Die Vorzüge der Schweiz aus der Sicht eines US-Amerikaners 02.06.2013 23:27
»Es ist ein wunderbares Modell, und es wäre schön, wenn andere Länder es studieren würden.«
Der Autor
des Buches »Die
Schweiz im Visier«, der US-Historiker Stephen P. Halbrook, schrieb dieses
Buch, um die amerikanische Öffentlichkeit auf den wahren geschichtlichen Ablauf
der Periode zwischen 1933 und 1945 aufmerksam zu machen. Seit zwei
Jahrhunderten betrachten wir uns auf Grund unserer gemeinsamen Werte, besonders
der persönlichen Freiheit, des Föderalismus und der Demokratie, als ›Schwesterrepubliken‹. Diese Werte ermöglichten es der
Schweiz, dem Nazismus zu widerstehen und zu überleben. Die amerikanische
Öffentlichkeit verdient es, die Wahrheit über diese Ereignisse zu erfahren; sie
sollte zugleich die Notwendigkeit erkennen, diese Werte für unsere eigene
Republik zu erhalten. Das nachfolgende Interview mit dem Autor führte ›Zeit-Fragen‹.
Herr Halbrook,
Sie haben verschiedene Bücher zur Schweiz geschrieben, in welchen Sie das
Zerrbild unseres Landes, das in den letzten Jahren von gewissen Kreisen kreiert
wurde, korrigiert haben. Damit haben Sie einen wichtigen Beitrag zur
realistischen Betrachtung der Schweizer Geschichte geleistet.
Stephen
Halbrook: Als Amerikaner habe ich traditionelle amerikanische Werte, die den traditionellen Schweizer Werten sehr ähnlich
sind. Dazu gehören die lokale Demokratie, Föderalismus und Neutralität. Wir haben die
Tugend der Neutralität verloren, und wir haben zuviel Zentralisierung. Das
traditionelle Schweizer Modell kann die Amerikaner viel lehren. Zur Zeit ist
die Schweiz von seiten der EU unter starkem Druck, durch Handelshemmnisse auch
unter einem wirtschaftlichem, da das Land kein EU-Mitglied EU ist.
Glücklicherweise haben es die Schweizer abgelehnt, der EU beizutreten. Die
Schweiz hat das Schengener Abkommen übernommen; Sicherheitsabkommen haben ihren Preis, und gewisse
Elemente davon verletzten Schweizer Traditionen. Ein Thema,
das damit zusammenhängt und das ich in der USA ebenfalls bearbeite, ist das Recht
des Volkes, Waffen aufzubewahren und zu tragen. Unser Land war während der
Revolution von der Schweiz inspiriert.
Wir bekämpften die grösste Monarchie mit der grössten Armee der Welt. Und die
Schweizer taten dasselbe, als sie die Habsburger, die Franzosen und andere
Invasoren am Morgarten, bei Sempach und in all den anderen Schlachten
bekämpften. Ein kleines Land ohne König besiegte die grossen Länder mit
mächtigen Königen und Armeen. Das war eine Inspiration für die Amerikaner, über
die nicht viele Leute Bescheid wissen. In den Vereinigten Staaten und in der
Schweiz treten ähnliche Probleme auf. Morde durch Kriminelle und Verrückte
befeuern Vorschläge, die Schusswaffen auch von Personen zu konfiszieren, die
sich an das Gesetz halten. Dazu gehören auch Vorschläge zur Abschaffung Ihrer
Milizarmee und deren Ersatz durch eine Berufsarmee oder überhaupt keine Armee.
Z.-F.:
Das ist in der Schweiz gegenwärtig in Diskussion. Es gibt eine
Initiative, welche die Milizarmee abschaffen und zu einer Armee von ›Freiwilligen‹ übergehen will. Am Ende hätten wir eine Berufsarmee.
