Steuern - ein ewiger Streit - Von Doris Auerbach

Ob Steuerhinterziehung oder Steuerflucht, die EU ist, ihren Worten gemäss,

jedenfalls entschlossen, in Zukunft Informationen über alle Steuerdaten auszutauschen, damit Steuerflüchtlingen jeder Ausweg abgeschnitten wird. Ob dieser Erklärung die erforderlichen Massnahmen auch wirklich folgen werden, sei allerdings dahingestellt. Denn wer immer sich mit diesem Thema beschäftigt hat, ist kaum geneigt, dem Vorhaben grösseres Gewicht beizumessen. Auch wenn die sogenannten offshore centers längst auf schwarzen, grauen und weissen Listen erfasst wurden, ist nicht auszumachen, dass hier insgesamt tiefgreifendere Änderungen eingetreten wären. Die durch die OECD erstellte schwarze Liste enthielt bekanntlich nur 4 Staaten, so zum Beispiel Costa Rica und Uruguay, Länder, die auf internationaler Ebene kaum Bedeutung haben. Die graue Liste erfasste die Länder, denen es aufgetragen wurde, im Bereich der Kooperation in Steuerfragen weitere Bemühungen zu unternehmen; hierzu zählten die Schweiz und Luxemburg, aber auch Belgien. Die dritte, die weisse Liste, nannte die kooperationswilligen Staaten, so Grossbritannien, das mit der Londoner City eines der wichtigsten Offshore-Zentren besitzt, sowie vier der von England abhängigen Territorien: Jersey, Guernsey, die Isle of Man und die Virgin Islands. Bei der weissen Liste ging es somit im wesentlichen lediglich um die Bereitschaft zu einer besseren Kooperation mit der OECD; sie erfasste auch die USA, allerdings ohne irgendeinen Hinweis auf die undurchsichtigen Praktiken von Staaten wie z.B. Delaware oder Wyoming. [1] 

Was die offshore centers generell betrifft, so dürfte nämlich jeder, der sich die Mühe gemacht hat, das die dort herrschenden Verhältnisse klar offenlegende Buch von Myret Zaki Das Bankgeheimnis ist tot – Es lebe die Steuerflucht zu lesen, zu der Erkenntnis gelangen, dass diese noch immer ein durchaus unangetastetes Dasein fristen, d.h., dass sich die als Steueroasen eingestuften Länder, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch immer desselben Status erfreuen. Hierzu Le Monde diplomatiquevom April dieses Jahres: »Die Steueroasen werden sich noch lange halten, denn sie haben die internationalen Grossbanken auf ihrer Seite. Nur in Zypern wurde das Geschäftsmodell widerstandslos zerschlagen, weil die lokalen Banker es längst ruiniert hatten.« So hatte auch der Spezialist für Finanzkriminalität, der französische Ermittlungsrichter Jean de Maillard, im April 2008 erklärt, »daß die G-20-Staaten nicht etwa beschlossen haben, die Steuerparadiese dichtzumachen oder wenigstens darauf hinzuarbeiten, sondern daß sie nur von Sanktionen gegen diejenigen reden, die nicht kooperativ sind.. Ferner: »Zweifellos wird man den US-Staat Delaware oder die Londoner City niemals als unkooperativ einstufen, obwohl die City einer der wichtigsten und undurchsichtigsten Finanzplätze der Welt ist.« Dass Delaware unverändert unangetastet bleibt, mag durchaus auch damit zusammenhängen, dass die Manager der von Delaware profitierenden Konzerne selbstverständlich auch unter den Teilnehmern des WEF in Davos figurieren.  [2]  

Was nun den Bürger angeht, der sich auf Grund der diversen Bankenrettungen, die seine hart erarbeiteten Steuern schluckten und, soviel ist absehbar, auch in weiteren Fällen schlucken werden, um damit die durch eine verantwortungslose Führung der Banken resp. den Pfusch der Manager verursachten Verluste zu tilgen, so dürfte die Anzahl derjenigen, die sich vom Staat als schwer geschädigt betrachten, beträchtlich sein. Insofern ist durchaus damit zu rechnen, dass die Absicht, Ersparnisse, die derzeit in der EU weder normale Zinsen einbringen, noch vor der zunehmenden Inflation und womöglich schon gar nicht mehr vor einem Bail-in gefeit sind, allen bürokratischen Erlassen zum Trotz in eine der nach wie vor existierenden Steueroasen zu verlagern, überlebt.

