Prof. Dr. Wilhelm Hankel - »Ein Europäischer Marshall-Plan«

Zurück zu nationalen Währungen und einem europäischen Wechselkursverbund

 

Die Krisenlüge und andere volkswirtschaftliche Märchen: Wie es mit dem Euro weitergeht

 

Ein Brief an Freunde, Mitstreiter und kritische Bürger

Nicht nur in die Krise kommt Bewegung, auch in das Krisenmanagement. Die offiziellen Euro-Retter betreiben noch immer einen doppelten Etikettenschwindel. Nicht der Euro steckt in der Krise, sondern die Staaten, die ihm schaden (wie Griechenland, Portugal, Irland und demnächst noch andere). Und dieser Schaden ist  mit Geld und noch mehr Geld nicht zu beheben. Denn erstens kommt dieses Geld bei den Staaten, die sich selber in die Schuldenfalle manövriert haben, nicht an. Es bleibt bei  den Banken hängen und soll diese vor ihren selbstverschuldeten Verlusten retten. Und zweitens, selbst wenn dieses Geld bei den Staaten ankäme und dazu beitrüge, daß sie ihre Rückzahlungen strecken oder zeitweise aussetzen könnten (was unsere Bundesregierung für eine faire Lösung hält), wäre auch dieser Heilsplan nur ein Schlag ins Wasser. Weder garantiert er, daß sich nach der Entschuldung die Verhältnisse (und die Politik) in diesen Ländern ändern. Noch setzt er am Kern des Problems an. Denn letztlich können sich die auf Grund gelaufenen Euro-Staaten nur durch eines aus der ihnen drohenden Havarie befreien: energische Selbst-Hilfe. Es muß mehr, härter und effizienter gearbeitet werden, damit ein höheres Wirtschaftswachstum und Exporterfolge erzielt werden können. Und die Finanzpolitiker dieser Länder müssen lernen, daß  Staatsausgaben aus Steuern zu finanzieren sind und nicht aus wachsender Verschuldung, noch dazu bei ausländischen Banken.

 

Doch dieses Konzept läßt sich nicht durch das mit der Euro-Rettung verknüpfte Kaputt-Sparen ihrer Volkswirtschaften erreichen. Die Länder und ihre Volkswirtschaften müssen sich von Grund auf modernisieren. Hier offenbart sich das katastrophale Versagen der EU, ihrer Organe und ihres ebenso rat- wie hilflosen Krisenmanagements. Statt aus rückständigen Fast-Noch-Entwicklungsländern leistungsstarke Industrie-, High-Tech- und Dienstleistungsgesellschaften zu machen, hat man diese mit dem durch die Währungsunion für sie verbilligten Euro dazu verführt, sich bis zur Halskrause und darüber zu verschulden. Statt der Währungsunion hätte man diesen Ländern Hilfe zur Selbsthilfe anbieten müssen, Anreize zu mehr Investitionen und weniger Konsum - und staatliche Misswirtschaft, wo immer sie sich zeigte, bestrafen müssen. Ein Europäischer Marshall-Plan, eine Aufbau-, Investitions- und Entwicklungs-Hilfe, wie sie die heutigen EU-Länder und auch wir Deutsche nach 1945 von der (damals großzügigen) USA erhalten haben, hätte den Europäern das Desaster mit der Währungsunion erspart!

 

Aber auch nachdem es eingetreten ist, ist es noch nicht zu spät. Die Hunderte von Milliarden Euro, die jetzt der Finanzwirtschaft (zur Verschönerung von deren Bilanzen!) zufließen und die letztlich beim Steuerzahler eingetrieben werden müssen - spätestens dann, wenn sich zeigt, daß die Schuldenstaaten ihre bereits gestreckten Schulden nicht zurückzahlen können - könnten im Realsektor ihrer Volkswirtschaften wahre Wirtschaftswunder auslösen, so wie bei uns nach 1948, nach Einführung der D-Mark. Es gibt nur eine konstruktive und auf Dauer angelegte Lösung der Euro-Krise: Die überschuldeten Problemstaaten der Eurozone kehren zu ihren alten nationalen Währungen zurück, werten diese im Ausmaß ihrer inflatorischen Binnenentwertung ab und erhalten von den neugeschaffenen EU-Organen der Euro-Rettung (EFSF, ESM) eine dem alten Marshall-Plan nachgebildete Reformhilfe: zinsgünstige Kredite für den Aufbau leistungsfähiger Wirtschaftsstrukturen in Industrie, Infrastruktur und Dienstleistungssektor. Beides: Abwertung der Währung und Investitionshilfe für die Wirtschaft machen aus notleidenden und die Währung bedrohenden Sanierungsfällen wettbewerbstüchtige Partner - und Konkurrenten. Mit nationaler Währung löst sich auch das Problem der Um- und Entschuldung, nicht von selbst, aber durch Verhandlung mit den Gläubigerbanken. Diese wissen aus Erfahrung mit früheren Verhandlungen dieser Art: Schuldner mit eigener Währung haben die besseren Karten. Sie können als monetär (wieder) souveräne Staaten ihren Gläubigern entweder eine schiedlich-friedliche Vergleichslösung anbieten oder einen Stopp für Auslandszahlungen androhen. Die lange Geschichte drohender Staatsbankrotte zeigt, daß die Auslandsgläubiger - sogar freiwillig - die Vergleichslösung vorziehen, und seit es sie gibt, dafür sogar auf die Moderation durch den IWF zählen können.

 

Wirtschafts- und Währungskrisen sind keine Naturkatastrophen. Mit Vernunft und Sachkunde lassen sie sich lösen. Und was wird aus dem Euro? Als Geld im Portemonnaie und auf der Bank ginge er uns zwar  verloren, bliebe uns jedoch in dem daraus entstehenden Wechselkursverbund der europäischen Zentralbanken - analog zum EWS des Jahres 1979 - als neuer ECU (Recheneinheit für Wechselkursberechnung und Inter-Zentralbankverkehr) erhalten, als ein Erinnerungsposten an ein verfehltes, doch rechtzeitig abgebrochenes Währungsexperiment.

 

Ihr Wilhelm Hankel

Königswinter, den 17. Juni 2011

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel