Die gefährliche Seite der mobilen Kommunikation - Von Angela Barandun 09.10.2011 19:59
Handys werden zur Fernsteuerung für unser Leben. Bald dürften selbst Herzschrittmacher und Autos ans mobile Internet angeschlossen sein.
Damit
wachsen auch die Gefahren der mobilen Kommunikation. Stellen Sie sich vor, Ihr Herzschrittmacher
hätte eine SIM-Karte - also eine eingebaute Internetverbindung. Ihr Arzt wüsste
so jederzeit, ob bei Ihnen alles stimmt und das Gerät funktioniert. Er könnte
es neu einstellen, ohne Ihre Brust zu öffnen - per Computerbefehl, via
Handynetz. Sie müssten dafür nicht einmal das Haus verlassen. Klingt gut, nicht
wahr? Was aber geschieht, wenn Sie sich überlegen, dass jemand dank der
SIM-Karte das Gerät böswillig ausschalten könnte - per Mausklick? Vielleicht
der Nachbarsjunge, der Ihnen einen Streich spielen will? »Wenn man
es sich so herum überlegt, wird es plötzlich zentral, wer
Einsicht in unsere Daten erhält und wie ein Gerät vernetzt ist«, sagte
Beat Rudin, der Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt. Er führte am 6.
9. zusammen mit seinem Zürcher Kollegen Bruno Baeriswyl durch ein Symposium an
der ETH Zürich, das Gefahren und Risiken im Zusammenhang mit mobilen Daten
thematisierte.
»Ein sehr kritisches Stadium«
Und so absurd,
wie das Beispiel mit dem Herzschrittmacher im ersten Moment töne, sei es gar
nicht, sagt Srdjan Capkun, Professor für Systemsicherheit an der ETH Zürich. »Früher
war es extrem teuer und kompliziert, Funkwellen abzuhören. Heute kostet so ein
Gerät weniger als 1000 Franken«, sagt Capkun. Damit lassen sich mobile Systeme
erstaunlich einfach kapern. Capkun hat Erfahrung: Er knackte schon
Handygespräche über das langsamere GSM-Netz, brach in Autos mit kontaktlosen
elektronischen Schlüsseln ein, machte Handys glauben, sie seien in New York,
dabei waren sie in Zürich, oder fälschte sogar GPS-Signale.
Und das
ist nur die eine Seite des Problems. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Handys
selbst immer mehr Daten sammeln. Ihre Sensoren wissen, wo wir sind, woher wir
kommen und sogar, ob und in welche Richtung wir uns bewegen. Es ist sogar
möglich, herauszufinden, mit wem wir zusammen sind. Daten, für die sich nicht
nur die Werbeindustrie interessiert, auch der Staat mischt dabei mit. In
Deutschland wurden im Februar »sämtliche Besucher einer Anti-Nazi-Demo in Dresden
via Handyscan von der Polizei registriert«, erzählt Peter Schaar, der
deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte. Er warnt: »Wir befinden uns in einem sehr
kritischen Stadium: Es besteht das Risiko der totalen Überwachung.«
Parallel
dazu spielt das Handy in unserem Leben eine immer zentralere Rolle. Bald werden
wir mit dem Handy kontaktlos bezahlen, die Haustür aufschliessen, uns am
Firmeneingang identifizieren oder Cumulus-Punkte sammeln. Das Auto werde genau
wie der Herzschrittmacher mit einer SIM-Karte ausgestattet, glaubt Michael
Kocheisen, der für die Swisscom Trends aufspürt. So kann man im Internet surfen
und den Wagen bei Diebstahl orten. Einen Unfall meldet der Wagen von allein,
bei einer Panne gibt es eine Ferndiagnose. Theoretisch könnten sogar
Lichtsignale überflüssig werden, weil sich die Autos selbst absprechen. Für
Versicherungen und Strassengebühren drängen sich neue Abrechnungsmechanismen
auf - nach Verursacherprinzip. »Wer durch den Gotthard fährt, zahlt mehr, als wer
die San-Bernardino-Route nimmt«, sagt Kocheisen.
Datenschutz als
Wettbewerbsvorteil
Bislang
spielen die Nutzer dabei mit. Die Verkaufszahlen der sogenannten Smartphones -
Handys mit Internetzugang und Sensoren - boomen. Kein Wunder, findet der
Zürcher Datenschützer Bruno Baeriswyl: »Je mehr Daten wir von uns
preisgeben, desto angenehmer wird unser Leben.« Daneben gehe nur allzu leicht
vergessen, dass parallel zum Komfort die Sicherheit abnehme.
Je weiter
die mobilen Daten unser Leben durchdringen, desto mehr steht auf dem Spiel -
nicht nur unsere Privatsphäre, sondern unsere Gesundheit, unsere Sicherheit.
Wenn wir unsere Daten nicht davor schützen können, dass sie gestohlen,
manipuliert oder missbraucht werden, stellt womöglich plötzlich jemand unseren
Herzschrittmacher ab, lenkt unser GPS fehl oder plündert unser Konto. Wie wir
uns schützen sollen, ist aber alles andere als klar. »Wir
stehen vor der Frage, ob wir unser Grundrecht auf Selbstbestimmung über unsere
Daten in Zukunft überhaupt noch wahrnehmen können«, sagt Rudin. Auf strengere Gesetze
können wir nicht zählen. Insbesondere nicht in der Schweiz, wo der
Datenschutz schwächer ist als im umliegenden Ausland. Wir müssten schon
freiwillig auf den einen oder anderen Vorteil verzichten, um so einem
übermässigen Risiko aus dem Weg zu gehen. Oder wir hoffen, dass die öffentliche
Wahrnehmung dreht. »Vielleicht entwickelt sich der Datenschutz bald zu
einem Wettbewerbsvorteil«, sagt Rudin. Bis es soweit ist, wollen die Datenschützer
den Fortschritt nicht verhindern. »Aber wir müssen genau hinsehen und
sicherstellen, dass der Rahmen nicht mit übermässigen Risiken erkauft wurde«, sagt
der deutsche Bundesdatenschützer Schaar. (Tages-Anzeiger)
Quelle:
Der Artikel erschien in der Ausgabe des Tages-Anzeigers vom 7. 9. 11. Die
Veröffentlichung wurde uns dankenswerterweise von der Autorin gestattet.
Alle
Hervorhebungen durch politonline
http://www.tagesanzeiger.ch/digital/mobil/Die-gefaehrliche-Seite-der-mobilen-Kommunikation/story/14400527 7. 9. 11
Die gefährliche Seite der mobilen Kommunikation
Von Angela
Barandun
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