Aus einem von der Basler Zeitung mit Nicholas Shaxton, dem Autor des 2011 erschienenen Buches Schatzinseln - Wie Steueroasen die Demokratie untergraben geführten Interview geht u.a. hervor, »dass Grossbritannien und seine Jungferninseln sicher der bedeutendste Faktor in diesem Netz von Steuervermeidungsmöglichkeiten sind. Die britische Regierung hat sich bisher geweigert, hier aufzuräumen. Man sagte, alles sei legal. Jetzt sehen wir, dass das nicht zutrifft. Ob OECD oder Financial Action Taskforce: Das sind Regeln, die offensichtlich umgangen werden können.« Zum System zählt Shaxton auch die Schweiz: Man höre immer vom Schweizer Finanzplatz, es würden keine Schwarzgelder mehr angenommen. Und dann geschähe dies trotzdem immer wieder. Auf die Frage, ob London die Sache nun härter anpacken werde, meint Shaxton: »Vorerst noch nicht. Zu wichtig ist das System der Steueroasen für den britischen Finanzplatz, für die City. Die anderen Länder und Organisationen der Zivilgesellschaft müssen Druck auf Grossbritannien ausüben. Sie müssen klarmachen, wie sehr Steuerflucht ihren Ländern schadet. In Grossbritannien unterscheiden wir zwischen Steuervermeidung und -hinterziehung. Ersteres ist nicht illegal, Letzteres hingegen schon. Dazwischen liegt eine riesige Grauzone und hier operiert man mit geheimen Systemen. In der angelsächsischen Welt sind das die Trusts. So lässt sich gut verbergen, wer hinter den betreffenden Strukturen steckt und wer berechtigt ist.«  [3]  Inzwischen hat nun der britische Premierminister Cameron einem Bericht der Berliner Umschau zufolge von britischen Überseegebieten  - wie den Virgin Islands, den Cayman Islands resp. der Isle of Man - mehr Transparenz im Kampf gegen die grenzüberschreitende Steuerflucht gefordert und in seinem an die Führungen der Gebiete gerichteten Brief eine bessere Zusammenarbeit mit der Regierung und den Ermittlungsbehörden verlangt.

Auf die Trusts, diese angelsächsischen juristischen Schöpfungen, die kein Bankgeheimnis benötigen, um sich vor dem Fiskus zu schützen, konzentriert sich heute die Hälfte des Offshore-Markts; es geht dabei um einen Markt, der nicht mehr auf der Diskretion der Banken basiert, sondern auf juristischen Strategien und steuerlicher Planung. So hat sich die Steuerflucht nach und nach in Richtung dieser Strukturen verschoben. Die Trusts sind das wichtigste Werkzeug der Steuerhinterziehung geworden, der wirksamste Ersatz für das Bankgeheimnis. »Finanzoase« bedeutet laut Werner Rügemer nicht nur, wie dies meistens verstanden wird, die Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Vielmehr wirken hier private und staatliche Finanzakteure zusammen, die alle Reste des regulierten Kapitalismus in Europa und weltweit endgültig aushebeln wollen. Die Unternehmensstruktur »Trust« ist eine Erfindung der City. Danach muss etwa der Inhaber eines Unternehmens oder Unternehmensteils keine Person sein, sondern kann auch ein anderes Unternehmen sein. Auf diese Weise ist ein heute in der globalisierten Wirtschaftswelt rechtlich abgesichertes System der Anonymisierung von Eigentumsverhältnissen entstanden.  [4] 

Das »offshore banking«, so Shaxton ferner, »ist vor allem im Detail grausam kompliziert. Gleichzeitig haben nur die Leute wirklich Überblick, die im System Karriere gemacht haben. Die kleinen Fische kennen nur ihren kleinen Ausschnitt. Das heisst: Wer redet, weiss nichts. Und wer etwas weiss, redet nicht. Sondern schweigt in seiner Villa..….. Offshore-Strukturen, legale und illegale, sind Werkzeuge der Elite. Man muss sie sich leisten können: Firmengeflechte, Topanwälte, Toprevisionsgesellschaften: das ist für mächtige Leute, Ultrareiche und Konzerne, nicht für Angestellte. Und grosses Geld zahlt immer weniger Steuern. Überall in den letzten 20 Jahren ist das Vermögen der Superreichen phantastisch gewachsen; der Rest hat so gut wie nichts gewonnen. Was die verwalteten Privatvermögen angeht, so ist die Schweiz Nummer 1,  was durchlaufende schmutzige Gelder betrifft, liegt die USA vorn. Und politisch ist London bei   Schwarzgeld führend. Die USA ist mit Delaware, Wyoming, Florida, Nevada eine der drei grossen Steueroasen. Dies nicht aus Zufall: Die Gesetze, mit denen Ausländer Firmenbesitz tarnen können, sind volle Absicht. Keine Steueroase kann es sich leisten, auf ihre Bürger dasselbe Recht anzuwenden, wie auf ihre Kunden. Auch in der Schweiz. Hier zahlen ausländische Holdings oder pauschal besteuerte Multimillionäre einen Bruchteil der einheimischen Steuern. Die Schweiz hat gegenüber ihren Multis und Milliardären eine starke Butler-Affinität. Man tut, was verlangt wird. Heuchelei ist im Fall der USA, dass sie nur die Schweiz angreift. Sie ist ein einfaches Ziel: isoliert, klein, ohne reelle Chance - während vor der Küste der USA die Steuervermeidungs-Inselgruppen der Briten liegen. Dort anzugreifen, das bräuchte Mut. Geschweige denn die Wall Street. Gegenüber Drittweltländern ist das Bankgeheimnis so dicht wie immer. Und die Abgeltungssteuern gegenüber Grossbritannien und Deutschland haben erstaunlich grosse Schlupflöcher. Die müssen Absicht sein.«  [5]  Indessen hatte der ehemalige Präsident der Schweizer Bankiervereinigung, Pierre Mirabeau, in einem mit der Handelszeitung geführten Gespräch im November 2004 erklärt: »Es ist eine Tatsache, dass die Bestimmungen gegen die Geldwäscherei in der Schweiz deutlich schärfer sind als jene in Grossbritannien und als in jedem anderen Land auf der Welt. In London können sich Kriminelle leicht hinter einem Trust verstecken und ihre Anonymität bewahren. Der Finanzplatz London möchte die wirtschaftlich Berechtigten gar nicht kennen. Das ist ja besser als jedes Bankgeheimnis.«   

Eines dürfte wohl als sicher gelten: Die Abschaffung des Bankgeheimnisses wird die Steuerflucht nicht weiter beeinflussen, da es die effizienten angelsächsische Finanzwerkzeuge den Reichen der Welt ermöglichen, ihre Gelder dem Fiskus zu entziehen. So gilt auch Panama seit Jahren auf Grund seiner geringen Transparenz als einer der attraktivsten offshore-Standorte. Panama, die britischen Virgin Islands und Hongkong beherbergen zusammen mehr als 1 Million Briefkasten-Firmen. Einer Untersuchung von James S. Henry, Ex-Chefvolkswirt bei McKinsey & Company, zufolge wird geschätzt, dass Vermögende in Steueroasen 21 bis 32 Billionen $ in privaten Fonds angelegt haben; das entspricht grob den Staatshaushalten der USA und Japans zusammen genommen; so wird z.B. aufgezeigt, dass sich der Umfang der Vermögenswerte, die von den 50 grössten Privatbanken verwaltet werden, also von Banken, die für ihre Kunden häufig die im Bankjargon als ›high net worth‹ bezeichneten offshore centers nutzen, von 5,4 Billionen $ im Jahr 2005 auf über 12 Billionen im Jahr 2010 erhöht hat.  [6]  Bei den US-amerikanischen und deutschen Angriffen auf die Schweiz und das Schweizer Bankgeheimnis, schreibt Jean-Claude Paye, geht es nicht um Steuergerechtigkeit. Die Angriffe auf das Schweizer Bankensystem sieht Paye als Versuch der USA sowie amerikanischer und britischer Offshore-Zentren, das internationale Finanzsystem zu ihrem Vorteil zu reorganisieren. So war auch nie die Rede davon, amerikanische Gliedstaaten wie etwa Delaware in die OECD-Listen von offshore centers aufzunehmen. Die Operation Kampf gegen den Steuerbetrug  – von Peer Steinbrück zu seiner Zeit als SPD-Finanzminister so willfährig vorangetrieben –  dient ganz anderen Interessen, nämlich der Zentralisierung des weltweiten Finanzsystems unter angelsächsischer Führung. [1]  Markus Städeli bezeichnete den im Herzen der USA liegenden Bundesstaat Delaware in der Neuen Züricher Zeitung vom November 2009 als die Top-Steueroase: Kein Finanzplatz ist verschwiegener als Delaware. Und dort gibt es mehr Unternehmen als Einwohner. Auch wenn die Jagd auf Steuerflüchtlinge, bildlich gesprochen, globale Ausmasse angenommen hat, so gibt es, wie die Deutschen WirtschaftsNachrichten schreiben, »im System des globalen Finanz-Feudalismus immer auch Privilegierte«. Dazu zählen vor allem Unternehmen, die an der Wall Street zocken. Ihre Oase ist eben Delaware, und das ist ganz legal. Ihrem Bericht vom 6. Mai zufolge beziffert die New York Times die dort ansässigen Firmen mit 285.000. Zu diesen zählen z.B. American Airlines, die Bank of America, Apple, Google, JPMorgan Chase und viele andere Global Players, vor allem jene aus der Finanzwirtschaft. Denn sie agieren mit Produkten, für die es zwar keinen realen Markt gibt – dafür aber jede Menge an passenden Gesetzen. Diese Unternehmen tätigen ihre Geschäfte auf der ganzen Welt, haben jedoch in Delaware meistens nur einen Briefkasten, was es ihnen immerhin ermöglicht, die dortigen enormen Steuervorteile zu nutzen. [7] »In den Banken der Wall Street«, heisst es in den DWN, »wird mehr Geld mittels illegaler Scheinfirmen in Delaware versteckt als irgendwo sonst auf diesem Planeten.« So nutzt auch J.P. Morgan-Chef Jamie Dimon seine Bank in Delaware als Oase. Der Fakt, dass Konzerne in Delaware so gut wie keine Steuern zahlen und für die Gründung von neuen Unternehmen nur mit niedrigen Hürden rechnen müssen, ist indessen keineswegs neu und wurde u.a. schon von Werner Rügemer 2005 im Detail aufgezeigt.  [8] 

