Jemen 13.06.2011 22:44
In seiner Grundsatzrede, die er Mitte Mai dieses Jahres hielt, war Obama mit den Diktatoren der arabischen Welt bekanntlich hart ins Gericht gegangen.
So
hatte er u.a. von Jemens Staatschef Ali Abdullah Salih eine Umsetzung seiner
Zusage zu einer Machtübergabe gefordert 1.
Nun steht mit diesem Land im arabischen Mittleren Osten erneut ein Partnerregime
Berlins und des Westens vor dem Sturz. Seit einem Massaker der
Repressionsapparate am 18. 3. 11 sagen sich Politiker und Diplomaten von der
Regierung los, die Armee ist gespalten, was sich in ersten Gefechten zwischen
loyalen und rebellierenden Truppenteilen manifestiert hat. Der Jemen, ein seit
Jahrzehnten für Folter bekanntes Regime, besitzt für Berlin große
geostrategische Bedeutung: Entlang seiner Küsten führen bedeutende
Seehandelswege nach Ostasien sowie in den Persischen Golf. Auch ist er
Schauplatz westlicher Gewaltmaßnahmen, die sich gegen islamistische Kräfte
richten: Aus Afghanistan-Rückkehrern, die in den 1980er Jahren an der Seite des
Westens am Hindukusch gegen die Sowjetunion kämpften, haben sich antiwestliche
Kräfte entwickelt, die heute Ziel US-amerikanischer Raketen- und
Drohnenattacken sind. Zur Stabilisierung des Regimes unterstützt die Bundesrepublik
seit Jahrzehnten Polizei und Militär des Landes mit Ausrüstung und
Trainingsmaßnahmen. Schon vor Jahren wurden auch Schußwaffen und Munition
geliefert, die in Sanaa zum Einsatz kommen können 2.
Favoritentausch
Nach
den Spekulationen des Berliner Verteidigungsministers über eine mögliche
Intervention der Bundeswehr im Jemen, so GFP 3, spitzt sich die Lage in dem Land weiter zu. Zwar
hofft der Westen, die Situation nach der Ausreise des Staatspräsidenten Ali
Abdullah Salih mit Hilfe Saudi-Arabiens stabilisieren zu können. Salih war
lange Zeit vom Westen in Sanaa an der Macht gehalten worden, hatte die
Unterstützung aber zuletzt verloren - es gelang ihm nicht mehr, den Jemen unter
Kontrolle zu halten, was für den Westen jedoch aus geostrategischen Erwägungen
wichtig ist. Enge Verwandte Salihs, denen Spezialeinheiten des Militärs
unterstehen, befinden sich allerdings nach wie vor im Land; schwere bewaffnete
Auseinandersetzungen halten an. Beobachter ziehen inzwischen Vergleiche
zwischen dem Jemen und Afghanistan. Großbritannien hat bereits Truppen in
Stellung gebracht, angeblich mit dem Ziel, im Notfall britische Staatsbürger
evakuieren zu können. Auch die deutsche Kriegsmarine kreuzt unweit des Jemen -
am Horn von Afrika. Käme es zum Bürgerkrieg in dem Land, dann stünden Truppen
Salihs, des alten westlichen Parteigängers, den Milizen eines Clans gegenüber,
den der Westen inzwischen zum neuen Favoriten auszuwählen scheint. Zahlreiche deutsche
Waffen sind in den vergangenen Jahren in den Jemen geliefert worden; Militärs
wurden durch deutsche Soldaten trainiert. Die Bundeswehr ist darüber hinaus
nicht nur an der jemenitischen Küste mit Marineschiffen präsent, sondern auch
mit einer ›Beratergruppe‹ in der Hauptstadt Sanaa.
Strategisch
wichtig
Die
Kontrolle über den Jemen nimmt in den strategischen Konzeptionen des Westens
einen hohen Stellenwert ein. Das Land liegt auf dem Weg aus dem Indischen Ozean
in Richtung Suezkanal; die jemenitische Küste muß streifen, wer - aus Ostasien
oder auch aus dem Mittleren Osten kommend, - per Schiff die EU erreichen will.
