Tödliche Drohnen 20.08.2011 22:11
d.a. Die Drohnenangriffe auf Pakistan setzen sich fort, was die Zahl der dadurch getöteten Zivilisten und Taliban bedrohlich ansteigen lässt.
Noch
Anfang März letzten Jahres hatte sich Micheline Calmy-Rey für einen
effizienteren UNO-Menschenrechtsrat ausgesprochen, jedoch tritt dessen immer
wieder zu konstatierende Machtlosigkeit auch bezüglich dieser Angriffe offen zutage.
Knut Mellenthin 1 berichtete Anfang August über die vom ›Bureau of Investigative Journalism‹ in London veröffentlichte Studie, die
festhält, daß bei den illegalen Drohnenangriffen des US-Geheimdienstes CIA auf
Ziele in Pakistan, über die die CIA grundsätzlich keine Angaben macht, bisher
zwischen 385 und 775 Zivilisten getötet wurden, darunter mindestens 164 Kinder.
Der umfangreichen Studie der unabhängigen Journalistengruppe zufolge fanden
seit 2004 insgesamt 291 Drohnenangriffe statt. Die meisten dieser Einsätze,
nämlich 236, fallen bislang in die Amtszeit von Präsident Obama. Die Konsequenz hiervon wäre gemäß britischen Anwälten 2, daß »der Friedensnobelpreisträger der
internationalen Bourgeoisie, US-Präsident Barack Obama, der die ›Notwendigkeit
der illegalen Drohneneinsätze über Pakistan bekräftigt und diese ausgedehnt hat‹,
neben Rizzo auf die Anklagebank der Kriegsverbrecher muß.« John Rizzo, der
ehemaligen Chefjustitiar der CIA, der die CIA vor einem Jahr verließ, »hatte sich in einem
Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek
gerühmt, daß er es war, der 2004 juristisch grünes Licht zum Einsatz der
US-Killerdrohnen in Pakistan gegeben hat.« Die den ferngesteuerten
Flugmaschinen des Typs ›Predator‹ zum
Opfer Gefallenen »sind auf den bloßen Verdacht hin, daß unter ihnen oder in
ihrer Umgebung ein Aufständischer sein könnte, getötet worden. Laut
eigenen Angaben hat Rizzo eine ›hit
list‹, eine Liste mit Namen
von Leuten, die getötet werden sollten, juristisch abgesegnet. Daß die
Betreffenden durch einen ›Predator‹ umkamen, spiele keine Rolle, denn ›genauso gut hätte ihnen auch jemand eine
Kugel in den Kopf schießen können‹,
so Rizzo in Newsweek. Zur Rechtfertigung der Einsätze
beruft sich Rizzo auf das Recht auf Selbstverteidigung, denn die Verdächtigen
auf der Liste könnten eine Gefahr für US-Truppen im benachbarten Afghanistan
darstellen. Diese von der US-Regierung behauptete ›solide rechtliche Basis‹
ist ebenso ein juristisches Kartenhaus wie das angebliche US-Recht auf Folter.
Es hält nur, solange es niemand anzweifelt.«
›Warum der Krieg am Hindukusch noch lange währen wird‹, legt Jürgen Rose in seinem nachfolgenden Artikel dar:
›AFPAK‹,
so lautet im Jargon der Geostrategen die Bezeichnung für den Kriegsschauplatz
am Hindukusch, die auf zwei in diesem Konflikt eng mit einander verwobene
Akteure, nämlich Afghanistan und Pakistan, verweist. Weniger getrennt denn
verbunden sind diese beiden Staaten durch eine 2640 Kilometer lange Grenze,
welche mitten durch den Lebensraum von 40 Millionen Paschtunen verläuft, die entlang dieser Linie in 65 Stämmen leben.
Tagtäglich wird diese Grenze von etwa 200 000 dieser Menschen überquert. Wie die sprichwörtlichen Fische im
Wasser können sich in der Deckung dieses unaufhörlichen Menschenstroms all jene
irregulären Kombattanten, die den internationalen Besatzungstruppen im
Guerillakrieg am Hindukusch seit Jahren steigende Verluste zufügen, zwischen
ihren Operationsgebieten in Afghanistan und ihren Rückzugsräumen in Pakistan
hin- und her bewegen. Diese Konstellation bildet den Hauptgrund dafür, daß schon
US-Präsident George W. Bush Kommandoaktionen seiner Special Forces sowie
Angriffe unbemannter Kampfdrohnen auf pakistanisches Territorium anordnete.
