IPPNW warnt vor militärischer Eskalation und fordert UN-Untersuchung

Das Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Christoph Krämer,

kommentiert die jüngste Krise zwischen der USA und dem Iran: Vermeintliches Mordkomplott gegen saudiarabischen Botschafter in der USA:

»Als Ärzte und Mitglieder einer Internationalen Friedensorganisation sind wir besorgt über die erneuten Kriegsdrohungen nach dem publizierten angeblichen Mordanschlagsversuch auf den saudiarabischen Botschafter in der USA. Für uns ist keinerlei Nutzen und damit kein plausibles Motiv eines solchen Mordanschlages für den Iran erkennbar. Im Gegenteil: Nutzen würde er ganz offensichtlich nur denjenigen Kräften, die seit langem auf einen Krieg gegen den Iran drängen und bereits wiederholt damit gedroht haben. Zum anderen sei an das Desaster des Irakkriegs erinnert, der bislang nach seriösen Schätzungen bis zu einer Million Menschen das Leben kostete und der mit einer Täuschung der Weltöffentlichkeit über seine tatsächlichen Gründe begonnen wurde. Das darf sich nicht wiederholen. Zudem wird ein Krieg gegen den Iran auch für Deutschland nicht ohne unabsehbare Folgen bleiben.«

Christoph Krämer stellt klar, daß ein solches folgenreiches Mordkomplott gegen einen Botschafter mit seinen internationalen Auswirkungen einer genauen und unabhängigen Untersuchung bedarf. Deswegen fordert die IPPNW die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission durch die UN-Vollversammlung oder den Weltsicherheitsrat. Angesichts der Zweifel - auch innerhalb der USA - an der bisher verbreiteten Version des Komplotts ruft die IPPNW bis dahin die Beteiligten auf, von allen eskalierenden Maßnahmen und Drohungen Abstand zu nehmen. Insofern werden die verhängten erweiterten Sanktionsmaßnahmen der USA gegen den Iran kritisiert  1.

Aus dem vom iranischen UNO-Botschafter Mohammad Khazaee in derselben Sache an Ban Ki Moon gerichteten Protestbrief geht folgendes hervor:

Ich schreibe Ihnen, um unsere Empörung über die Anschuldigungen der US-Regierung gegen die Islamische Republik Iran, ein Mordkomplott gegen einen ausländischen Diplomaten in Washington geplant zu haben, zum Ausdruck zu bringen. Die Islamische Republik Iran weist diese fabrizierten Anschuldigungen, die auf den haltlosen Behauptungen einer Einzelperson basieren, entschieden zurück. Jedes Land könnte andere Länder durch eine Fabrikation dieser Art beschuldigen. Allerdings wäre dies ein gefährlicher Präzedenzfall in den Beziehungen zwischen den Staaten.

Der Iran hat den Terrorismus immer in all seinen Arten und Erscheinungsformen verurteilt. Der Iran ist ein Opfer des Terrorismus. Eine klares aktuelles Beispiel dafür ist die Ermordung einer Reihe von iranischen Atomwissenschaftlern in den vergangenen zwei Jahren durch das zionistische Regime, das dabei von den Vereinigten Staaten unterstützt wurde. Die iranische Nation strebt eine Welt frei von Terrorismus an. In der aktuellen US-Kriegstreiberei und der Propagandakampagne gegen den Iran sehen wir jedoch nicht nur eine Bedrohung unseres Landes, sondern auch des Friedens und der Stabilität der Region am Persischen Golf. Die Islamische Republik Iran warnt vor den Folgen dieses schrecklichen Szenarios und macht geltend, daß die Fortsetzung einer solchen ›Teile-und-herrsche-Politik‹ nachteilige Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit haben könnte. Die US-Behauptung ist offensichtlich ein politisch motivierter Schachzug und zeigt die langjährige Animosität der USA gegen die iranische Nation. Die Islamische Republik Iran verurteilt diese schändliche Behauptung der Behörden der Vereinigten Staaten kategorisch und aufs schärfste. Sie sieht darin nichts anderes als einen gut durchdachten, infamen Plan der USA, um in Übereinstimmung mit ihrer anti-iranischen Politik sowohl die Aufmerksamkeit von den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu Hause als auch von den populären Revolutionen und Protesten gegen die Vereinigten Staaten in den von ihnen lange unterstützten diktatorischen Regimes im Ausland abzulenken. Die Islamische Republik Iran unterstreicht ihre Entschlossenheit, ihre freundschaftlichen Beziehungen zu allen Ländern der Region, insbesondere mit seinen muslimischen Nachbarn, aufrechtzuerhalten und lädt alle ein, gegen die bösartigen Kampagnen gegen Stabilität und Frieden und gute Beziehungen zwischen den Staaten in unserer Region wachsam zu sein.

