Zypern: Bankenrettung und Insiderwissen 15.04.2013 02:12
d.a. Die Beteiligung der zypriotischen Bürger am Rettungsschirm ihres Landes
mittels einer Abgabe auf ihre auf den Bankkonten lagernden Guthaben
schlägt noch immer hohe Wellen. Bekanntlich umfasst das für Zypern
erforderliche Rettungspaket 9 Milliarden Euro der Euroländer sowie eine
Milliarde vom IWF, das sind insgesamt
10 Milliarden € an reinen Steuergeldern. Hingegen ist nicht
festzustellen, dass die folgenden, geradezu ungeheuerlichen Nachrichten
Gegenstand auch nur des geringstens Aufschreis in Brüssel geworden wären:
Am 26. 3. hatten die Russen
ihre Konten bereits geräumt, auch wenn die Banken offiziell bis zum 28. 3.
geschlossen blieben. Offenbar, vermeldeten die ›Deutschen
MittelstandsNachrichten‹ vom 26. März, wurden reiche
Russen und russische Unternehmen rechtzeitig vor dem Haircut in Zypern gewarnt. Die russische Filiale
der Bank of Cyprus, die eine Filiale in London unterhält, führte ihre
Operationen während der EU-Banken-Blockade weiterhin durch und die Transfers
wurden ohne Limit durchgeführt. Die Bank of Cyprus ist überdies mit 80 % an der
russischen Uniastrum-Bank beteiligt: auch hier waren Transfers ohne
Begrenzungen möglich. »Ein Banker erklärte Reuters
gegenüber, daß die Bank of Cyprus in der fraglichen Woche viel mehr Banknoten von der EZB
anforderte, als sie an Abhebungen nach Frankfurt meldete. Darüber
hinaus waren sogar offizielle Überweisungen möglich: Wenn Firmen einen
Margin-Call zu gewärtigen hatten und dadurch von der Insolvenz bedroht waren:
für ›humanitäre‹ und ›sonstige‹ Zwecke konnte überwiesen
werden. Diejenigen Russen, die nicht schon zuvor reagiert hatten, konnten auf
diesem Weg ihre Vermögen in Sicherheit bringen. Möglicherweise haben auch
zahlreiche Briten, die ihr Geld in der Steueroase Zypern angelegt haben,
rechtzeitig reagiert und ihr Geld über London in Sicherheit gebracht. Hinter den Kulissen dürfte es wohl
Absprachen zwischen Brüssel und Moskau gegeben haben, daß die
wichtigsten Oligarchen und Unternehmer ungeschoren bleiben. Daher lenkte Moskau
am Montag, 25. 3., auch ein und sagte beim organisierten Bank-Raub bei der
Restrukturierung der Banken in Zypern volle Kooperation mit der EU zu. http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/03/51196/ 26. 3. 13
»Die Griechen«, so die
DWN u.a. am 27. März, »hatten offenbar besonderes
Insider-Wissen: Unmittelbar vor der Eskalation der Krise haben griechische
Reeder ihr Vermögen aus den zypriotischen Banken abgezogen. Milliardenbeträge
sind auf den Konten der norwegischen Großbank DNB eingegangen. Die Eskalation
der Krise in Zypern war lange Zeit absehbar. Und die Griechen haben ihr Insider-Wissen von der
Insel offenbar schon eine ganze Weile genützt: Innerhalb der letzten zwei Jahre
haben sich die Überweisungen von Zypern nach Norwegen verdoppelt, sagte Harald
Serck-Hanssen, Chef der norwegischen Großbank DNB. Die Kapitalflucht aus Zypern
könnte also bereits seit Jahren laufen.« http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/03/27/insider-wissen-zu-zypern-griechische-reeder-haben-milliarden-nach-norwegen-verschoben/ 27. 3. 13
Wie am 2. 4. von den DMN berichtet, machte sich in Zypern die Empörung
über die lokalen Politiker Luft: Diese
erhielten von den Banken in Form gelöschter Kredite Millionen geschenkt.