Frisch ins Amt gelangt, ließ der in Oslo gekürte Friedensfürst Barack Obama die
aus fernab des Kriegsschauplatzes in der USA gelegenen, von unangreifbaren Gefechtsständen
gesteuerten feigen und verheerenden US-Drohnenangriffe der CIA auf Pakistan,
denen unbeteiligte Zivilisten in großer Zahl zum Opfer fallen, mit gesteigerter
Intensität fortführen. Zudem übt der Kriegsherr im Oval Office immer stärkeren
Druck auf Islamabad aus, mit der eigenen Armee die Widerstandsnester und
Ruheräume der Guerilla in den Stammesgebieten der North West Frontier Province
(NWFP) und Waziristans auszuräuchern, um den Konflikt in Afghanistan zu befrieden.
Gleichwohl
erscheint eine solche Strategie, die auf einen militärischen Sieg gegen die
Guerilla setzt, zum Scheitern verurteilt. Denn sie ignoriert fundamentale
Parameter, welche die pakistanische Politik determinieren. Hierzu zählt vor
allem die unhaltbare strategische Zwangslage, in der Pakistan sich zwischen
Afghanistan im Westen und Indien im Osten gefangen sieht; ›AFPAKIND‹ lautet
demnach das weitaus zutreffendere Akronym für die realexistierende
Konfliktkonstellation. Dieses ›Sandwich-Dilemma‹ resultiert aus dem existentiellen Konflikt, in dem sich Pakistan
seit seiner Gründung mit der nuklearen Großmacht
Indien befindet und dessen sichtbarsten Ausdruck der in drei Kriegen
ausgetragene, indes weiterhin ungelöst schwelende Streit um Kaschmir bildet. Aus
Sicht der pakistanischen Generalität, die ihr Land an seiner Ostfront ohnehin
einer permanenten Bedrohung ausgesetzt sieht, muß
das in den letzten Jahren intensivierte indische Engagement in Afghanistan
alarmierend wirken. Dort, sozusagen im Rücken Pakistans, spannte Indien nämlich
nicht nur ein Netzwerk von Residenzen seines Geheimdienstes RAW auf, die
offiziell als ›Konsulate‹ und ›‹Information Center‹
firmieren. Von dort aus werden unter anderem separatistische
Aufständische in der pakistanischen Provinz Belutschistan unterstützt und
Angriffe auf Ziele in Pakistan gesteuert. Darüber hinaus läßt Delhi seine
Militärberater auch die afghanischen Streitkräfte (ANA) ausbilden und
investiert zudem bemerkenswerte Summen in den Wiederaufbau und die Entwicklung
des zentralasiatischen Landes. So kooperiert Indien vornehmlich mit jenen
Kräften der Nordallianz, welche die USA 2001 an die Macht gebombt und dabei
zugleich das vom pakistanischen Geheimdienst ›Inter Services Intelligence‹
(ISI) und dem Militär unterstützte paschtunische Taliban-Regime
beseitigt hatten; letzteres fungierte bekanntlich als Sachwalter der
strategischen Interessen Pakistans. Es rmag daher nicht verwundern, daß Islamabad das zunehmend mit Indien verbandelte
Regime in Kabul mit dem Aufbau einer ›Westfront‹ zur Unterstützung des Terrorismus jenseits der Grenze in Pakistan assoziiert und
als feindselig einstuft. Die daraus entspringende erstrangige Bedrohung seiner
strategischen Interessen resultiert zwangsläufig darin, daß das pakistanische Militär mit Hilfe des Geheimdienstes
ISI getreu der Devise ›Der Feind
meines Feindes ist mein Freund‹ den
afghanischen Widerstand weiterhin nach Kräften unterstützt. Der renommierte
US-Analyst Robert D. Blackwill merkte hierzu in einem Beitrag für Foreign Affairs kürzlich an: »Das pakistanische
Militär, durch sein Feindbild Indien und den Drang nach strategischer Tiefe
beherrscht, wird weder aufhören, die viele Jahre als seine Interessenwahrer
fungierenden afghanischen Taliban zu unterstützen und ihnen ein Sanktuarium zu
bieten, noch ein wirklich unabhängiges Afghanistan akzeptieren.« Dieser Widerstand,
der vorwiegend aus den Taliban, dem Haqqani-Netzwerk und den Kämpfern Gulbuddin
Hekmatyars gebildet wird, rekrutiert sich vor allem aus den beiderseits der
afghanisch-pakistanischen Grenze beheimateten Paschtunen. Hinter vorgehaltener
Hand räumen pakistanische Militärs unumwunden ein, daß
man natürlich mit diesen Gruppierungen zusammenarbeite, denn man brauche in
Afghanistan Verbündete, auf die man sich verlassen könne.
