Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts

vom 7. 9. 11 ist ein Schlag gegen nationale Souveränität und Rechtsstaat. Es zeigt erneut, daß die vorhandenen nationalen Institutionen

 

Europa nicht vor der Gefahr einer EU-Diktatur bewahren werden. Das Bundesverfassungsgericht entschied zwar, daß der Haushaltausschuß des Bundestages zukünftigen finanziellen Rettungsaktionen ausdrücklich zustimmen muß, billigte aber alle bisherigen Rettungsaktionen. Und es verwarf die beiden Klagen der fünf Anti-Euro Professoren [Hankel, Nölling, Starbatty, Schachtschneider, Spethmann] und des CSU-MdB Peter Gauweiler mit der Begründung, die Kläger seien überzeugende Beweise für ihre Behauptung schuldig geblieben, die Politik der finanziellen Rettungspakete verletze durch das Grundgesetz garantierte Rechte, wie Wahlrecht, das Recht auf demokratische Repräsentation und das Recht auf Eigentum. Schlimmer noch war die Feststellung des Gerichts, daß alle bisher unternommenen Rettungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit Grundgesetz und EU-Recht (Lissabon Vertrag) stünden, die Rechte und Vorrechte des Bundestages nicht unterhöhlt worden seien und daß, selbst wenn alle deutschen Garantien fällig würden, laut Einschätzung der Legislative die Verluste über Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige Staatsanleihen noch refinanzierbar seien. Das Risiko“, worauf das Gericht sich hier bezieht, beläuft sich auf 170 Mrd. Euro, die Deutschland mit den griechischen und anderen Rettungsaktionen bereits garantiert hat - diese Summe macht die Hälfte des Bundeshaushalts aus.

 

Damit aber nicht genug: Die Erhöhung des Gewährleistungsrisikos auf 253 Mrd.€ ist bereits absehbar. Das Gericht übernahm die Argumente der Regierung gegen die Kläger, als es feststellte: Derzeit besteht auch keine Veranlassung, einen unumkehrbaren Prozeß mit Konsequenzen für die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages anzunehmen. Das Gericht teilte auch die Sichtweise der Bundesregierung, daß es für alle zukünftigen parlamentarischen Verfahren bezüglich der Europäischen Finanz-Stabilitäts-Fazilität (EFSF) ausreicht, den 41 Mitglieder umfassenden Haushaltausschuß des Bundestages zu befragen, womit Plenarsitzungen des Bundestages vermieden werden.

 

Was die meisten Berichterstatter als Entscheidung gegen Eurobonds charakterisierten, ist in Wirklichkeit eine Grauzone, die nur besagt, daß eine supranationale Vergemeinschaftung von Schulden nicht akzeptabel sei. Genauer heißt es: Im übrigen bestimmt der Senat [d.h. das Gericht] die verfassungsrechtlichen Grenzen für Gewährleistungsermächtigungen zugunsten anderer Staaten im Europäischen Währungsverbund. Diese Grenzen sind allerdings keineswegs festgelegt, das Gericht überläßt dies den Politikern und sonstigen Experten. Wäre das Gericht wirklich besorgt über die Vergemeinschaftung von Schulden auf Kosten des deutschen Staates und Steuerzahlers, dann hätte es gegen den EFSF urteilen müssen, wo diese praktisch bereits geschieht, weil Deutschland und andere solventere Staaten einspringen müssen, wenn andere Euroländer nicht mehr als Bürgen dienen können. Schon jetzt ist deshalb der deutsche EFSF-Anteil von 123 Mrd. Euro vor 15 Monaten auf heute 211 Mrd. Euro gestiegen. Mit den vom Finanzministerium geforderten erweiterten Befugnissen stiege die Zahl auf 253 Mrd. €, also mehr als eine Verdoppelung innerhalb von 15 Monaten. Trotzdem gab das Gericht der Institution seinen Segen. Noch alarmierender (offenbar aber nicht für die Richter) ist der Plan des Ministeriums, die Summe der vom EFSF aufgekauften notleidenden Staatsanleihen geheimzuhalten und nur einen geheimen Sonderausschuß des Bundestages über künftige Käufe zu informieren. Die Sitzungen sollen geheim sein und die Mitglieder nicht einmal ihre Bundestagskollegen über deren Inhalt informieren dürfen. Die Richter haben sich also ihrer Verantwortung entzogen, um das Abrutschen der Eurozone in eine Finanzdiktatur zu verhindern. Die einzige Chance dafür böte jetzt eine Volksabstimmung, um das ruinöse Euro-Experiment und die endlos teuren Bankenrettungsaktionen und Aushebelungen der Souveränität zu beenden. Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes besagt: Gegen jeden, der es unternimmt, diese (Verfassungs-)Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. [1]  