Allen voran hat sich offenbar der ehemalige Staatspräsident George Vassiliou
bedient. Zypriotische Politiker und Regierungsbeamte nahmen bei der Bank of
Cyprus und der Laiki Bank Kredite auf, zahlten aber, wenn überhaupt, nur einen
kleinen Teil des Geldes zurück. Die Banken erließen ihnen die Schulden,
berichtet ›Keep Talking, Greece‹. So hat Vassiliou über eine von ihm beherrschte
Firma 5,8 Millionen $ geschenkt bekommen: Der Kredit wurde vor wenigen Wochen
schlicht gelöscht. Die zypriotische Webseite ›24H‹ hat der Staatsanwaltschaft eine Liste mit den
Namen der begünstigten Politiker übergeben. Die ›Cyprus
Mail‹ legte am Samstag nach und konnte mit folgender Enthüllung aufwarten: »Vassiliou war ein guter Freund der Russen, daher
verwundert es nicht, daß auch die Kredite für zahlreiche russische
Unternehmen plötzlich als nicht mehr werthaltig abgeschrieben wurden. Nun soll eine
parlamentarische Untersuchung durchgeführt werden, um den Grund für diese
Sonderbehandlung bei der Kreditvergabe zu klären. Klar ist, daß
dieselben Politiker, deren Schulden erlassen wurden, über die Besetzung von
Führungspositionen in den Banken mitentschieden. Die griechische Tageszeitung ›Ethnos‹ veröffentlichte die
Liste am Freitag – allerdings ohne die vollständigen Namen der Politiker. Auf
der Liste befindet sich etwa ein Kredit der Bank of Cyprus an ein
Hotelunternehmen, das Verbindungen zur Zypriotischen Kommunistischen Partei
(AKEL) und zu Gewerkschaften hat. Der Kredit in Höhe von 2,8 Millionen € wurde
dem Unternehmen im Mai 2012 komplett erlassen. Ein weiterer Kredit der Laiki
Bank an das Unternehmen eines berühmten Politikers in Höhe von 5,8 Millionen $ sollte
2014 erlassen werden. Die von ›Ethnos‹ veröffentlichte Liste enthält mindestens zwei Dutzend
Fälle. Der Skandal schlägt in Zypern wie eine Bombe ein. Denn dieselben Banken, die den Politikern Gefälligkeiten in
Millionenhöhe erwiesen haben, haben den Zyprioten Zwangsabgaben,
Kapitalkontrollen und somit einen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes
gebracht. http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/03/51312/ 2. 4. 13
Wie die Redaktion des Kopp-Verlags am 2. 4. festhielt, wurden laut Angaben
der zypriotischen Zeitung ›Haravgi‹ vor
Beschluß des Rettungspakets von
Unternehmen aus dem familiären Umfeld des zypriotischen Präsidenten Nikos
Anastasiades 21 Millionen € nach London verschoben. Genauer: Drei Tage vor dem
Treffen der Finanzminister der Euro-Gruppe, auf dem man sich auf ein 10 Milliarden
€ schweres Rettungspaket für Zypern einigte und damit vor der Entscheidung,
eine allgemeine Vermögensabgabe einzufordern. Wie es in dem Bericht heißt, wird
der Vorgang bestritten. Ferner heißt es: »Die Zeitung erinnert daran, daß der
zypriotische Finanzminister Michaelis Sarris öffentlich eingestanden hatte, die Regierung sei im Voraus von den
Absichten der Euro-Gruppe, eine Abgabe auf Einlagen von mehr als 100.000 Euro
durchzusetzen, informiert worden.« http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/redaktion/vor-beschluss-des-rettungspaketes-1-millionen-euro-von-unternehmen-aus-dem-familiaeren-umfeld-des-.html
In den zwei Wochen vor dem Zypern-Haircut, zwischen dem 1. bis und 15.
März, haben, so die DMN, »132 Personen und Unternehmen
ihre gesamten Guthaben aus Zypern abgezogen und ins Ausland überwiesen Für viele Insider kam die Entscheidung
der Eurogruppe offenkundig nicht überraschend. Auch der Präsident
Anastasiades, noch vor wenigen Tagen den Tränen nahe, hatte längst seine Verwandtschaft gewarnt. Am Freitag, 15.