Aus der Sicht
Islamabads besteht das Fatale dieser Konstellation indessen darin, daß es einerseits den Kampf der afghanischen
Widerständler gegen die internationalen Besatzungstruppen unterstützen muß, bis diese endlich abziehen, damit in Kabul wieder
jene Kräfte an die Macht gelangen können, die für ein Bündnis gegen Indien
taugen. Der ehemalige ISI-Chef Generalleutnant Asad M. Durrani gab
diesbezüglich in einem mit dem Autor geführten Interview zu Protokoll: »Natürlich
versucht man, mit allen Kräften des Widerstandes und insbesondere mit den
Taliban, seit diese 1995 in Afghanistan an die Macht gekommen waren, Kontakt zu halten. Persönlich aber wäre ich sehr
dankbar dafür, wenn der ISI den afghanischen Widerstand unterstützen würde.
Denn nur wenn der afghanische Widerstand, die sogenannten neuen Taliban, das sind
nicht die Mullah-Omar-Taliban, stark genug bleibt, nur dann existiert eine
Möglichkeit, daß sich die fremden Truppen aus
Afghanistan zurückziehen; andernfalls bleiben sie dort. […] Auch wenn das seit
2001 nicht mehr der offiziellen Haltung der pakistanischen Regierung
entspricht, so führen die Taliban in Afghanistan, die gegen die Besatzung
Selbstverteidigung üben, meiner Meinung nach unseren Krieg, und zwar in dem
Sinne, daß, wenn sie Erfolg haben, die fremden
Truppen abziehen. Wenn sie aber scheitern und wenn Afghanistan unter
Fremdherrschaft bleibt, werden wir weiter Probleme haben. Wenn sich die NATO,
die stärkste Militärmacht der Welt, wegen ökonomischer und geopolitischer
Interessen, denken Sie an das sogenannte ›New
Great Game‹, praktisch an der pakistanischen Grenze festsetzt, dann erzeugt
das in Pakistan enormes Unbehagen.« Andererseits
jedoch sehen sich die pakistanischen Streitkräfte, um noch umfassendere
militärische Interventionen der US-Streitkräfte auf pakistanischem Territorium,
als sie Drohnenkrieg und Kommandoaktionen der Special Forces derzeit ohnehin
schon darstellen, zu verhindern, als Verbündete der USA im sogenannten Krieg
gegen den Terror gezwungen, immer wieder auch selbst militärisch gegen die
irregulären Kämpfer vorzugehen.
Dieses
Konfliktgemenge bietet die tödliche Gewähr dafür, daß
der Krieg am Hindukusch so lange weitertoben wird, wie die westlichen
Besatzungstruppen im Lande bleiben und der existentielle
pakistanisch-indische Konflikt nicht gelöst wird, wobei letzteres freilich auch
nicht unbedingt im vorbehaltlosen Interesse der pakistanischen Generalität
liegt, da ein Frieden mit Indien deren traditionelle Vorherrschaft in Staat und
Gesellschaft einem nachhaltigen Legitimationsdruck aussetzen sowie
die üppig sprudelnde Rüstungshilfe seitens des US-Verbündeten gefährden würde.
Auf Grund dieser Tiefengrundierung wird auch der als großer politischer Erfolg der Obama-Administration bejubelte
Lynchmord am Terroristenchef Usama bin Ladin den Afghanistan-Krieg nur marginal
beeinflussen, zumal die Besatzungspolitik der ›einzigen Supermacht‹
auf Grund ihrer langfristigen geostrategischen und geo-ökonomischen
Interessenlage in Zentralasien aller Truppenabzugsrhetorik zum Trotz ohnehin auf unbegrenzte Dauer angelegt ist.
Alles spricht demnach dafür, daß am fernen
Hindukusch auch in den kommenden Jahren weiterhin gründlich krepiert und
tüchtig gemordet werden darf - unter vasallentreuer Beteiligung der Bundeswehr,
versteht sich.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=295
Zeit-Fragen 2011 Nr. 28 vom 11.7.2011
Pakistans Alptraum
1 http://www.jungewelt.de/2011/08-12/036.php
12. 8. 11
Tödliche
Drohnen - Britische Journalisten veröffentlichen Untersuchung über Geheimkrieg
der CIA in Nordwestpakistan - Von Knut Mellenthin
2 http://www.jungewelt.de/2011/07-20/048.php 20. 7. 11
Mordjurist des Tages: John Rizzo
Britische
Menschenrechtsanwälte und Pakistan haben den ehemaligen Chefjustitiar der CIA
John Rizzo der Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt und versuchen,
einen internationalen Haftbefehl gegen ihn zu erwirken
3 Afghanistan, Pakistan, Indien:
Warum der Krieg am Hindukusch noch lange währen wird -
von Jürgen
Rose
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