 

Nachdem die Richter sich ihrer Verantwortung entzogen haben, liegt es in der Hand des eigentlichen Souveräns, und das ist das Volk, weiteren Schaden vom Staat abzuwenden und, wie es die Bürgerrechtsbewegung Solidarität bereits Ende 2007 gegen den Lissabon-Vertrag forderte, das ruinöse Euro-Experiment und die endlos teuren Rettungsaktionen für die Banken sowie die Aushebelung der Souveränität per Volksabstimmung zu beenden. Die akute Bedrohung der Souveränität und des Rechtsstaats durch die Bailout-Politik ist leider durch das Gerichtsurteil vom 7. September 2011 größer geworden. Auch der in Karlsruhe abgewiesene Kläger Schachtschneider sieht das Urteil als schwarzen Tag für Deutschland und Europa. Noch mehr solch schwarzer Tage darf es künftig nicht mehr geben, wenn uns unsere Demokratie und unsere Verfassung etwas wert sind.

 

Georg Paul Hefty führt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. September folgendes aus: »Der Haushaltsausschuss des Bundestags wird künftig milliardenschweren Euro-Hilfen zustimmen müssen. Doch seine Mitglieder stehen in der innerparteilichen Hierarchie weit unten. Sie werden sich kaum dafür entscheiden, die Regierung zu lähmen. Es gibt zwei Arten, Gesetze und Urteile, besonders solche des Bundesverfassungsgerichtes, zu lesen. Die eine ist das Erkennen dessen, was darin steht, die andere das Erkennen dessen, was nicht darin steht. Die zweite Art ist ebenso berechtigt wie die erste. Beim Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu den Euro-Rettungsmechanismen sticht ins Auge, daß das ringsum so sehr begrüßte Mitwirkungsrecht des Bundestages, bei anderen schwerwiegenden Entscheidungsfällen wird von Parlamentsvorbehalt gesprochen, nur in bemessener Form eingefordert wird. Die beiden infrage stehenden Gesetze, das Euro-Finanzstabilitätsgesetz und das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im europäischen Stabilisierungsmechanismus, mit denen insgesamt 170 Milliarden Euro, also etwa die Hälfte eines Bundeshaushalts gewährleistet werden, sind verfassungskonform – falls sie im Sinne des Grundgesetzes ausgelegt werden, was eine Selbstverständlichkeit ist. [2]«

 

Prof. Max Otte ruft die Bevölkerung zum Widerstand auf

»Lassen Sie nicht zu, daß man uns zu verwirrten, resignierten Subjekten macht und wir ein ums andere Mal für Krisen geradestehen, die wir nicht verursacht haben. Es reicht – wehren Sie sich!« Aus dem Mund eines Wirtschaftsprofessors klingen diese Worte ungewöhnlich. Aber Max Otte hat bewiesen, daß er weiß, wovon er spricht. Er sah die Finanzkrise voraus und schrieb mehrere Bücher darüber. Und nun hat er einen flammenden, an die Bevölkerung gerichteten Appell in Form eines Büchleins mit dem Titel Stoppt das Euro Desaster! veröffentlicht. Seine Absicht: Ich will, daß Sie mitreden können; daß Sie erkennen, wie schlimm es wirklich um unser Wirtschaftssystem und letztlich auch um unsere Demokratie steht. In unzähligen Vorträgen habe er festgestellt: Die Menschen merken, daß sie an der Nase herumgeführt werden. Sie wissen, daß sie am Ende die Dummen sind, daß sie für dieses Desaster mit ihren Steuergeldern bezahlen müssen.

