Dank EU-Kontakten zum Berufsparlament - Reiseträume auf Kosten der Steuerzahler -Von Ulrich Schlüer

Der in der EU zustande gekommene Vertrag von Lissabon müsse dazu führen, dass die Kontakte

zwischen dem Schweizer und dem EU-Parlament markant ausgeweitet würden. So fordert es eine Delegation der Eidgenössischen Räte. Für Kontakte zwischen dem Europäischen Parlament (EP) und dem Schweizer Parlament ist bis heute die zu Bern seit Jahren existierende EFTA-Delegation zuständig, deren Namen und Funktion vor einigen Jahren zu EFTA/EP-Delegation erweitert wurde. Besuche im Ausland fanden bisher in zurückhaltendem Ausmass statt. Das Schweizer Parlament wurde darüber in schriftlich abgegebenen Berichten summarisch informiert. Mit dem Vertrag von Lissabon, so stellt die Schweizer EFTA/EP-Delegation jetzt fest, seien die Ausweitung, die Kompetenzen des Europäischen Parlaments erweitert worden. Das EU-Parlament werde seither auch an Entscheidungsprozessen innerhalb der Europäischen Union stärker beteiligt, auch bezüglich der Aussenkontakte. Davon seien auch die bilateralen Verträge zwischen Bern und Brüssel betroffen, was es als ratsam erscheinen lasse, die Kontakte zwischen dem Schweizer und dem EU-Parlament zu vertiefen. Es sei ein Nachteil, dass für das Schweizer Parlament kein Koordinations-Mechanismus existiere, der die Kontakte zwischen Bern und Brüssel auf parlamentarischer Ebene organisiere. Diese Lücke habe zur Folge, dass auf Parlamentarier-Ebene zugunsten schweizerischer Interessen gegenüber dem EU-Parlament keine effiziente Lobby-Arbeit in Brüssel stattfinde. So lautet die klagende Lagebeurteilung der vom Tessiner FDP-Nationalrat Ignazio Cassis geleiteten Schweizer EFTA/EP-Delegation.
 
Ansprüche
Das soll sich, meint die EFTA/EP-Delegation, rasch und markant ändern. Konkrete Massnahmen sollen eine weithin sichtbare Aufwertung dieser Delegation bewirken. Insbesondere seien die formellen Treffen zwischen den aufzuwertenden parlamentarischen Koordinationsgremien auf beiden Seiten zu vermehren. Mindestens zwei offizielle Treffen pro Jahr seien erforderlich. Zusätzlich seien aber auch die informellen Kontakte zu verstärken. Beiderseitig zu bildende Arbeitsgruppen hätten spezielle Fragen, Verkehrsfragen, Energiefragen, Schengen- und Asyl-Probleme usw., auch auf parlamentarischer Ebene weit intensiver als in der Vergangenheit zu behandeln. Für die dazu erforderlichen Sitzungen, so erfuhr man von Nationalrat Cassis, seien generell drei Tage zu veranschlagen. Den ersten Tag benötige die Schweizer Delegation für die Reise nach Brüssel und für die am Vorabend der eigentlichen Sitzung jeweils in festlichem Rahmen bei gutem Essen stattfindenden attraktiven Empfänge. Der zweite Tag sei den Arbeitssitzungen und Besprechungen zu reservieren, wobei auch dieser zweite Tag in der Regel mit abendlichen Festivitäten zum Anstossen auf das Geleistete abgeschlossen würde. Klar, dass den Delegationsmitgliedern am dritten Tag kein Frühmorgen-Programm zuzumuten ist. Die Rückreise kann jeweilen erst im Lauf des Tages angetreten werden.
 
Drei Tage für eine von Festivitäten begleitete Sitzung: Das schafft nur ein Berufsparlamentarier. Nicht nur dessen eklatant steigende Reisespesen, auch seine erforderlich werdende Entlöhnung dürfte die Schweizer Steuerzahler in helles Entzücken versetzen, zumal als Folge der vielen in den bilateralen Verträgen festgehaltenen Sachbereiche mit Sicherheit mit einer markanten Zunahme entsprechender parlamentarischer Arbeitsgruppen und dazugehörendem grenzüberschreitendem Aktivismus zu rechnen ist.
 
Gegängeltes Parlament
Noch weitere Vorschläge liegen seitens der EFTA/EP-Delegation vor: Der Informationsfluss zwischen den reisenden Arbeitsgruppen und dem ganzen Parlament sei markant zu verstärken. Dazu hat das Departement Calmy-Rey - erfuhren die von dieser Neuigkeit sichtlich überraschten Schweizer Parlamentarier - in der Schweizer Botschaft zu Brüssel bereits eine Koordinationsstelle für die Ausweitung der parlamentarischen Kontakte zwischen Bern und Brüssel geschaffen, mit einem Schweizer Diplomaten im Rang eines Ministers dotiert. Dass es das Departement und nicht das Parlament ist, das diese Stelle geschaffen hat, zeigt, worum es geht: Nicht Informationsvermittlung ist das Ziel, vielmehr Gängelung der parlamentarischen Kontaktpfleger im Sinne Calmy-Reys.
 
Mehr präsidiale Kontakte
Vorzusehen seien auch regelmässige Treffen der Vorsitzenden des EU-Parlaments mit den Präsidenten von National- und Ständerat, fordert die EFTA/EP-Delegation weiter. Dabei sei es von Nachteil, dass die Schweiz eine einjährige Amtsdauer für ihre Parlamentspräsidenten kenne. Dies stünde der Vertiefung der Beziehungen im Wege. Denn kaum hätten die Präsidenten von National- und Ständerat ihre Ämter angetreten, neigten sich diese schon wieder ihrem Ende zu. Das sei der gewünschten Vertiefung der Beziehungen mit Brüssel nicht förderlich. Eine Amtsdauer von 3 Jahren brächte mehr. Interessant ist: Veränderungen und Anpassungen hat nach Ansicht der Schweizer Delegation ausschliesslich die Schweiz vorzunehmen. EU-Regelungen sind dieser Delegation heilig. Die Schweizer Interessen haben sich ihnen unterzuordnen: Seltsame Vertretung schweizerischer Anliegen.
 
Lenkungsorgan
Schliesslich sei es notwendig, in der Schweiz ein Koordinationsorgan zu schaffen, das die parlamentarischen Beziehungen Brüssel-Bern zu überwachen und zu lenken habe. Zu einem solchem Koordinationsorgan sei die heutige EFTA/EP-Delegation aufzuwerten, meint genau diese Delegation. Es müsse ihr auch regelmässig Zeit zur ausführlichen Berichterstattung im Schweizer Parlament eingeräumt werden. Ihre Koordinationskompetenz müsse auch gegenüber den Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte gesichert werden, damit diese Delegation die Beziehungen der Schweizer Parlamentskammern mit dem EU-Parlament bedürfnisgerecht organisieren könne. So will die EFTA/EP-Delegation, die bisher keine dominante Funktion im Schweizer Parlament innehatte, quasi über Nacht zu einer Super-Kommission mutieren, der nebst häufiger Reisetätigkeit eine hervorstechende Leitungsfunktion hinsichtlich sämtlicher Beziehungen aller Parlamentskommissionen zu Brüsseler Parlamentskommissionen einzuräumen sei.
 
Fazit
Die auf  eine markante Ausdehnung der Kontakte zwischen dem schweizerischen und dem EU-Parlament abzielende, bisher allein von SVP-Vertretern bekämpften Vorschläge der EFTA/EP-Delegation beinhalten drei einschneidende Neuerungen:
 
Erstens kann die markante Ausdehnung der Kontakte, die mit entsprechend häufigen, stets mehrtägigen Reisen nach Brüssel (oder an andere Sitzungsorte in Europa) verbunden ist,  nur von Berufspolitikern bewältigt werden: Dank intensiver EU-Kontakte soll der Weg zu einem Berufsparlament auch in der Schweiz geöffnet werden: Das ist das erste von drei wesentlichen Zielen der EU-Phoriker im Schweizer Parlament.
 
Zweitens verändert die Forderung, der EFTA/EP-Delegation eine übergeordnet-koordinierende Funktion einzuräumen, den Charakter des Schweizer Parlaments markant. Wer sich in diese Delegation emporarbeiten kann, ergattert eine Schlüsselrolle. Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Parlamentarier gehören dann der Vergangenheit an. Wer in die für die EU-Kontakte verantwortliche Kommission gelangt, dem ist eine Lenkungsfunktion gegenüber allen andern Parlamentariern gesichert. Solches hat das Schweizer Parlament bisher nicht gekannt.
 
Und drittens steht der gesamte parlamentarische Kontakt zwischen dem Berner und dem Brüsseler Parlament dann unter der koordinierenden Lenkung eines EDA-Beamten, der heute durch Micheline Calmy-Rey bestimmt wird. Die Parlamentsdelegation mutiert zu einer instruktions-empfangenden Instanz; die Verwaltung steht dabei über dem Parlament.
 
Alle drei Neuerungen, von der parteiübergreifenden Fraktion der auf Kosten der Steuerzahler Reisefreudigen würden  - sollten sie umgesetzt werden -  zweifellos das Ende einer echten Gewaltentrennung sein und das Ende der bis heute verfassungsmässigen Rangordnung herbeiführen, welche den Souverän - also das Schweizervolk - auf die erste, das Parlament auf die zweite, die Regierung als ausführendes Organ erst auf die dritte Stufe dieser Rangordnung gesetzt hat.
 
Die Regierung hätte -  wie in allen EU-Staaten üblich - die Führungsposition im Staat errungen, Souverän und Parlament würden entsprechend abgewertet.
 
 
http://www.schweizerzeit.ch/cms/index.php?page=/News/Reisetraeume_auf_Kosten_der_Steuerzahler-149  Der aktuelle Freitags-Kommentar der Schweizerzeit vom 8. April 2011