Syrien - Der Annan-Plan 23.04.2012 02:35
Am 19. April hatte Sergej Lawrow nach einem Treffen mit NATO-Aussenministern erneut dazu aufgerufen,
den Annan-Plan international
zu unterstützen. Lawrow erklärte, er habe in Brüssel dazu geraten, »die
Prophezeiungen zu beenden, dass dieser fehlschlagen wird. Alle Länder,
einschliesslich der Golfstaaten, sollten den Plan so unterstützen, dass er funktioniert.
Eine weitere Bewaffnung von Oppositionsgruppen in Syrien würde eine
fortgesetzte Instabilität in der Region erzeugen.« Russland hatte sich im übrigen geweigert,
an dem Treffen der sogenannten ›Freunde
Syriens‹ am 20. 4. in Paris
teilzunehmen.
Zu Kofi
Annans Plan vermerkt allerdings Werner Pirker u. a.: »Selbst
wenn der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan nur Gutes im Sinn gehabt
haben sollte, was ohnedies zu bezweifeln ist, bildet sein Sechs-Punkte-Plan keine
wirklich geeignete Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Konflikts in
und um Syrien. Nachdem sich der UN-Sondergesandte die Zustimmung aus Moskau und
Peking eingeholt hatte, sah sich die syrische Regierung dazu genötigt, den Plan
zu akzeptieren. Hätte sie ihn abgelehnt, wäre sie der Fortsetzung des ›Genozids am eigenen Volk‹ bezichtigt worden. Nun, da sie ihn
angenommen hat, wird jede weitere Eskalation gegen sie ausgelegt werden. Die
Möglichkeit seiner einseitigen Auslegung ist im Annan-Papier bereits angelegt.
Zwar richtet sich die Forderung nach einem Ende der Gewalt an beide Seiten,
konkret aber sieht sich nur die Regierungsseite in die Pflicht genommen. Sie
soll ihre Streitkräfte aus den bevölkerten Gebieten zurückziehen: analoge
Forderungen an die bewaffnete Opposition werden nicht gestellt. In seinem
Grundgehalt stellt der Annan-Plan eine ziemlich unverhüllte Einmischung in die
inneren Angelegenheiten Syriens dar. So wird der Regierung in Damaskus gleich
in Punkt eins die Verpflichtung abverlangt, mit dem UN-Beauftragten bei der
Erfüllung der ›legitimen Anliegen
des syrischen Volkes‹ zuammenzuarbeiten.
Die Opposition legte den Plan dann auch umgehend als Einbahnstraße zu ihrer
Machtergreifung aus. Das Regime habe auf die Bekämpfung des bewaffneten
Aufstands zu verzichten, damit dieser siegreich zu Ende geführt werden könne.
Doch werde sich Assad nicht an die Abmachung, jedenfalls nicht zu der von ihnen
gewünschten Interpretation halten, befürchten Aufständische, Westmächte und
arabische Feudalstaaten unisono, womit die Schuldfrage für
die Fortsetzung der Gewalt gleich einmal geklärt wäre. Der Annan-Plan enthält
keinerlei Vorschläge für einen nationalen Dialog, was darauf schließen läßt,
daß sein Hauptzweck in der Einleitung eines Prozesses besteht, an dessen Ende
der Sturz des Baath-Regimes stehen soll. Was ansteht, ist ein Regimewechsel zu
den vom Westen vorgegebenen Geschäftsbedingungen.« [1]
Was sich
mit Kofi Annans Auftrag verbindet, geht noch deutlicher aus der 16seitige Studie »Assessing Options for
Regime Change« zu Handlungsmöglichkeiten im Fall Syrien hervor, die die US-Brookings
Institution diesen März veröffentlicht hat. Diese lässt keinen Zweifel daran,
dass Kofi Annan als Sondervermittler lediglich
seine zugewiesene Rolle in der Gesamtstrategie zu dem seit langem vom Westen
geplanten Sturz von Präsident Baschar Al-Assad spielt. Die UNO ist
lediglich ein Aushängeschild, das Aktionen, die sonst als nackte Aggression und
militärische Eroberung fremder Länder verurteilt würden, Legitimität verleihen
soll, was in dem Bericht auch tatsächlich eingeräumt wird. So liest man auf
Seite 3: »Das Ergreifen von Massnahmen ohne UNO-Mandat würde wahrscheinlich
auch zur Auflösung der Doktrin der ›Schutzverantwortung‹ führen, zumal diese
die Notwendigkeit von UNO-legitimierter Autorität betont.« Kofi Annans Mission
in Syrien ist es, heisst es auf Seite vier, in den von den Aufständischen
besetzten syrischen Gebieten, in denen, wie zugegeben wird, die syrischen
Rebellen zunehmend äusserst brutale, religiös motivierte Gewaltakte begehen, ›sichere Schutzzonen‹ zu errichten, um von dort aus weitere Angriffe zu starten. Bemerkenswert ist
die Anerkennung der Tatsache, dass Al-Qaida-Gruppierungen auf der Seite der
Rebellen kämpfen. [2]
Nachstehend
veröffentlichen wir den Bericht von Webster
G. Tarpley zum gleichen Thema:
Kofi Annans
Friedensplan für Syrien: Befehl für internationale Katastrophe?