Als Generalsekretär der Vereinten Nationen haben Sie eine wichtige Verantwortung, die Weltöffentlichkeit über die gefährlichen Folgen der kriegstreiberischen Politik der Regierung der Vereinigten Staaten für den internationalen Frieden und die Sicherheit aufzuklären. Ich schicke gleichlautende Schreiben an den Präsidenten des Sicherheitsrats und den Präsidenten der Generalversammlung. Es würde geschätzt, wenn dieser Brief als ein Dokument für die Generalversammlung unter dem Tagesordnungspunkt 83 und an den Sicherheitsrat in Umlauf gebracht werden würde  2.

Wolfgang Effenberger, der soeben zwei neue Werke herausgebracht hat, ›Das amerikanische Jahrhundert - Teil I - Die verborgenen Seiten des Kalten Krieges‹ sowie ›Das amerikanische Jahrhundert - Teil II  Wiederkehr des Geo-Imperialismus?‹, hat sich ebenfals mit dem Fall befaßt und schreibt hierzu  3:

FBI-Operation »Chevrolet«: Terror-Pate Ahmadinedschad Drahtzieher eines Mordkomplotts?
Nach Erkenntnissen aus der FBI-Operation »Chevrolet« sollen iranische Verschwörer aus dem Umfeld des militärische Eliteverbandes al-Kuds einen mexikanischen Drogendealer mit dem Ziel angeheuert haben, den saudischen Botschafter Adel Al-Jubeir in einem Washingtoner Restaurant per Bombe in die Luft zu jagen - und mit ihm mehr als hundert unbeteiligte Amerikaner. »Das kann doch niemand erfinden, oder?«, fragte Hillary Clinton, nachdem ihre Regierung das perfide Komplott enthüllt hatte. Da kann man Amerikas Außenministerin nur zustimmen. Kaum ein Buchverlag mit Renommee, kein Hollywood-Studio von Ruf würde sich auf ein derartig absurdes Skript einlassen - aber die Mächtigen der iranischen Republik.

Wem nutzt ein derartiges Komplott?
Auch der verhinderte Anschlag dürfte ausreichen, um das saudisch-iranische Verhältnis vollends zu zerstören. Zugleich schweißt er die saudisch-amerikanische Achse wieder zusammen, eine Achse, die nicht widersprüchlicher sein könnte. Auf der einen Seite eine menschenrechtsverachtende despotische Monarchie und auf der anderen Seite ein Land, das sich ausschließlich den Menschenrechten sowie der Freiheit und Demokratie verpflichtet fühlt. Das Zweckbündnis dieser so unterschiedlichen Freunde drohte nach dem »arabischen Frühling« mit seinen Demokratieparolen und den palästinensischen Staatsgründungsversuchen zu zerbrechen.

