Der Iran - alte Behauptungen neu aufgelegt 13.06.2011 22:47
Einer Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni zufolge verschärft die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ihren Ton gegenüber dem Iran.
»Generaldirektor Yukiya Amano sagte zum Auftakt einer Sitzung des
Gouverneursrats der Behörde am Montag in Wien, die IAEA habe Informationen
erhalten, die darauf hindeuteten, daß das iranische
Atomprogramm entgegen der Behauptungen aus Teheran wahrscheinlich eine
militärische Dimension habe. ›Die mit einer möglichen militärischen Dimension verbundenen Aktivitäten
scheinen bis vor kurzem angedauert zu haben‹, sagte Amano. Er teilte nicht mit, woher die Informationen stammten. Die
IAEA verfügt nicht über eigene geheimdienstliche Erkenntnisse, sondern bekommt
solche von Mitgliedstaaten zugespielt, wenn es diesen opportun erscheint. Das
gibt häufig Anlaß zum Streit im Wiener
Gouverneursrat, weil sich Länder wie der Iran oder Syrien beschweren, daß sich die UN-Behörde zum Spielball westlicher Mächte mache. Bisher hatte
sich die IAEA zurückhaltender geäußert. Meist hieß es, der Iran arbeite nicht
hinreichend genug mit der IAEA zusammen, um dieser die Möglichkeit zu geben,
eine militärische Dimension seines Atomprogramms auszuschließen. Der
UN-Sicherheitsrat ist jedoch überzeugt davon, daß
der Iran heimlich militärische Absichten hegt, und hat deshalb Sanktionen gegen
das Land verhängt. In seinem Bericht an die Mitglieder des Gouverneursrats hat
Amano ausgeführt, die neuen Erkenntnisse bezögen sich auch auf die Entwicklung
eines atomaren Sprengkopfes für eine Rakete.« 1
Im
Zusammenhang mit den gegen den Iran erneut erhobenen Anschuldigungen haben nun Paul von Maltzahn, Richard Dalton, Steen Hohwü-Christensen, Guillaume
Metten, François Nicoullaud und Roberto Toscano die folgende Erklärung
abgegeben 2:
Raus
aus der Sackgasse
Wir sind zur selben Zeit Botschafter im Iran
gewesen. Wir haben die Entwicklung der Krise zwischen dem Iran und der
internationalen Gemeinschaft wegen des Nukleardossiers aus nächster Nähe
verfolgt. Wir halten es für unhaltbar, daß die
Nuklearverhandlungen immer noch in einer Sackgasse stecken. Die arabische Welt
und der Nahe Osten treten in eine neue Phase ein. Überall zeichnen sich neue
Perspektiven ab. Das bietet Gelegenheit, etablierte Positionen neu zu
überdenken - auch in der iranischen Nuklearfrage. Die Position, die Europa und
Amerika vertreten, beruht auf einer Reihe von Resolutionen des
Sicherheitsrates, die sich auf Kapitel VII der UN-Charta beziehen, die im Falle
von ›Bedrohungen für den Frieden‹ Zwangsmaßnahmen erlauben.
Aber worin besteht die Bedrohung? Ist es die
Anreicherung von Uran in iranischen Zentrifugen? Das ist gewiß
eine sensitive Aktivität eines sensitiven Staates in einer sensitiven Region. Die
Bedenken der internationalen Gemeinschaft sind legitim. Der Iran ist nicht nur
moralisch verpflichtet, sondern sollte auch aus politischer Notwendigkeit auf
diese Bedenken eingehen. Jedoch grundsätzlich verbietet nichts im
internationalen Recht und im Nichtverbreitungsvertrag (NVV) die Anreicherung
von Uran. Außer dem Iran reichern
mehrere andere Staaten Uran an, ohne daß sie beschuldigt werden, ›den Frieden zu bedrohen‹. Überdies unterliegt die
Anreicherungsaktivität im Iran den Inspektionen der IAEA. Es stimmt, daß
diese Inspektionen durch ein überholtes Abkommen eingeschränkt sind. Aber es
stimmt auch, daß die IAEA nie einen Versuch, angereichertes
Material für militärische Zwecke abzuzweigen, aufgedeckt hat.
Ist die ›Bedrohung
des Friedens‹ in einem aktiven, geheimen Programm zum Bau von Nuklearwaffen enthalten?
