EU bereitet sich auf den Einsatz von Notstandsrecht vor

»Die G-20-Länder«, notiert Strategic Alert, »halten stur an ihren Plänen zur Bankenrettung fest, wozu sie bedeutend mehr Kapital als für die Rettungsaktionen 2008

 

brauchen werden, und es gibt nur einen Weg, wie sie das realisieren können: Mit Notstandsrechten und Maßnahmen, die außerhalb der Verfassung liegen. Den Grad des Notstands verdeutlichte der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, der am 12. Oktober erklärte, die Krise habe eine systemische Dimension erreicht und von den europäischen Regierungen schnellstmöglich Rettungsmaßnahmen forderte. Beim Finanzministertreffen der G-20 am 15. 10. war dann beschlossen worden, eine Liste mit 51 Banken zu erstellen, die rekapitalisiert werden müssen, entweder mit Eigenmitteln oder Regierungsgeldern. Am 13. 10. beging die slowakische Regierung gehorsam politischen Selbstmord und stimmte Neuwahlen zu, um so gegen den Widerstand ihres Koalitionspartners die Erweiterung der Stabilitätsfazilität ratifiziert zu bekommen. Nachdem so die EFSF von allen 17 Euro-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde, begannen Verhandlungen über einen Vertrag zur beschleunigten Errichtung des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), da die 440 Milliarden Euro Feuerkraft der EFSF bei weitem nicht ausreicht.« [1]   

 

Was die diskutierte Erweiterung der EFSF mittels Hebelung betrifft, so erklärte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linkeim Bundestag, Sahra Wagenknecht, in einer am 20. 10. herausgegebenen Pressemitteilung u.a. folgendes: »Die politische Elite Europas begibt sich auf das Niveau der Finanzmafia. An den Parlamenten vorbei wird über eine Hebelung des Euro-Rettungsschirms verhandelt, welche die Risiken für die Steuerzahler enorm erhöhen würde. Das ist Zockerei auf höchstem Niveau und kann auf Dauer nicht gutgehen. Selbst bei der SPD, den Grünen und in Teilen des Regierungslagers wächst der Unmut über eine derartige Aushebelung der Demokratie. Nun rächt sich, daß man bei der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm nicht einmal den Mut hatte, einem Antrag der Linken zuzustimmen, der zumindest eine stärkere Beteiligung des Parlaments eingefordert hatte. Wann wird endlich eingesehen, daß die Krise nicht mit derselben Denkweise und denselben Methoden überwunden werden kann, die uns in die Krise geführt haben? Wie lange will man noch Schulden auf Schulden häufen und hilflos zusehen, wie sich die großen Finanzkonzerne wieder einmal aus der Verantwortung stehlen?« [2]

 

Ein Plan der Allianz-Versicherung, der vor kurzem bekannt wurde«, so Strategic Alert ferner, »weist in diese Richtung. Dort ist die Rede davon, die EFSF auszuweiten, indem man sie zu einem Monoliner, d.h. Anleihenversicherer macht. Dabei würden es Ausnahmeregelungen für den Notfall Regierungen gestatten, entgegen bestehender Verträge die Schulden anderer Mitgliedsländer direkt zu garantieren. Ein von der Executive Intelligence Review befragter Finanzmanager legte ein weiteres mögliches Szenario dar, wie die EU Notstandsmaßnahmen durchsetzen könnte: Die EFSF stellt nicht mehr dar als eine in Luxemburg angemeldete Aktiengesellschaft und kann damit von Luxemburgs besonderen Finanzgesetzen profitieren; z.B. könnte sie über Nacht eine Banklizenz bekommen, ähnlich wie Goldman Sachs 2008 in der USA zu einer Bank gemacht wurde. Das könnte der luxemburgische Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker fast allein machen, und von einem Tag auf den anderen könnte dann die EFSF bei der EZB anklopfen, nach Geld fragen und es bekommen. Die Ratifizierung der EFSF sei ein kleiner Schritt mit großen Konsequenzen. Dadurch sei die kleine Rechtseinheit geschaffen worden, die erweitert werden kann. Sobald alles eingerichtet ist, müsse man nur noch die Schrauben anziehen. So würde man den Bundestag dazu bringen, die Finanzausstattung der EFSF zu erhöhen. Finanzminister Schäuble warte nur auf den Notfall, etwa eine von der Troika verkündeten griechische Zahlungsunfähigkeit. Schäuble würde dann im Bundestag erklären: Ein Notfall! Wir müssen handeln.[1]

 

Zu Schäuble nachfolgend der Artikel von

Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer - Finanzminister Wolfgang Schäuble: eine Gefahr für Deutschland?

