Zypern: Wie die EU ihre vertraglichen Stipulationen missachtet

»Der Vertrag zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) macht Finanzhilfen

zugunsten eines in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Euro-Staates davon abhängig, daß die Krise des betreffenden Staates auf andere Staaten übergreift und schließlich die Finanzstabilität der gesamten Euro-Zone erschüttern und mitreißen würde. Stabilitätshilfe darf nach Artikel 12 des ESM-Vertrags nur geleistet werden, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbarist. Es reicht also nicht aus, wenn einem einzelnen Mitgliedstaat Zahlungsunfähigkeit droht. Dies wäre gemäß Artikel 125 AEUV [Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] das eigene Problem des betreffenden Staates.« Ferner gehörte zum Maastricht-Vertrag die Voraussetzung, daß kein Euro-Mitglied für die Schulden eines anderen haften sollte. Es wird somit alles gebrochen, was man zuvor vereinbart hatte. 

d.a.  Was nun Zypern betrifft, so ist dieses viel zu unbedeutend, um eine Beeinträchtigung des gesamten EU-Raums auslösen zu können. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler betrachtet den Zypern-Bailout als glatten Rechtsbruch, mit dem der Bundestag die rechtlichen Vorgaben aus dem ESM-Vertrag verletze. Seiner Auffassung nach ist die Art und Weise der Zypern-Rettung mit den vom Bundestag beschlossenen Regelungen des ESM-Gesetzes und ESM- Finanzierungsgesetzes nicht vereinbar. Wie Gauweiler ausführt, haben die führenden EU-Rettungspolitiker von Anfang an versichert, dass die finanzielle Hilfe für insolvenzgefährdete Euro-Staaten eine restriktiv zu handhabende Ausnahme bleiben müsse: das Bail-out-Verbot solle nicht abgeschafft werden. Nur in extremen Notsituationen, in denen die Eurozone durch Finanzprobleme eines Euro-Staats im ganzen in einen Strudel gezogen zu werden drohe, dürfe das Bail-out-Verbot durchbrochen werden. Ultima ratio war die Formel, die der Bundesfinanzminister immer wieder beschworen hat. Und diese Formel ist in den ESM-Vertrag geschrieben und von allen Euro-Staaten ratifiziert worden. »Schon im Falle Griechenlands,« so Gauweiler, »war die systemische Relevanz des Problemstaates für die gesamte Eurozone unglaubwürdig. Im Falle Zyperns aber ist es völlig evident, daß die Insolvenz dieses Staates dem Euro-Währungsgebiet insgesamt keine ernsthaften Probleme brächte.«  [1]  »Das Rettungspaket für Zypern«, so auch die Schlussfolgerung des Verfassungsrechtlers Dietrich Murswiek von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, »besitzt keine rechtlichen Voraussetzungen.« Auch er führt aus, dass laut ESM-Vertrag nur dann Finanzhilfe an Einzelstaaten geleistet wird, »wenn diese zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar wäre. Es reicht also nicht aus, wenn einem einzelnen Mitgliedsstaat Zahlungsunfähigkeit droht«, heißt es in der Stellungnahme. »Im Fall Zyperns müsse durch konkretes Zahlenmaterial eindeutig nachgewiesen werden, daß eine Zahlungsunfähigkeit Zyperns den Euro-Raum insgesamt gefährden würde. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Stattdessen argumentierten die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) mit psychologischen Folgewirkungen.«  [2]

Nicht so Herr Schäuble  ......
Er hatte in seiner Regierungserklärung zur Abstimmung im Bundestags für das umstrittene Zypern-Rettungspaket geworben.
»Die Hilfen für das kleine Euro-Land seien notwendig, um die Stabilität und Handlungsfähigkeit der gesamten Eurozone zu sichern«, sagte er, was, folgt man den diversen Berichten zur Lage, überhaupt nicht zutrifft. »Wenn wir Zypern nicht helfen, steht Zypern unausweichlich vor dem Staatsbankrott.« Dann würden, so Schäuble ferner, neue Ansteckungsgefahren für andere Euro-Krisenstaaten drohen. Als ob diese nicht schon vorhanden wären….. »Das Hilfsprogramm für Zypern steht für Solidarität und Solidität. Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Zypern hat sich zu tiefgreifenden Reformen verpflichtet«, betonte der Finanzminister, vermied es aber offensichtlich darauf einzugehen, dass sich die uns immer wieder als heilbringend verkauften Reformen mehrheitlich durch Erfolgslosigkeit auszeichnen. Zu den Bedingungen, die Zypern vor dem Staatsbankrott retten sollen, zählen u.a. die Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuern und Benzinpreise, Zuzahlungen für Krankenversicherte, Abschläge für Frührentner sowie strikte Konto-Kontrollen; so sollen die Banken künftig monatlich [!] Auskunft über die Herkunft ihrer wichtigsten Kontoinhaber geben müssen. Letztere Massnahme wird sicherlich nur den sogenannten kleinen Mann treffen, denn mafiosen Schachzügen dürfte es auch in Zukunft gelingen, weitgehend unbehelligt zu bleiben.

