Nachtrag zu Wulff - Von Doris Auerbach

Nüchtern war der Empfang des neuen Bundespräsidenten Christian Wulff am 8. 7. in Brüssel; dieser hatte tags zuvor

seinen Antrittsbesuch im Elysée-Palast absolviert, aber auch schon das Strassburger EU-Parlament besucht. Das Aufsuchen weiterer Institutionen wie etwa die EU-Kommission  interpretierte Barroso als »wichtiges Zeichen dafür, welche Bedeutung Wulff Europa beimesse«, was diesen zu der Bemerkung veranlasste: »Wir Deutschen wissen, was wir an Europa haben.« Gewiss, Herr Wulff: weniger Demokratie und mehr Militarisierung. Der Bundespräsident erklärte ferner, Europa müsse mit einer Stimme sprechen, »dann werden wir mehr Gewicht bekommen.« Ob er sich da nicht täuscht, denn erstens kann diese eine Stimme nur über die fortgesetzte Entsouveränisierung der einzelnen Mitgliedstaaten zustande kommen, zweitens bleibt Europas Stimme eher klein und unbedeutend solange die Allianz  - NATO/USA -  steht. Jedenfalls will Wulff künftig für die Arbeit der EU werben. Nach seinem Treffen mit Präsident Sarkozy hatte er betont, Europa käme voran, wenn Deutschland und Frankreich zusammenstünden und sich einig seien. Kleinere Länder würden das von Deutschland und Frankreich auch erwarten, glaubt er. Dessen ungeachtet wird er festzustellen haben, dass es gerade Länder wie Ungarn, die Tschechei oder die Slowakei auch in Zukunft nicht verfehlen werden, ihre eigenen Standpunkte vorzutragen. Im Zusammenhang mit dem Einsatz seines Landes in Afghanistan meinte er, dass man gut beraten sei, sich hier zurückhaltend zu äussern. Es sei aber sehr wohl seine Aufgabe, darauf zu achten, dass das Grundgesetz als verfassungsrechtlicher Rahmen von Bundeswehreinsätzen gewahrt bleibe 1. Nun ist aber gerade die Vereinbarkeit der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch mit der Verfassung von Sachverständigen infrage gestellt worden, was allerdings nicht weiter ins Gewicht fällt, da vieles, was die Deutschen infrage stellen, nur allzu oft völlig unbeachtet bleibt. Daran dürfte sich auch mit einem neuen Bundespräsidenten kaum etwas ändern, selbst wenn dieser betont, ein Ohr für seine Landsleute offenhalten zu wollen.   
 
Einwanderung
Eine immer wieder ausgesprochene Forderung besteht darin, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Spitzenämter zu berufen; dafür hatte sich Wulff bereits diesen Januar ausgesprochen. »Dies gehöre zu den Bedingungen, um Parallelgesellschaften und soziale Unruhen wie in Frankreich zu verhindern.« Er forderte zudem eine umfassende Strategie für den Umgang mit dem Islam. Dazu gehöre, Muslimen zu zeigen, dass sie hier willkommen seien, sagte er gegenüber der Berliner Zeitung. Hierzu hätte man sich eigentlich genauere Anleitungen gewünscht. Durchaus nicht uninteressant ist, dass Wulff, wie es hiess, die »umstrittenen verdachtsunabhängigen Personenkontrollen vor Moscheen in Niedersachsen offenbar abschaffen wollte. Er hätte den Innenminister des  Landes, Uwe Schünemann von der CDU gebeten, von den Überprüfungen Abstand zu nehmen, solange es keinen konkreten Verdacht gegen einen der Moscheebesucher gebe«, berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 29. 1. 10. Dies in einer Zeit 2, »in der in immer mehr Moscheen dem Kampf gegen den Westen das Wort geredet wird. ….. Nun kann man diese Überlegung im einzelnen sogar nachvollziehen: es gibt immer mehr Moscheen in Deutschland, jede zu kontrollieren ist bald kaum noch machbar. Der CDU wird vorgeworfen, angesichts immer grotesker werdenden und weiter ausufernden Problemen in Sachen Integrations- und Kriminalitätsthematik einen Kurs zu steuern, der die Mehrheitsmeinung im Land ignoriert.«
 
Noch vor der Wahl hatte Wulff angekündigt, er wolle »vor allem ein Sprachrohr für die Politikverdrossenen sein und sich für die unzufriedenen Menschen im Land stark machen.« 3 Daraus spricht, dass er, ohne den Grund hierfür zu nennen, die zunehmende Verdrossenheit, die seine Landsleute an den Tag legen, durchaus realisiert. Wie die Saarbrücker Zeitung schrieb, habe Wulff die Erfahrung  gemacht, dass sich die Bürger sehr stark verändert hätten und sich nunmehr auch der Staat und die Parteien und seine Institutionen öffnen und verändern müssten. »Um dies anzustoßen und voranzubringen, kommt mir meine politische Erfahrung gewiß zugute und auch die vielen Kontakte zu Entscheidungsträgern«, sagte er. Was nun seine politischen Erfahrungen betrifft, so hatte sich Professor Selenz ja die Mühe gemacht, diese in seinem Beitrag »Christian Wulff for President?« auf http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1556  ein wenig auszuleuchten.
 
Wie Wulff betont, gehöre hierzu, dass der »Bundespräsident auch unangenehme Wahrheiten aussprechen müsse«, wozu er allerdings ergänzte, dass das »Einmischen in die Tagespolitik nicht dazu gehöre.« In was gedenkt er sich dann einzumischen? Zur Tagespolitik gehören nun einmal die ausgeschöpften Sozialkassen, die Nullrunden für Rentner, die niederwalzenden Kosten für den Afghanistankrieg, die wachsende Kriminalität in den Städten, die durch die Flut der Asylanten verursachten finanziellen Bürden und die uferlosen Kosten, die durch die fortgeführten Kriege der Allianz entstehen. Dies sind die Punkte, die er aufzugreifen haben wird, will er der Poltikverdrossenheit auch nur annähernd abhelfen.
 
Man erhält langsam den Eindruck, dass im Prinzip nur noch Kandidaten zur Auswahl gelangen, bei denen in etwa die Gewähr gegeben ist, dass sie sich als willige Ausführende erweisen. Dies unter dem Blickpunkt, dass Wulff, wie er erklärt, mehr Migranten nach Deutschland locken will 4. Spätestens hier muss sich der informierte Leser die Frage stellen, ob dieser Aussage etwa die von Seiten des Generalsekretär der OECD, Ángel Gurría, an Deutschland geübte harsche Kritik zugrunde liegt 5. Am 27. März hatte Gurría die Deutschen wissen lassen, dass die BRD eine entschlossene Einwanderungspolitik verfolgen und sich systematisch um Talente im Ausland bemühen solle. Ein Ziel dieser Art betrachte ich als grotesk, da Deutschland vor Jahren mit schwachem Wachstum, steigender Arbeitslosigkeit und hoher Haushaltsdefizite steht -  die  Wahnsinnsverschuldung, die die Politiker dem Land beschert haben, nicht einmal mit einbezogen. Und das fordert ausgerechnet ein vormaliger Finanz- und Aussenminister Mexikos, der vor 4 Jahren zum Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ernannt wurde, eine Wahl, an der der Bürger mitnichten  beteiligt war! Man bedenke, aus Mexiko, einem Land, das in Drogenkriegen, Chaos und Mordserien zu versinken droht. Auf welche Weise also wollen Gurría und Wolff Arbeitsplätze für die Hereinzuholenden schaffen, oder sollen auch diese nach altbewährtem Muster finanziell weitgehend von den Deutschen getragen werden? In den Chor derjenigen, die uns ohne Unterlass erklären, die Immigration als Bereicherung und nicht etwa als Bedrohung zu betrachten, stimmte natürlich auch der vormalige EU-Justizkommissar Franco Frattini auf einer Konferenz in Lissabon im September 2007 ein 6. Diese einmalige Bereicherung kostet allein die Deutschen jährlich Milliarden, nicht etwa Millionen; was sie im einzelnen kostet, das haben Jochen Kummer und Joachim Schäfer zusammengestellt *. Sicher ist, dass diese Bereicherung von den Restdeutschen auf die Dauer nicht mehr zu erarbeiten ist. Auch so zerstört man einen Staat.
 
Zu der von Gurría ausgesprochenen Kritik gilt es folgendes festzuhalten: Am 8. Januar wurde veröffentlicht, dass Frankreich letztes Jahr 29.000 Einwanderer abgeschoben hat, also mehr als Sarkozy verlangt hatte, nämlich die Abschiebung von mindestens 27.000 »illegalen« Ausländern. Einer Meldung vom 4. 9. 09 zufolge hat Sarkozy der illegalen Einwanderung angesichts der Wirtschaftskrise den Kampf angesagt. Hierzu gehören neben der vermehrten Abschiebung auch schärfere Grenzkontrollen und restriktivere Aufenthaltsbestimmungen. Zudem wurde die Unterstützung von illegalen Einwanderern unter Strafe gestellt. In Einzelfällen sind Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Weder hat Florian Hassel, der das Interview mit Ángel Gurría in der Welt am Sonntag führte, diesen Fakt als Gegengewicht in die Waagschale geworfen, noch war festzustellen, dass Gurría diese Massnahmen Frankreichs beanstandet hätte. Es scheint, dass kein Land so wie die BRD ununterbrochen dazu aufgefordert wird, seinen Mitbürgern noch mehr Einwanderer zu bescheren. So erklärte denn auch Peter Scholl-Latour bereits im April 2007, dass »die wenigen in den Ausländerghettos zurückgebliebenen Deutschen, überwiegend aus sozial niederen Schichten, in fremden Milieus lebten. Sie hätten ihre Heimat verloren - im eigenen Land, muß man hinzufügen.« Selbstverständlich fiel bei dem Interview auch das Thema Reformen des Arbeitsmarkts, welche die OECD fordert, etwa mittels einer Lockerung des Kündigungsschutzes. Wie wäre hieraus nicht abzuleiten, dass die Sozialsysteme, die wir uns mühsam erkämpft haben, langsam aber sicher erodiert werden sollen, noch dazu von Mächten, die wir nicht gewählt haben? Auf dem internationalen EU-Kongress der Attac Anfang März 2005 führte Christian Zeller von der Universität Bern schon damals aus, dass die Zerstörung sozialer Errungenschaften auf dem ganzen Kontinent verstärkt fortgesetzt werden soll 7.  
 
