Gewalt und Öl - von Andreas Boueke

Guatemala: Französischer Konzern ist für Umweltkatastrophe verantwortlich und schreckt offenbar auch vor Mord nicht zurück

Der Friedhof der Gemeinde Rubelsanto ist von dichtem Urwald, mannshohen Maisfeldern und Wiesen umgeben, auf denen Rinder grasen. Über die moosbewachsenen Zementplatten der Gräber krabbeln schwarze Spinnen und grüne Eidechsen. Die hölzernen Särge der Toten werden nicht begraben, sondern in Ruhestätten über der Erde eingemauert. Das ist in dem zentralamerikanischen Land Guatemala so üblich.

Im August bahnte sich Staatsanwalt Herbert Contreras den Weg zum Grab von Jaime Rodríguez, der über ein Jahr zuvor auf einem nahegelegenen Gelände der französischen Ölfirma PERENCO ermordet aufgefunden worden war. Contreras bekam die Akte des Falls im Februar 2004 auf seinen Schreibtisch. Anfangs arbeitete er motiviert an der Untersuchung. Doch wenig später kamen die Ermittlungen ins Stocken. Es verging ein Jahr, bevor die Exhumierung endlich durchgeführt wurde.

Seit 25 Jahren wird in der Umgebung des Dorfes Rubelsanto, im Dschungel von Guatemala, Öl gefördert. Ende August ist der Vertrag ausgelaufen, mit dem die guatemaltekische Regierung der Ölindustrie Förderrechte zugesprochen hatte. Doch der letzte Betreiber, die französische Firma PERENCO, hat noch längst nicht alle Stellen gesäubert, die von ausgelaufenem Rohöl verseucht worden sind. Bei seinem Versuch, die wirklichen Ausmaße des ökologischen Desasters zu vertuschen, scheint der Ölmulti dabei zu brutalen Methoden gegriffen zu haben: Mehrere Zeugen nennen zwei Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdienstes VICERSA, der bei PERENCO unter Vertrag stand, als Mörder von Rodríguez. Der Menschenrechtler und Ombudsmann für die Region um Rubelsanto, Germán Gómez, geht davon aus, daß die Ölfirma gezielt Einfluß auf die Untersuchung genommen habe und es deshalb noch zu keinem Ergebnis gekommen sei. Auch Staatsanwalt Contreras bestreitet nicht, daß Angestellte von PERENCO auf ihn zugekommen sind, weist jedoch jeglichen Verdacht zurück, die Firma habe seine Arbeit beeinflußt: »Nachdem ein Jahr vergangen ist, bleibt in diesem Fall nichts weiter zu tun, als den Sarg zu öffnen«, erläutert er. »Das weitere Vorgehen hängt davon ab, ob wir Projektile in der Leiche finden.«

Die Exhumierung ist nicht nur für Außenstehende ein gruseliges Ereignis. Während zwei Maurer mit Hammer und Meißel die vordere Zementwand der Grabstätte durchschlagen, ziehen sich die beiden anwesenden Gerichtsmediziner Latexhandschuhe, Haarnetze und Mundschutz über. Doch die Mediziner haben es eilig. Den Brustkorb, wo die Projektile und damit die Beweisstücke für den Mord vermutet werden, untersuchen die Leichenexperten nur kurz und oberflächlich. »Nein, das ist unmöglich. Eine Kugel werden wir hier nicht finden können. Ohne Röntgenbild ist das nicht zu machen«, äußern sie übereinstimmend. Nach wenigen Minuten wird der Sarg wieder geschlossen und damit auch die staatsanwaltschaftliche Akte zu diesem Mordfall. Der Menschenrechtler Germán Gómez ist empört: »In der Bevölkerung ist es ein offenes Geheimnis, daß eine Gruppe von Killern für PERENCO arbeitet. Gegen Bezahlung führen sie jeden Auftrag aus.«

Hintergrund des Mords an Jaime Rodríguez ist das ökologische Desaster, das die Ölkonzerne im guatemaltekischen Urwald verursacht haben. Rodríguez war als kritischer Dorfbewohner bekannt, und PERENCO hat einiges zu verbergen: Trotz teurer Säuberungsbemühungen des Konzerns gibt es in der Umgebung von Rubelsanto noch immer zahlreiche Ölverschmutzungen. In der Nähe des Bohrturms RS4 beginnt, unter Büschen und Gras versteckt, ein zweihundert Meter langer und ein Meter breiter Kanal, der mit Öl angefüllt ist. Die schwarze Flüssigkeit ist jahrelang durch den Kanal in eine Ebene geflossen, über die sie sich weiträumig ausgebreitet hat.

In Guatemala sind bisher keine Untersuchungen durchgeführt worden, die aufzeigen würden, welche Auswirkungen die Ölverschmutzung auf die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung hat. In dem südamerikanischen Land Ecuador hingegen wurden die Ergebnisse solcher Untersuchungen längst veröffentlicht. Medizinische Studien haben festgestellt, daß die Sterberate im Fördergebiet mehr als zweimal so hoch ist wie in der ecuadorianischen Hauptstadt. Jeder Dritte stirbt an Krebs. Hautkrankheiten treten dreimal häufiger auf als im Rest des Landes. Es gibt deutlich mehr Komplikationen bei Schwangerschaften. Wahrscheinlich würden die Ergebnisse einer vergleichbaren Studie in Guatemala ähnlich ausfallen. »Die Ölfirmen interessieren sich nicht dafür, ob die Leute krank werden«, sagt ein Bewohner von Rubelsanto. »Sie interessieren sich nur für die Produktion. Sie wollen das Öl aus der Erde holen und exportieren, sonst nichts.«

Dennoch, auch wenn der Mord an dem Aktivisten Jaime Rodríguez vermutlich für immer unaufgeklärt bleibt, scheint es neuerdings einen Hoffnungsschimmer zu geben. Vor kurzem druckte die guatemaltekische Zeitung El Periódico eine aktuelle Reportage ab, in der die Vorwürfe einer andauernden Existenz von Ölverschmutzungen untermauert werden. Überraschend reagierte das Umweltministerium sofort mit einer Resolution: Bis Anfang Dezember hat die Firma PERENCO jetzt Zeit, um die verbleibende Umweltzerstörungen zu beseitigen, ansonsten muß sie auf die hinterlegte Kaution von 2,5 Millionen Dollar verzichten. Vielleicht ist das eine Sprache, die die Konzerne verstehen.
 
Der Artikel erschien in der JUNGEN WELT  vom 8. 9. 05
http://www.jungewelt.de/2005/09-08/008.php