Dieser angebliche Attentatsplan durchkreuzt auf der einen Seite die strategischen Ziele Teherans. Oberste Priorität hat die Entfremdung von Saudi-Arabien gegenüber seiner Schutzmacht Amerika. Nach den angeblichen iranischen Komplottplänen haben die Ölscheichs nun erst recht Gründe, um vom Westen weitere Panzer und Jets zu bestellen. Auf der anderen Seite forderte Hillary Clinton eine »scharfe Reaktion« in Form von härteren Sanktionen. Auch soll eine »starke Botschaft« an den Iran gerichtet werden. »Die USA beabsichtigen, den Iran für seine Handlungen zur Verantwortung zu ziehen«, echote Justizminister Eric Holder. [1] Gleichzeitig warnte die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, den Iran vor »sehr ernsten Konsequenzen«. [2] In einem Telefonat bedankte sich der Außenminister von Saudi-Arabien bei seiner amerikanischen Kollegin für die Ermittlungserfolge. Im Gegenzug telefoniere Obama mit dem saudi-arabischem König Abdallah. Dabei hätten er und König Abdallah eine gemeinsame Antwort vereinbart, mit der die Verantwortlichen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen würden, teilte das Weiße Haus mit. [3] Teheran wies die Vorwürfe als lächerlich und erfunden zurück und ließ durch seinen UN-Botschafter offiziell bei UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und beim UN-Sicherheitsrat protestieren. Gleichzeitig warf der iranische Parlamentspräsident Ali Laridschani der USA vor, eine künstliche Krise herbeiführen zu wollen und erklärte: »Das sind billige Vorwürfe. Indem sie ihnen eine große Medienberichterstattung geben, wird klar, daß sie ihre eigenen Probleme überspielen wollen.« [4]

Zweifel an der offiziellen Version werden in der britischen Zeitung Guardian geäußert. Dort wird ein ehemaliger Diplomat und Iran-Experte zitiert: »Ich glaube nicht, daß das iranische Regime dahinter steckt. Nehmen wir an, es war ein iranisches Komplott, dann hätten professionelle Gangster einen nachlässigen Agenten für ihr wichtigstes Projekt angeheuert. Das ist unmöglich.« [5] In diesem Sinne äußerte sich auch Juan Zarate, früherer Sicherheitsberater der Bush-Regierung, gegenüber der New York Times. Für ihn trage dieser Mordplan nicht die Handschrift einer al-Kuds-Aktion. Diese Zweifel hatte Obama nicht, als er dem Iran vorwarf, massiv gegen US- und internationales Recht zu verstoßen. Ebenso die EU-Außenbeauftragte Ashton. Sie ließ wissen, daß diese Anschuldigungen - sofern erwiesen - »nach internationalem Strafrecht« verfolgt würden.

Erwiesenermaßen gehörte die Ermordung ausländischer Staatschefs seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu den Praktiken der geheimdienstlichen US-Außenpolitik. Wer weiß schon, daß Mitarbeiter von Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses eine Mordliste der US-Geheimdienste erstellt haben? Daraus geht klar hervor, daß diese US-Dienste zwischen 1949 und 1991 mehrere ausländische Staatsmänner entweder umgebracht oder umzubringen versucht haben, darunter nach Berichten des US-Kongresses den kubanischen Staatschef Fidel Castro allein acht Mal.« [6] Wer erinnert sich noch an den kambodschanischen Prinzen Sihanouk? Er versuchte während des zweiten Indochina-Krieges alles, um Kambodscha aus den Konflikten herauszuhalten. Während er sich weigerte, den durch Ostkambodscha verlaufenden Ho-Chi-Minh-Pfad, die Nachschubroute des Vietcong, anzugreifen, duldete er schweigend die vom kambodschanischem Boden ausgehenden Militäraktionen der USA. Dieses beschränkte Wohlverhalten der USA gegenüber brachte Sihanouk 1959 und 1963 auf die Mordliste des CIA. Zusammengestellt hatte diese Liste William Blum, langjähriger Mitarbeiter von Untersuchungsausschüssen des US-Kongresses im Verantwortungsbereich der Geheimdienste. [7] Zu empfehlen ist sein Buch ›Killing Hope‹. Wer erinnert sich an die Ermordung des jungen und hoffnungsvollen Premierministers vom Kongo, Patrice Lumumba, im Jahr 1961? [8] Seither befindet sich das Land im Bürgerkrieg. Wer erinnert sich noch an die Verwicklung der CIA beim Sturz und der Ermordung des chilenischen Präsidenten Salvador Allendes im Jahr 1973? [9] Vorausgegangen war im Jahr 1970 die Ermordung des verfassungstreuen Generals René Schneider, Oberbefehlshaber der chilenischen Armee.

