Ulrich Schlüer - Wer organisiert die Rückschaffung der Illegalen? Drei Monate sind vorbei!

Seit Monaten strömen Tunesier, unechte Flüchtlinge aus einem Land, in dem ein Befreiungs-Coup alle Fluchtgründe beseitigt hat, nach Italien.

Dort erhalten sie Touristenvisa, die ihnen für drei Monate volle Bewegungsfreiheit in ganz Europa sichern. Italien erreicht mit dieser Visa-Erteilung die rasche Durchschleusung dieser illegalen Einwanderer in alle dem Schengen-Vertrag angeschlossenen Staaten. Damit verletzt Italien das Dublin-Abkommen der Europäischen Union aufs schwerste. Mit diesem auch von Italien unterzeichneten Abkommen verpflichteten sich die EU-Staaten untereinander, dass jenes EU-Land, das von einem Asylsuchenden als erstes betreten wird, für die Registrierung des Neuankömmlings verantwortlich ist. Der Registrierung hat gemäss Dublin-Abkommen die Prüfung des Asylantrags zu folgen. Fehlen Asylgründe, muss der Gesuchsteller als illegaler Einwanderer zwingend in sein Herkunftsland zurückgeschafft werden. So beschloss es die EU. Dazu verpflichtete sich auch Italien, ohne je auch nur im entferntesten daran zu denken, das Unterzeichnete auch vertragskonform umzusetzen.

 

Nagelprobe

Dass Italien zu keinem Zeitpunkt gewillt war, den Dublin-Vertrag einzuhalten, beweist es mit seiner Massenerteilung von Touristenvisa an Tausende mit voller Absicht nicht registrierter illegaler Einwanderer aus Nordafrika, vorderhand vor allem aus Tunesien - wo der Diktator hinweggefegt wurde und wo jetzt ein freiheitlicher Staat aufgebaut wird. Die Schweiz ist Hauptleidtragende der fortgesetzten Verstösse Italiens gegen das Dublin-Abkommen. Rund 600 Aufgriffe illegaler Einwanderer gelangten dem Schweizer Grenzwachtkorps innerhalb der letzten 30 Tage an der Tessiner Grenze zu Italien. Etwa 250 der Aufgegriffenen wurden umgehend nach Italien rücküberstellt. Alle übrigen seien als Asylsuchende registriert worden, sagt Bundesbern. Das, was Italien unter vorsätzlichem Vertragsbruch unterlassen hat, übernimmt also die Schweiz, obwohl sie - ganz klar kein «Erst-Asylland» für die Ankömmlinge - gar nicht dazu verpflichtet wäre. Berlusconi reibt sich vergnügt die Hände: Sein vorsätzlicher Vertragsbruch bewirkt, dass der Schwarze Peter der Schweiz zufällt.

 

Frankreich - gegenüber dem vertragsbrüchigen Italien in gleicher Situation wie die Schweiz - handelt anders: Präsident Sarkozy hat kurzerhand den Zugverkehr zwischen Italien und Frankreich eingestellt. Per Federstrich des Präsidenten wurde der freie Personenverkehr zwischen dem EU-Land Italien und dem EU-Land Frankreich suspendiert. Frankreich ist damit für Tunesier mit von Italien ausgegebenen Touristenvisa geschlossen! Die von Frankreich eigenständig auf Zeit verfügte, dem Buchstaben des Schengen-Vertrags eigentlich aber widersprechende Wiedereinführung von Grenzkontrollen unterbindet weitestgehend die illegale Einwanderung von Tunesiern nach Frankreich. Diese kommen jetzt eben in die Schweiz, wo Funktionäre und Manager sofort Zeter und Mordio schreien, wenn die in der Krise schlicht nicht funktionierende Personenfreizügigkeit irgendwie in Zweifel gezogen wird.