Was nun Schäubles jetzige Sicht anbelangt, so geht aus einem Bericht von Hermann Müller in der Preußischen Allgemeinen Zeitung vom 6. Februar dieses Jahres eine gänzlich andere Einstellung hervor: Damals hatte es Schäuble gewagt, »Zweifel daran anzumelden, daß Zypern für den Weiterbestand der Euro-Zone systemrelevant sei und deshalb ein Rettungspaket erhalten müsse. Die Antwort Draghis hatte es in sich: So etwas höre er allerorten von Juristen, so der EZB-Chef. Die Frage, ob Zypern systemrelevant sei oder nicht, sei aber keine, die Juristen beantworten könnten. Das sei Sache von Ökonomen. Und Schäuble ist Jurist. Rückendeckung erhielt Draghi umgehend vom EU-Währungskommissar Olli Rehn und dem Chef des ESM, Klaus Regling. Im Klartext ist die Zurechtweisung Schäubles nichts anderes als ein weiterer Tabubruch im Zuge des Aktionismus zur Euro-Rettung. Nachdem das Verbot der gegenseitigen Schuldenhaftung oder das Staatsfinanzierungsverbot durch die EZB längst beiseite gefegt wurden, wird nun sogar demokratisch legitimierten Politikern wie dem deutschen Finanzminister die Kompetenz abgesprochen, überhaupt noch mitzuentscheiden, wer mit Steuergeldern mal wieder gerettet werden soll. Es ist spät genug, dass Schäuble einmal Zweifel am Rettungsautomatismus anmeldet.«  [3]  »Mit der Systemrelevanz des zweitkleinsten Mitgliedstaates der Euro-Zone«, schrieben die Deutschen WirtschaftsNachrichtenam 12. Februar, »ist es nicht weit her. Zwar ist das Bankensystem für Zypern völlig überdimensioniert, gemessen am europäischen Vergleich ist die Bedeutung der Banken allerdings gering. Die Bilanzsumme der zypriotischen Institute betrug im Jahr 2011 rund 110 Milliarden Euro, lediglich 1,2 % des BIP der Euro-Zone. Kaum einzusehen ist, warum das zypriotische Bankensystem den Euroraum in Einsturzgefahr bringen soll. Auch in den Reihen der eigenen Fraktionen von Union und FDP gibt es genug Zweifler, die Zypern für nichts anderes als eine Steuer- und Schwarzgeldoase halten.« 

Fehlberechnung 
Erste Berechnungen der EU-Kommission, der EZB und des IWF hatten einen Bedarf von 17 Mrd. € für die Zypern-Rettung ergeben; hierfür sind 9 Milliarden von den Euro-Ländern bereitzustellen, darunter mindestens 2,5 Mrd. aus deutschen Steuergeldern, sowie 1 Milliarde vom IWF, während die restlichen 7 Milliarden von Zypern selbst aufzubringen sind, dies durch den Verkauf staatseigener Goldbestände, resp. mittels Einsparungen und Steuererhöhungen. Inzwischen hat es sich jedoch herausgestellt, dass man sich verrechnet hat, denn Zypern benötigt in Tat und Wahrheit ganze 23 Milliarden €. Am 17. April sprach denn auch EU-Kommissar Oli Rehn im Europaparlament davon, »die Kommission wolle mehr graduelle Anpassungen für Zypern erreichen. Was hinter dieser kryptischen Formulierung steckt, bedeutet im Klartext einen größeren Bail-Out.«  [4]  Von einem etwaigen Rückgriff auf die noch vor der Brüsseler Entscheidung, die Zyprioten mittels ihrer Bankguthaben am Rettungsschirm ihres Landes zu beteiligen, ausser Landes  gebrachten Vermögen ist in Brüssel zu keinem Zeitpunkt je die Rede gewesen. Immerhin hatten in den 2 Wochen vor dem Zypern-Haircut 132 Personen und Unternehmen ihre gesamten Guthaben aus Zypern abgezogen, während die einfachen Leute und die kleineren und mittleren Unternehmen ohne Beziehungen zur Politik ihr Geld nicht in Sicherheit bringen konnten. Wie stets, kommen die veranschlagten Hilfsgelder nicht etwa den Menschen zugute, sondern den Banken. Hierzu gilt es zu wissen, dass Banken der Eurozone Anfang 2012  - vornehmlich deutsche und französische Banken -  Einlagen in Höhe von ca. 20 Milliarden € auf Zypern-Banken verzeichneten. Letztere schulden den deutschen Banken 5,9 Mrd. €, die im Insolvenzfall natürlich verloren sind.