Diese Liste könnte noch durch viele Namen ergänzt werden. Bei allen von US-Präsidenten befohlenen Morden wurde zumindest von westlicher Seite nie der Vorwurf erhoben, hier sei internationales Recht gebrochen worden. Die westlichen Verbündeten schwiegen und machten sich so zu Komplizen. Und den Rest der Welt brachte und bringt dieses bigotte Verhalten in den Harnisch.


1 http://www.ippnw.de/startseite/artikel/4ef8376aa7/ippnw-warnt-vor-militaerischer-eskal.html 14. 10. 11 IPPNW-Pressemitteilung vom 14.10.2011
Kontakt: Jens-Peter Steffen, Tel. 00 49 30 / 698 074 13
Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs,
Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), Körtestr. 10, 10967 Berlin, www.ippnw.de
2 http://www.jungewelt.de/2011/10-14/052.php
Protestbrief des iranischen UN-Botschafters – Die Übersetzung verdanken wir Rainer Rupp von der jungen Welt
3http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/wolfgang-effenberger/fbi-operation-chevrolet-terror-pate-ahmadinedschad-drahtzieher-eines-mordkomplotts-.html 15. 10. 11
FBI-Operation »Chevrolet«: Terror-Pate Ahmadinedschad Drahtzieher eines Mordkomplotts? Von Wolfgang Effenberger - Hierzu:
[1] »US-Regierung: Iran plante Attentat in Washington« vom 13. 10. 2011
[2] Krüger, Paul Anton: »Mord-Komplott beunruhigt Amerika«, in: Süddeutsche Zeitung vom 13. Oktober 2011, S.1
[3] »Obama telefoniert mit saudi-arabischem König Abdallah« vom 13. Oktober 2011
[4] »Terror-Pate Ahmadinedschad?« in: tz vom 13. Oktober 2011, S. 2.
[5] »Iran-Komplott in den USA – US-Regierung rudert zurück – Keine harten Beweise für Beteiligung der obersten iranischen Führung« vom 13. Oktober 2011
[6] »Zyniker der Macht oder gar Schurkenstaat?«, aus der Rede des zweifachen Grimme-Preisträgers auf dem 2. Geopolitischen Kongreß in Gera am 20.12.2009.
[7] Präsident Ford untersagte der CIA das Ermorden führender Staatsmänner/-frauen.
[8] Effenberger, Wolfgang und Löw, Konrad: Pax americana. München 2004, S. 397;
vgl. Bamford, James: NSA: Die Anatomie des mächtigsten Geheimdienstes der Welt, München 2001, S. 90 ff.
[9] Andreas von Bülow: Im Namen des Staates, München 2002, S. 74, 123, 217, 425; vgl. den CIA-Pike-Report, S. 56, wonach die Operation vom Präsidenten und dessen Sicherheitsberater Kissinger gegen die Vorstellungen der CIA angeordnet worden sei. Der sogenannte 40er-Ausschuß sei nicht in Kenntnis gesetzt worden. Das in einem Zeitraum von drei Jahren laufende Subversionsprogramm der CIA zum Sturz Allendes wird in einem 62-seitigen Anhang der Pike-Kommission beschreiben. Eine Zusammenfassung findet sich bei Agee, Philipp und Wolf, Louis: Dirty Work. The CIA in Western Europe, Secaucus, USA, 1978, S. 267.