Die Konzerne und die für sie bestehenden Möglichkeiten der Umgehung von Steuern
Auch wenn längst erkannt ist, dass Scheinfirmen den Drogenhandel und die Geldwäsche begünstigen, ist nicht zu vernehmen, dass man diese Verhältnisse zu ändern gedächte. Scheinfirmen sind die beste Möglichkeit, um Schwarzgeld zu waschenund um kriminelle Machenschaften zu tarnen, erklärte Lanny A. Breuer, Generalstaatsanwalt des US-amerikanischen Justice Departments. Es sei geradezu lächerlich, wie einfach Kriminelle Scheinfirmen aufbauen und das Bankensystem ausnutzen könnten. Solche Firmen haben weder Mitarbeiter noch Vermögenswerte oder gar ein Geschäftsmodell. So ist es »in Delaware seit dem 18. Jahrhundert Tradition, Unternehmen aus anderen US-Staaten und später auch aus der ganzen Welt durch steuerliche Anreize anzulocken. Schätzungen zufolge haben Firmen im vergangenen Jahr durch die Steuervorteile in Delaware knapp 10 Milliarden Dollar gespart.« »Die Jagd auf europäische Steuersünder, schliesst ein Artikel der DWN, »mag zwar die leeren Staatskassen füllen. Die Amerikaner haben dagegen Vorkehrungen getroffen, dass ihre besten Zocker ungeschoren bleiben, ein eklatanter Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen. Denn im internationalen Finanzkasino gilt: Delaware macht den Unterschiednicht Brüssel.«  [9]  »Multinationale Konzerne«, so der bereits zitierte Nicholas Shaxton, »erhalten durch Steuervermeidung enorme Wettbewerbsvorteile gegenüber kleineren Konkurrenten. Sie beschäftigen Armeen von Buchhaltern, um Verluste in Hochsteuerländer, Gewinne aber in Steueroasen zu verschieben. Was oft übersehen wird, ist, wie gross das System ist: Etwa 60 % aller Handelstransaktionen finden nicht zwischen Konzernen statt, sondern in den Konzernen; zur Steueroptimierung. Die drei grössten Bananenmultis Chiquita, Dole und Del Monte machten in Grossbritannien 2006 Geschäfte von 750 Millionen US$. Ihre Steuerrechnung jedoch betrug zusammen 235.000 $.« Nun sind die Steuererleichterungen, die Irland gerade auch europäischen Unternehmen bietet, ebenfalls nichts Neues. Dass solche jedoch auch von Holland gewährt werden, das ist erst jetzt ein Gegenstand öffentlicher Berichterstattung geworden, wie etwa der folgende von ARD Plusminus:

Wie die Niederlande Unternehmen anlocken
Bei Steueroasen ist meist von exotischen Inseln, der Schweiz oder Luxemburg die Rede. Daß auch die Niederlande dazu gezählt werden könnten, zeigt PLUSMINUS auf. Diese sind als Paradies für Tulpenliebhaber, Monarchisten und Touristen bekannt. Aber als Steuerparadies für große Konzerne sind sie bislang nicht ins öffentliche Bewußtsein gerückt.