St. H.: Diese Frage hängt von der Aufgabe
der Armee ab. In der Schweiz hat diese Aufgabe in der Verteidigung des Landes
bestanden, und man hat den Rat von Niklaus von Flüe angenommen, nicht in andere Länder zu gehen: Bleibt in
eurem eigenen Land. Bleibt neutral. Die Schweizer nahmen diesen Rat auf und
sind gut damit gefahren, denn auf irgendeine wunderbare Art waren sie in der
Lage, sich aus zwei Weltkriegen herauszuhalten. Die Aufgabe von Armeen von
Einberufenen und Söldnern war die Aggression gegen andere Länder, um die
Territorien der Monarchen auszuweiten. Wenn man eine Bürgerarmee hat, eine
Milizarmee, ist sie für die Invasion anderer Länder wenig wirksam. Diese ist
gut für den Widerstand gegen eine Invasion in das eigene Land. Ich bin
bei der Forschung für meine Bücher ›Target
Switzerland‹ [1998] und ›The Swiss and the Nazis‹ [2006] auf eine erstaunliche
Geschichte gestossen. Jeder Mann ist bewaffnet und hat zu Hause ein Gewehr.
Schon zu Beginn des Krieges gaben der Bundesrat und General Henri Guisan
bekannt: Wenn Ihr hört, dass wir kapituliert haben sollen, ist das nicht wahr,
sondern eine Lüge und feindliche Propaganda. Damals hatten die Deutschen, wenn
sie andere Länder überfielen, Flugblätter aus Flugzeugen abgeworfen, auf denen
behauptet wurde, man habe ›kapituliert‹. Die Schweizer Verlautbarung machte
es unmöglich, sich zu ergeben. Ausserdem hatten die Leute Gewehre in ihren
Häusern und konnten daher sofort zur Verteidigung des Landes mobilisiert
werden. Die Kombination dieser Faktoren machte es möglich, im Krieg die
Unabhängigkeit zu wahren. Die Milizarmee ist stark in der Infanterie, denn wir
sprechen in erster Linie über Handfeuerwaffen. Was ist besser für die
Landesverteidigung als das?
Z.-F.:
Mit anderen Worten ist die Schweizer Armee ein Friedensmodell. Wenn
jedes Land eine solche Armee hätte, wäre der Krieg vorbei.
St. H.:
Ja, das sehe ich auch so. Die Aufgabe von grossen stehenden Armeen ist
der Angriff. In der USA sind wir vor- und zurückgegangen. Wir waren lange
neutral und sind dann in den Ersten Weltkrieg gezogen worden, was eine
problematische Situation war. Das nächste Problem war, nicht in die
europäischen Kriege der späten 1930er Jahre hineinzugeraten. Nach Pearl Harbor
war es unmöglich, sich herauszuhalten; seit diesem Zeitpunkt sind wir nicht
mehr neutral gewesen. Das ändert den Charakter des Landes. Wir haben heute
viele Probleme in der USA, und unser Land ist sehr gespalten. Der Klassenkampf
von Präsident Obama sucht die Leute in den Vereinigten Staaten gegeneinander
aufzubringen. Jeder, der nicht in der Gunst seiner Administration steht, wird
besteuert, reglementiert, kontrolliert, ausspioniert und herumgestossen,
während die kapitalistischen Kumpane, die ihn unterstützen, mit Milliarden von
Dollars belohnt werden. Vetternwirtschaft der schlimmsten Sorte, anstatt dass
jedermann für den Wohlstand aller arbeitet. Dies ist im Augenblick unser
politisches Szenario.
Z.-F.:
Warum halten Sie es für einen Vorteil, dass die Schweiz ausserhalb der
Europäischen Union bleibt?
St. H.:
Sie würde ihre Souveränität und ihre Selbstbestimmung verlieren. Sie
würde ein Satellitenstaat zwischen Deutschland, Frankreich und Grossbritannien.
Die Fäden würden von den Bürokraten in Brüssel gezogen, welche die EU und die
grossen Machthaber führen. Historisch gesehen stand die Schweiz auf Grund des
deutschen Wunsches zur Schaffung eines Grossdeutschlands immer im Widerspruch
zu Deutschland. Als die Nazis 1933 erstmals an die Macht kamen, zeichneten sie
Karten, auf denen die Schweiz ein Teil von Deutschland war. Heute veranlassen
die konfiskatorischen Steuersätze der BRD die Bürger dazu, ihre Vermögenswerte
ins Ausland zu bringen, so dass einige versuchen, von ihrem Einkommen etwas zu
retten, indem sie es hierher bringen. Aber die deutsche Regierung verfolgt diese
Vermögen. Ausserdem seid Ihr vom US-Justiz- und vom US-Finanzdepartement, die
die Schweizer Gesetze zum Schutze der Privatsphäre gebrochen haben, zu sehr
beansprucht worden. Es ist eine Sache, wenn die US-Finanzbehörden versuchen,
Amerikaner dazu zu zwingen, alle ihre Steuern zu zahlen, aber es ist etwas
völlig anderes, in andere Länder zu gehen und zu sagen, wir werden eure Gesetze
ignorieren und eure Banken boykottieren, und Ihr werdet die Konsequenzen in der
USA tragen, wenn ihr eure Datenschutzgesetze in eurem
Land nicht ändert.
