Der Konflikt um das iranische Atomprogramm eskaliert - von Knut Mellenthin

Kurz vor der für dieses Wochenende angekündigten offiziellen Übergabe der Vorschläge des sogenannten EU-Trios - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - spitzt sich der Streit um das iranische Atomprogramm wieder zu. Vor einer Woche hat Teheran angekündigt, einige Arbeiten in der Uran-Konvertierungsanlage Isfahan wieder aufzunehmen. Im November vorigen Jahres hatte der Iran alle Tätigkeiten dort und in der Anreicherungsanlage von Natanz auf Druck der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA und im Einvernehmen mit dem EU-Trio unterbrochen.

Das Pariser Abkommen vom November 2004 verpflichtet den Iran zur Einstellung aller im weitesten Sinn mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten, solange die Gespräche mit dem EU-Trio dauern. Diese Festlegung beließ den europäischen Regierungen die Möglichkeit, die Verhandlungen beliebig in die Länge zu ziehen und damit faktisch das Moratorium zu verewigen. Dem Iran blieb der Schwarze Peter, aus dem Pariser Abkommen wieder auszusteigen. Inzwischen hat die IAEA darum gebeten, die Wiederaufnahme der Arbeiten auf nächste Woche zu verschieben, da Zeit für die Aufstellung zusätzlicher Überwachungsgeräte erforderlich sei. Teheran will dieser Bitte offenbar nachkommen, hat aber zugleich erklärt, daß der Beschluß zur Wiederaufnahme »unwiderruflich« sei.
 
Für diesen Fall haben die Regierungen des EU-Trios angekündigt, eine sofortige Sondersitzung der IAEA zu beantragen. Dort wollen sie dann ein Ultimatum beschließen lassen, das von Iran verlangt, zu dem im November 2004 akzeptierten Moratorium zurückzukehren. Sollte Iran dieser Forderung nicht nachkommen, könnte – nach dem Willen der USA und der EU-Großmächte BRD, Frankreich und Großbritannien – die IAEA schon im September beschließen, den Streitfall an den UN-Sicherheitsrat zu verweisen. Die iranische Regierung reagiert auf diese Drohungen scheinbar sehr selbstbewußt, indem sie anzweifelt, ob USA und EU innerhalb der IAEA, geschweige denn später im UN-Sicherheitsrat, zum Erfolg kommen werden. Das ist aber Zweckoptimismus. Die Wirklichkeit sieht leider schlechter aus.
 
Entscheidung fällt im IAEA-Board
 
Die Internationale Atomenergie-Agentur, der 138 Staaten angehören, ist ein Organ der UNO. Allein das in Wien ansässige Sekretariat der IAEA ist eine große Behörde mit rund 2 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 90 Ländern. An der Spitze der IAEA steht als Generaldirektor der 63jährige ägyptische Diplomat Mohammed ElBaradei, der seit 1980 für die UNO arbeitet. Im Konflikt um Teherans Atomprogramm ist er darum bemüht, den Anschein von Unabhängigkeit zu erwecken. Tatsächlich stand er von Anfang an auf der Seite derjenigen, die den Iran unter diskriminierendes Sonderrecht zwingen wollen. Zugleich ist er aber dafür eingetreten, den Konflikt mit politischen Mitteln im Rahmen der IAEA zu lösen. Einzelne Mitglieder der US-Regierung haben ElBaradei deshalb bewußt überscharf kritisiert. Indem die US-Regierung zunächst drohte, seine Wiederwahl in diesem Jahr zu verhindern und sie dann doch akzeptierte, hat sie sich den Chef der IAEA noch gefügiger gemacht.
 
Die Entscheidungen der IAEA fallen auf den Sitzungen des Board of Governors, das auf der einmal im Jahr stattfindenden Generalkonferenz aller Mitgliedsstaaten gewählt wird. Im Board of Governors sind 35 Staaten vertreten. Das Gremium tagt regulär fünfmal jährlich, und zwar im März und Juni, zweimal im September (vor und nach der Generalkonferenz) und im Dezember. Sondersitzungen aus aktuellen Anlässen sind möglich. Obwohl von der Satzung her das Board of Governors Beschlüsse mit einfacher Mehrheit fassen könnte, hat sich als Regel eingespielt, daß im Konsens, also einstimmig, entschieden wird. Daher wird in Streitfragen wie der Behandlung des iranischen Atomprogramms gelegentlich mehrere Tage lang hinter den Kulissen um Kompromißformulierungen gefeilscht. Dabei können dann in sich widersprüchliche und sogar formal unlogische Beschlüsse herauskommen, mit denen kaum jemand wirklich zufrieden ist.
 
Die IAEA könnte, wie die US-Regierung seit mindestens zwei Jahren fordert, den Iran des Bruchs des 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Nonproliferationsvertrag) beschuldigen und eine entsprechende Meldung an den UN-Sicherheitsrat geben, der sich dann mit möglichen Sanktionen beschäftigen müßte. Hinter diese US-amerikanische Maximalposition haben sich im Verlauf des bisherigen Streits um das iranische Atomprogramm nur ganz wenige Mitglieder des Board of Governors wirklich gestellt, in erster Linie Kanada, Australien und – teilweise – Japan, nicht jedoch die EU-Großmächte. Aber so, wie das Gremium arbeitet, geht es bei Maximalpositionen auch nicht darum, sie durchzusetzen, sondern sich möglichst stark beim Geschiebe um Kompromißformulierungen ins Spiel zu bringen.
 
Anklage gegen Iran unberechtigt
 
Sachlich gesehen ist die Behauptung schwerlich zu begründen, der Iran habe den Nonproliferationsvertrag gebrochen. Dieses Abkommen verbietet die Urananreicherung für friedliche Zwecke – Gewinnung von Brennstoff für Atomkraftwerke – durchaus nicht. Eine Anklage vor dem Sicherheitsrat könnte sich nur darauf stützen, daß Teheran Teile seines Atomprogramms jahrelang vor der IAEA verheimlicht hat. Iran begründet das, durchaus plausibel, mit den Sanktionen, die die US-Regierung seit dem Sturz des Schahs 1979 gegen das Land verhängt hat. Diese Sanktionen haben Iran in vielen Bereichen des Technologie-Imports auf Kanäle außerhalb des regulären Handels verwiesen. Seit über zwei Jahren stehen jedoch alle Teile des iranischen Atomprogramms unter Kontrolle der IAEA, und die ist seither zur Schlußfolgerung gekommen, daß es keinerlei Hinweise für iranische Atomwaffenpläne gibt. Vor diesem Hintergrund kann die frühere Verheimlichung einzelner Elemente – insbesondere der offenbar immer noch nicht völlig fertiggestellten Anreicherungsanlage in Natanz – zwar Rügen der IAEA rechtfertigen, die auch schon erfolgt sind, aber nicht eine Anklage vorm UN-Sicherheitsrat wegen Vertragsbruchs und schon gar keine nachträglichen Strafmaßnahmen.
 
Wenn man auf der einen Seite feststellen kann, daß die USA im IAEA-Vorstand bisher keine Basis für die Verweisung des Streits an den UN-Sicherheitsrat fanden, so blickt der Iran angesichts der bitteren Entscheidung zwischen Isolierung oder Kapitulation pessimistisch in die Zukunft. Es ist damit zu rechnen, daß die europäischen Staaten, wie schon seit Monaten angedroht, sich voll auf die Seite der USA stellen werden, falls Iran wirklich die Arbeiten in Isfahan wieder aufnimmt.
 
Zwei Ultimaten der IAEA
 
Zudem hat das Board of Governors den Iran schon zweimal mit einem harten Ultimatum konfrontiert. Zum ersten Mal im September 2003, als das Gremium vom Iran unter anderem die Einstellung aller Arbeiten an und in der Anreicherungsanlage in Natanz forderte. Zum zweiten Mal im September 2004, als vom Iran gefordert wurde, auch die Arbeiten in der Konvertierungsanlage bei Isfahan zu stoppen. Beim Gefeilsche um die exakte Formulierung erreichten zwar die Staaten der Dritten Welt, unterstützt von China und Rußland, daß das geforderte Moratorium als »freiwillige« Maßnahme bezeichnet wurde, die der »Vertrauensbildung« dienen solle. Diese Formulierung wurde aber durch die Tatsachen Lügen gestraft. Die Resolution enthielt mit der Fristsetzung bis Ende November, kurz vor der nächsten regulären Sitzung des Boards, ein klares Ultimatum. Sie war mit der Drohung verbunden, anderenfalls über »weitere Schritte« (sprich: Meldung an den UN-Sicherheitsrat) zu beraten. Wirklich freiwillige Maßnahmen werden selbstverständlich weder ultimativ gefordert noch mit Strafandrohungen bei Nichtausführung erzwungen.
 