März, fand das Treffen der Eurogruppe statt, bei dem die Zwangsabgabe offiziell
beschlossen wurde. Doch offenbar
haben fast alle dies schon vorher gewußt. Nur die einfachen Leute und die kleineren und mittleren
Unternehmen ohne Beziehungen zur Politik konnten ihr Geld nicht in Sicherheit
bringen und sind nun ruiniert. ….. Auf
der Liste der Insider befindet sich etwa das Unternehmen Loutsios & Sons,
das rechtzeitig 21 Millionen € nach Großbritannien überwies. Es verfügt über
Familienbeziehungen zu Nicos Anastasiades, dem Präsidenten Zyperns. Das
Unternehmen gehört einem Schwager – der natürlich mit Sicherheit rein zufällig
gehandelt hat. Der Präsident gab sich denn auch empört über die Anschuldigungen
und kündigte eine strenge Untersuchung unter seiner unabhängigen Leitung an.« http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/02/zypern-insider-wurden-gewarnt-jetzt-zahlen-die-einfachen-buerger/ 2. 4. 13
Zu den jetzt als
Gegenleistung für die Finanzhilfe zu
ergreifenden Maßnahmen gehört laut der ›Berliner Umschau‹ u.a. die Verpflichtung, »bis 2018
Staatsbetriebe im Gesamtwert von 1,4 Milliarden € zu verkaufen. Im öffentlichen
Dienst sollen bis 2016 mindestens 4.500 Stellen wegfallen. Danach gilt drei Jahre
lang ein Einstellungsstopp. Hinzu kommen höhere Steuern für Verbraucher,
Unternehmen und Sparer. Sogar auf Lotteriegewinne muß
Zypern erstmals eine 20 %-Abgabe erheben.« http://www.berliner-umschau.de/news.php?id=7259&title=Trotz+Kritik%3A+Sch%E4uble+setzt+auf+Freigabe+der+Zypern-Kredite+durch+Bundestag&storyid=1365834380824 13. 4. 13
Neben dem
Verkauf von Staatsbetrieben, bei dem anzunehmen ist, daß
er nicht zum Vorteil der Zyprioten abgewickelt werden wird, setzen sich
die Forderungen an das Land - ungeachtet
der bekannt gewordenen Fluchtgelder -
fort: Wie in den DMN zu lesen ist, besteht auf Seiten Mario Draghis und der Regierung des Landes
die Absicht, die Zentralbank Zyperns zu zwingen, das Gold des Landes zu
verkaufen, was der Zentralbankchef Panicos Demetriades indessen für ein Unrecht
hält: »Die
Zentralbank des Landes muß im Rahmen des
Troika-Bailouts Gold im Wert von circa 400 Millionen € verkaufen. Das sind fast
die gesamten 13,9 Tonnen Gold des Landes. Am 12. 4. war zudem bekannt geworden,
daß diese Forderung von niemand anderem als
Mario Draghi gekommen war. Dennoch betonte Draghi die Unabhängigkeit der
Zypriotischen Zentralbank: ›Die Unabhängigkeit der Zentralbanken in der Eurozone ist
vertraglich vereinbart.‹ Regierungen könnten sogar vor dem Europäischen
Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie in die Geschäfte der
Zentralbanken eingriffen. Das heißt, einerseits warnt Draghi die Regierung Zyperns,
sich nicht in die Geschäfte der Zypriotischen Zentralbank einzumischen, andererseits
stellt er derselben Bank seine eigenen Forderungen. Eurogruppen- Chef Jeroen
Dijsselbloem stimmte Draghi zu und sagte, die Entscheidung zum Goldverkauf
müsse unabhängig von der Zypriotischen Zentralbank getroffen werden. Zudem sei
der Goldverkauf von den Zyprioten vorgeschlagen worden. ›Und es ist nicht
irgendeine Forderung der Troika oder der Eurogruppe›, zitiert ihn ›Bloomberg‹. Wie Demetriades erklärte, wird so die ›Unabhängigkeit der
Zypriotischen Zentralbank angegriffen.‹ Er sei kaum noch in
der Lage zu handeln. Es gebe nicht nur gegen ihn selbst, sondern auch gegen
seine Kinder und seine Frau Mord-Drohungen. http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/12/hilferuf-aus-zypern-mario-draghi-fordert-das-gold-zyperns/ 13. 4. 13
Käme der Goldverkauf
zustande, so geschähe dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem der Goldpreis
auffallend tief liegt, was sich zu einem weiteren Nachteil der wirtschaftlichen
Lage Zyperns auswirken würde.