Steuersparmodell für Konzerne
Plusminusmacht in Amsterdam einen Stadtrundgang mit den Wirtschaftsbuchautoren Henk Smits und Martin van Geest. Sie führen uns an den Stadtrand, in das Herz einer Steueroase. 2.477 ausländische Unternehmen sind dort registriert, die Steuern sparen wollen: alles Briefkastenfirmen ohne Angestellte. Registriert sind hier Unternehmen wie Marlboro, Danone, Saab, die BBC oder Gazprom. Und ihnen allen reicht offenbar ein Briefkasten. Martin van Geest schätzt, daß es mindestens 20.000 solcher ausländischer Briefkastenfirmen und Holdings in den Niederlanden gibt, die etwa 4 Billionen € ins Land bringen.

Woher kommen die 4 Billionen Euro?
Beispiel: In Würzburg wird ein neues Ikea-Fachmarktzentrum entstehen, eine Erweiterung des 2009 eröffneten Möbelmarkts. Gut 22 Millionen werden investiert. Die Stadt hat eine neue Straße angelegt, bislang exklusiv für Ikea. Oberbürgermeister Georg Rosenthal ist überzeugt: Ikea bringt Kaufkraft, Arbeitsplätze und hoffentlich auch reichlich Gewerbesteuer. Doch diese Rechnung hat die Stadt ohne Ikea gemacht. Zwar ist der Umsatz des Konzerns in Deutschland enorm, 2012 allein 3,8 Milliarden €. Vom großen Gewinn bleibt vor Ort aber wenig übrig. Denn der Konzern nutzt die Niederlande, wo er neuerdings auch seinen Hauptsitz hat, um in Deutschland Steuern zu sparen.

Steuern sparen durch Transfers in die Niederlande   
Und das geht so: Ikea-Möbelhäuser zahlen Lizenzgebühren an eine Holding in den Niederlanden, um etwa den Markennamen führen zu dürfen. So verlagert der Konzern ganz legal Gewinne, die dort kaum besteuert werden. Und Ikea ist kein Einzelfall. Fast alle der weltweit 100 größten Unternehmen haben Tochtergesellschaften oder Niederlassungen in den Niederlanden. Auch Google ist darunter: Über zwei irische Töchter fließen Lizenzgebühren in die Niederlande und bleiben dort nahezu unversteuert. Von hier aus geht es weiter ins Steuerparadies Bermuda, allein 2011 verschob der Softwarekonzern fast 10 Milliarden € dorthin. 

Staatsunternehmen auf Steuerflucht?
In Amsterdam, in einem anderen Gebäude, ist das Paradies deutscher Unternehmen. Dort ist der Hauptsitz der Deutschen Bank in den Niederlanden. Martin van Geest erklärt, dass eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank vielen anderen deutschen Unternehmen beim Steuernsparen hilft - beispielsweise der Deutschen Bahn. Auch der größte deutsche Autokonzern VW nutzt das System. Seine Finanztöchter in den Niederlanden sammeln Gewinne aus aller Welt ein, etwa Dividenden. Die werden in Deutschland besteuert, in den Niederlanden nicht.  

Steuern sparen mit staatlichem Segen? 
Warum kann sich ein Steuerparadies für Konzerne in Europa so ungestört entfalten? Wir fragen beim Bundesfinanzministerium nach. Dort heißt es lapidar: »Bei der Verlagerung von Gewinnen handelt es sich um ein internationales Problem, das international abgestimmte Lösungen erfordert.« Die Bundesregierung muß endlich richtig Druck machen, fordert der grüne Steuerexperte Sven Giegold, Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Europaparlament. Er empfiehlt, die Besteuerung in den Niederlanden und anderen EU-Ländern anzugleichen. Gemeinsame Regeln aller Mitgliedsländer würden ein Aus für die Steueroase Niederlande bedeuten.

Steuerflucht verschärft Eurokrise
Die Zeit drängt, denn die Steueroase Niederlande verschärft auch die Krise in Südeuropa. Sven Giegold erklärt am Beispiel Portugals, wie die Steueroase dem Euro schadet:
»17 der 20 größten Unternehmen in Portugal haben ihren eigentlichen Steuersitz in den Niederlanden, dadurch wird es möglich, Gewinne in Milliardenhöhe unversteuert von Portugal in die Niederlande zu buchen. Das Geld fehlt im portugiesischen Staatshaushalt, der wird derzeit mit schmerzhaften Einsparungen bei Renten, bei öffentlicher Beschäftigung resp. im Gesundheitsbereich saniert. Und dafür zahlt dann die untere Hälfte der Bevölkerung in Portugal teuer.« Die Niederlande, ein Steuerparadies mitten in Europa. Während Staatsschulden steigen, staatliche Ausgaben gekürzt werden, sparen Konzerne hier ganz legal Milliarden € an Steuern. Europa kann sich das nicht mehr leisten.  [10]  

Nun muss man sich folgendes vor Augen halten: Die EU ist derzeit intensiv damit beschäftigt, der Schweiz in jeder Weise in die Steuerhoheit ihres Landes hineinzureden und Vorschriften zu machen. Angeblich stets unter dem Aspekt des steuerlichen Wettbewerbs. Was ist nun der Grund dafür, dass Brüssel vor den in den Niederlanden herrschenden steuerlichen Sonderregelungen die Augen verschliesst? Filz, Lobbyarbeit der Konzerne oder glatte Unfähigkeit der Beamten, die hier keinen Überblick haben oder haben wollen? 

