USA erpressen UN-Vollversammlung - von Roland Heine

So etwas wie die Vereinten Nationen gibt es nicht. Mit diesem Satz wurde der US-Außenpolitiker John Bolton schon vor Jahren zitiert. Dieser Tage hat Bolton, inzwischen US-Botschafter bei der Uno, ein Dokument präsentiert, das zwar nicht auf die Abschaffung, jedoch auf eine weitgehende Marginalisierung der Uno hinausläuft. An rund 750 Stellen will die Bush-Regierung den 36-Seiten-Entwurf zur Abschlusserklärung des UN-Reformgipfels geändert wissen. Im Kern geht es darum, die meisten konkreten Verpflichtungen aus dem Text zu streichen. Völkerrechtsnormen, die den militärischen Spielraum der USA einengen, sollen weiter aufgeweicht werden.

Seit Montagabend sitzt eine Krisengruppe der UN-Vollversammlung über den Forderungen. Die Zeit drängt, das Gipfeltreffen soll vom 14. bis 16. September in New York stattfinden. Mit der Vorlage ihrer Liste so kurz vor dem Termin hat die Bush-Regierung gezielt zusätzlichen Druck aufgebaut. Bestätigt die UN-Vollversammlung nicht bis Anfang kommender Woche den Entwurf einer Abschlusserklärung, wird der groß angekündigte Gipfel ohne substanzielles Ergebnis bleiben. Auch dies liefe auf eine Demontage der Uno hinaus.
 
Die von den USA verworfene Textvorlage des Vollversammlungspräsidenten Jean Ping ist ein Kondensat aus den Reformvorschlägen von UN-Generalsekretär Kofi Annan und den nachfolgenden Beratungen. Zwar gab es in einigen Punkten noch Kontroversen, im wesentlichen hatte der Entwurf des gabunischen Außenministers aber die Zustimmung der Staatenmehrheit. Pings Papier unterstreicht die zentrale Rolle der Uno und verpflichtet ihre Mitglieder, die Ressourcen der Weltorganisation zu stärken. Betont wird die Verbindlichkeit des Völkerrechts für alle Staaten. An die fünf offiziellen Atomwaffenbesitzer (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, China) ergeht der Aufruf, endlich atomar abzurüsten. Aufgerufen wird auch zur Ratifizierung des Atomteststoppvertrages und des Landminenverbots.
 
All diese Passagen wollen die USA streichen oder zumindest stark verwässern. Eliminiert werden sollen auch alle Formulierungen, in denen der Internationale Strafgerichtshof oder das Kyotoer Klimaprotokoll vorkommen - beide werden von den USA bekämpft. Auch die Millenniumsziele, in denen sich die UN-Mitglieder verpflichten, bis 2015 die Zahl der armen Menschen in der Welt wenigstens zu halbieren, sollen nach dem Willen der USA nicht mehr erwähnt werden. Zugleich weigert sich Washington, neue Verpflichtungen in Sachen Entwicklungshilfe einzugehen. Ein spezieller Punkt im Entwurf des Vollversammlungspräsidenten sind die Passagen über die "Verantwortung zum Schutz" vor Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wobei Ping sich auf früheren Ausführungen Kofi Annans beruft. Demnach obliegt die Schutzverantwortung für seine Bürger in erster Linie dem einzelnen Staat. Wenn dieser jedoch "nicht in der Lage oder nicht bereit ist", dieser Verpflichtung nachzukommen, gehe die Verantwortung an die internationale Gemeinschaft über. Etliche Staaten sehen in der Schutz-Verantwortung vor allem ein Legitimationskonstrukt für mehr oder weniger willkürliche Militärinterventionen in aller Welt. Auch die Bush-Regierung lehnt die Passage ab, jedoch aus einem anderen Grund: Sie will gänzlich freie Hand haben bei der Entscheidung, wo und wann US-Soldaten militärisch eingreifen. Zugleich fordern die USA mehr Unterstützung für ihren so genannten Anti-Terror-Krieg. Zu Beginn der Gespräche über ein Kompromisspapier erklärte US-Botschafter Bolton, er sei "bereit, so lange wie nötig zu verhandeln". Angesichts des Termindrucks in New York kann man diese Worte nur als Drohung verstehen.