Es stellt sich somit
die Frage, wer im einzelnen in Brüssel dafür verantwortlich zeichnet, dass
ganz offensichtlich Absichten der Euro-Gruppe noch vor dem Öffentlichmachen der
Entscheidungen an die Banken gelangten, noch dazu in einem Moment, in dem der
Kleinste bis zum Obersten dieses Verwaltungsmolochs eine riesige Empörung über
das Hinterziehen von Steuern und Vermögen kundtut, was unter den gegebenen
Umständen somit nur noch als eine verlogene Show uns gegenüber betrachtet werden kann. Es
bleibt abzuwarten, ob eine Ahndung dieser von mir als absolut mafios
eingestuften Vorgänge in Gang kommen wird.
Einen Rückblick auf
den Gang der Dinge vermittelt der nachfolgende Aufsatz des Ökonomen Zenon Pophaidis.
Falsche Wahrheiten
über Zypern - Von Zenon Pophaidis
Trotz
aller Empörung: Die Steueroasen werden sich noch lange halten, denn sie haben
die internationalen Großbanken auf ihrer Seite. Nur in Zypern wurde das
Geschäftsmodell widerstandslos zerschlagen, weil die lokalen Banker es längst
ruiniert hatten. Die Folgen sind dennoch fatal. Vor allem in einigen
nordeuropäischen Ländern ist es die herrschende Meinung, daß Zypern seinen
Finanzsektor zu dem Zweck aufgebaut habe, russischen Oligarchen und
Großunternehmern illegale Operationen zu ermöglichen. Diese Wahrnehmung ist
schlicht falsch. Denn die Entscheidung der politischen und ökonomischen Elite
der Republik Zypern, das Land in ein regionales Finanz- und Wirtschaftszentrum
zu verwandeln, wurde bereits in den 1980er Jahren getroffen. Diese
wirtschaftspolitische Neuorientierung zielte schon deswegen nicht auf das
russische Kapital, weil es so etwas gar nicht gab. Schließlich existierte
damals noch die Sowjetunion.
Mit ihrer
Strategie, Offshore-Geschäfte anzuziehen, nutzten die griechischen Zyprioten
vielmehr einige komparative Vorteile wie die geografische Lage, eine gute und
ausbaufähige Infrastruktur, ein funktionierendes Rechtssystem, das aufgrund der
Kolonialzeit auf dem englischen Recht basierte, einen leistungsfähigen
Banksektor und ein solides Netz von juristischen und finanziellen
Dienstleistungen. Zusätzliche Anreize boten eine niedrige Unternehmenssteuer
für Offshore-Firmen und laxe Regelungen für die Lizenzierung ausländischer
Unternehmen. Das Ganze erwies sich als ziemlich erfolgreich, und viele
Unternehmen verlegten ihren Sitz nach Zypern. Die Folge war eine Expansion des
Finanzsektors und der entsprechenden Dienstleistungen. Nach der Auflösung der Sowjetunion
führte die dortige ökonomische Anarchie zu einem enormen Abfluß russischen
Kapitals, von dem ein Teil in Zypern landete, da die entsprechenden
Finanz-Infrastruktur hier bereits vorhanden war. Weitere Schübe erhielt dieser
Entwicklungstrend durch den Beitritt der Republik Zypern zur Europäischen Union
im Jahr 2004 und zur Eurozone 2008. Dadurch veränderte sich das Image des
Landes binnen kürzester Zeit radikal, und der zypriotische Finanzsektor wuchs
weiter. Die Einführung des Euros erhöhte das Vertrauen der ausländischen
Unternehmen und Investoren. Die zypriotische Regierung beließ den
Unternehmenssteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne bei 10 P% und
vereinfachte das Einkommensteuergesetz. Zudem wurden bürokratische Prozeduren
verschlankt, um eine ›unternehmerfreundliche‹ Umgebung zu schaffen.
Viel Kapital für eine
kleine Insel All das
führte zu einer gewaltigen Steigerung der Kapitalzuflüsse, vor allem in Form
von Einlagen bei den zypriotischen Banken. Und in dem Maße, in dem Tausende von
Firmen die Basis ihrer Finanzoperationen nach Zypern verlegten, nahmen auch die
Geldtransaktionen über die Banken zu. Die explodierenden Gewinne der
zypriotischen Geldhäuser und anderer Firmen im Finanzsektor erzeugten eine
allgemeine Euphorie. Das Volumen der Branche wuchs auf das sieben- bis neunfache
des zypriotischen BIP. [1] Von 2005 bis 2012 stiegen die zypriotischen
Bankeinlagen von 38,1 Milliarden € auf 70,2 Milliarden, also um 84 %. Nach der
offiziellen Statistik beliefen sich die Einlagen von Bürgern aus
Nichteuroländern Ende 2012 auf 21,5 Milliarden € oder 120 % des zypriotischen BIP. [2] Dieser
enorme Zufluß ausländischen Kapitals in die
winzige zypriotische Volkswirtschaft erzeugte einen gewaltigen
Liquiditätsüberschuß. Die Banken nutzten diese
Gelder, um ihre Operationen auf ausländischen Märkten, vor allem in
Griechenland, auszuweiten, womit sie übrigens schon vor dem EU-Beitritt Zyperns
begonnen hatten. Das billige Geld führte zwischen 2004 und 2008 zu einer
Immobilienblase und trieb die Preise auf ein unhaltbares Niveau. Die Aussicht
auf vermeintlich hohe Profite lockte ausländische Investoren an, was die
Immobilienpreise weiter anheizte. Diese Blase platzte 2008, also in der
entscheidenden Phase der heraufziehenden globalen Finanzmarktkrise.
Der
Kapitalzufluß und die damit einhergehende
Kreditexpansion wirkten sich zudem negativ auf die Zahlungsbilanz aus, die seit
Jahren ein Defizit aufwies. Das bedeutete nicht nur mangelnde
Konkurrenzfähigkeit, sondern verwies auch auf das Problem schnell wachsender
Importe. Dieser Importüberschuß stieg 2008 auf
18 % und fiel erst wieder 2011, als das rückläufige Wirtschaftswachstum auch
die Importe schrumpfen ließ, auf ein tragbares Niveau. [3] Das
Zahlungsbilanzdefizit war nur durch einen weiteren Kapitalzufluß zu finanzieren. Den wollten die Banken verstetigen
oder sogar noch verstärken, indem sie ausländische Geldanlagen mit noch höheren
Habenzinsen anlockten. Damit waren sie aber gezwungen, auch ihre Kreditzinsen
zu erhöhen, die zuweilen über 10 % anstiegen, was für alle Bereiche der
zypriotischen Wirtschaft eine schwere Belastung darstellte und deren
Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigte. Auch beim Staatshaushalt spitzte sich die Lage
zu, weil die Regierung mit einer verfehlten Politik das Defizit in die Höhe
trieb, was sie zur Aufnahme teurer kurzfristiger Kredite zwang. Allerdings war
das jährliche Haushaltsdefizit Zyperns wie auch die staatliche
Gesamtverschuldung vor der großen Bankenkrise keineswegs dramatisch und
deutlich niedriger als in anderen Euroländern. Andererseits konnte jeder sehen, daß der Bankensektor dermaßen aufgebläht war, daß ihn der Staat im Ernstfall nicht retten konnte.
Das war der eigentliche Grund dafür, daß Zypern
vom Mai 2011 an, als die Bankenkrise offenbar wurde, auf den internationalen
Finanzmärkten nicht mehr kreditwürdig war. Der nächste schwere Schlag war eine
Folge der griechischen Krise. Mit dem Schuldenschnitt, der im Februar 2012 für
die privaten Gläubiger Griechenlands beschlossen wurde, verloren die
zypriotischen Banken etwa 4,5 Milliarden Euro, was etwa einem Viertel des
zypriotischen BIP entspricht. Zudem mußten die
Filialen der zypriotischen Banken in Griechenland hohe Summen abschreiben, weil
viele Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten. Auch in Zypern selbst
verschlechterte sich die Kreditbilanz rapide, vor allem als Folge der hohen
Summen, die in den aufgeblähten Immobiliensektor geflossen waren. Dies hatte,
wie zu erwarten, auch negative Folgen für die zypriotische Volkswirtschaft, die
2009 in die Rezession abrutschte. Zugleich spitzte sich die Krise im
Finanzsektor derart zu, daß die beiden größten
Banken staatliche Hilfen beantragen mußten.
Die Regierung zögerte und beantragte einen Rettungsplan im Rahmen des
Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit erheblicher Verspätung - was die
Lage nur noch verschärfte. Nach langen Verhandlungen mit der Troika - EU, EZB, IWF - kam im November 2012 eine Vereinbarung, das
sogenannte Memorandum, zustande.
Die große
Frage lautet: Konnte das beschriebene Entwicklungsmodell überhaupt tragfähig
sein? Die Antwort ist: in der extremen Ausprägung der letzten Jahre auf keinen
Fall. Der überdimensionierte Bankensektor und die hohen Guthabenzinsen waren
auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. Es ist erstaunlich, daß fast die gesamte politische Klasse Zyperns dies
nicht rechtzeitig erkannt und die Warnungen einheimischer Experten sowie der
internationalen Ratingagenturen ignoriert hat. Fatal war auch, daß die zypriotischen Aufsichtsinstanzen, vorweg die
Zentralbank, nichts taten, um den absehbaren Bankencrash abzuwenden. In ihrem
ultraliberalen Dogma Gefangen, ließen sie es zu, daß
die Vorstandsgremien der Banken für die Einschätzung der Risiken allein verantwortlich
waren. Dennoch
kann der Finanzsektor Zyperns durchaus lebensfähig bleiben, wenn eine
vernünftige Politik umgesetzt wird. Die Entscheidung der Eurozone, den
zypriotischen Bankensektor auf die Durchschnittsgröße der Mitgliedsländer zu
reduzieren, ist nicht unbedingt richtig und auf lange Sicht auch nicht
durchzusetzen. Denn Zypern besitzt, wie eingangs erklärt, eine Reihe
komparativer Vorteile, die nicht einfach verschwinden werden. Viele
ausländische Firmen werden diese auch weiterhin nutzen, wenn sich die
Wirtschaft einigermaßen erholt hat.