 

So »funktioniert« Dublin

Die drei Monate, für welche die italienischen Touristenvisa an illegal eingewanderte Nordafrikaner ausgestellt worden sind, laufen demnächst für die grosse Zahl der früh eingereisten Tunesier ab. Fragen an Schweizer und EU-Asylfunktionäre, was nach Ablauf dieser Frist geschehe, werden allen Ernstes dahingehend beantwortet, dass die »illegalen Touristen« am Tag des Ablaufs ihres Visas wohl nach Italien zurückkehren müssten, wo Italien sie dann zwecks Eröffnung ordentlicher Asylverfahren gewiss ordnungsgemäss registrieren werde. Der Tonfall, in dem solch treuherzige Antworten von Asylfunktionären erteilt werden, verrät es: Niemand, wirklich niemand glaubt im Ernst daran, dass diese Illegalen je wieder nach Italien zurückkehren werden. Zumal Italien alles unternimmt, deren Rückkehr zu verhindern. Einmal nach Europa eingedrungen, werden sie nicht mehr aus Europa zu vertreiben sein. Dublin ist wirkungsloser Papiertiger. Das haben jene, die in der Schweizer Volksabstimmung den Beitritt zu Dublin und zu Schengen ablehnten, längst vorausgesagt, auch wenn sie dafür selbst aus bundesrätlichem Mund im Abstimmungskampf zu »Lügnern« gestempelt worden sind. Die schweren Nachteile des voraussehbaren Nicht-Funktionierens des Schengen- und Dublin-Abkommens tragen heute freilich die Schweizerinnen und Schweizer. Der Bundesrat geht achselzuckend darüber hinweg. Lügner sind immer die anderen.

 

Trostlose Entwicklung

In Wahrheit ist die Lage trostlos: Sowohl an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland als auch an jener zwischen Bulgarien und Griechenland findet seit Monaten kaummehr eine nennenswerte Kontrolle der EU-Aussengrenze statt. Es gibt dort Tage, an denen die von Schleppern in grosser Zahl herangeschafften Illegalen in grossen Paketen ohne jede Kontrolle durchgewinkt werden. Jede Polizeidirektion in ganz Europa weiss: Dort werden insbesondere Verbrecher in grosser Zahl nach Europa eingeschleust - praktisch hindernislos. An der Südgrenze, also an der Mittelmeergrenze foutiert sich Italien um alles, was je in der EU bezüglich Schengen und Dublin beschlossen worden ist. Hauptleidtragende ist die Schweiz. Brüssel unternimmt nichts.

 

Bleibt die Ostgrenze, die Grenze zwischen den osteuropäischen Neumitgliedern der EU und den ehemaligen Satelliten der Sowjetunion. Auch da findet nicht im entferntesten ein systematischer Schutz der Grenze statt. Zwischen der Ukraine und Polen wurde über die angebliche Schengen-Aussengrenze ein »kleiner Grenzverkehr« eingerichtet. Wer beidseits der dafür vorgesehenen Grenze davon profitieren will, benötigt selbstverständlich ein Papier, das ihn als im Grenzraum wohnhaft ausweist. Entsprechende Recherchen liefern allerdings rasch die Gewissheit, dass entsprechende Papiere mit gezieltem Einsatz von etwas Geld leicht von jedermann - soweit hinlänglich zahlungsfähig - ergattert werden können. Den Schleppern hat sich an dieser Grenze lediglich ein zusätzlicher Markt geöffnet.

 

Weder Schengen noch Dublin sind krisentauglich. Die Personenfreizügigkeit wird zunehmend Spielball von Schleppern, denen fahrlässiges und vorsätzliches Funktionärsversagen laufend neue Tätigkeitsfelder eröffnet. Der Bundesrat stellt sich blind. Wortreiches Verdammen jener, die sich mit solchem Versagen auf Kosten der Bevölkerung nicht abfinden wollen, ist bald alles, was von Berns Migrationspolitik übrig geblieben ist.

 

 

http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Drei_Monate_sind_vorbei-198

Der aktuelle Freitags-Kommentar der Schweizerzeit vom 3. Juni 2011