
gibt es EU-Realisten und EU-Naive. Die Integration der EU ist ein janusköpfiger
Prozess. Das sympathische Gesicht besteht aus der Liberalisierung und der
Beseitigung der Barrikaden, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg dringend nötig
waren. Das zweite Gesicht sieht ganz anders aus: Hier geht es nicht mehr um die
Einigung, sondern um die Unifizierung, Harmonisierung, Standardisierung und die
Zentralisierung. Auch dieses Gesicht hatte die europäische Einigung von allem
Anfang an. Das heisst, die EU leidet seit ihrer Geburt an ihren Fehlern. Sieht
man sich die jeweils vorherrschende Tendenz an, dann überwog in der ersten
Etappe die positive Seite, also Freihandel, Abbau von Zöllen, Beseitigung von
Handelsschranken. Für einen liberalen Ökonomen wie mich ist das alles hundertprozentig
positiv. In der ersten Etappe des europäischen Integrationsprozesses war die
Kosten-Nutzen-Analyse mit Sicherheit im grünen Bereich. Bei der zweiten Etappe,
die ich dann mit dem Namen Jacques Delors, den Verträgen von Maastricht und
Lissabon und dem verunglückten Verfassungsentwurf von Giscard d’Estaing
verbinde, dominiert die schlechte Seite. Europa ist eine postdemokratische und
postpolitische Einrichtung. Das sieht man auch am Umgang der EU mit
der Schweizer Volksabstimmung zur Einwanderung. Die EU-Spitzenpolitiker
wollen uns ein Kontinentaldenken aufzwingen. Sie wollen den Nationalstaat
unterdrücken und staatliche Grenzen auflösen. Um den Zusammenhalt der heutigen
Nationen zu schwächen, propagieren sie eine massive und uneingeschränkte
Migration. Man muss zwischen den ›Freiheiten‹, die uns die EU verspricht, und der
Freiheit als politischem und kulturellem Wert, für den ich als Liberaler
kämpfe, unterscheiden. Die Migrationsbewegungen über die Grenzen souveräner
Staaten hinweg, die in den letzten Jahrzehnten radikal verstärkt wurden,
untergraben systematisch den Zusammenhalt und
die Regierbarkeit von Ländern. Die Schwächung der einzelnen Staaten
könnte sehr leicht auf eine antiliberale Entwicklung hinauslaufen, weil sie
nämlich den europäischen Superstaat, zu dem sich die EU entwickelt, stärkt.
Doch die EU ist weniger demokratisch als jeder einzelne ihrer Mitgliedstaaten.
Ich habe das Einwandern in irgendein Land nie als mein Recht betrachtet. Dass
die Schweizer die Kontrolle über das Ausmass der Einwanderung behalten wollen,
ist verständlich. Ich habe den Volksentscheid auch nicht als ein absolutes Nein
zur Migration verstanden, sondern als eine Mitteilung: »Lasst uns die Einwanderung vorsichtiger und langsamer gestalten.« [2]
[1] http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/news/der_kleine_unterschied-1731 Der
aktuelle Freitags-Kommentar der «Schweizerzeit» vom 2. Mai 2014 [2] Die Weltwoche, 82. Jahrgang, Nr. 18 vom 30.
April 2014 - ›Ich hätte durchhalten
sollen‹ - Interview mit Václav Klaus – Interviewer:
Florian Schwab und Marc Wetli
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