 

Wer die Umtriebigkeit und die Äußerungen des Bundesfinanzministers aufmerksam verfolgt, den beschleicht mehr und mehr das aufschreckende Gefühl, daß hier ein verzweifelt agierender Berufspolitiker mit allen Raffinessen sich (!) ein europäisches Denkmal setzen will, koste es für Deutschland, was es wolle. Dabei geht er bei seiner Mittelwahl keineswegs immer demokratisch und im Sinne seines Ministereides vor (»dem Wohle des Deutschen Volkes« Art. 56 GG). Mehr noch: Wenn er über die desaströse Eurorettung spricht, stellt sich unwillkürlich der Eindruck ein: Er weiß mehr, als er sagt, und er verfolgt in pectore offenbar einen Plan, dessen Umrisse für Betrachter sich erst abzeichnet, wenn man Signalstellen seiner Äußerungen zusammenfügt. Der offensichtliche Plan: Schäuble hatte nicht nur vor, (1) die Budgetsouveränität des Bundestags zu beschneiden, wenn nicht gar auszuhöhlen (die Währungssouveränität Deutschlands ist ohnehin vergemeinschaftet), er strebte weiterhin (2) das höchst umstrittene Ziel ›Vereinigte Staaten von Europa‹ an, das den Ländern nur noch Reste ihrer Souveränität läßt (wie in den USA) und nationale Identitäten nach und nach folkloristisch verzwergt. Gefährlich ist dieser Weg, weil er die aus Jahrhunderten herausgewachsenen Mentalitäts- und Kulturunterschiede einzuebnen versucht, woraus sich zwangsläufig schwere Konflikte ergeben. Schäuble läßt sich, wie alle politischen Missionare ohne Bodenhaftung (Politik ist sein einziger Beruf, er kennt daher nicht den Berufsalltag der Bürger), davon nicht abschrecken, obschon vor seinen Augen der erste Stützpfeiler seiner illusionären Europa-Idee, die Gemeinschaftswährung, gerade zusammenbricht und die Völker, entgegen allen Versprechungen, einander entfremden läßt wie seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Vor keinem Tribunal müssen sich die politisch Verantwortlichen für diesen gewaltigen Zivilisationsrückschritt verantworten, daher ihre ungezügelte Experimentierlust.

 

Schäuble (und die politische Klasse fast insgesamt) weiß, daß das Parteiensystem eine Art Immunitätsschutz für waghalsige Experimente ist, weil plebiszitäre Kontrollen von der Verfassung nicht vorgesehen sind. Weder die Mehrheit der Medien noch die Justiz braucht er zu fürchten, erst recht nicht den Verfassungssouverän, das Volk (vgl. Art. 20,2 GG), dem er seine Pläne bisher nicht offen auf den Tisch gelegt hat. Nebulös heißt es, wir (d.h. die politische Klasse, nicht das Volk) brauchen »mehr Europa«. Um sein Ziel zu erreichen, operiert Schäuble auch im Geheimen, wie das Handelsblatt vom 24. August 2011 zu berichten weiß: »Schäubles Geheimdiplomatie: Parlament unerwünscht. Der Finanzminister beschreibt in einem vertraulichen Dokument, das er an fünf Spitzenpolitiker verschickte, die Arbeitsweise des mit 780 Milliarden Euro ausgestatteten Euro-Rettungsschirms. Die Parlamentarier sollen demnach eine Generalermächtigung aussprechen. …. Die Abgeordneten des Bundestags dürfen – so sieht es Schäubles Papier vor – lediglich den EFSF-Rahmenvertrag abnicken.« Erst das Euro-Rettungsschirm-Urteil des Bundesverfassungsgerichts brachte ihn von diesen Plänen teilweise ab. Nach dem Gesetz liegt nun die eigentliche Entscheidungsmacht nicht beim Bundestag, sondern bei einem parlamentarischen Ausschuß, der geheim tagt - eine überschaubare Gruppe für politische Einflußnahme. Was Schäuble stört, sind (1) die Grenzen des Grundgesetzes, mit dem die gewünschten Vereinigten Staaten von Europa nicht zu machen sind, (2) plebiszitäre Einsprüche und (3) die aufdeckende Pressekritik. Zu 3 ein seltenes Beispiel: »Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht Europa als sein (!) Projekt; doch in der Eurokrise spricht er wirr und agiert unberechenbar« (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 17. Juli 2011, S. 29). Ja, er operiert unberechenbar und auch herablassend (»Ich habe meine spöttische Seite. « Vgl. die denkwürdige öffentliche Abfertigung seines Pressesprechers Michael Affer Anfang November 2010).

 

Zu 1: Die politische Klasse wird schon einen Weg finden, das Grundgesetz europafreundlich umzubiegen. In europarechtlichen Vertragsbrüchen hat sie ja eine bemerkenswerte Übung. Die Rechtskrise in Deutschland und Europa ist so weit gediehen, daß kaum jemand im Lande gefordert hat, die Rechtsbrecher vor Gericht zu stellen. Gespenstisch daher die Euro-Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht. Schäuble »will Deutschland nun in Europa aufgehen lassen«. So deutlich schreibt es der Journalist Reinhard Müller. »Geschickt mischt er… Selbstverständliches mit Visionärem.« Selbstverständlich ist für Schäuble, »daß es für unser Land keine wirkliche Alternative zur europäischen Einigung und zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gibt«. Das ist typischer Schäuble-Nebel, in welchem nicht erkennbar bleibt, wie die Einigung aussehen soll. Die öffentlich gehandelten Modelle reichen von einem Europa der Vaterländer bis zum Brüsseler Superstaat mit zentralistischer französischer Dominanz. Darüber läßt sich der Bundesfinanzminister nicht aus, obschon zu vermuten ist, daß er die zentralistische Variante bevorzugt, bevorzugen muß, weil anders eine fiskalpolitische Gemeinschaftslinie nicht zu erreichen ist. Auch hier ist die Mißachtung eingetretener Fakten oberstes politisches Prinzip: Was geldpolitisch total mißlungen ist (die EZB ist zur Bad Bank geworden), wird fiskalpolitisch nicht anders ablaufen, weil es nicht nur dem Souveränitätsverständnis, sondern auch den unterschiedlich gewachsenen Mentalitäten der Länder widerspricht.