Das trifft auf große Teile der europäischen Handelsschifffahrt zu, aber auch
auf Kriegsschiffe der NATO-Marinen, die von europäischen Gefilden aus
regelmäßig in die Einsatzgebiete am Horn von Afrika oder in den Persischen Golf
fahren. Dementsprechend legt der Westen seit je erheblichen Wert darauf, in
Sanaa nichts aus dem Ruder laufen zu lassen. Bisher hat Staatspräsident
Salih Stellvertreterfunktionen für den Westen ausgeübt und sich dabei auch für
den sogenannten Anti-Terror-Kampf zur Verfügung gestellt 4. Jetzt allerdings hat er die Kontrolle über das Land
verloren. Ursache sind nicht so sehr die Massendemonstrationen junger Menschen,
die schon seit Januar Salihs Rücktritt fordern, sondern vielmehr Differenzen in
den jemenitischen Eliten, die sich über den Nachfolger des alternden
Staatspräsidenten streiten. Mit Salih, der einen Verwandten ins Amt hieven
will, rivalisiert seit geraumer Zeit der mächtige al Ahmar-Clan. Salihs
Unvermögen, die Massendemonstrationen zu befrieden, hat den al Ahmar-Clan
mittlerweile dazu veranlaßt, die Schwäche des Rivalen zu nutzen und den offenen
Aufstand zu wagen.
Fallengelassen
Der
Westen hätte gegen eine Machtübergabe an den al Ahmar-Clan prinzipiell nichts
einzuwenden. Der Clan steht dem saudischen Herrscherhaus der al Saud nahe, das
sich als loyaler Statthalter des Westens in den mittelöstlichen
Ressourcengebieten bewährt. Riad hat mehrfach versucht, Salih zu einem
Amtsverzicht und raschen Neuwahlen zu bewegen, bei denen dem al Ahmar-Clan
aufgrund seiner Größe eine Mehrheit in Aussicht stünde. Da Salih das Land nicht
mehr kontrolliert, hat ihm der Westen seine bisherige Unterstützung entzogen.
Wiederholt hat der deutsche Außenminister inzwischen verlangt, Salih solle zurücktreten.
Als Begründung nennt Berlin stets die gravierenden Menschenrechtsverletzungen,
welche die staatlichen Repressionsapparate bei ihrem Kampf gegen die
Protestdemonstrationen begangen haben. Das läßt erneut den Willkürcharakter der
deutschen Menschenrechtspolitik erkennen: Die schon lange von
Menschenrechtsorganisationen beklagte brutale Repression des Salih-Regimes hatte
in den Jahren zuvor seitens der Bundesrepublik keine Proteste ausgelöst. Es ist
zu bezweifeln, daß Salih, der nach dem auf ihn verübten Attentat nach
Saudi-Arabien ausgeflogen worden war, und sich geweigert hatte, vor seiner
Ausreise eine Rücktrittserklärung zu unterzeichnen, wie dies unter anderem der
US-Botschafter in Sanaa verlangt hatte, von Riad die Erlaubnis zur Rückkehr in
den Jemen erhalten wird.
Spezialtruppen
Die
Lage wird durch die vielfältigen Relikte der bisherigen westlichen Einflußpolitik
im Jemen erheblich verkompliziert. So haben etwa die USA und die Bundesrepublik
den Jemen während der vergangenen Jahre kräftig aufgerüstet und militärische
Aufbauarbeit geleistet. US-Ausbilder waren in Sanaa im Einsatz, die
Bundeswehr unterhält dort eine ›Beratergruppe‹. Über die US-Aktivitäten berichtet
der Berliner Mittelostexperte Guido Steinberg, ehedem Mitarbeiter im
Bundeskanzleramt, Washington habe seit 2008 Spezialtruppen trainiert, die im
sogenannten Anti-Terror-Kampf genutzt wurden. Salih habe diese Einheiten
allerdings angesichts der brüchigen Machtverhältnisse in Sanaa einem seiner Söhne
unterstellt. Nun, da es ihm ›um den Schutz
seines Regimes‹ gehe, würden die
Spezialtruppen ›tatsächlich zu
Präsident Salihs Schutz in Sanaa eingesetzt‹.
5 Salihs Söhne sowie
weitere enge Verwandte, die Befehlspositionen im Militär innehaben, sind nicht
mit ihm nach Riad ausgereist und stehen für einen Bürgerkrieg bereit. Ihr
Gegner wäre nach Lage der Dinge der al Ahmar-Clan - die möglicherweise neuen
Favoriten des Westens.