Das erste Ultimatum der IAEA, vom September 2003, konnte man noch dahingehend interpretieren (und rechtfertigen), daß Iran zu einer vertrauensbildenden Maßnahme aufgefordert wurde, solange die detaillierte Untersuchung seines Atomprogramms durch die Atomenergie-Agentur andauerte. Im Laufe des Jahres 2004 kamen zwar alle von Generaldirektor ElBaradei vorgelegten Berichte zu der Schlußfolgerung, daß es keinerlei Anzeichen für iranische Atomwaffenpläne, geschweige denn konkrete Arbeiten zu diesem Zweck gebe. Und der Iran versprach sich davon, daß seine Akte geschlossen und das Land künftig von der IAEA so behandelt wird wie alle anderen Unterzeichnerstaaten des Nonproliferationsvertrags auch. Statt dessen aber folgte im September 2004 ohne konkreten Anlaß und nicht nachvollziehbar das zweite Ultimatum. Dieses Ultimatum fiel sehr viel schärfer aus, da nun auch der Stopp der Arbeiten in Isfahan und überhaupt im allerweitesten Sinne »sämtlicher mit der Anreicherung verbundenen Arbeiten« verlangt wurde. Danach sind sogar routinemäßige Wartungsarbeiten und Reparaturen verboten.
 
Staaten mit eigenen Atomprogrammen wie Brasilien und Südafrika sehen den gefährlichen, auch sie selbst bedrohenden Präzedenzfall, der entstehen würde, wenn Iran jenseits des Atomwaffensperrvertrags zusätzlichen Einschränkungen unterworfen würde, die keinerlei Deckung im internationalen Recht haben. Das hat sie aber letztlich nicht gehindert – bei allem Widerstand auf den IAEA-Vorstandssitzungen gegen die Forderungen der USA – unter dem Konsenszwang zwei Ultimaten mitzutragen, die letztlich genau auf die Schaffung eines solchen Präzedenzfalls hinauslaufen müssen.
 
Haltung Rußlands und Chinas
 
Ähnliches gilt für Rußland und China. Beide Staaten könnten rein theoretisch einen weltpolitischen Gegenpol gegen die USA (und die mit ihnen im Gleichschritt marschierenden EU-Großmächte) bilden. Im wohlverstandenen eigenen Interesse müßten sie dies sogar unbedingt tun. Dennoch haben sich weder Rußland noch China auf den einfachen, juristisch unbezweifelbaren Standpunkt gestellt, daß Iran im vollen Umfang zur friedlichen Nutzung der Kernenergie berechtigt ist. Dies schließt die Gewinnung eigenen Nuklearbrennstoffs durch Urananreicherung ein. Das von den USA und der EU angestrebte Verbot ist offensichtlich rechtswidrig – wenn man sich auf den völkerrechtlichen Standpunkt stellt.
 
Sowohl Rußland als auch China wollen einen weiteren militärischen Konflikt vermeiden. Sie sehen – zumal nach den Erfahrungen des Irak-Kriegs – die Gefahr der Eskalation durch eine Sicherheitsratsresolution, die von der US-Regierung erneut als Freibrief für Aggression mißbraucht werden könnte. Rußland wie auch China sind aber offenbar der Meinung, daß ein militärischer Konflikt am besten dadurch vermieden werden kann und sollte, indem sich Teheran den Forderungen der USA und der EU unterwirft – und daß zu diesem Zweck Ultimaten der IAEA durchaus nützlich sein könnten.
 
Daher ist nicht nur zu befürchten, daß Rußland und China auch ein drittes Ultimatum des IAEA-Vorstands mittragen würden, falls Iran demnächst tatsächlich die Arbeiten in Isfahan wiederaufnimmt. Darüber hinaus ist nicht einmal mit Sicherheit auszuschließen, daß sie sogar Strafmaßnahmen des UN-Sicherheitsrats gegen Iran akzeptieren oder durch Stimmenthaltung tolerieren würden. Sie haben das im Fall des Irak getan und haben damit dazu beigetragen, den Weg zum Krieg freizumachen. Sie könnten diesen Fehler – einen schwerwiegenden Fehler gerade auch im Sinne ihrer eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen – im Falle des Iran wiederholen. Eine klare, prinzipielle Erklärung, daß sie nach den Erfahrungen des Irak-Krieges eine ähnliche Sicherheitsratsresolution auf keinen Fall noch einmal mittragen würden, haben weder Rußland noch China bisher abgegeben.
 
