Die Militarisierung der Arktis

Die Bundesregierung baut ihre militärpolitischen Aktivitäten in Richtung Arktis aus. Wie es nach einem Treffen mehrerer Verteidigungsminister

aus Nordeuropa und dem Baltikum, bei dem Deutschland erstmals vertreten war, heißt, wollen die beteiligten Staaten ihre militärische Zusammenarbeit erweitern. Dabei gehe es auch um gemeinsame Kriegsübungen im Hohen Norden, berichtet die Verteidigungsministerin Norwegens. Ursache ist die Eisschmelze in der Arktis, die in den kommenden Jahrzehnten nicht nur den Zugriff auf Rohstofflager unter dem Polarmeer ermöglichen, sondern auch neue Seehandelsrouten in die ostasiatischen Boomregionen öffnen wird. Größere Teile der Strecke werden schon von deutschen Transportschiffen genutzt, um Westsibirien zu beliefern. Berlin bemüht sich schon seit geraumer Zeit, Einfluß auf die politische Auseinandersetzung um die arktische Hegemonie zu erlangen, die in jüngster Zeit eine immer deutlichere militärische Komponente erhält; Beobachter konstatieren bereits ein Wettrüsten im Polarmeer. Als Mittel zur Einflußnahme sieht die BRD die EU sowie eine enge Kooperation mit Norwegen. Letzteres Land hat kürzlich das Hauptquartier seiner Streitkräfte aus dem Süden des Landes in den Norden verlegt, um seine dortigen Kontrollmöglichkeiten zu optimieren.
 
Security im Hohen Norden
Die Staaten Nordeuropas und des Baltikums wollen ihre militärpolitische Zusammenarbeit weiter vertiefen. Dies teilt das norwegische Verteidigungsministerium nach dem jüngsten Treffen der acht Länder des europäischen Nordens mit, das am 10. 11. zum ersten Mal um Vertreter Deutschlands, Großbritanniens und Polens erweitert wurde [1]. Bei dem Treffen standen nicht nur die künftige NATO-Strategie und der Afghanistankrieg auf der Tagesordnung, sondern auch »Herausforderungen für die Sicherheit im Hohen Norden« [2]. Dabei gehe es insbesondere um die Kontrolle der Seewege entlang der europäischen Nordküsten, heißt es im Verteidigungsministerium in Berlin. Man wolle in Zukunft enger kooperieren, ist in Oslo zu hören, zum Beispiel beim Ausbau der Operationskapazitäten oder mit gemeinsamen Kriegsmanövern. »Norwegen würde es begrüßen, wenn eine größere Anzahl alliierter Einheiten an Übungen in unserer anspruchsvollen natürlichen Umgebung teilnähme«, erklärt die norwegische Verteidigungsministerin. Deutschland wird nach Auskunft des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung Christian Schmidt auch in Zukunft bei den Nordisch-Baltischen Verteidigungstreffen zugegen sein [3].
 
Handel und Rohstoffe
Ursache der neuen militärpolitischen Aktivitäten Berlins im Hohen Norden ist die Eisschmelze in der Arktis *, die sich in den letzten Jahren stark beschleunigt hat. Erst im Oktober bestätigte ein im Auftrag der US-Regierung verfaßter Bericht, daß die Erwärmung der Arktis rasch fortschreitet. Die Region rings um den Nordpol verzeichne Rekordtemperaturen, heißt es darin. So sei die Zeit, während der Grönland von Schnee bedeckt sei, auf ein Rekordminimum gesunken; zudem nehme dort die durchschnittliche Eisdicke ungebrochen ab. Damit rückt der Zeitpunkt näher, zu dem der Zugriff auf die unter dem Polarmeer lagernden Rohstoffe gewinnbringend möglich sein wird. Die dortigen Ressourcen werden - gesicherte Erkenntnisse liegen nicht vor - auf bis zu ein Viertel der weltweiten Erdöl- und Erdgasvorkommen geschätzt. Auch hoffen deutsche Reedereien, in absehbarer Zukunft die Nordostpassage entlang der Nordküsten Europas und Asiens nutzen zu können, um Waren zwischen Europa und den ostasiatischen Boomregionen zu transportieren. Es wird, sobald die Route lange genug eisfrei ist, mit großen Sparpotentialen gerechnet: Die Strecke ist um mehrere Tausend Kilometer kürzer als die bislang üblichen Routen und nicht durch Piraten gefährdet. Die Bremer Reederei Beluga Group hat vergangenes Jahr bei einem Probetransport aus Deutschland nach Südkorea gut 350.000 US-Dollar pro Schiff eingespart 4]. Die Schiffstransporte auf dem westlichen Teil der Strecke - aus Europa nach Westsibirien - verstetigt Beluga bereits.
 
GeoPolitics in the High North
Deutschland, das keinerlei eigene Ansprüche in der Arktis geltend machen kann, setzt bei seinen Bemühungen um Einfluß einerseits auf die EU. Der Arktis-Anrainer Grönland gehört der EU zwar nicht an, doch wird die Landesverteidigung vom EU-Staat Dänemark garantiert. Brüssel hat im Jahr 2008 umfassende Aktivitäten in Sachen Polarmeer gestartet, unter anderem mit der Verabschiedung des Kommissionspapiers Die Europäische Union und die arktische Region[5]. Alternative Einflußchancen sucht Berlin sich über das NATO-Mitglied Norwegen zu sichern, das ebenfalls ein Arktis-Anrainer ist. So nimmt die vom Kanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik seit dem Jahr 2008 an einem vierjährigen Forschungsprogramm teil, das vom Norwegian Institute for Defence Studies organisiert und von Oslo finanziert wird. Das Programm (GeoPolitics in the High North) analysiert Interessen, Ansprüche und Aktivitäten sämtlicher Arktis-Anrainer - neben Dänemark, der EU und Norwegen sind dies die USA, Kanada und Rußland - und entwickelt erste Vorschläge für eine Arktis-Strategie. Unter anderem sind auf deutsches Drängen hin auch russische Thinktanks in das Projekt einbezogen worden - als Gegengewicht zum Einfluß der USA.
 