Der
ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat kürzlich einen Friedensplan für
das umkämpfte Syrien vorgelegt. Doch wie objektiv und gerecht ist dieser
eigentlich? Welche Rolle spielt Kofi Annan als Sondergesandter der
Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, und in wessen Auftrag handelt der
Friedensnobelpreisträger wirklich? Der UN-Sicherheitsrat
hat am 14. 4. eine Beobachtermission in Syrien beschlossen, die über die
Umsetzung des Plans wachen soll. Nach wenigen Tagen des so genannten
Waffenstillstands in Syrien waren sechs UNO-Beobachter im Land
eingetroffen. Weitere 250 Beobachter sollen folgen. Westliche Medien veröffentlichen Berichte, daß die Stadt Homs wieder von Artilleriegeschützen der
Regierungstruppen beschossen worden sei. Andererseits berichtet die syrische
Nachrichtenagentur SANA von Dutzenden von Verletzungen des
Waffenstillstands durch die Aufständischen. Die Rebellen sollen Armee und
Polizei vielfach angegriffen haben.
Zur
gleichen Zeit fand eine Debatte im UNO-Weltsicherheitsrat statt, an der
die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland (durch Peter Wittig aus dem
Auswärtigen Amt vertreten) teilnahmen. Hier wurde der Fokus nahezu
ausschließlich auf die Tätigkeit des syrischen Regimes konzentriert und die
Verbrechen und Greueltaten der Opposition außer Acht gelassen, obwohl einige
dieser Berichte durchaus auch in der europäischen Presse zu lesen waren. Was die
Todesopfer angeht, so haben wir es mit einer neuen Runde des inflationären
Wettkampfs zu tun. Hier überbieten sich der syrische Nationalrat und das
Koordinierungskomitee: Wer kann die höchste Zahl von Todesopfern täglich
melden?
Es
scheint, als ob der Friedensplan des ehemaligen UNO-Generalsekretärs
Kofi Annan kein Friedensplan im richtigen Sinne ist, sondern nur die Vorstufe für
einen größeren Krieg. Diesen Friedensplan wollen wir zunächst einmal näher
betrachten. Kofi Annan ist weltweit gewürdigt worden: So wurde er von der
englischen Königin Elisabeth II. zum Ritter ernannt und mit zahlreichen internationalen
Ehrendoktorwürden sowie dem Friedensnobelpreis dekoriert. Der 1.
Punkt seines Friedensplans sieht folgendes vor: »Beide Seiten sollen sich an
einem legitimierten Friedensprozeß beteiligen,
in Verbindung mit dem ›Gesandten‹. Also in Verbindung mit Kofi Annan.
Der 2. Punkt betrifft den Waffenstillstand: »Beide Seiten sollen den Kampf
einstellen, die Regierung soll die Truppenteile aus den Großstädten abziehen«.
Dabei ist nur davon die Rede, daß der ›Gesandte‹ zusammen mit der Opposition Ähnliches für die Oppositionsseite verhandeln
muß. Weitere Punkte betreffen die humanitäre
Hilfe (3), die Freilassung der Gefangenen (4), die Freizügigkeit im ganzen Land
(5) sowie die Freiheit für Demonstrationen, politische Reden und ähnliches (6).
Dieser
Friedensplan ist grundsätzlich unzulänglich und nicht ausgewogen: ein Plan ohne
Gleichgewicht. Es ist an keiner Stelle von fremden beteiligten Staaten die
Rede, nie also geht es um die Einmischung ausländischer Staaten. Vergeblich
sucht man auch nach Hinweisen auf die Todesschwadronen, die salvadorianische
Lösung ist das, was man für Syrien gewählt hat – eine Tradition, die im State
Departement in Verbindung mit Namen wie John
Dimitri Negroponte und seinem Stellvertreter Robert
Stephen Ford, dem US-Botschafter in Damaskus, angewendet wird. Die
Todesschwadronen wurden im Rahmen des Irakkriegs bereits entfesselt und haben
sich nun auch auf das Territorium von Syrien verlagert. In Kofi Annans
Friedensplan ist niemals die Rede von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Man weiß inzwischen, daß die reaktionären Monarchien des Golfs,
also Saudi-Arabien und Katar, viel Geld bezahlen; hier ist von 100 Millionen
Dollar die Rede; diese Summe macht alle oppositionellen Kämpfer in Syrien zu
Söldnern, zu Söldnern des Königshauses Saudi-Arabiens und Katars. Am Freitag,
dem 13. April 2012, hat das Weiße Haus in Washington 12 Millionen $ für »nicht
tödliche Hilfe« freigestellt, für Laser und andere Gerätschaften, die sich eben
doch sehr gut zu Tötungszwecken eignen. Man kann also beobachten: Es finden
massive Hilfen statt, eine massive Bewaffnung, massive Zahlungen, auch an
Kämpfer aus dem Ausland. Doch davon ist in dem Plan niemals die Rede. Mit den
Plänen soll praktisch ein rechtsfreier Raum entstehen. Die syrische Armee soll
sich zurückziehen. Das wird durch diesen Friedensplan klar. Aber was dann? Wer
sorgt für Recht und Ordnung in den Großstädten? Niemand. Oder besser gesagt:
al-Qaida. Es ist niemals die Rede von der Beteiligung der Oppositionellen an
freien Wahlen. Die freien Wahlen stehen jetzt im Monat Mai bevor. Warum steht in
dem Friedensplan nicht, daß die Rebellen die
Waffen niederlegen und sich am demokratischen Prozeß
beteiligen müssen? Nirgendwo findet sich auch der Punkt, an dem die Rede von der Entwaffnung
der Rebellen ist. Denn schließlich müssen, wenn man von Frieden
spricht, alle Waffenlieferungen gestoppt werden und alle fremden Kämpfer und
Truppen, alle französischen Offiziere und Söldner müßten
nach Hause geschickt werden. Das alles steht jedoch nicht in Kofi Annans
Friedensplan. Niemals ist in den Texten, die ich gesehen habe, die Rede davon,
daß es fremden Staaten verboten ist, sich in
die inneren Angelegenheiten Syriens einzumischen. Ganz im Gegenteil: Dieser
Plan ruft die Gewalt erst auf den Plan. Das heißt, die Rebellen haben gute
Gründe, den Kampf fortzusetzen. Denn sie können sichergehen, daß alle Todesopfer automatisch durch den arabischen
Fernsehsender Al Jazeera und andere westliche Presseorgane nur dem
syrischen Regime von Präsident Assad zugeschrieben werden.
Wir
sollten uns also die Frage stellen: Wer ist eigentlich Kofi Annan?
Nun, er ist ein typischer Vertreter der britischen Kolonialverwaltung.
Annan ist zum Teil für eine ganze Reihe von Katastrophen in der internationalen
Welt der letzten Jahrzehnte verantwortlich: Da war 1994 der Völkermord in
Ruanda. Kofi Annan war zu dieser Zeit beigeordneter Generalsekretär der UNO, er
leitete die UNO-Friedenstruppen.
Seine passive Haltung erntete eine Menge Kritik, man wirft ihm eine Mitverantwortung
am Völkermord in Ruanda vor. [An
verantwortlicher Stelle für Afrika und Ruanda soll Annan auch Nachrichten über
den Völkermord – mindestens 800.000 Tote – zurückgehalten oder abgemildert
haben] Vorwürfe gegen Annan gibt es auch im Zusammenhang mit dem Irakkrieg
2003. Annan hatte geäußert, die US-Invasion sei illegal gewesen, doch unternahm
er nichts dagegen. Im Falle der Islamischen Republik Iran schenkte er dem
Vorwand Glauben, die Urananreicherung des Landes sei eine Vorbereitung
für Atomwaffen. Kofi Annan kam gegen den Widerstand vieler Länder in sein Amt,
vornehmlich durch die Intervention der USA. Die USA hatte 1997 eine weitere
Amtszeit von Boutros Boutros-Ghali als Generalsekretär der Vereinten Nationen
blockiert, Nutznießer wurde Kofi Annan.
Gestern,
am 17. April, fand in Syrien ein wichtiger Feiertag statt. Denn am 17. April
1946 ging das französische Kolonialmandat zu Ende. An diesem Tag begann die
Unabhängigkeit des Landes. Es ist ironisch und tragisch, daß genau 66 Jahre danach wichtige Kräfte im
internationalen Leben die Unabhängigkeit Syriens immer noch nicht akzeptiert
haben. Der Plan von Kofi Annan ist kein Friedensplan. Er ist meiner
Ansicht nach viel mehr dazu geeignet, eine internationale Katastrophe
herbeizuführen. [3]
[1] http://www.jungewelt.de/2012/03-29/056.php 29. 3. 12
Einbahnstraße
- Damaskus nimmt Annan-Plan an - Von Werner Pirker
[2] http://www.jungewelt.de/2012/03-24/047.php 24. 3. 12
Verlängerung bürgerkriegsartiger Zustände in Syrien (rwr)
[3] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/webster-g-tarpley/kofi-annans-friedensplan-fuer-syrien-befehl-fuer-internationale-katastrophe-.html;jsessionid=78CB590341BB1EA4741A140BAD1E843D 18. 4. 12
Kofi Annans Friedensplan für
Syrien: Befehl für internationale Katastrophe? – Von Webster G. Tarpley
Video von Webster Tarpley hier.
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