Z.-F.: Wir denken, dass dies ein
wichtiger Punkt ist. Der Vertrag mit Deutschland zum Beispiel verlangt, dass
die Schweiz für Deutschland die Steuern einziehen müsse. Deutschland lehnte das
Abkommen ab, denn die BRD will, dass die Schweiz das ganze deutsche Steuerrecht
übernimmt. Es ist ganz offensichtlich, dass die mächtigen Staaten die kleinen
Länder zwingen, ihre Gesetze zu ändern. Das ist ein Verlust der Souveränität
für all diese kleinen Länder. Das verstösst absolut gegen die Uno-Charta,
welche die Souveränität jedes Landes schützt.
St. H.:
Seit ihrer Gründung 1291 hat die Schweiz den Ruf, für ihre Souveränität
einzutreten und sie zu erhalten. Deshalb hat sie nicht nur das System der
Neutralität, sondern auch der immerwährenden bewaffneten Neutralität. Sie muss
eine gute Verteidigung aufweisen, und dies muss auch die Wahrnehmung anderer
Länder sein. Militärische Gegner müssen wissen: kommt nicht hierher, weil es
sehr blutig und sehr teuer werden würde. Daher muss man auch dem
wirtschaftlichen Druck standhalten und die eigenen Industrien erhalten. Man
sollte nicht gezwungen sein, Bananen, Äpfel oder Tomaten nur in den Grössen zu
haben, welche die Europäische Union diktiert.
Z.-F.:
Sind Sie der Meinung, dass wir die bewaffnete Neutralität brauchen? Ist
sie wirklich nötig?
St. H.:
Ja, vor allem für ein kleines Land. Es gibt keinen anderen Weg, um zu
überleben. Man muss neutral sein. Wenn man politisch in die Kontroversen
anderer Länder involviert wird, gibt es ohne eure Neutralität und ohne eine
starke Milizarmee keinen Weg, die Souveränität zu wahren. Denn mit Neutralität
allein geht das nicht. Ihr müsst das tun. Ihr müsst das so machen, wie man es
seit 1291 gemacht hat. Das ist eine Geschichte von über 700 Jahren. Wenn andere
Armeen hierher kämen, würden in einigen Schlachten alle Schweizer getötet, aber
auch eine grössere Anzahl von Feinden. Es gibt das Beispiel von Winkelried. Und
die moderne Version bedeutet, Kampfjets zu haben, aber auch das Sturmgewehr 90 an
jeden im Alter von 18 bis 20 abzugeben. Die Schiesswettkämpfe sind der grosse
Nationalsport der Schweiz. Das hat die Amerikaner des 19. und 20. Jahrhunderts ausserordentlich
beeindruckt. US-Militärbeobachter beschrieben das Wettschiessen mit dem Gewehr
am kantonalen Feldschiessen als einer exzellenten Infanterietraining sehr
förderlich. Es ist nicht nur ein starkes Ausbildungsprogramm, es ist zugleich
ein Familienanlass und rundum ein Fest. Das ist eine einzigartige Schweizer
Tradition und sollte erhalten werden. Ich habe persönlich an einer Reihe von
Schützenfesten teilgenommen und in US-Schiesssportmagazinen Artikel darüber
geschrieben.
Z.-F.:
Dürfen wir Ihre Aussagen zusammenfassen: Das demokratische Modell mit
all den Besonderheiten der Schweiz könnte für alle Länder von Interesse sein,
um diesem Erfahrungen zu entnehmen und die direkte Demokratie in ihren Ländern
umzusetzen.
