20 Jahre nach Oslo - Eine Momentaufnahme - Von Tsafrir Cohen 09.06.2013 22:58
Als am sündhaft teuren Tel Aviver Immobilienstandort Rothschild-Boulevard Tausende
im Zelt
des »medico«-Partners
Ȁrzte
für Menschenrechte« [PHM-Israel] vorbeischauten und über das Recht aller,
auch papierloser Migranten, auf Gesundheit diskutierten, als Hunderttausende
jene Politik der herrschenden Parteien infrage stellten, die innerhalb von drei
Dekaden aus einem Wohlfahrtsstaat eine Gesellschaft mit einer US-amerikanisch
anmutenden Kluft zwischen Arm und Reich gemacht hat, keimten bei unseren
israelischen Partnern große Erwartungen auf. Nicht nur sie, sondern viele der
Demonstrierenden hofften, daß dieser Protest
Israels Gesellschaft neu politisieren würde. Die Abwicklung des solidarischen
Gesundheitssystems könnte vielleicht rückgängig gemacht werden und der Ruf nach
sozialer Gerechtigkeit alle ethnisch-religiösen Grenzen auflösen. Vielleicht
würde das endlich den Weg für eine auf einen gerechten Ausgleich mit den
Palästinensern ausgerichtete israelische Politik bereiten.
Gescheiterte
Repolitisierung Doch
spätestens mit dem Ausgang der israelischen Wahlen im Februar 2013 erwies sich
das hergebrachte politische System als äußerst überlebensfähig, was mit den
üblichen Taktiken gelang. Die Politelite vereinnahmte den Protest mit Hilfe
vorgeheuchelter Sympathiebekundungen für die Forderungen der Demonstranten. Zum
Schein ging man darauf ein und berief zunächst eine Kommission. Die legte
Monate später, als der Elan des Aufruhrs abgeebbt war, hinhaltende Ergebnisse
vor, die in der einen oder anderen ministerialen Schublade verschwanden.
Darüber hinaus gelang es der Politelite,
die sozialen Proteste in eine ressentimentgeladene Aufwiegelung verschiedener
Gruppen gegeneinander umzudeuten und damit die Repolitisierung zu kippen. Zentrales Wahlkampfthema war also nicht die
Frage, wie ein gerechtes soziales und wirtschaftliches System aussehen könnte,
sondern warum ultraorthodoxe Juden oder die palästinensische Minderheit im Land
nicht in der Armee dienen. Soziale Gerechtigkeit wurde während des Wahlkampfes in
»gerechte
Lastenaufteilung« umgemünzt. Dem auf diese Weise militaristisch und
patriotisch aufgeladenen Diskurs hatten linke und emanzipatorische Kräfte
nichts entgegenzusetzen. Bis tief ins Lager der Arbeitspartei überwog die
Angst, sich dem Vorwurf des Antipatriotismus auszusetzen. Die großen Gewinner
der Wahlen waren dann auch die Nationalreligiöse Partei um den
Hightech-Multimillionär Naftali Bennett, der rechtsradikales messianisches
Gedankengut modern verpackt, ferner eine neue populistische Partei um den
feschen Moderator Yair Lapid, die sich antiklerikal und establishmentkritisch geriert,
in der Realität aber die Interessen einer ›weißen‹ und mitunter rassistischen
Mittelschicht attraktiv zu präsentieren weiß. Er war der entscheidende
Protagonist in der Umdeutung der sozialen Frage, und ist bei den Anhängern der Protestbewegung äußerst
populär.
Die Verdrängung
dauert an Im
Windschatten einer Wahl, bei der die existentielle Frage nach der Besatzung der
palästinensischen Gebiete kaum zur
Sprache kam, kann der alte und wohl auch neue Ministerpräsident Benjamin
Netanjahu mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik sowie der Verdrängungspolitik
der Palästinenser fortfahren. An seiner Regierung prallt der Protest unseres
Partners »Adalah«, einer
Menschenrechtsorganisation aus Haifa, gegen den »Prawer-Plan« ab. Dieser
sieht die Zwangsevakuierung von 70.000 Beduinen - allesamt israelische Staatsbürger
- aus
ihren angestammten Dörfern in Israels Süden zugunsten von neu zu gründenden
Gemeinden, exklusiv für jüdische Israelis, vor. [1] In der besetzten Westbank verhindert
Israel weiterhin den Aufbau einer zivilen Infrastruktur für palästinensische
Gemeinden, etwa von Wind- und Solaranlagen der israelischen Comet-ME oder von
einfachen Tierställen der palästinensischen Union of Agricultural Work
Committees, um die Palästinenser aus großen Teilen der Westbank zu verdrängen.