 

Widerstand, so der Wormser Professor, beginne mit Wissen. Und so erklärt er zunächst einmal einige sehr grundlegende Begriffe, etwa Investmentbanken und Investmentgesellschaften. Die Leser erfahren, daß gerade zum Zocken einladende Finanzprodukte, die die neue Finanzkrise auslösten, als  Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929 verboten worden waren und daß ein renommierter amerikanischer Verfassungsrichter bereits 1913 den Begriff Finanzoligarchie prägte. Otte führt aus: Diese Finanzoligarchie, bestehend aus Investmentbanken, Hedgefonds, Schattenbanken, Ratingagenturen und weiteren Akteuren, ist die derzeit dominierende zivile Weltmacht. Das ist keine irgendwie geartete Verschwörungstheorie, sondern die nüchterne

Erkenntnis mit Blick auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Und die seien eindeutig: Heute stehen die großen und mächtigen Investmentbanken – in der USA an erster Stelle Goldman Sachs, in Deutschland die Deutsche Bank – an der Spitze der Nahrungskette. Sie agieren am schnellsten, haben die begabtesten Finanzingenieure und außerdem beste Verbindungen in Regierungskreise. Diesen mächtigen Akteuren würden Regierungen und Regulierungsbehörden als Erfüllungsgehilfen zuarbeiten. Er könne, so Otte, unzählige Belege dafür liefern, wie die Finanzoligarchie [Herrschaft einer kleinen Gruppe] unser Gemeinwesen schädigt; wie sie unsere Leistungsgesellschaft und unsere Demokratie untergräbt und gesetzliche Regeln zu ihren Gunsten verändert. Eine Wirtschaftsordnung, die Banken weitgehend vom Risiko der Spekulation freistellt und leistungsfreie Einkommen für Banken, Finanzdienstleister und Superreiche schaffe, bezeichnet er als Sozialismus für Banken und Finanzdienstleister. Die Euro-Krise sei in Wirklichkeit eine Banken-Krise, und diese Krise soll jetzt so bewältigt werden, daß die Finanzoligarchie weiterhin auf Kosten des Staates leben könne. Neben der Rettung der Banken gehe es auch darum, welches Wirtschaftsmodell sich in Europa durchsetzt: das der eher sparsamen und produktionsorientierten Nordländer oder das der eher konsumorientierten Südländer, Engländer und Amerikaner. Der sogenannte Rettungsschirm und der Kauf von Staatsanleihen, schreibt Otte, verstießen gleich gegen mehrere Artikel des EU-Vertrags. Im Falle Griechenlands seien ein Schuldenschnitt und eine geordnete Staatsinsolvenz viel besser: für Griechenland, für Europa und den Euro, für Deutschland und die Gläubigerländer ..…  Nur nicht für die Finanzoligarchie. Denn ein solcher Haircut [eine drastische Herabsetzung von Finanzwerten] erzwingt die Beteiligung privater Gläubiger. Nur wenige Bundestagsabgeordnete leisten Otte zufolge in diesem üblen Spiel Widerstand, und die  Bundesregierung scheine sogar auf allen Fronten eingeknickt zu sein. 

 

 

Legt Goldman Sachs still, nicht die Regierungen

Die unter der Führung des EZB-Vorsitzenden Jean-Claude Trichet vom 3. bis 5. September in Cernobbio/Italien versammelten Bankiers, Ökonomen und Eurokraten zogen es vor, den Bankrott des globalen Finanzsystems zu ignorieren und sich stattdessen mit Lobpreisungen der Gesundheit des Euros gegenseitig zu überbieten, die lediglich durch die leichtfertige Budgetpolitik einiger Mitgliedstaaten gefährdet sei.

 