St. H.:
Es ist ein wunderbares Modell, und es wäre schön, wenn andere Länder es
studieren würden. Es ist für euch hart genug, euer Modell zu erhalten. Sie
haben Initiativen wie die Waffenverbotsinitiative von 2011. Die Abstimmung
ergab 56 % Nein gegen 44 % Ja. Ihr müsst achtgeben, dass Ihr nicht in
gegensätzliche Gruppen aufgespalten werdet. Es ist wichtig, die eigenen Einrichtungen
zu wahren und ein positives Modell für andere Länder zu bleiben. Wenn es
verschwindet, ist das Modell weg.
Z.-F.:
Was können wir tun, um das Modell zu erhalten und all diesen Attacken
von aussen – und wie Sie erwähnt haben, auch von innen - standzuhalten?
St. H.:
Man kann aus den Erfahrungen mit den Amerikanern in den 1991er Jahren
wichtige Lehren ziehen. Man muss sich behaupten und stark sein. Und nicht
nachgeben oder schwach sein. Ich habe das in vielerlei Hinsicht beobachtet. Ich
habe die Hearings im US-Kongress besucht, die durch die Kontroversen veranlasst
wurden, welche auf die Gerichtsverfahren gegen die Schweizer Banken
zurückzuführen waren. Die Geschichte wurde neu geschrieben und neu erfunden,
was den Prozesszielen diente und zu grossen Geldzahlungen führte. Viele Schweizer
verstanden nicht, warum die Amerikaner nun diese Dinge sagten. Warum haben sie
das getan? Es waren nicht die Amerikaner, es war nur eine kleine Zahl von
Amerikanern. Sie taten es aus politischen Gründen und um die Zahlungen zu sichern.
Bundesrat
Villiger entschuldigte sich für den Judenstempel, den die Nazis ab 1938 in
jüdischen Pässen anbrachten. Das aber war eine deutsche und keine Schweizer
Initiative. Der Carl-Ludwig-Bericht von 1957 enthielt die vollständige
Geschichte der Flüchtlingsfragen: die ganze Information war da. Jahre später
brachte ihn ein falsch informierter Journalist durcheinander und schrieb, dass
die Schweizer den «J»-Stempel initiiert hätten. Wie idiotisch: als ob die
winzige Schweiz dem Dritten Reich Hitlers irgendetwas diktieren können hätte. Tatsache
ist: 1938 besuchte der Schweizer Vertreter Heinrich Rothmund Deutschland und
traf sich mit Werner Best, dem zweithöchsten Kommandanten und Rechtsberater der
Gestapo. Sie besprachen Einreiseprobleme. Zu der Zeit versuchte Deutschland,
Juden auszuweisen. Als Rothmund Widerspruch gegen eine solch rassistische
Politik anmeldete, teilte ihm Best mit, dass die Pässe deutscher Juden mit einem
«J»-Stempel gekennzeichnet würden. Aber in den 1990er Jahren wurde die
Geschichte auf den Kopf gestellt. Anstatt den tatsächlichen Hintergrund zu
untersuchen, gab der Schweizer Bundespräsident den falschen Anschuldigungen
nach.
Da ich als
Aussenstehender und aus einer amerikanischen Perspektive spreche und die Art,
wie Amerikaner an der Macht mit anderen Ländern verfahren, kenne, sage ich: die
beste Politik ist, aufzustehen und zu kämpfen und nicht auf die Knie zu gehen.
Sie müssen sich erheben und stark sein. Und auf diese Weise wird man Ihnen
Achtung entgegenbringen.
Z.-F.:
Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren in Deutschland oder anderen
Ländern rundherum geschehen wird.
St. H.:
Sie müssen Deutschland, das in der Geschichte immer wieder aggressiv war,
Paroli bieten. Die Bedrohung der Schweiz geht viel weiter zurück als auf 1933 –
1945 – der Schwabenkrieg war 1499.
Z.-F.:
Was haben Sie bezüglich der neuen Analysen zu den jüdischen Flüchtlingen
gehört, die an der Schweizer Grenze zurückgewiesen wurden? Ein jüdischer
Historiker aus Frankreich sagte, dass es rund 3000 waren und nicht 24 000, wie
der Bergier-Bericht behauptete.