Gleichzeitig wird kräftig an der Infrastruktur für jüdisch-israelische Siedler
weitergebaut. Die letzte Entwicklung und Perfektionierung im System
der ethnisch-religiösen Segregation ist die Errichtung getrennter öffentlicher
Bussysteme - eins für israelische Siedler, das andere für Palästinenser.
Bislang hatte das System noch Schlupflöcher, so daß
beispielsweise Palästinenser mit einer Sondergenehmigung das für die Siedler
gut ausgebaute Bussystem benutzen konnten. Nun ist es damit vorbei.
Palästina: Frei nur
im Gefängnis? Auf diese
Herausforderungen reagiert die palästinensische Gesellschaft hilflos. Im Kampf
ums Überleben ist sie selbst in das System verstrickt. Ihre politischen
Institutionen sind durch den Dauerzwist zwischen der im Gaza-Streifen
regierenden reaktionären Hamas [2] und
der Fatah, die über die Palästinensische Autonomiebehörde [PA] eine Reihe von
geographisch miteinander nicht verbundenen Enklaven in der Westbank verwaltet,
gelähmt. Beide sind auf Grund ausbleibender Wahlen kaum noch demokratisch
legitimiert. Die PA war im Rahmen der Osloer Friedensverträge zwischen Israel
und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO als Embryo eines künftigen
Staates Palästina ins Leben gerufen worden. Sie ist 20 Jahre später noch immer
völlig von Israel abhängig. Israel verlangt von der PA, die palästinensische
Bevölkerung besser zu kontrollieren und die Sicherheit Israels zu garantieren.
Man verlangt die Festnahme von Landsleuten, die verdächtigt werden, mit Gewalt
gegen Israel vorzugehen. Tut die PA das nicht, so verfügt Israel über eine
Reihe von Sanktionsmöglichkeiten, etwa die Zurückhaltung der Steuergelder, die
Israel erhebt und an die PA weiterleiten soll: bei der Mittelknappheit der PA
ein enormes Druckmittel. Denn die Löhne der PA ernähren etwa eine Million
Menschen und sichern den Machterhalt der Fatah. Angesichts dieser Verstrickung
sind die palästinensischen Häftlinge in den israelischen Gefängnissen die
einzigen, die momentan genug innere Freiheit besitzen, um den widrigen
Verhältnissen auf breiter Front zu widerstehen. Seit Jahren demonstrierten zum
ersten Mal wieder Zehntausende von Palästinensern in Solidarität mit den sich
im Hungerstreik befindlichen Häftlingen. Eine Erinnerung daran, daß der gegenwärtige Status quo auf Dauer nicht zu
halten ist.
Paradigmenwechsel
auch in Berlin 1993, vor
20 Jahren, wurden die Osloer Verträge auf dem Rasen des Weißen Hauses vor der
Weltöffentlichkeit geschlossen. Seitdem galt für die westlichen Machteliten die
Besatzung als beendet. Nach dieser geradezu doktrinär gewordenen Lesart schien es
nur noch eine Frage der Zeit, bis die Detailfragen in bedingungslosen
Verhandlungen zwischen den beiden Parteien gelöst würden. Zwei Jahrzehnte
später muss man von einem großen Scheitern sprechen. Die asymmetrischen
Machtverhältnisse haben dazu geführt, daß Israel
die eigene politische Vision von dichtgedrängten und von einander getrennten
palästinensischer Enklaven, die von Israel abhängig sind und von diesem militärisch,
aber auch wirtschaftlich permanent kontrolliert werden, durchsetzt. In vielen Lobbygesprächen, die »medico«
gemeinsam mit israelischen sowie palästinensischen
Partnern im politischen Berlin führte, konnten wir beobachten, daß der Groschen auch dort langsam fiel. Der
Zustimmung für die Analyse folgte anfangs nicht die Zustimmung zu unserer
Forderung: Es müßten von außen klare Parameter für einen
gerechten Frieden gesetzt werden. Immer wieder trugen wir vor, daß Druck notwendig sei, da die israelische
Gesellschaft nicht in der Lage ist, die Besatzung von sich aus zu beenden.
