Zum Euro-Desaster: Wendehälse, Verschweiger, Nachzügler - Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer 13.11.2011 21:30
Sie haben es wieder einmal geschafft, unsere ebenso trickreichen wie faktenscheuen »Euroretter«. Nachdem sie den griechischen Ministerpräsidenten
nach
Cannes zum Rapport bestellt hatten, sagte dieser die angekündigte
Volksabstimmung alsbald ab, stellte im Parlament die Vertrauensfrage (die er
gewann, kein Wunder bei völlig verängstigten Parlamentariern, die den Geldstrom
von außen nicht stoppen wollen) und kündigte eine Regierung der nationalen
Einheit an. Die politische Absurdität ist perfekt: Ein Ministerpräsident läßt
sich im Amt bestätigen, um in seiner anschließenden Regierungserklärung seinen
Rücktritt anzukündigen. Niemand in Brüssel und in den Hauptstädten
der EU kann sich damit herausreden, man habe von den seit Jahrzehnten
herrschenden Chaosverhältnissen in Griechenland nichts gewußt. Wozu
sonst die vielen Kontrollen aus Brüssel (Olaf u.a.)? Was haben die Botschafter
der Euroländer nach Hause berichtet? Ein hoher EU-Beamter erzählte mir schon in
den siebziger Jahren vom unheilbaren Korruptionsnetz in Hellas. Ist es
glaubwürdig, daß man offiziell erst jetzt erfahren haben will, daß eine (unter
sieben) Rentenkassen allein in den letzten zehn Jahren bis zu acht Milliarden
Euro an Angehörige verstorbener Rentner ausgezahlt hat? Davon sollen Merkel,
Sarkozy & Co. trotz Kontroll- und Geheimdienste nichts gewußt haben? Und
waren auch die ausländischen Medienvertreter vor Ort so ahnungslos?
Wie frech nimmt sich
angesichts dieser Faktenlage die Sprechblase von Bundeskanzlerin Merkel aus: »Scheitert der Euro, scheitert
Europa«? Seit zwei Jahren verkündet sie, kein Land dürfe aus der Eurozone
ausscheiden. Seit einer Woche sieht sie das anders. Merkel hat als Folge ihrer
zahlreichen Wendemanöver (Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht,
Mindestlohn u.v.a.) längst jede (!) Glaubwürdigkeit verloren. Sie ist als
Politikerin schlicht überfordert. Was soll man ihr noch glauben? Wie konnte sie
je annehmen, daß die stolzen Südländer eine fiskalische Entmündigung ohne
erdbebenhaften Protest hinnehmen würden? Zuerst der tiefe Eingriff in die
kollektive ›Seelenverfassung‹ der Griechen und jetzt wiederholen die
›Euroretter‹ unter der Führung Merkels den gleichen Fehler gegenüber Italien.
Athen und Rom zum Eurorapport unter germanischer Dominanz: Muß man da nicht um
schlimmste Ausfälle fürchten? Hat man damit nicht den Völkerhaß auf Jahre
hinaus geradezu institutionalisiert? Nur um den längst gescheiterten Euro zu
retten, will sagen: um nicht das Gesicht zu verlieren?
Auch in
den Medien ist Wendehalsigkeit weit verbreitet. Vor Jahren noch bejubelten sie
die Eurozone als Hort weltpolitischer Stabilität, vom Boulevard bis zu den
feinen Obermedien in Frankfurt, Hamburg, München und Berlin. Nunmehr plädiert
man selbstvergessen für den Austritt Griechenlands aus der Eurozone und lobt
die angeblich herkuleische Leistung Merkels. Ist man denn gegenüber politischen
Stümpereien blind? Auch die Medien haben im Eurosturm an Glaubwürdigkeit
verloren. Allen Ernstes konnte man in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ vom 4. Nov. 2011, S. 11) lesen, zwar
sei ein Austritt vertraglich nicht geregelt, aber was wiege schon eine weitere Rechtsbeugung
gegenüber dem »rechtswidrigen Eintritt Griechenlands in die Währungsunion«.
Unrecht soll Unrecht rechtfertigen – das sprengt nicht nur den Rechtsstaat,
sondern auch die Demokratie in die Luft.
Kaum mehr
steigerbar wird das Horrorszenario durch hochamtliches Verschweigen. Wer sich davon
überzeugen will, lese die Monatsberichte der EZB und der (entmachteten)
Deutschen Bundesbank. Man reibt sich die Augen: »Die Finanzkrise im Spiegel der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für das Euro-Währungsgebiet: eine
Betrachtung (!) der Finanzierungsströme« (in: Monatsbericht der EZB, Heft
10/2011, S. 107 ff.). Keine Spur von brandaktueller und bürgernaher
Berichterstattung. Die Bundesbank gibt sich ebenso distanziert, ganz so, als
würde es in Euroraum nicht lichterloh brennen. Schwarzgallige Heiterkeit wäre
angebracht, hätte die Sache nicht ein epochales Schicksalsgewicht, wenn
Nachzügler mit feiner Feuilletontextur daherkommen und ihr tiefes Wissen
darreichen. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, sieht »demokratische
Prozesse« den »Ratingagenturen, Analysten oder irgendwelchen Bankenverbänden«
überlassen, ohne daß er sich fragt, warum sich politischer Wahnwitz in die
ökonomische Gefangenschaft begeben hat. Auch der hochangesehene Philosoph
Hermann Lübbe (Zürich) kommt recht spät zur Erkenntnis, daß der Euro nicht die
Krönung des Einigungsprozesses sein kann (sondern sein Verhinderer, was Lübbe
einsieht) und daß es ein Fehler ist, den Finanzausgleich »zum Kerngehalt
eines europäischen Bundesstaates« zu erklären, ehe nicht eine
»Zusammengehörigkeit« gegeben ist. Daß ein autoritär befohlener Finanzausgleich
zwischen Finnland und Portugal nicht durchgehalten werden kann, ist einer der
Strukturfehler, der in diesem WALTHARI-Portal seit Jahren beschrieben wurde.
Ebenso ist die zentralistische supranationale Großstaaterei
(Vereinte Staaten von Europa) nicht effizient und legitimierbar, was ich 2007
ausführlich begründete (in: Aktive Bürgergesellschaft in einem gebändigten
Staat, S. 147 ff.). Was schließlich Jürgen Habermas an gleicher
Feuilletonstelle seiner Großgemeinde vorgibt, ist das Gegenteil der Lübbe’schen
Späteinsicht. Der Sozialphilosoph versucht sich als Ökonom, der die »heile
ordoliberale Welt« gründlich mißversteht und einen supranationalen Zentralismus
fordert. Veraltetes marxistisches Gedankengut in allerfeinstem Sprachgewand.
Quelle: ©
WALTHARI®
http://www.walthari.com/ 6. 11. 11
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