Der vor dem Haircut erfolgte Kapitalabfluss   - ein im eigentlichen Sinne geradezu ungeheuerlicher Fakt -  scheint indessen auch kein Thema für die Politiker des Landes zu sein, selbst wenn jetzt mittels einer Untersuchung der wirtschaftliche Zusammenbruch des kleinen Euro-Staates unter die Lupe genommen werden soll. Der zypriotische Finanzstaatssekretär Christos Patsalides hat unterdessen die internationalen Geldgeber am 19. 4. als unnachgiebige Technokraten und Besatzungsmächte bezeichnet, die sich nicht um Menschenrechte kümmerten und mit Atombomben auf Tauben schössen. Er lastet ihnen ferner an, ein Wirtschaftssystem zerstört zu haben, das funktionierte. Wäre dies der Fall, steuerte die Insel kaum auf den Bankrott zu.

Siehe hierzu  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2098   15. 4. 13 Zypern: Bankenrettung und Insiderwissen


Falscher Optimismus 
Ansonsten ist es ausgeschlossen, dass jemand, der sich der aktuellen Sachlage bewusst ist, dem von Schäuble verbreiteten Optimismus auch nur das Geringste abgewinnen kann: Dieser sieht die Euroländer bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise auf dem richtigen Kurs. »Wir sind auf diesem mühsamen Weg gut vorangekommen.«. Europa sei drei Jahre nach Beginn der Staatsschuldenkrise zwar »noch nicht überm Berg«, dennoch seien Europa und der Euro »nach umfassenden Reformen besser und stabiler aufgestellt« als jemals zuvor, so der Finanzminister. »Zypern«, hiess es dagegen auf cashkurs am 25. März, »ist der Wendepunkt in der Euro-Krise. Solidarität war gestern, allseitige Erpressung ist heute. Nicht nur der Euro ist nach Einführung von Kapitalkontrollen klinisch tot, sondern das Fazit der Zypern-Krise lautet: Ab heute sind in der Eurozone keine Anlagen mehr vor Enteignung durch den Staat sicher! Was in Europa von einem kapitalistischen System noch übrig war, ist heute Nacht zu Grabe getragen worden, nachdem sich Brüssel und der IWF anmaßen, Investoren und Unternehmen zu enteignen und zu bestehlen, um ihre gescheiterte Währung vor dem Klippensturz zu retten. Schlimm, was hier in Europa gerade passiert!«  [5]  »Mit dem Vorhaben, die Bankkonten der Zyprioten zu plündern«, schreibt Inter-Info in seiner April-Ausgabe Nr. 412, »hat die EU nach Ansicht von Fachleuten alle Prinzipien von Treu und Glauben und den Rest einer Rechtsstaatlichkeit zerstört. Diese Maßnahme ist der bisher gravierendste Eingriff in das Leben der Europäer. Denn niemand kann seit dem 16. März 2013 mehr sicher sein, daß sich die Politiker und Finanz-Jongleure nicht über Nacht über sein Erspartes hermachen und ihn enteignen. Die EU-Finanzminister ordneten einen staatlich legitimierten Überfall auf die Sparguthaben der Bürger an, was einem Akt der Enteignung gleichkommt. Es muß den Finanzministern aber klar gewesen sein, daß sie mit ihrer Entscheidung in den anderen EU-Staaten einen Banken-Run riskierten. Oder sollte das sogar Absicht gewesen sein? Kritische Analysten, wie z.B. die österreichische Finanzexpertin Barbara Kolm, Direktorin des Austrian Economics Center, haben das durchgespielt. Wenn die Menschen in den EU-Staaten ihre Bankguthaben und Sparbücher abheben, bricht das gesamte Bankensystem innerhalb von Stunden zusammen. Es gibt nämlich im Verhältnis zu den Guthaben nur einen Bruchteil an Bargeld. Das würde den Euro-Rettern und ahnungslosen Politikern aber die Möglichkeit eröffnen, die Bevölkerung für den absehbaren Zusammenbruch verantwortlich zu machen, nach dem Motto: Wir hatten ja alles bereits im Griff, aber eure Hysterie hat nun den Crash ausgelöst. Wäre das so abwegig?« »Der größte Raubzug der Geschichte«, schreibt Marc-Stephan Arnold, »hat bereits begonnen. Er findet derzeit in Zypern statt! Und solange es den Euro gibt, können alle Europäer jederzeit zur Kasse gebeten werden. Der Euro sorgt nicht für Frieden und Wohlstand in Europa, sondern er zerstört selbige – und zwar schnell und nachhaltig!«  [6] 