Wie die Konzerne Steuern umgehen, veranschaulicht auch ein Bericht der Basler Zeitungvom April letzten Jahres. So hat beispielsweise Apple seinen Hauptsitz in Cupertino, Kalifornien. Das Unternehmen unterhält aber auch ein kleines Büro in Reno, Nevada, um Gewinne zu verbuchen und Investitionen zu tätigen. In Nevada liegt die Körperschaftssteuer bei null Prozent, in Kalifornien hingegen wären 8,84 % fällig. Mehr noch, der Sitz in Reno ermöglicht es Apple darüber hinaus, auch in anderen US-Bundesstaaten Steuern einzusparen: So verfügen Florida, New Jersey und New Mexico über ein Steuersystem, welches Unternehmen begünstigt, deren Finanzabteilung ausserhalb des Staates liegt. Obwohl Apple in der USA angesiedelt ist, hält die New York Times fest, hat die Firma eine Möglichkeit gefunden, auf legalem Weg einen Grossteil des Profits im Ausland zu versteuern: das Unternehmen hat Nebenstellen in Irland, den Niederlanden, Luxemburg und den Virgin Islands errichtet, in Staaten, die für ihre niedrigen Steuerfüsse bekannt sind. Oftmals handelt es sich bei den Niederlassungen um kaum mehr als um Briefkästen oder kleine Büros. Doch die Sitze ermöglichen es Apple, rund 24 Milliarden $, also 70 % des Profits, als im Ausland erwirtschaftet zu deklarieren. Luxemburg gewährte Apple eine optimierte Steuerrechnung für eine kleine Niederlassung, über die heute rund 20 % der iTunes-Verkäufe laufen. Von Irland wiederum kann Apple gleich doppelt profitieren: Der Konzern errichtete dort in den 1980er Jahren zwei Standorte, was mit der Schaffung von Arbeitsplätzen einherging. Dafür gab es von der irischen Regierung Steuererleichterungen. Zugleich erlaubte es ein Abkommen, dass Apple Tantiemen für Patente, welche in Kalifornien entwickelt worden waren, nach Irland schicken konnte. Als Resultat fielen für das Unternehmen anstatt 35 % in der USA lediglich 12,5 % Steuern in Irland an. [11]

Während also die portugiesischen Unternehmen Gewinne ausser Landes bringen, um der Besteuerung zu entgehen, steht das Land Schätzungen zufolge vor einer Verschuldung, die 2014 voraussichtlich 124 % des Bruttoinlandsprodukts betragen wird. Angesichts der in den EU-Ländern ganz offensichtlich weit verbreiteten Interesselosigkeit, einen tieferen Einblick in die Mechanismen der Union zu gewinnen, ist es durchaus möglich, dass die Portugiesen über die von ihren eigenen Konzernen praktizierte Steuerflucht gar nicht informiert sind. Indessen ist es ausgeschlossen, dass dies ohne Wissen der Regierung vonstatten geht. Da sich jedoch der EU-Bürger in der Regel steuerlichen Verfügungen praktisch widerstandslos unterwirft, auch wenn ihn die Armut am Kragen nimmt, liess der deutsche Steuerzahler keinen Aufschrei ertönen, als Schäuble jetzt erklärte, dass er vorsieht, Portugal über die Kreditanstalt für Wiederaufbau [KfW] mit einem Beistandskredit zu versorgen. Konkret: Während die Unternehmer Portugals von den niedrigen Steuersätzen Hollands profitieren und sich damit ihrer Pflicht entziehen, steuerlich zur Infrastruktur ihres Landes beizutragen, darf der Steuerzahler der BRD einmal mehr einspringen. Denn die KfW ist eine reine Staatsbank. Gleichzeitig wird Portugal mehr Zeit eingeräumt, um sein Staatsdefizit abzubauen. Unter diesen Umständen ist von zwei Faktoren ausgehen: Bei einer derart hohen Verschuldung und einer weiteren Steuerflucht der Konzerne wird Portugal nie in der Lage sein, seine Verschuldung zu tilgen, geschweige denn den von der KfW gewährten Kredit, der aus deutschen Steuergeldern besteht, je nochmals zurückzuzahlen. Diese Sachlage verdeutlicht ein weiteres Mal, wie dies Frank Schäffler dargelegt hat, dass die Steuerzahler produktiver Volkswirtschaften  - wie Deutschland -  die Steuerzahler unproduktiver Volkswirtschaften quersubventionieren. Wohl niemand kann einen Vorgang dieser Art als etwas anderes betrachten als die willkürliche Ausbeutung der Arbeitskraft einer Nation. So las man denn auch Ende Mai in den Deutschen Mittelstands Nachrichten ganz trocken, »dass die Euro-Zone ihre Schulden nicht mehr durch Wachstum abbauen kann.« Damit dürfte absehbar sein, dass die seit langem propagierte Transferunion Wirklichkeit werden wird, dies vermutlich im Anschluss an die Bundestagswahl im September. Und wieder wird es die Deutschen treffen, denn es heisst: »Wichtigstes Element der verschiedenen Maßnahmen: Der Zugriff auf den deutschen Sparer muß sichergestellt werden.« Nicht, dass dies den Bundestag aufgeschreckt hätte. Weit gefehlt.

