Iran - auf des Messers Schneide - Von Norman Paech

Die noch immer ungelöste Frage, wie man dem Iran auf die eine oder andere Weise endlich ein Regime à la Bagdad und Kabul verpassen kann,

stellte vor kurzem Norman Peach, dessen Artikel wir die nachfolgenden Fakten entnommen haben.
 
Während Netanyahu und Obama den Palästinensern endlich einen eigenen, souveränen, sicheren Staat mit einem klar definierten Territorium verschaffen sollen, der auch die Grenzen und die Sicherheit Israels garantiert, arbeiten sie gleichzeitig an der Destabilisierung und Auflösung des Irans, der nicht in ihr Herrschaftskonzept hineinpassen will. Die offenen Drohungen mit einem militärischen Schlag gegen den Iran und die unverblümten Aufforderungen, endlich zuzuschlagen, sind in jüngster Zeit sogar häufiger geworden als die Warnungen, die schon seit 2003 zu hören sind. Am 26. Juli dieses Jahres hatte der Weekly Standard seine Titelgeschichte der Aufforderung an Israel gewidmet, das Zaudern Obamas dadurch zu beenden, daß es den Iran selber angreift: Die Iraner seien Papiertiger und ein  Krieg gegen sie »ein militärischer Spaziergang«. In der Washington Post vom 9. Juli hatten bereits der frühere Senator Chuck Robb und der ehemalige stellvertretende NATO-Oberbefehlshaber General Charles Wald die USA aufgefordert, mit Kriegsvorbereitungen zu beginnen. Denn Sanktionen könnten nur greifen, wenn sie mit der offenen Vorbereitung einer als letzter Ausweg dargestellten Militäraktion gekoppelt würden. US-Verteidigungsminister Robert Gates drückte sich etwas weniger direkt, aber nicht minder entschlossen aus, als er am 20. Juni in Fox News meinte: »Wir können die Vorstellung, daß der Iran über Atomwaffen verfügen könnte, einfach nicht akzeptieren.« Das Atomprogramm liefert den immer noch überzeugendsten Vorwand für Kriegsvorbereitungen gegen den Iran, so wie 2003 die Massenvernichtungswaffen für den Krieg gegen den Irak. Klartext redete allerdings der ehemalige malaysische Premierminister Mahathir Mohamad Anfang Juli: Die USA hätte den UNO-Sicherheitsrat genötigt, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, um diesen Staat zu schwächen und den Boden für einen militärischen Angriff vorzubereiten. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Kriegsverbrecher in Israel und den USA einen weiteren Angriffskrieg vom Zaun brechen, sobald der Iran durch die Sanktionen genügend geschwächt ist.«
 
Präsident Bush jun. hatte noch 2008 Olmerts Forderung nach bunkerbrechenden Waffen, Überflugrechten über den Irak und Flugzeugen zum Auftanken von Bombern in der Luft abgelehnt. Auch Präsident Obama hat betont, daß die USA Israel kein grünes Licht zu einem militärischen Schlag gegeben hat. Aber wer vertraut schon der politischen Rationalität zweier »in der Wolle gefärbter Geschöpfe militärischer Operationen«, wie die liberale israelische Zeitung Haaretz Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Barak nach dem Gaza-Krieg und dem Überfall auf die Free-Gaza-Flottille nannte. Die Furcht, daß die israelische Regierung eine noch zögernde US-amerikanische Regierung in einen Krieg hineinziehen könnte, ist nicht unbegründet. Dessen Folgen wären zwar für die Region desaströs, aber für die USA nur ein weiterer Kriegsschauplatz zur endgültigen Neuordnung des Nahen Ostens. Dies ist für Jeffrey Goldberg in der Septemberausgabe des Magazins The Atlantic die wahrscheinlichste Alternative eines Krieges, den er nach monatelangen Gesprächen in Washington und Jerusalem für unvermeidbar hält. Die Drohkulisse wird durch Berichte unterstützt, gemäß denen die Feudalherrscher Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate die USA zu einem militärischen Schlag gegen Iran drängen. Zitiert wird der Botschafter der Emirate in Washington, Yousef al-Otaiba, der im Juli in Aspen/Colorado während einer Podiumsdiskussion die USA zu einem Militärangriff auf den Iran aufrief, trotz der erheblichen Gefahren für sein eigenes Land. Selbst wenn er die Äußerung später zurückzog, gab er damit doch offensichtlich nur die immer stärker werdende Stimmung der sunnitischen Golfstaaten wieder, die den Iran ebenfalls als ernsthafte Bedrohung ansehen. Sein Land würde auf jeden Fall einen Militärschlag gegen den Iran unterstützen, gab er Goldberg zu verstehen. »Wenn kein anderer Staat es auf sich nimmt, den Iran zu bombardieren, dann wird es Israel tun müssen«, zitiert Spiegel online einen saudischen Geistlichen. Seit Monaten berichtet die internationale Presse über geheime Kontakte des Mossad mit den Saudis wegen Überflugrechten und Nachschubbasen. Sarkozys Frankreich wird sich nach allgemeiner Einschätzung nicht gegen einen etwaigen Angriff stellen, sondern ihn sogar unterstützen. Der französische Staatspräsident äußerte sich nicht nur zynisch, sondern auch um die Folgen wohlbedacht, als er sagte: »Das Einzige, was schlimmer ist, als den Iran zu bombardieren, ist ein Iran mit der Bombe.« Es gibt eben kein bestimmbares Maß, wann das Faß der Kriegspropaganda in den realen Krieg überlaufen wird. Aber durch die Diplomatie fortgesetzter und verschärfter Sanktionen und die offensichtliche Weigerung, immer noch mögliche politische Alternativen zu ergreifen, geraten die Staaten in Gefahr, auf einer abschüssigen Rampe in einen Krieg hineinzurutschen. Die einzigen Mächte, die das Angriffsszenario durchkreuzen könnten, sind Rußland und die Volksrepublik China.
 