Spätestens mit der Ermordung des Ministerpräsidenten Rabin war klargeworden, daß in Israel keiner, der die Kontrolle über die
besetzten Gebiete aufgibt, die Wahlen gewinnen kann. Unsere Analyse besagte, daß nur Druck von außen den Druck der
Siedlerbewegung ausgleichen kann. Empathie für Israel müsse mit einer
deutlichen Ablehnung der Besatzungspolitik verbunden sein. In internen
Gesprächen stießen wir vielfach auf Zustimmung. Doch offiziell wollte in Europa
keiner einen Konflikt mit Israel riskieren. Europa zog sich in die
bequeme Rolle des Gehilfen der USA zurück. Gegenwärtig können wir beobachten, daß europäische Akteure angesichts einer
handlungsunfähigen US-Regierung an einer eigenen und einheitlichen europäischen
Politik arbeiten. Konsequent durchgehalten könnte diese Druck auf Israel
ausüben. 22 europäische Organisationen, darunter »medico«, haben beispielsweise im Herbst letzten Jahres eine
Studie veröffentlicht, die den europäischen Handel mit israelischen
Siedlungsprodukten kritisch beleuchtet und nachweist, daß
er zur Erhaltung der widerrechtlichen Siedlungen beiträgt. Die Studie wurde in
der europäischen Politik sehr positiv aufgenommen. Eine Kennzeichnung der
israelischen Siedlungsprodukte scheint jetzt nur eine Frage der Zeit zu sein.
So deutlich wie selten sprechen sich Politiker aus Deutschland und Europa gegen
die Vertreibung von Palästinensern aus und bezuschussen Projekte, die versuchen,
diese zu verhindern. Ob das
mehr ist als ein Hoffnungsschimmer für eine eigenständige europäische Politik,
bleibt fraglich. Jederzeit muß man damit
rechnen, daß die Akteure, über ihren eigenen
Mut erschrocken, zurückrudern. Dann müssen wir mit unserer Lobbyarbeit für eine
differenzierte Politik gegenüber Israel wieder bei Null beginnen. [3]
Die Bürgerrechte
Mitglieder
der arabisch-palästinensischen Minderheit in Israel, heißt es, genießen alle
Bürgerrechte. Die in Haifa beheimatete »Adalah« [Arabisch für Gerechtigkeit] tritt nun dafür ein, daß diese
Rechte keine leere Formel bleiben, sondern in allen Lebensbereichen realisiert
werden, so etwa im Gesundheitssektor: In den arabischen Gemeinden wird allerdings
weniger investiert, und die Bewohner haben folglich einen schlechteren Zugang
zur Gesundheitsversorgung. Indem »Adalah« Sammelklagen und öffentliche Kampagnen initiiert, fördert sie
staatsbürgerliches Engagement und zwingt Israels Gesellschaft dazu, sich Fragen
der Gerechtigkeit jenseits ethnischer Grenzen zu stellen. So erging am 22. März
ein Aufruf aus Israel an Juden in aller Welt: Wenn Ihr Euch Sorgen um Israel
macht, dann solltet ihr nicht länger schweigen!
Als besorgte Juden und
Israelis rufen wir euch dazu auf, eure Bedenken über die augenblickliche
kritische Situation in Israel öffentlich zum Ausdruck zu bringen und den Staat
Israel aufzufordern, zu den friedlichen, moralischen, demokratischen und
humanistischen Werten, die uns lieb und wert sind, zurückzukehren. Wir senden
euch diesen dringenden Appell, weil wir glauben, daß ihr als liberale Juden mit
uns die humanistischen Werte unseres jüdischen Erbes teilt und unsere
Bemühungen unterstützt, den Verfall der israelischen Gesellschaft zu
verhindern. Liberale Juden in aller Welt haben sich stets darum bemüht, diese
Welt zu einem besseren Ort zu machen: ›Tikkun Olam‹, nach der Tradition der Propheten. So wie man überall gegen
antidemokratische Handlungen und Unmoral angeht und seine Stimme gegen die
Diskriminierung von Juden in andern Ländern erhebt, so muß man auch seine
Stimme hörbar machen, wenn Israel von unserer jüdisch-humanistischen Tradition
abweicht, indem es sich vom moralischen, den Frieden suchenden demokratischen
Weg abwendet.
In den letzten Jahren
waren wir Zeugen eines dramatischen Wandels in Israel. Die wachsende Dominanz
von nationalistischen, expansionistischen und antidemokratischen Ideologien,
Zielen und politischen Vorgehensweisen, haben die demokratische und moralische
rote Linie schon überschritten. Die
andauernde Besatzung der Westbank und
die Expansion der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten verletzen
die elementaren Menschen- und kollektiven Rechte der Palästinenser und reißen
das moralische Gefüge der israelischen Gesellschaft auseinander, wie etwa die
Weigerung der letzten Regierung, sinnvolle Verhandlungen mit den Palästinensern
und der arabischen Welt zu führen, was eine friedliche Vereinbarung in Bezug
auf den anhaltenden Konflikt bringen können hätte. Die letzte Regierung
ignorierte die arabische Friedensinitiative, die 2002 beim Arabischen Gipfeltreffen in Beirut zustande
gekommen war und die neben dem Staat Israel zur Errichtung eines
palästinensischen Staates in der Westbank, im Gazastreifen und in Ostjerusalem
aufrief. Die Gegengabe wäre ein Ende des Konflikts gewesen sowie Frieden und
die Normalisierung der Beziehungen. Stattdessen führte die Regierung ihre
expansionistische Politik, die, wenn sie nicht bald gestoppt wird, eine
Zwei-Staaten-Lösung unmöglich macht, weiter fort. Mit dieser Politik verletzt
die Regierung nicht nur das Völkerrecht, sondern auch israelische Gesetze und
unterminiert die Grundlagen der israelischen Demokratie. Wir sind Zeugen
fortgesetzter, systematischer und oft erfolgreicher Versuche, Gesetze zu
verabschieden, die den fundamentalen demokratischen Prinzipien der
Gleichbehandlung von Minderheiten widersprechen. Die letzte Regierung initiierte
eine Bildungspolitik, die die humanistischen und demokratischen Werte der
Bildung nach und nach untergräbt und stattdessen enge nationalistische und
intolerante Werte vermittelt. Es hat systematische Versuche gegeben, die Kritik
an der israelischen Politik zum
Schweigen zu bringen und Stimmen in Hochschulen, Medien und NGOs, die mit der
Politik Israels nicht einverstanden sind, zu delegitimieren. Es geschehen
wiederholt Versuche, das Rechtssystem zu kontrollieren, indem der Oberste
Gerichtshof angegriffen und seine Unabhängigkeit eingeschränkt wird. Wir sind
auch Zeugen zunehmender Versuche extremistisch religiöser Kräfte, ihre
monopolistischen Praktiken auf verschiedene Lebensbereiche auszudehnen und
andere religiöse Denominationen anzugreifen. Insgesamt stellen wir
schwerwiegende Abweichungen vom moralischen und demokratischen Kompass, der
unsere Gesellschaft zu Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit führen sollte,
fest. Als bedeutende Minderheit in Israel brauchen wir euch als Partner bei
unseren patriotischen Bemühungen, Israel zu retten, um sichergehen zu können, daß
es eine Gesellschaft bleiben wird, die die Vision unserer Gründerväter
verkörpert, wie sie in der Israelischen Unabhängigkeitserklärung festgelegt
wurde. Unsere Stimmen müssen laut und deutlich gehört werden, so daß bekannt
wird, daß es noch ein moralisches und humanes Judentum gibt, und daß dieses
Judentum nicht nur den Mut hat, Ungerechtigkeit und Unmoral andernorts zu
kritisieren, sondern diese auch aufzuzeigen, wenn sie in Israel geschehen. Dies
ist ein ultimativer Ausdruck unserer Sorge und Liebe zu Israel. Es ist unsere
gemeinsame Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, die für unser
Schweigen und unsere Gleichgültigkeit einen hohen Preis zahlen werden müßten.
Die Kosten für das Schweigen übersteigen bei weitem die Kosten des Engagements.
Was auf dem Spiel steht, ist nichts weniger als die Zukunft des Staates Israel,
der israelischen Gesellschaft und des jüdischen Volkes.