Unannehmbare Vorschläge
 
Die EU-Großmächte Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben im Herbst 2003 die Verhandlungsführung gegenüber dem Iran übernommen – gestützt auf das erste Ultimatum der IAEA und auf die Androhung von Militärschlägen gegen die iranischen Atomanlagen durch die USA und Israel. Diese Drohungen sind ihre reale »Verhandlungsbasis«. und führen ihre Behauptung ad absurdum, sie wollten die Möglichkeit einer diplomatischen Konfliktlösung austesten und unter Beweis stellen. Die Erpressungsmanöver und Tricks des EU-Trios gegen Teheran wären ohne die militärischen Drohungen überhaupt nicht vorstellbar. Das geläufige Bild der Arbeitsteilung »good cop, bad cop« ist für das Vorgehen des EU-Trios noch allzu schmeichelhaft. Tatsächlich handeln die Regierungen der europäischen Großmächte, allen voran der deutsche Außenminister, wie Schutzgelderpresser, hinter denen schon die Schläger lauern, die den Laden zusammenkloppen und vielleicht sogar den Besitzer niederschießen werden, »wenn man sich nicht gütlich einigen kann«.
 
Das Moratorium entsprechend dem Pariser Abkommen vom November 2004 war – mit seiner Bindung an die Dauer der Verhandlungen – de facto unbefristet. Warum sich Teheran auf diese Formulierung eingelassen hat, statt den Arbeitsstopp in Natanz und Isfahan von vornherein eindeutig zu begrenzen, ist nicht klar. Möglicherweise wurden die Iraner vom EU-Trio durch Versprechungen gelockt, sehr schnell konkrete und attraktive Vorschläge zu präsentieren. Für diese Hypothese spricht, daß iranische Politiker schon im November 2004 davon sprachen, das Moratorium gelte nicht unbefristet, sondern nur für ein Vierteljahr oder, wie andere Politiker sagten, höchstens für ein halbes Jahr – Aussagen, die freilich in evidentem Widerspruch zum Wortlaut des Pariser Abkommens standen.
 
Bereits im März kündigte die iranische Regierung angesichts des Ausbleibens konstruktiver Vorschläge der Gegenseite an, einige Arbeiten in Isfahan wieder aufzunehmen. Diese Ankündigung wurde zunächst realisiert. Sie stand im Raum, bis Ende Mai eine scheinbare Einigung zustande kam: Die europäischen Regierungen versprachen, bis Ende Juli endlich ein umfassendes Vorschlagspaket vorzulegen, und Teheran sicherte bis dahin Aufschub seiner Entscheidung über die Wiederaufnahme der Arbeiten zu.
 
Ohnmacht in Paris und Berlin
 
In Kürze werden wir nun die Vorschläge des EU-Trios, die schon weit im voraus als »großzügiges Angebot« angepriesen wurden, kennenlernen. Der bisherige iranische Verhandlungsführer Hassan Rowhani, der seine Tätigkeit nach dem Präsidentenwechsel nicht mehr fortsetzen wird, hat in seinem abschließenden Rechenschaftsbericht die wesentlichen Punkte des ihm offenbar bereits vorliegenden europäischen Entwurfs dargestellt. Aus der von der iranischen Nachrichtenagentur IRNA am 31. Juli veröffentlichten Zusammenfassung von Rowhanis Bericht geht hervor, daß die Europäer in der für Iran zentralen Frage der Urananreicherung offenbar absolut unbeweglich sind: Im Einklang mit der US-Regierung fordern sie den vollständigen Verzicht Teherans auf diesen Teil seines Atomprogramms, ohne jede Einschränkung und für alle Zeiten. Daraus kann nichts werden, selbst wenn Iran die Wiederaufnahme der Arbeiten erneut aufschiebt und sich die Verhandlungen noch eine Weile hinziehen.
 
Ein Scheitern der europäisch-iranischen Verhandlungen bedeutet, abgesehen von den Konsequenzen für Iran, die Region und die Weltpolitik, auch eine schwere Niederlage für das Duo Frankreich-Deutschland, dem manche vor drei Jahren, im Bund mit Rußland, die Perspektive einer von den USA unabhängigen und sich zumindest partiell von deren aggressiver Strategie abgrenzenden Politik zugetraut hatten. Die vom EU-Trio geführten Verhandlungen sollten den praktischen Beweis erbringen, daß – anders als im Falle des Irak – Konflikte auch mit diplomatischen Mitteln gelöst werden können. So wurde es lauthals verkündet – und so war es vielleicht auch wirklich konzipiert. Mit Großbritannien, dem Juniorpartner der USA bei der propagandistischen Vorbereitung und der militärischen Durchführung des Irak-Krieges, hatten sich Berlin und Paris allerdings einen denkbar ungeeigneten Partner für dieses außenpolitische Experiment gewählt. Das Scheitern der Verhandlungen wird die neokonservativen Kräfte in Washington stärken, die diesen Ausgang vorausgesagt haben. Frankreich und Deutschland werden, so ist zu befürchten, die künftigen Schritte zur Eskalation des Konflikts mit dem Iran »Seite an Seite« und »im engen Schulterschluß« mit der US-Regierung gehen.