Aufrüstung  
Gleichzeitig haben die Arktis-Anrainer längst begonnen, sich militärischen Einfluß im Polarmeer zu sichern. Sie hätten, schrieb im Frühjahr ein Fachmann aus Kanada, allein seit 1989 mindestens 66 Kriegsschiffe gebaut, die für den Kampf in arktischen Gewässern genutzt werden könnten oder sogar eigens dafür konzipiert worden seien. In diesem Sommer nahmen erstmals Dänemark und die Vereinigten Staaten an einer kanadischen Kriegsübung im Nordmeer teil. Erst kurz zuvor hatte die kanadische Luftwaffe zwei russische Kampfflugzeuge im Hohen Norden abgefangen; der Angabe, die russischen Flieger seien in kanadisches Interessengebiet eingedrungen, widersprach Moskau entschieden. Rußland hat seinerseits angekündigt, ab 2015 regelmäßig mit Kriegsschiffen und U-Booten im Polarmeer zu patrouillieren. Norwegen wiederum hat kürzlich im neuen Hauptquartier seiner Streitkräfte im nordnorwegischen Reitan nahe Bodø ein neues Operationszentrum eröffnet. Darin drücke sich das erweiterte Interesse Oslos an den Nordregionen aus, heißt es zur Erklärung: Der neue Standort von Hauptquartier und Operationszentrum sichere Norwegen in allen Fragen des Hohen Nordens erstklassige Möglichkeiten [6].
 
NATO-Interventionen möglich
Die zunehmende Militarisierung der Arktis bildet den Hintergrund für die deutschen Bemühungen, in Kooperation mit Oslo eigene militärpolitische Aktivitäten im Hohen Norden zu entwickeln. Im Polarmeer liege »die tiefstgreifende maritime Herausforderung der nahen Zukunft«, urteilte unlängst der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung Thomas Kossendey: Es sei dort mit einem »Wiederaufflammen territorialer Streitigkeiten« zu rechnen [7]. Das Zentrum für Transformation der Bundeswehr hält eine NATO-Intervention in der Arktis ebenfalls für möglich: Die Tatsache, daß sich unter den insgesamt fünf Arktis-Anrainern vier NATO-Staaten befänden, lege »im Fall von territorialen Streitigkeiten (...) mit einem nicht dem Bündnis angehörenden Staat« eine »Verwicklung des transatlantischen Bündnisses« nahe [8]. Bundeswehrkreise berichteten schon letztes Jahr, in Berlin stelle man sich die Frage, »inwieweit bereits in Dienst befindliche Schiffe, Boote und Luftfahrzeuge« des deutschen Militärs zur Beteiligung anOperationen in Seegebieten des High North fähig sein könnten[9]. Die Aufnahme regelmäßiger militärpolitischer   Kooperation mit den Staaten Nordeuropas und des Baltikums führt diese Überlegungen fort und leitet mit der Planung gemeinsamer Manöver erste Schritte zu direkter militärischer Zusammenarbeit auf einem möglichen künftigen Kriegsschauplatz ein
 
Kommentar d.a.:  Erneut ertrinkt der Begriff Frieden: dieses Mal in der Arktis. Sollten
unsere Militärhelden im akuten Fall zur Tat schreiten, ist mit einer Irrsinnszerstörung zu rechnen, die die Gewinnung der Ressourcen hinfällig machen dürfte, da sie dann, soviel ist abschätzbar, gar nicht mehr gebraucht werden……..
 
 
Siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1458  14. 3. 10
Arctic Roadmap
 
* Anmerkung politonline: Bekanntlich sind die Berichte zur Eisschmelze in der Fachwelt äußerst umstritten, so daß diesbezüglich zahlreiche, das Gegenteil anzeigende Expertenaussagen vorliegen.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57946    15. 11. 10
Eigener Bericht von German Foreign Policy (Oslo/Berlin)
 
[1] Regelmäßige Teilnehmer des Nordic-Baltic and Extended Nordic-Baltic Defence Minister Meeting sind: Dänemark, Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen und Schweden.
[2] Desire for broad cooperation in the North; www.regjeringen.no 12.11.2010
[3] Staatssekretär Schmidt in Oslo: Nordisch-baltische Sicherheit im Fokus; www.bmvg.de 12.11.2010
[4] s. dazu Vor fremden Küsten
[5] s. dazu Eiskalter Krieg (II)
[6] Operations Center opened at NATO’s first HQ above Arctic Circle; www.barentsobserver.com 10.11.2010
[7] Deutschlands Sicherheit von See her denken; MarineForum 7/8-2010. S. dazu Die Seekriege der Zukunft
[8] Peak Oil. Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen; Zentrum für Transformation der Bundeswehr, Juli 2010
[9] Markus Kraus-Traudes: Arktis wird eisfrei! ... und das bedeutet? MarineForum 11/2009. S. dazu Arctic Roadmap