Weitere klare Worte an Christian Wulff

Die Gedenkrede des deutschen Bundespräsidenten in Auschwitz am 27. Januar hat eine ganze Reihe von Zuschriften an diesen ausgelöst,

von denen wir nachfolgend einen weiteren offenen Brief an Wulff veröffentlichen:
 
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
 
in Ihrer Gedenkrede erinnern Sie an »die Verbrechen Deutscher an Millionen von Menschen«, für die wir »ewig einstehen« und »eine historische, fortwährende Verantwortung« tragen müssen, »die unabhängig ist von individueller Schuld.«
 
Mit »wir« meinen Sie das ganze deutsche Volk. Sie lassen es für alle Zeiten kollektiv dafür haften, dass einzelne Deutsche während des Zweiten Weltkrieges Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Nach Ihrer Meinung soll also die gesamte deutsche Kriegsgeneration und alle folgenden deutschen Geschlechter für die Untaten eines Regimes einstehen, die sie weder kannten noch billigten. In die kollektive Haftung beziehen Sie meinen gehörlosen Vater ein, der nie am Krieg teilnahm, mich selbst, der gerade mal fünf Jahre war, als der Krieg zu Ende ging, meine drei Kinder, die in den sechziger und siebziger Jahren geboren wurden, meine sechs Enkelkinder und deren Kinder. Sie alle sollen auf »ewig« für die Sünden einiger Deutscher büßen.
 
Ich halte das für inhuman, ungerecht, ja pervers. Dahinter steckt offenkundig das Ziel: alle Deutschen sollen zahlen, zahlen, zahlen und... schweigen. Nicht ganz zufällig berichtete Spiegel online am 28. Januar 2011 im Zusammenhang mit Ihrer Ansprache, dass für Auschwitz-Birkenau 120 Millionen Euro bereitgestellt werden sollen. 60 Millionen teilen sich Bund und Länder je zur Hälfte. Für den Rest wollen andere Staaten wie Österreich aufkommen. Für die permanente Zelebrierung des Schuldkults ist offenbar immer genügend Geld vorhanden, aber für die Sanierung von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Beseitigung von Straßenschäden usw., fehlt es überall an Mitteln. Ebenso für Gedenkstätten, die an die Verbrechen an Deutschen erinnern sollen.
 
Kollektivschuld heißt, die Schuld einer oder mehrerer Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten (Volks-)Gemeinschaft der gesamten Gemeinschaft aufzuerlegen. Dieses Denken ist dem abendländischen Denken seit Jahrhunderten völlig fremd. Kein ernst zu nehmender Ethiker oder Jurist fragt danach, ob ein Volk als ganzes gegen Rechts- und Moralprinzipien verstoßen könne. Doch Sie und Ihresgleichen übernehmen die  Kollektivschuld-These der Deutschenhasser- und hetzer und bürden Ihren eigenen Landsleuten die Verantwortung für alles Geschehene auf. Das ist moderner Hexenwahn und einfach ehrlos. Damit haben Sie sich nicht nur als Jurist, sondern auch als Repräsentant aller Deutschen disqualifiziert. Selbst Ex-Bundeskanzler Willy Brandt sagte einmal, die Deutschen könnten nicht ewig im Lückenbüßergewand herumlaufen.
 
Die jüdische Politologin und Heidegger-Schülerin Hannah Arendt (1906-1975) widerstand der Verlockung, das deutsche Volk oder zumindest dessen Kriegsgeneration an den Pranger zu stellen: »Moralisch gesehen ist es ebenso falsch, sich schuldig zu fühlen, ohne etwas Bestimmtes angerichtet zu haben,  wie sich schuldlos zu fühlen, wenn man tatsächlich etwas begangen hat. Ich habe es immer für den Inbegriff moralischer Verwirrung gehalten, dass sich im Deutschland der Nachkriegszeit diejenigen, die völlig frei von Schuld waren, gegenseitig und aller Welt versicherten, wie schuldig sie sich fühlten.« (zitiert aus: Junge Freiheit, 31-32/09, 24. 7. 2009). Kein polnischer, russischer, französischer oder britischer Politiker würde es wagen, so würdelos und schamlos zu handeln wie die deutschen Politiker. 
 
Es ist eine Zumutung, dass wir Deutsche auf »ewig« mit unseren Untaten konfrontiert werden sollen, dagegen die an uns von den Russen, Polen, Tschechen, Jugoslawen und den Westalliierten im und nach dem Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen und Grausamkeiten verschweigen und vergessen sollen. Ja, wir dürfen nicht einmal an die Vertreibung von Millionen unserer Landsleute aus den deutschen Ostprovinzen mit über zwei Millionen Toten erinnern, an die dabei begangenen Massaker, an die massenhaften Vergewaltigungen, an die gewaltsamen Verschleppungen, an die Plünderungen, an Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft und nicht zuletzt an den grausamen Bombenterror der Anglo-Amerikaner, dem über 600.000 Zivilisten, darunter 75.000 Kinder, zum Opfer fielen. Das ist auf die Dauer unerträglich.
 
Mit freundlichen Grüßen
Günter Zemella