Seit mehr als drei Jahren haben die amerikanischen Nachrichtendienste diese
Hypothese nicht mehr aufrechterhalten. James Clapper, der an deren Spitze
steht, hat im vergangenen Februar vor dem Kongreß ausgesagt: »Wir
gehen weiterhin davon aus, daß der Iran sich die Option vorbehält,
nukleare Waffen zu produzieren. .... Wir wissen aber nicht, ob sich der Iran
letztendlich dazu entschließen wird. ..... Wir sind weiterhin der Meinung, daß
Irans nuklearer Entscheidungsprozeß von einem
Kosten-/Nutzen-Ansatz geleitet wird. Dies bietet der internationalen
Gemeinschaft Ansätze, Einfluß auf den Iran zu nehmen.« Heute scheint die Mehrheit der Fachleute der
Meinung zu sein, daß der Iran danach strebt, ein ›Schwellenstaat‹ zu werden, der technisch
in der Lage ist, Nuklearwaffen zu produzieren, aber einstweilen davon absieht.
Wir können dies bedauern, jedoch verbietet nichts im internationalen Recht eine
solche Absicht.
Es wird oft behauptet, daß Irans böser Wille, seine Weigerung, sich auf
ernsthafte Verhandlungen einzulassen, unseren Staaten nur die Wahl gelassen
haben, den Iran vor den Sicherheitsrat zu zitieren. Hier liegen die Dinge auch
nicht so einfach. Der Iran war im Jahr 2005 bereit, über eine Begrenzung der
Zahl der Zentrifugen zu diskutieren und den Anreicherungsgrad weit unter der
für militärische Zwecke notwendigen Grenze zu halten. Vor allem aber erklärte
sich der Iran bereit, das Zusatzprotokoll mit der IAEA, das eingehende
Inspektionen, auch in nicht deklarierten Anlagen erlaubt, anzuwenden. Damals
wollten Europäer und Amerikaner den Iran dazu zwingen, sein
Anreicherungsprogramm aufzugeben. Zumindest aus der Sicht der Iraner zielt das
Beharren des Sicherheitsrats auf Suspendierung aller iranischen
Anreicherungsaktivitäten immer noch in diese Richtung. Bevor wir den Iran
beschuldigen, Verhandlungen hinauszuzögern, sollten wir zugeben, daß
die Formel ›null Zentrifugen im Iran‹ ein unrealistisches Ziel ist.
Aber warum sollte man dem iranischen Regime einen Ansatz bieten, seine
nationale und internationale Legitimität wiederherzustellen? Sollten wir nicht
lieber auf einen akzeptableren Nachfolger warten? Auf der anderen Seite nannte
Ronald Reagan die Sowjetunion das ›Reich des Bösen‹. Das hielt ihn aber nicht davon ab, intensiv mit Michael Gorbatschow über
atomare Abrüstung zu verhandeln. Die fünf permanenten Mitglieder des
Sicherheitsrats und Deutschland (P5+1) sollten zwar gewiß
den Druck in Sachen Menschenrechte aufrechterhalten, aber auch versuchen, ein
frustrierendes und immer noch dringendes Proliferationsproblem zu lösen. Damit
würden wir einen ernsthaften Grund für Spannungen in einer Region reduzieren,
die sich mehr als je zu vor nach Ruhe sehnt.
Das Scheitern der Verhandlungsrunde in Istanbul und der letzte enttäuschende
Briefaustausch zwischen den Parteien zeigen, daß es nicht einfach
sein wird, den gegenwärtigen toten Punkt zu überwinden. Je diskreter und
fachspezifischer die Verhandlungen verlaufen, desto größer sind die
Erfolgsaussichten. Und in der Substanz kommt es darauf an, daß
jede Lösung auf der Qualität des Inspektionssystems der IAEA aufbauen muß.
Tatsächlich könnte der erste Schritt für die beiden Parteien darin bestehen,
die IAEA zu fragen, welche zusätzlichen Instrumente erforderlich sind, um das
iranische Atomprogramm erfolgreich zu überwachen und glaubhaft sicherzustellen,
daß es in jeder Hinsicht friedlichen Zwecken dient. Auf der Basis der darauf
gegebenen Antwort könnten pragmatische Verhandlungen aufgenommen werden.
1 F.A.Z. Nr. 132 vom 8. 6. 2011; IAEA verschärft Ton gegen Iran
2 F.A.Z. Nr. 134 vom 10. 6. 2011; Fremde Federn Raus aus der Sackgasse
Die Verfasser Paul von Maltzahn (Deutschland), Richard Dalton (Großbritannien),
Steen Hohwü-Christensen (Schweden), Guillaume Metten (Belgien), François
Nicoullaud (Frankreich), Roberto Toscano (Italien) waren Botschafter in
Teheran.
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