Radikale Wende in der
Krisenpolitik Die
Republik Zypern hat ihre Gesetzgebung mit den einschlägigen EU-Normen schon in
der Anpassungsphase vor ihrem Beitritt harmonisiert, was von der EU-Kommission
begutachtet und für korrekt befunden wurde. Zypern übernahm in der Folge alle
Direktiven aus Brüssel, die sich auf das Problem der Geldwäsche beziehen. Auch
der IWF und die Moneyval-Kommission des Europarats [4] haben das zypriotische System in jüngerer Zeit
gecheckt und positiv bewertet. Im Übrigen könnte die Eurozone, wenn das Problem
nur eine zu laxe Kontrolle der Geldflüsse wäre, ohne weiteres effektive
Maßnahmen zur Eindämmung der Geldwäsche durchsetzen. Aber die Europäische Union
wie die internationale Gemeinschaft haben es bislang versäumt, ein Regelwerk zu
verabschieden, das für die notwendige Transparenz sorgen würde. Was auch für
die einschlägigen Dienstleistungen der Großbanken gilt. [5] Das
heißt keineswegs, daß in Zypern in Sachen Geldwäsche alles mit rechten Dingen
zuging. Einer der wenigen Fälle, durch die Zypern konkret und explizit belastet
wird, geht auf die Aussagen des Moskauer Anwalts Sergei Magnitsky zurück, der
2009 im Gefängnis verstorben ist. [6] Aber der ganze Komplex Geldwäsche ist seiner
Natur nach so wenig transparent, daß es schwer ist, den eigentlichen Ursprung
der russischen Gelder, die sich um die ganze Welt bewegen, zu ermitteln. Von
verschiedenen Experten wird der Umfang des russischen Kapitals, das auf
zypriotischen Banken liegt, auf 20 bis 30 Milliarden € geschätzt, und die
Geldumsätze dürften noch deutlich höher liegen. Gleichzeitig ist Zypern einer
der größten ausländischen Investoren in Rußland,
was bedeutet, daß riesige Summen dieser Gelder
in ihr Ursprungsland zurückfließen. All diese Transaktionen erfolgen legal auf
Basis des Doppelbesteuerungsabkommens, das Nikosia und Moskau unterzeichnet
haben. Natürlich kann man berechtigte Zweifel an der ethischen Legitimation
solcher Operationen haben, und die Praktiken der zypriotischen Banken und
anderer Beteiligter sind ganz sicher verbesserungswürdig. Aber das gilt nicht
nur für Zypern, sondern für viele andere Länder auch.
Die
Beschlüsse, die am 15. und am 25. März von der Eurogruppe und dem IWF getroffen
wurden, zielten eindeutig auf die Zerschlagung des zypriotischen Finanzsektors.
Das Land benötigte 17 Milliarden Euro, um die beiden größten Banken zu
rekapitalisieren, seine Staatsschulden zu refinanzieren und natürlich die
erwarteten Haushaltsdefizite der nächsten drei Jahre abzudecken. Die Eurogruppe
hat eine Kredithilfe von 10 Milliarden Euro bewilligt, dies unter der
Bedingung, daß Zypern die Rekapitalisierung seiner Banken aus eigenen Mitteln
bewältigen könnte. Da dies ausgeschlossen war, verfügten die Finanzminister der
Eurozone die Abwicklung der zweitgrößten Bank, der Laiki Trapeza. Damit
verloren die Kontoinhaber der Laiki-Bank ihre gesamten Einlagen oberhalb der
Grenze von 100.000.- €. Auch die Einleger bei der größten Bank, der Bank of
Cyprus, müssen bei Einlagen von über 100.000.- € einen Haircut von 40 bis 60 % hinnehmen.
Damit verlieren zypriotische wie ausländische Kontobesitzer ganz erhebliche
Geldsummen; wobei die Verluste von russischen Kapitaleignern auf mindestens 3
Milliarden Euro geschätzt werden.
Nachdem
die zypriotische Regierung mit ihrem Ersuchen um russische Hilfe wie zu
erwarten abgeblitzt war, blieb ihr
nichts anderes übrig, als die von der Eurozone diktierten Bedingungen zu
schlucken. Zu diesem ›Rettungsplan‹ gehören eine Reihe von Sparmaßnahmen
und ein Privatisierungsprogramm, die für Zypern außerordentlich hart sind.
Zugleich bedeutet er eine radikale Wende in der Krisenpolitik der Eurozone. Auf
einmal sollen die Bankkunden, die ein Konto unterhalten, für die Entscheidungen
geradestehen, die leichtfertige Banker getroffen haben. Damit sind neue
moralische Maßstäbe etabliert, die das seit über hundert Jahren gültige Finanz-
und Wirtschaftsmodell entscheidend verändern: Die Einlagen sind nicht mehr
sicher. Falls dieses neue Modell darauf angelegt sein soll, den Finanzsektor zu
stabilisieren, ist die Sache schiefgegangen. Erreicht wurde vielmehr das
Gegenteil.
