Gaza - Ein Kommentar von Moshé Machover

Der Mathematiker, Philosoph und politische Aktivist Moshé Machover hat

für »Hintergrund« die Eskalation des Gaza-Konflikts kommentiert. Machover lehrte als Professor sowohl an israelischen als auch an britischen Universitäten.

Israels Operation Rauchsäule auf dem Gaza-Streifen weist verblüffende Parallelen zu dem Cast Lead-Massaker im Dezember 2008/Januar 2009 auf. Beide Angriffe wurden kurz vor Parlamentswahlen gestartet. Im Februar 2009 erhielt Kadima, die führende Partei in der Regierungskoalition, die Cast Lead angeordnet hatte, die Mehrheit der Parlamentssitze, war aber nicht fähig, eine Koalition zu schmieden, was die Bildung der gegenwärtigen Regierung zur Folge hatte, die von Netanjahu und seiner Likud-Partei angeführt wird. Nun scheint Netanjahu das Prozedere zu wiederholen, in der Hoffnung, seine Ausgangspositionen für die Neuwahlen im Januar zu verbessern. Ebenso gingen beiden Angriffen eine Serie von unauffälligen israelischen Provokationen voran, wie die Erschießung eines palästinensischen Teenagers beim Fußballspielen, der in die Reichweite eines IDF-Scharfschützen geraten war, oder das Versenken eines Fischerbootes vor der Küste Gazas. Diese sorgfältig kalibrierten Zwischenfälle finden außerhalb des Gesichtsfelds der israelischen und westlichen Medien statt, aber eine ausreichende Menge davon führen irgendwann zu Vergeltung in Form von ungezielten Raketen-Abschüssen – blindlings aus Gaza nach Israel. Darüber wird dann weithin berichtet, und das ermöglicht es Israel, für sich in Anspruch zu nehmen, seine massiven Angriffe seien Vergeltung, anstatt andersherum. In beiden Fällen hat Israel ein Waffenstillstandsabkommen verletzt, das von Ägypten vermittelt worden war. Dieses Mal wurde die Waffenruhe, die am Montag vereinbart worden war, durch das Attentat auf den Hamas-Militärchef Ahmed al- Dschabari gebrochen. [1]  Es wurde konzipiert, um die Spirale des Todes in Gang zu setzen, und ihm folgte eine heftige Bombardierung, die noch anhält, während ich diese Zeilen schreibe.   

Aber die arabische Welt hat sich seit 2009 radikal verändert; sie ist viel explosiver geworden und viel weniger berechenbar. Das heißt, daß das lokal begrenzte Feuer sich zu einem regionalen Flächenbrand ausbreiten kann. Auch das kann Netanjahus verdeckter Agenda dienen: Ein langwieriger regionaler Krieg bildet den Nebelschleier für eine breit angelegte ethnische Säuberung gegen die Palästinenser in den seit 1967 besetzten Gebieten. Das ist ein langfristig angelegter Plan, der von allen nennenswerten zionistischen Parteien unterstützt wird. Er wurde entwickelt, um den zionistischen Widerspruch zu lösen: Dem hartnäckigen Widerstand gegen die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates – wie klein auch immer und in welchem Teil Palästinas von vor 1948 auch immer – auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der größeren demographischen Gefahr, der Entstehung einer arabischen Mehrheit in ihrem Land, die sie abwenden wollen. Er wird zu einer Ein-Staat-Lösung in zionistischem Stil führen: Ganz Palästina wird in ein Großisrael mit einer vorherrschenden jüdischen Mehrheit umgewandelt.

Die progressive öffentliche Meinung muß dringend weltweit mobilisiert werden, um das  gegenwärtige Blutvergießen zu beenden und eine noch größere Katastrophe zu verhindern. [2]

52 Persönlichkeiten fordern Waffenembargo gegen Israel   
In einem offenen Brief haben 52 internationale Persönlichkeiten ein Waffenembargo gegen Israel gefordert. Sie seien »über die letzte Runde der israelischen Aggression gegen die 1,5 Millionen Palästinenser im belagerten und besetzten Gazastreifen entsetzt«, heißt es in dem im Internet veröffentlichten Schreiben. Notwendig seien »internationale Maßnahmen« wie ein umfassendes Militärembargo. Zugleich verglichen sie derartige Sanktionen mit dem »gegen Südafrika der Apartheid in der Vergangenheit verhängten Waffenembargo«. »Israels ungeprüfte Kriegslust«, so die Unterzeichner, erfordern »eine konzertierte Aktion der internationalen Zivilgesellschaft«, um die Regierungen zu entsprechenden Maßnahmen zu zwingen. Vor allem die USA unterstützt Israel jedes Jahr mit erweiterter militärischer Hardware im Wert von Milliarden Dollar. Aber auch die Europäische Union unterstütze das Land durch seine Forschungsprogramme. Bedeutsam sei auch eine zunehmende militärische Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie Südafrika, Brasilien und Südkorea. Die »militärische Beziehungen zu Israel haben die unerbittlichen Akte der Aggression angeheizt«, heißt es. Im Gegenzug handelt es sich beim militärischen Vorgehen Israels zur Rechtfertigung nicht um einen Akt der Selbstverteidigung. »Israel festigt weiterhin seine Unterwerfung der Palästinenser, während es bewaffnete Konflikte mit seinen Nachbarn in der Region provoziert oder initiiert«. Die Unterzeichner unterstützen daher die Forderung der palästinensischen Zivilgesellschaft nach einem Militärembargo. »Dies ist nun eine moralische und rechtliche Notwendigkeit, um einen gerechten und umfassenden Frieden zu erreichen«.

Unterzeichnet wurde der Aufruf u.a. von dem israelischen Filmemacher Udi Aloni, dem US-Intellektuellen Noam Chomsky, der US-Politikerin Angela Davis, dem französischen Holocaust-Überlebenden und Diplomaten Stéphane Hessel und dem britischen Musiker Roger Waters   


[1]  Siehe hierzu »Getöteter Hamasführer Jaabari wollte offenbar langfristigen Waffenstillstand«  http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2040
Moshé Machover ist ein israelischer Sozialist und Gründungsmitglied der antizionistischen Organisation Matzpen. Kürzlich ist eine Sammlung seiner Essays unter dem Titel Israelis and Palestinians: Conflict and Resolution bei Haymarket Books erschienen.  
[2] Quelle:
http://www.hintergrund.de/201211152356/politik/welt/netanjahus-agenda.html Netanjahus Agenda  London, 15. November 2012 
3]  http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=68832&title=52+Pers%F6nlichkeiten+fordern+Waffenembargo+gegen+Israel&storyid=1001354711517   5. 12. 12    52 Persönlichkeiten fordern Waffenembargo gegen Israel