Neuerdings wird man bei der Wortwahl  - wie sich dies schon beim Bail-in zeigt -  auch noch erfinderisch. So erklärte Schäuble bei der Mitteilung, dass er in die südeuropäischen Länder Kredite in Milliardenhöhe pumpen will, wörtlich: Der Bundestag bürgt für die Kredite. Seit wann? Was hindert Schäuble daran, offen und ehrlich klarzustellen, dass für die Kredite im Insolvenzfall  niemand anderes als die Steuerzahler seines Landes haften, deren Verschuldung unter der Regierung Merkel den Irrsinnsstand von 2,1 Billionen erreicht hat. Wo möchte Schäuble seine Bürger noch zusätzlich schröpfen, liegt die Verschuldung seines Landes doch bei 81 % des BIP.

Der damalige EU-Kommissar László Kovács hatte im Oktober 2005 öffentlich verkündet, dass sich die EU-Mitgliedstaaten darauf geeinigt hätten, »dass der Steuerwettbewerb schädlich und nicht akzeptierbar ist, wenn er darauf abzielt, ausländisches Steuersubstrat anzuziehen«, wobei es ihm wohl nur um das Anwerben von letzterem ging, denn innerhalb der EU wird der Steuerwettbewerb, wie oben skizziert, zum Schaden der Bürger doch still geduldet. So machte auch die FAZ online im August 2012 bekannt, dass der Sitz der Finanzholding Joh. A. Benckiser, der Kommandozentrale des Reimannschen Firmenreichs, nicht mehr in Deutschland beheimatet ist, sondern in Luxemburg. Und wie am Beispiel des US-Technologiekonzerns Apple aufgezeigt, ist diesem aussereuropäischen Steuersubstratin der EU in Wahrheit Tür und Tor geöffnet. Ferner sind die Ansätze, wie sie der OECD-Generalsekretär Angel Gurría 2009 vor dem Gipfel der G-20 verlauten liess und die darauf abzielten, von diesem Gremium einen entschlosseneren Kampf gegen die Steueroasen zu erwarten, von den dort Versammelten vermutlich schon damals gar nicht ernstgenommen worden. Schritte  gegen die Steuerflucht kamen zuletzt auf dem G-20-Gipfel in Cannes vom 3. bis 4. November 2011 zur Sprache: Als geeignetes Instrument wurde u.a. der automatische Informationsaustausch zu Steuerfragen vorgesehen. Dieser blieb jedoch, wie es hiess, freiwillig. Danach wurde dieses Thema nicht mehr weiter aufgegriffen, wohl auch deswegen, weil es von schwerwiegenderen Problemen, wie die Festlegung von Massnahmen zum Abbau der Staatsdefizite und zur Begrenzung der Staatsschulden überlagert wurde. 