Was wäre die
Alternative gewesen? Die
Eurozone hätte Zypern einen langfristigen Plan zur Konsolidierung der
Staatsfinanzen und zur Korrektur des Finanzsektors vorschlagen können und
müssen. Stattdessen entschied man sich für die entgegengesetzte Methode. Die
brutale Abwicklung des zypriotischen Finanzsektors wird eine Rezession zur
Folge haben; Experten rechnen mit einem Einbruch von bis zu 25 % des BIPs.
Sobald die Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben werden, dürfte eine
Kapitalflucht einsetzen. Die Arbeitslosenrate wird bis zum Jahresende auf über
20 % steigen (derzeit 15 %). Das alles wird den Staatshaushalt treffen, und das
heißt: Die öffentlichen Ausgaben werden gekürzt und die Steuern erhöht, was
wiederum eine Abwärtsspirale auslöst, die schwer zu durchbrechen sein wird. In
den Medien wird bereits heftig diskutiert, ob Zypern aus der Eurozone austreten
soll. Die Rückkehr zum Zypernpfund ist keine leichte Option, denn das Land wäre
angesichts seiner Euro-Schulden sofort bankrott. Zudem bestünde die Gefahr
einer Hyperinflation mit gravierenden politischen Konsequenzen, die sich auch
auf die EU-Mitgliedschaft Zyperns auswirken könnten. Dennoch ist in der
aktuellen Situation, die sich politisch und wirtschaftlich noch verschärfen
kann, eine solche Entwicklung nicht auszuschließen. Das zukünftige
Wirtschaftsmodell Zyperns dürfte sich vom alten nicht radikal unterscheiden.
Das Land wird eine Dienstleistungsökonomie bleiben, und auch ein regionales
Finanzzentrum, wenn auch in kleineren Dimensionen. Der Tourismussektor wird
wohl an Bedeutung gewinnen, ebenso wie einzelne industrielle Nischenbereiche
und Dienstleistungen in Bereichen wie Reedereimanagement, Gesundheits- und
Bildungswesen. Ob die Hoffnungen auf eine künftige Erdgasförderung realistisch sind,
ist noch nicht abzusehen.
Zurzeit
ist die Regierung vor allem damit beschäftigt, das Bankensystem zu
stabilisieren, wozu sie auf die Hilfe der EZB angewiesen ist. Sie tut zudem
alles, um die Atmosphäre zu beruhigen und einen sozialen und politischen
Minimalkonsens zu erhalten. In der Bevölkerung entwickelt sich nach dem anfänglichen
Schock eine Stimmung der Wut. Die richtet sich zum Teil gegen die EU und
insbesondere die deutsche Regierung, deren Entscheidungen als brutales
Abstrafen empfunden werden. Mehr und mehr jedoch richtet sich der Volkszorn
gegen die einheimische ökonomische und politische Elite, die als gierige,
korrupte und unfähige Klasse wahrgenommen wird.
Quelle: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/04/12.mondeText1.artikel,a0007.idx,1 12. 4. 13 Le Monde diplomatique Nr. 10079 vom 12. 4. 2013
[1] Angaben der Europäischen Zentralbank [2] Zahlen nach Statistiken der zypriotischen
Zentralbank [3] Angaben der zypriotischen Zentralbank [4] Ein Expertenausschuß
des Europarats, der sich mit der Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und
Terrorismusfinanzierung beschäftigt [5] Siehe Global Financial Integrity ›Russia: Illicit Financial Flows and
the Underground Economy‹, February,
2013. Abrufbar unter: http://russia.gfintegrity.org/ [6] Magnitzky hatte russischen Offiziellen eine Steuerhinterziehung
in Höhe von 230 Millionen US-$ vorgeworfen. Geschätzte 30 Millionen davon
wurden über zypriotische Banken ins Ausland geschafft. Siehe ›Russian money streams through Cyprus‹, Financial Times, February 6, 2013 Aus dem
Englischen von Niels Kadritzke © Le Monde diplomatique, Berlin
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