Ja, es stimmt, daß
bösartige Versuche unternommen werden, jene zu delegitimieren und zu ächten, die
die Politik und das Handeln der Regierung Israels kritisieren - hier in Israel
und in jüdischen Gemeinden in aller Welt. Wir kennen all die Argumente, wie sie
von Behörden gegen Kritik ausgesprochen werden. Es gibt eine wachsende
Monopolisierung des Patriotismus, selbst was den Terminus Zionismus betrifft,
der nur eine Ideologie, ein Ziel und eine Politik als legitim und
patriotisch gelten läßt. Alle andern Ansichten werden für den Staat Israel und
das jüdische Volk als schädlich gebrandmarkt. Berechtigte Kritik wird als ›anti-semitisch‹ ›anti-Israel‹ oder gar als ›Selbsthass‹ dargestellt. Dies
zielt darauf ab, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, indem man Furcht
einflößt und so ein mächtiges Mittel hat, das von antidemokratischen Kräften in
verschiedenen Gesellschaften immer wieder verwendet wird. Es hat wiederholt
nicht nur zu Freiheitsbeschränkung geführt, sondern hatte auch verheerende
Konsequenzen für die Gesellschaft. In den letzten Jahren sind Kräfte, die diese
Einstellung in Israel hatten, offener und wagemutiger geworden und sind heute
in mehreren Institutionen der Gesellschaft gut vertreten. Aber die Menschheit
hat gelernt, daß Schweigen und Ignoranz keine düsteren Realitäten verändern,
sondern daß nur kritisches Denken, freie Rede und offene Kritik zu Fortschritt
führen.
Wir bewundern
Individuen wie Emile Zola, der den Mut hatte, die Aufmerksamkeit der
französischen Gesellschaft auf das Verschwinden von gerechten und moralischen
Prinzipien zu lenken, indem er der französischen Armee Justizbehinderung und
Antisemitismus vorwarf, als man Alfred Dreyfus fälschlicherweise verurteilte.
Er zögerte nicht, die französischen Führer in Zeiten der Spannungen zwischen
Frankreich und Preußen zu kritisieren. Er mußte seinen Wagemut teuer bezahlen.
Wie Zola sollten wir im Anblick von Israels Abweichen von elementaren
moralischen und demokratischen Regeln nicht nur Zuschauer sein. Der
nationalistisch-religiöse Teil des Weltjudentums unterstützt die fehlgeleitete Politik
der gegenwärtigen Regierung offen: politisch, finanziell, organisatorisch,
während viele im liberalen jüdischen Lager daneben stehen und zögern, ihre
Sorgen zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir alle wie gelähmt bleiben, werden wir
schließlich die Grundlage unserer gemeinsamen jüdischen Identität, zu der
Israel viel beigetragen hat, verlieren. Als Zugehörige zum jüdischen Volk
müssen wir unsere Stimme gegen Unrecht erheben, und zwar gerade aus Liebe zu
Israel. Es ist unsere Aufgabe, uns mit Situationen zu befassen, die beträchtlich vom moralischen Kodex und den
Normen abweichen, ob innerhalb der Familie oder innerhalb der weiteren
Gemeinschaft.
Als liberale Juden, denen ihr
Judesein etwas bedeutet und die mit Israel verbunden sind, müssen wir alle Teil
der gemeinsamen Anstrengungen sein, Israel vor den nationalistischen,
antidemokratischen und fremdenfeindlichen Strömungen zu retten, die es derzeit fest
im Griff halten. Wir müssen alle unsere Vorbehalte sowie unsere Kritik laut und
klar aussprechen. Es ist unsere Pflicht, gegen Unrecht zu sprechen und zu
handeln, als Ausdruck unserer Identität und unseres Gewissens. Letztlich wird
die Geschichte uns anhand unseres Tuns beurteilen. [4]
[3] Quelle: Rundschreiben I/2013 von medico
international http://www.medico.de/material/rundschreiben/2013/01/grosse-erwartungen/
[4] http://media.wix.com/ugd/73982d_2542fbb0cfd919dd7f23ddc321a194d4.pdf
»If you Care about Israel, Silence is no Longer an Option! A Call for Action from Israel«
Der Aufruf wurde am 22. März dieses Jahres zur Pessach-Woche durch Prof. Daniel
Bar-Tal, Tel Aviv verbreitet; deutsch von Ellen Rohlfs und Edith Lutz
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