Es sei daran erinnert, dass, wie dies Michael R. Krätke aufzeigte, »der eigentliche Boom der Steueroasen mit den deregulierten Finanzmärkten sowie dem Abbau der Devisenkontrollen Mitte der siebziger Jahren begann. Noch rascher als die Zahl der Steueroasen wuchs nun die Zahl der multinationalen Unternehmen und ihrer Tochterfirmen, von denen immer mehr gezielt in Offshore-Finanzzentren gegründet wurden. Heute gehören diese Steueroasen zum System der internationalen Finanzmärkte, sie bieten Beihilfen für Steuersparer sowie andere in der Regel hochspezialisierte Finanzdienstleistungen. Sie sind vorrangig für die international operierenden Banken und das moderne Finanzkapital, die Investmentfonds, die Hegdefonds und sonstige reine Finanzierungsgesellschaften da, ein Stützkorsett der Weltfinanzwirtschaft. Für die großen Geldmärkte wie London, New York oder Tokio bilden sie keine Gefahr, im Gegenteil.«  [12]  Der durch seine Bücher über Wirtschaftskriminalität bekanntgewordene Autor Jürgen Roth stellte einmal die Frage, ob man die Hochfinanz heute überhaupt noch von kriminellen Organisationen unterscheiden könne. Dies sei eine Frage der Definition.Roth zitiert auch den vormaligen Richter am Landgericht Frankfurt Main, Professor Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz, der folgendes erklärte: »Die wirklich mächtigen Feinde des Rechtsstaats, die mitverantwortlich für die Krise sind, üben nicht in irgendwelchen Lagern in Pakistan. Sie sitzen auf den Stühlen in den Ministerien und Parlamenten.« Aber, so Roth, das will niemand hören.  [13] 

Heute, schreibt Myret Zaki abschliessend in ihrem Buch, sind die Trusts und die ultrareichen Familien, die sie errichten, mächtiger als die souveränen Länder, denn mit ihrem Reichtum können sie sich eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Legalität leisten. So erklärte denn auch Angela Knight Ende 2009 in ihrer Funktion als Leiterin der britischen Bankiervereinigung im Figaro online: »Wenn gewisse Kräfte in Europa glauben, in der Lage zu sein, die jahrelange Arbeit, die notwendig war, um aus dem Vereinigten Königreich das Finanzzentrum dieses Planeten zu errichten, rückgängig zu machen, so täuschen sie sich gewaltig  [14] 

Zurück bleibt die Frage, wieviel Intelligenz und Weitsicht unter den Konzernverantwortlichen und Regierenden überhaupt noch vorhanden ist, da sie die Folgen, die sich aus den geschilderten Umständen ergeben  - und diese schliessen den Niedergang ihres eigenen Staates ein -  allem Anschein nach ohne Skrupel ignorieren.

 

Literatur: 
Myret Zaki Das Bankgeheimnis ist tot – Es lebe die Steuerflucht
Tobler Verlag AG 2010 ISBN 978-3-85612-181-5 
Nicholas Shaxson Schatzinseln – Wie Steueroasen die Demokratie untergraben
Rotpunktverlag 2011 ISBN 978-3-85869-460-7

[1]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1250   20. 6. 09 
Die G-20-Staaten und die Hierarchisierung des internationalen Kapitals - Von Jean-Claude Paye  [2] 
http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1251    20.6.08 
Ergänzendes zum Thema Steueroasen 

[3]  http://bazonline.ch/wirtschaft/konjunktur/Die-Steuerhinterzieher-bekommen-nun-Angst/story/12468032   4. 4. 13  Das Interview führte Matthias Chapman 
[4]  http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=972    5. 7. 08 
Zum Thema offshore centres, Steuerbegünstigung und Steuerhinterziehung 
[5] http://bazonline.ch/wirtschaft/konjunktur/Die-Schweiz-ist-ein-einfaches-Ziel/story/26695048
[6]  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2097   15. 4. 13 
Die leidigen Steueroasen 
[7]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/05/06/jagd-auf-steuerfluechtlinge-wall-street-zocker-sind-unantastbar/: 6. 5. 13  
[8] 
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=141   20. 6. 2005 
Konzernmacht im Untergrund - Von Werner Rügemer 
[9]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/05/06/jagd-auf-steuerfluechtlinge-wall-street-zocker-sind-unantastbar/:  6. 5. 13
[10]  ARD Plusminus vom 22.5.2013; der Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 22. 5. 2013. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt 
[11]  http://bazonline.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/Wie-Apple-Steuern-in-Milliardenhoehe-umgeht/story/29296132   30. 4. 12 

[12]  http://www.freitag.de/2008/09/08090601.php  29. 2. 08 
Michael R. Krätke - Die Schurkenstaaten sitzen mit am Tisch 

[13]  http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1558    27. 6. 10 
Interview mit Jürgen Roth über kriminelle Strukturen des Finanzkapitals -Von Reinhard Jellen  [14]  http://www.lefigaro.fr/conjoncture/2009/12/03/04016-20091203ARTFIG00003-la-city-se-dechaine-contre-nicolas-sarkozy-.php  2.
12. 09
»Si certains en Europe pensent être capables de renverser les années de travail qui ont été nécessaires pour faire du Royaume-Uni le centre financier de la planète, ils se trompent lourdement.«