St. H.:
Der Bergier-Bericht basierte auf einem statistisch unhaltbaren Modell,
das davon ausging, dass jedesmal, wenn einem Flüchtling die Einreise verwehrt
wurde, es ein anderer Flüchtling war. Man kann jemanden, der fünfmal versucht
einzureisen, nicht als fünf verschiedene Personen zählen. Die wahre Zahl liegt
weit tiefer als 24 000. Und es bestand ein grosses Problem: man wusste nicht,
wer ins Land kommt. Leute mit Krankheiten zum Beispiel, ganz zu schweigen von
Nazi-Eindringlingen, die Sabotageakte planten. Tatsache ist, dass auch andere
Länder die jüdischen Flüchtlinge ausschlossen. In Wirklichkeit war das 1938 das
grosse Problem. Nach dem Anschluss Österreichs fand die Konferenz von Evian
statt. Die grossen Mächte – England, Frankreich und die USA – wollten die
jüdischen Flüchtlinge nicht. Die winzige Schweiz versuchte, diese Flüchtlinge
zu beherbergen und ihnen zu helfen, feste Plätze zu finden. Man kann nicht
erwarten, dass sie alle in einem kleinen Land bleiben konnten. Es gab überhaupt
keine Kooperation seitens der westlichen Grossmächte. Die Schweiz hatte
bezüglich der Flüchtlingshilfe den besten Ruf. Vergleichen Sie das mit der Zahl
derer, denen die Einreise in die USA verweigert wurde. Die USA verwehrte sogar
Schiffen, die vollgeladen mit jüdischen Flüchtlingen über den Atlantischen
Ozean gesegelt waren, die Einreise, nur um nach Europa zurückgeschickt zu werden.
Die meisten der Passagiere gingen im
Holocaust zugrunde.
Der Punkt,
dass man eine neue Realität zu schaffen versuchte, ist sehr wichtig. Aber der
Bergier-Bericht hat so viele Bände, dass sie nicht gelesen werden. Es gibt
lesbarere Bücher. In der Schweiz sind viele neue Bücher zu Henri Guisan
erschienen. Jürg Stüssi und Luzi Stamm haben mit andern zusammen an neuen
Büchern über den Schweizer Widerstand gearbeitet. Britische Dokumente aus dem
Zweiten Weltkrieg, von Akten Winston Churchills bis zu den Depeschen von
Diplomaten, belegten die positive Rolle, welche die Schweizer gespielt hatten.
Das sind sehr lesbare Bücher, und sie sind in Buchhandlungen einfach
erhältlich. Der Bergier-Bericht ist weder lesbar noch zugänglich. Natürlich
werden zukünftige Schweizer Historiker den Bergier-Bericht studieren, aber das
wird durch die Originalaufzeichnungen und verschiedene Sekundärquellen
ausgeglichen werden. Bergier weigerte sich, Interviews mit Menschen aus der
Kriegsgeneration zu führen, obwohl das eine wichtige Quelle dafür ist, wie die
Menschen im Alltag lebten. Für meine eigenen Bücher habe ich zahlreiche
Menschen der Kriegszeitgeneration interviewt und versucht, ihre Gefühle und
Erfahrungen widerzuspiegeln und zu porträtieren. Ich traf wunderbare Menschen,
die ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde.
Z.-F.:
Für die USA, aber auch für andere Länder, ist die Schweiz ein Vorbild.
Sie hat ein politisches und gesellschaftliches System, das seinesgleichen
sucht.
St. H.:
Die Amerikaner brauchen das Weiterexistieren des Schweizer Modells, denn
wenn es scheitert und Ihr das System ändert, können wir uns nicht länger auf eure
Erfahrungen und Argumente berufen, zum Beispiel bezüglich Föderalismus und des
Rechts, Waffen zu tragen. Denn hier habt Ihr ein schönes Stück Freiheit mit dem
Recht auf den Besitz von Schusswaffen. Der Schützensport ist sehr stark. Ihr
seid eine grossartige Gemeinschaft. Ihr gebt jedem Mann, der 20 Jahre alt und
in der Milizarmee ist, das Sturmgewehr 90. Er bewahrt es zu Hause auf, was ein
wichtiges Modell und ein wichtiger Ausdruck des Vertrauens des Volkes ist.
Allerdings wird ein überproportionaler Prozentsatz von Gewaltverbrechen von
Leuten, die man hier Kriminaltouristen nennt, verübt. Die Amerikaner, die den
rechtmässigen Besitz von Schusswaffen befürworten und Gesetze ablehnen, die
Leute, die sich an die Gesetze halten, grundsätzlich entwaffnen wollen,
beziehen sich in unseren Debatten auf das Schweizer Modell. Das geht mindestens
bis auf die 1930er Jahre zurück. Ich bin an diesen Auseinandersetzungen sehr
beteiligt. Die Schweizer Erfahrung zeigt, dass das Gewehr nicht das Problem
ist. Es ist ein Problem des Menschen. Wir haben in den städtischen Gebieten der
USA beträchtliche kriminelle Subkulturen. In Armenvierteln wimmelt es von jungen
Männern, die keine ökonomischen Möglichkeiten haben, sie haben keine Arbeit,
sie haben keine Bildung, und sie haben zu Hause keine Väter. Wir haben also
einen Zusammenbruch der Familie, aber wir haben auch ein verfehltes
Gesundheitssystem für die seelisch-geistige Gesundheit. Wir haben Tragödien wie
diejenige der Sandy Hook Elementary School. Wenn entsetzliche Taten wie diese
stattfinden, suchen viele Politiker daraus einen Vorteil zu schlagen und
Gesetze zur Entwaffnung der gesetzestreuen Bevölkerung vorzuschlagen, auch wenn
solche Gesetze derartige Tragödien nicht verhindert hätten.
Obama ist
berühmt für seinen Spott, den er an einer privaten Spendenveranstaltung
gegenüber denjenigen zum Ausdruck brachte, die sich an ihre Gewehre und ihre Bibel
klammern und die er als zornige Amerikaner bezeichnete. Er sprach dabei über
traditionelle Amerikaner, die den traditionellen Schweizern sehr ähnlich sind.
Wenn Ihr eure Werte in der Schweiz nicht selber aufrechterhaltet, werden auch
diejenigen von uns in Amerika, die denken, dass die Schweiz ein Modell
darstellt, das nachahmenswert ist, einen Verlust erleiden. Wir haben uns zu
Beginn unseres Gesprächs darüber unterhalten, inwiefern eure direkte Demokratie
ein Modell für andere Länder ist. In der USA haben wir in vielerlei Hinsicht
eine gescheiterte Demokratie, die [nur dem Namen nach] eine föderale
Bundesregierung hat, die mit Vetternwirtschaft beschäftigt ist und weniger
begünstigte Klassen zugunsten ihrer politischen Freunde ausbeutet. Um ein altes
Sprichwort in Erinnerung zu rufen: »Sie beraubt Peter, um Paul zu
bezahlen, und kauft damit Pauls Stimme.« Wir haben also einen Verfall
unserer traditionellen Werte. Natürlich
kämpfen Sie für den Erhalt Ihres Systems und dafür, der EU nicht nachzugeben,
die euer Land in einen Satellitenstaat der Grossmächte Europas, die über
Brüssel herrschen, verwandeln würde. Ob man es kapitalistische oder
sozialistische Vetternwirtschaft nennt, es wäre das Ende eures Systems des
Föderalismus, der direkten Demokratie, der Neutralität, des freien
Unternehmertums und der grundlegenden Freiheiten.
Z.-F.:
Fazit: Wir würden unseren Föderalismus und die direkte Demokrtie
verlieren und von einem Zentralstaat aus Brüssel regiert. Darauf können wir
gerne verzichten. Vielen Dank für das Gespräch.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1477
Zeit-Fragen >
2013 >
Nr.19 vom 27.5.2013
Stephen
P. Halbrook: »Die
Schweiz im Visier. Die bewaffnete Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg« Verlag
Novalis / Rothenhäusler ISBN Nr.
3-907817-08-7 ›The Swiss and the Nazis‹ ist von Jacques Langendorf ins Französische übersetzt worden: ›La Suisse face aux Nazis‹ und kann über http://cabedita.ch/product.php?id_product=624
bezogen werden.
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