Inzwischen wird einer Meldung von Strategic Alert zufolge in Griechenland und auf Zypern der Ausstieg aus dem Euro erwogen. Am 4. April ist in Griechenland eine neue Partei namens Plan B gegründet worden, die die Rückkehr zur Drachme fordert. Ihr Gründer, Alekos Alavonos, war früher an der Spitze der Oppositionspartei Syriza, zerstritt sich jedoch mit dieser in der Euro-Frage. Wie er erklärt, richtet das Sparprogramm dauerhaften Schaden an, so dass eine Mitgliedschaft in der Eurozone nicht mehr im Interesse des Landes sei. »Ein grosser Teil der griechischen Gesellschaft, vielleicht sogar 50 %, die für den Ausstieg aus dem Euro sind, könnten nun mitreden.« Laut Alavonos wäre die Abschaffung des Euros nur der erste Schritt, auf den u.a. die Einstellung der Zahlungen an ausländische Gläubiger und die Nationalisierung von Banken folgen würde. Die Ereignisse in Zypern hätten gezeigt, dass Griechenland mit dem Euro als Zukunft ein Alptraum erwarte. In Zypern selbst sind zwei Drittel der Einwohner für die Rückkehr zum Zypern-Pfund; die Regierungspartei DISY behauptet jedoch, dass dies einer Katastrophe gleichkommen würde. Der Generalsekretär der früheren Regierungspartei AKEL, Andros Kyprianou, sagte der halbamtlichen Nachrichtenagentur Athens News Agency: »Wir haben keine endgültige Haltung in der Frage des Euro-Ausstiegs. Das bleibt als eine Option auf dem Tisch. Das erfordert sorgfältiges Studium und Planung.« Erzbischof Chrysostomos II., der der sehr einflussreichen zypriotisch-orthodoxen Kirche vorsteht, geht weiter. Er hat nicht nur den Verbleib in der Eurozone in Frage gestellt, sondern auch den in der Europäischen Union. »Die Volkswirtschaften Spaniens, Portugals und Italiens sind gegenwärtig in Gefahr, und wenn die italienische Volkswirtschaft zerstört wird, so wie unsere Volkswirtschaft, wird die EU das nicht überleben«, sagte er in einem Interview mit dem russischen Fernsehsender Channel One. »Die Leute, die die Europäische Union beherrschen, und besonders die Entscheidungsträger der sogenannten Troika, verstehen vieles nicht, und das führt zum Zusammenbruch der EU. Deshalb glaube ich, dass wir Zyprioten uns von der Union zurückziehen sollten, bevor es zum Zusammenbruch kommt.«  [7]  

 

[1]  http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/04/51632/    19. 4. 13 
Gauweiler: Zypern-Bailout ist ein glatter Rechtsbruch  

[2]  http://www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5ac0d444a7e.0.html
18. 4. 13   Gutachten: Zypern-Rettung rechtswidrig   

[3]  http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/affront-gegen-schaeuble.html 
6. 2. 13   Hermann Müller 

[4]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/18/rechenfehler-zypern-rettung-muss-neu-aufgerollt-werden/  18. 4. 13  Rechenfehler: Zypern Rettung muss neu aufgerollt werden 
[5]  http://www.cashkurs.com/Detailansicht.80.0.html?&cHash=6c4f4974f589f32f4c3b89c625b9e274&tx_t3blog_pi1[daxBlogList][showUid]=13742  25. 3. 13  Wendepunkt: Euro-Krise wird zur Enteignungskrise  
[6]  http://www.mmnews.de/index.php/wirtschaft/12551-euro-banken-die-lunte-brennt  
31. 3. 13  Von Marc-Stephan Arnold 
[7] 
Strategic Alert Jahrgang 26,  Nr. 15 vom 10. April  2013 
Vorstösse zum Euro-Ausstieg in Griechenland und Zypern