Da die italienische Regierung den Charakter ihrer Haushaltskürzungen innerhalb von drei Wochen dreimal verändert hatte, kursierten in Cernobbio Gerüchte, daß die EZB möglicherweise keine weiteren italienischen Anleihen aufkaufen werde, wenn die Italiener nicht endlich zur Sache kämen. Tatsache ist, daß diese EZB-Käufe sowieso nicht funktionieren. Am 1.9. schlossen die  italienischen Zehn-Jahres-Anleihen trotz dieser Käufe bei 5,29 %, ein Aufschlag von 331 Basispunkten gegenüber deutschen Regierungsanleihen. Die EZB macht hierfür die unklaren Signale der Regierung Berlusconi verantwortlich. In Cernobbio hieß es, die italienische Zusage, eine Kürzung von 131 Mrd. € durchzuführen, sei unzureichend. Der frühere Vorstandschef der Unicredito, Alessandro Profumo, der davon träumt, Nachfolger Berlusconis zu werden, forderte eine Kürzung der Ausgaben um 300 bis 400 Mrd. $., während der Ökonom Robert Mundell, der als einer der Väter des Euro gilt, eine Kürzung der Renten auf nur noch 40 % des letzten Gehalts forderte, um die Märkte zu beruhigen. Tatsächlich jedoch ist der Versuch, EZB-Interventionen mit Haushaltskürzungen zu verbinden, gescheitert, denn dies hat weder in Griechenland, noch in Irland und oder in Portugal funktioniert. Als die EZB am 10. 5. 2010 begann, griechische Bonds vom Markt zu kaufen, sanken die dafür zu zahlenden Zinsen kurzfristig auf 7,7 %, aber schon 10 Wochen später waren sie wieder auf 10,43 % angestiegen. Das gleiche Muster zeigte sich in Irland und Portugal, und als Portugal am 6. April um ein Stützungspaket bat, lag die Verzinsung bei 8 %, obwohl die EZB rund 77 Mrd. Euro an portugiesischen Anleihen gekauft hatte.

 

Anstatt die Menschen und die Nationen zu opfern, sollten die Regierungen und Finanzinstitutionen das globale Finanzkasino schließen, das mit den Geldern der Zentralbanken den Kredit der Regierungen angreift, wie aus einem jetzt bekannt gewordenen Strategiepapier von Goldman Sachs vom 16. 8. hervorgeht, das an Hunderte seiner Investmentkunden verschickt worden war. Darin rät Goldman Sachs seinen Kunden, mit Derivatpapieren gegen den Euro zu wetten und auf den Schweizer Franken zu setzen, und publiziert Daten über 77 europäische Banken unter Hervorhebung der besonders wackligen Banken. Gleichzeitig hilft die Investmentbank der spanischen Regierung, ihre Bonds zu plazieren, was bedeutet, daß Goldman Sachs den Zugriff auf Gelder der Federal Reserve hat, seinen Kunden Produkte verkauft und gleichzeitig dagegen wettet. Aber diese Flitterwochen könnten schon bald vorbei sein, denn nun strengt die FHFA, die US-Wohnungsfinanzierungsbehörde auf der Grundlage einer Buchprüfung bei den staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac eine Klage gegen 17 der größten Finanzinstitute der Welt an. Die FHFA, die 2008 gegründet wurde, um die Umstrukturierung der Schulden der staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac zu überwachen, stellte im Verlauf ihrer Ermittlungen fest, daß ein Teil der riesigen Verluste dieser beiden Institute aus Hypotheken-besicherten Wertpapieren (MBS), die von den verklagten Banken gebündelt und verkauft worden waren, durch› ‹Falschdarstellungen und anderes unangemessenes Verhalten der in dieser Klage genannten Firmen und Individuen verursacht wurden..... Die FHFA behauptet, daß diese Kredite einen anderen und riskanteren Charakter hatten als in den Beschreibungen der Vermarktungs- und Werbematerialien, die Fannie Mae und Freddie Mac für diese Wertpapiere erhielten, angegeben war.Diese Klage der FHFA könnte für einige Banken, die kurz vor dem Kollaps stehen, wie etwa die Bank of America, das Aus bedeuten und dadurch eine Kettenreaktion auslösen. Das ganze System ist jetzt in einem Zustand, wo es reicht, irgendwo einen Stein herauszunehmen, um alles einstürzen zu lassen. Eine Reparatur des Systems ist unmöglich, es muß durch ein neues System auf der Grundlage des Glass-Steagall-Standards ersetzt werden.

 

 

1  Strategic Alert, Jahrgang 24, Nr. 37 vom 14. September 2011

2  http://www.faz.net/artikel/C30089/kommentar-im-parteienstaat-ist-das-keine-huerde-30682436.html   8. 9. 11   Im Parteienstaat ist das keine Hürde  - Von Georg Paul Hefty

3  Quelle: TOPIC Nr. 9 vom September 2011 resp.

Max Otte: Stoppt das Euro Desaster, ISBN 978-3-550-08896-4, 48 S., 3,99 EUR resp.

4  Strategic Alert, Jahrgang 25, Nr. 36  vom 7. September 2011