Vergessen wir nicht Israels zweite Front im Norden: Libanon und Syrien. Da liegt weiterer Sprengstoff. Die Situation wird dadurch noch instabiler. Die Hisbollah wird einem Überfall auf den Iran nicht untätig zusehen. Es stellt sich nur die Frage, welche Seite zuerst zuschlägt. Daniel C. Kutzner vom US-Council on Foreign Relations, einer der treuesten Parteigänger israelischer Politik, ist davon überzeugt, daß es in den nächsten zwölf bis 18 Monaten zu einem dritten Libanon-Krieg kommen wird. Es sei »wahrscheinlicher«, daß Israel ihn beginne, meint er. In der Tat häufen sich nach dem Gaza-Krieg die Meldungen über Erkenntnisse der israelischen Geheimdienste, daß sich die Hisbollah mit großen Mengen neuer Waffen eingedeckt habe, darunter 40.000 ballistische Raketen mit einer Reichweite von zum Teil 200 km sowie Luftabwehrsysteme. Darüber hinaus soll sie die meisten ihrer Bunker, Kommandozentralen und Raketenvorräte aus dem Feld in die 160 schiitischen Dörfer und Ortschaften verlegt haben. Meldungen dieser Art waren auch schon dem Krieg von 2006 vorausgegangen. Und Norman Finkelstein folgert, daß das Ausstreuen derartiger »Erkenntnisse« nicht etwa dazu bestimmt sei, die Hisbollah zu warnen, sondern »zur Vorbereitung eines weiteren massiven Angriffs auf die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur des Libanon« diene. 
  
Jede Betrachtung dieses Kriegsszenarios, die den offensichtlichsten und simpelsten Kriegsgrund, das Öl - der allerdings immer noch durch die drohende iranische Atomrüstung verdeckt wird - nicht erwähnt, bleibt unvollständig. Der Iran verfügt über die drittgrößten Ölreserven und nach Rußland die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt; er ist nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Ölproduzent. Von diesen Reserven sind die USA trotz neu erschlossener Ressourcen in Westafrika und Zentralasien nach wie vor abhängig. Ein für die Weltökonomie derart wichtiger Staat als Atommacht paßt nicht in die Vorstellung eines »Greater Middle East«, wie sie Zbigniew Brzezinski zu Zeiten von Bush jun. entwickelt hat; diese gilt noch heute. Was Pakistan und Indien ohne große internationale Aufmerksamkeit gewährt wurde, der Atommacht-Status, würde dem Iran nur unter einer eindeutig westlich orientierten und US-freundlichen Regierung gestattet. Brasilien, das ebenfalls begonnen hat, eine Uranaufbereitung für zivile Zwecke zu entwickeln, begegnet keinen vergleichbaren Bedenken, keinem Boykott, keiner Kriegsdrohung. Das Problem ist also nicht allein das Atomprogramm des Irans, sondern seine Verbindung mit den für die USA anscheinend unverzichtbaren Öl- und Gasreserven und einer auf einer uneingeschränkten Souveränität beharrenden und damit gegen die US-Dominanz in der Region ausgerichteten Regierung.   
 
Quelle: http://www.ossietzky.net/19-2010&textfile=1139   Heft 19 / 2010 – auszugsweise -