Sollte
es zum Bürgerkrieg kommen, dann stünden zumindest einer der beiden
Kriegsparteien auch deutsche Waffen zur Verfügung. Bekannt ist, daß Berlin in
den Jahren 2000 und 2001 den Verkauf von Schußwaffen, Munition und Fallschirmen
im Wert von rund 3,5 Millionen € genehmigte. Von 2004 bis 2008 folgten
Genehmigungen im Wert von gut 9 Millionen € für Fallschirme, Geländewagen und
Panzertransporter. 6 Auch
erhielten jemenitische Militärs sogenannte
Ausbildungshilfe durch die Bundeswehr. Spätestens seit dem Jahr 2000 findet
diese mit großer Regelmäßigkeit statt. Sie kommt nicht nur Sanitätern, sondern
auch Offiziersanwärtern und Bataillonskommandeuren (Panzertruppe, Logistik)
zugute; mehrfach nahmen jemenitische Militärs an der internationalen
Generalstabsausbildung der Bundeswehr teil. 7 Im Falle eines
Bürgerkriegs käme noch hinzu, daß auch jemenitische Polizisten seit 2005 durch
deutsche Polizeikräfte geschult wurden. Auch ihnen stehen deutsche
Gerätschaften zur Verfügung: Sie wurden mit Einsatz- und Kommunikationsmitteln
aus der Bundesrepublik versorgt. 8
Intervention
Daß
Saudi-Arabien in dieser höchst diffizilen Lage Ordnungstätigkeiten im Jemen
übernimmt und nicht nur Verhandlungslösungen sucht, sondern auch Präsident
Salih außer Landes gebracht hat, ist für den Westen äußerst nützlich: Die
saudische Einmischung wird in Sanaa noch eher akzeptiert als Interventionen aus
Washington oder Berlin. Da sich die Lage im Jemen jedoch dramatisch zuspitzt,
wird mittlerweile trotzdem immer lauter über einen westlichen Militäreinsatz
dort diskutiert.
Erst
vor kurzem hat der deutsche Verteidigungsminister eine Intervention der Bundeswehr
in dem Land nicht ausgeschlossen. 9 Britische Spezialeinheiten halten sich
inzwischen für einen Eingriff bereit, angeblich, um Staatsbürger
Großbritanniens und eventuell auch anderer EU-Länder zu evakuieren. In
Washington wird zwar, ebenso wie in Libyen, der Einsatz von Bodentruppen zur
Zeit abgelehnt, doch haben die US-Streitkräfte schon in der Vergangenheit
Raketen- und Drohnenangriffe auf den Jemen ausgeführt. Versänken dort der alte
und die neuen Favoriten des Westens im Bürgerkrieg, dann wären beide Flanken
der sehr wichtigen Zufahrt aus dem Indischen Ozean in den Suezkanal - dem Jemen
gegenüber liegt Somalia - gänzlich außer Kontrolle. Einen solchen Zustand wird
der immer stärker vom Ostasiengeschäft abhängige Westen kaum hinnehmen, will er
einen Verlust an Macht und Einfluß vermeiden. Dies gilt ohne Abstriche auch für
Berlin.
1 http://www.welt.de/politik/ausland/article13382739/Praesident-Obama-rechnet-mit-arabischen-Diktatoren-ab.html 19. 5. 11
2 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58036 25. 3. 11
Jemen
- Die Folgen der Repression
3 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58083 8. 6. 11
Favoritentausch
4 s. dazu »Die neue
Front und Die neue Front« (II)
5 »Im Jemen hat al-Qaida
keine Option, sich einer größeren Aufstandsbewegung anzuschließen«; www.swp-berlin.org 06.04.2011
6 s. dazu »Die Folgen der Repression«
7 Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen,
Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE. Deutscher Bundestag Drucksache 17/5430 vom 26.04.2011
8 s. dazu »Die Folgen
der Repression«
9 s. dazu »Clausewitz
reloaded«
Siehe auch in
http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1400 10. 1. 2010-01-12
Zur Zusammenarbeit mit den Repressionsapparaten des
Jemens
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