 

Schäuble muß sich wenig darum kümmern, kann er doch in einem weitgehend sanktionslosen politischen Freiraum agieren (vgl. oben). Wird er einmal ernsthaft konfrontiert, wie bei dem denkwürdigen Gespräch mit dem ehemaligen Chefökonom der EZB, Otmar Issing, reagiert er wie seinerzeit gegenüber seinem untergebenen Pressesprecher: »Unterschätzen Sie die Entschlossenheit derer nicht, die jetzt an Europa bauen wollen. Es trifft mich persönlich, wenn Sie das eine Alibiveranstaltung nennen. Europa ist schon jetzt nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts viel mehr als ein Staatenbund.« Es beleidigt ihn also persönlich (!), wenn man die »Sorge« äußert, »daß man in der Krise nur eine Art Alibikontrolle in Europa hinbekommt, die nicht politisch legitimiert ist« (so Ottmar Issing). Das Interview ist entlarvend: (1) Die »Entschlossenheit« der politischen Klasse (»derer …, die«) darf nicht unterschätzt werden, die Völker haben nicht mitzureden (und wenn, wertet man es als Unfall auf dem Weg zu .…). (2) Dieses epochale Vorhaben, das in Gestalt einer Euro-EU-Mißgestalt angestrebt wird (Alternativmodelle werden verteufelt), macht einer zu seinem persönlichen Anliegen – eine der gefährlichsten politischen Konstellationen, wie die Geschichte zeigt. Denn persönlicher Überehrgeiz schert sich wenig um Gesetze und Volksmeinung (vgl. oben).

 

Wenn schon Schäuble seine Person ins bitterernste Spiel bringt, dann muß er sich auch Anmerkungen zu seiner Person gefallen lassen. Der Finanzminister ist Jurist, eine Berufsgruppe, die sich bekanntlich für alles und jedes zuständig fühlt, auch für Finanzen. Juristen sind Verfahrensspezialisten, denen Substanzen leichterhand als knetbare Sache erscheinen. »Der wahrhaft juristisch Gebildete beantwortet Rechtsfragen stets mit der ernst gemeinten Floskel: ›Es kommt darauf an« (Milos Vec, MPI, Frankfurt/M.). Die Sachen selber werden stets unter Verfahrenspassigkeit gesehen, wobei man das Verfahren auch locker sehen kann (s. die Mißachtung des Bail-Out-Verbots). Daß manche Sachverhalte prozessual nicht mit sich spaßen lassen, weil ihnen eine besondere Wucht und Logik innewohnen, kommt in juristischem Denken nicht vor. »Habituell drückt sich der Besitz juristischer Bildung darin aus, jedes Problem als eine (bloße, E. D.) Rechtsfrage wahrzunehmen… Der Jurist nimmt jeden als jedermanns potenzieller Prozeßgegner wahr. Von hier aus bis zum Querulantentum ist es nur ein kleiner Schritt« (Milos Vec).

 

Wolfgang Schäuble wird erkennbar von einem brennenden Ehrgeiz angetrieben, den auch härteste Schicksalsschläge nicht brechen. Alle übermotivierten Ehrgeizlinge sollten sich freilich diejenigen Zahlen hinter den Spiegel stecken, die Wirtschaftsforscher vom Münchner Ifo-Institut gerade vorgelegt haben. Beim Euro-Rettungsabenteuer stehen für Deutschland im schlimmsten aller Fälle nicht weniger als 472 Milliarden Euro Kosten auf dem Spiel. Das übersteigt den jährlichen Bundeshaushalt. Die maximale Kreditvergabe an schlingernde Länder beträgt 1.691 Mrd. Euro. Und selbst diese gigantische Summe wird nicht reichen, wenn Italien kollabiert. Wolfgang Schäuble ist der Hauptakteur in dieser Tragödie. 3 

 

1  Strategic Alert Jahrgang 24, Nr. 42 vom 19. Oktober 2011

2  http://www.jungewelt.de/2011/10-21/060.php  Finanzmafia

3  Quelle:

© WALTHARI®  – Aus:www.walthari.com

http://www.walthari.com/   13. 10. 11  Finanzminister Wolfgang Schäuble: eine Gefahr für Deutschland?  -  Von Univ.-Prof. Dr. E. Dauenhauer