Ende Juni erklärte Wulff, »Deutschland müsse sich der Welt stärker öffnen« 8. Noch weiter? In seinem Bundesland sind doch allein in Sahlkamp bei Hannover nachweislich gezählte 86 verschiedene Nationalitäten beheimatet. Weiss er das? Wo sieht er hier die Grundlagen für eine gesteigerte Internationalität, die er als Chance für das Land betrachtet? Im Prinzip passt diese Sicht haargenau zu der auf der Klimakonferenz in Bali Anfang Dezember 2007 ausgesprochenen Erklärung, dass Migration und Mobilität als überwiegend positive Phänomene betrachtet werden sollten. Dass beiden Faktoren vor allem die Kriegspolitik zugrunde liegt, wird mit keinem Wort gestreift, geschweige denn die Frage gestellt, ob die durch Kriege zum Verlassen ihrer Länder gezwungenen Migranten nicht lieber in ihren Heimatländern verblieben. Darüber hinaus äusserte sich Wulff in dem mit der Welt am Sonntag Ende Juni geführten Interview wie folgt: »Ich trete am 30. Juni an, um Bundespräsident zu werden und dieses Amt dann exzellent auszuführen. Mein Thema wird die Zukunft sein. Deutschland 2020 mit allen Herausforderungen der Globalisierung, der Demographie, auch der Frage: Welche Werte halten uns eigentlich zusammen? Da will ich Impulse geben.« Seinen Zeitbogen sehe ich zumindest so weit gespannt, dass er für die Endergebnisse, die diese Herausforderungen betreffen, vermutlich keine Rechenschaft mehr abzulegen braucht. Auf die Frage, was er unter diesen Werten verstehe, erklärte Wulff: »Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, sowie Haltungen und Tugenden wie Vertrauen, Verantwortlichkeit, Verläßlichkeit und Mäßigung. Ethik und Moral sind in keinem Bereich gering zu schätzen, sondern für den Erfolg Deutschlands wesentlich.« Mit anderen Worten: Die ganze Palette und im eigentlichen nichts Neues; ansonsten sind wir es ja gewöhnt, dass diese Werte durchaus mit Füssen getreten werden, sobald dies die Geo- oder die Kriegspolitik erfordern. Was mich im befremdet, ist der Fakt, dass gerade der Punkt der Migration so stark in den Vordergrund gerückt ist. Wie stellt sich der Bundespräsident dann dazu, dass die gesamten Steuereinnahmen des Jahres 2010 nicht mehr ausreichen, um die Sozialkosten und die Zinsen auf die Bundesschulden zu zahlen und die Sozialausgaben in fast allen westlichen Ländern ausser Kontrolle geraten sind?
 
Wie das öfters mal in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Fall ist, so ist auch der Kommentar zur Wahl Christian Wulffs sozusagen einmalig 9. Hier heisst es: »Gerade durch seine Machtlosigkeit wird auch Christian Wulff den Bürgern bald nahe sein. Der wachsende Verdruss über die direkt gewählten Politiker läßt die Macht des Wortes gedeihen, die dem Bundespräsidenten an der Spitze des Staates zu Gebote steht.« Wie diese Kombination aufgehen soll, das weiss vermutlich nur der Autor. Was nützt den Bürgern die angebliche Machtlosigkeit, wenn Wulff, wie er sagt, ihr Sprachrohr sein möchte? Der Spatz in Gebälk 10 fasste die Wahl von Wulff kurz und knapp wie folgt zusammen: »Die politische Klasse hat wieder ihren Bundespräsidenten, einen, den sie verdient. Er hat sich als Vorteilbeschaffer für Windenergiefirmen und rotlichtmilieu-süchtige Staatsanwälte und deren Deckung im Justizapparat bestens bewährt. Aber lassen wir’s: Diese Klasse ist wie gewählt. Sie rekrutiert sich aus sich selbst und ihre Wähler interessiert es nicht.«
 
 
 
1http://www.welt.de/politik/ausland/article8374382/Afghanistan-ist-Christian-Wulff-zu-heikel.html     8. 7. 10  Afghanistan ist Christian Wulff zu heikel - Das Staatsoberhaupt hält sich zum Bundeswehreinsatz am Hindukusch bedeckt – mit Blick auf seinen Amtsvorgänger. on S. Bolzen und S. Lehnartz
2http://cdu-politik.de/2010/01/30/voll-daneben-gegriffen-herr-wulff/  Voll daneben gegriffen, Herr Wulff - Von Daniel N.
3http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=25062010ArtikelPolitikOTS2  25. 6. 10  Wulff will Sprachrohr der Politikverdrossenen sein - Niedersachsens Ministerpräsident
4http://www.welt.de/politik/deutschland/article8108343/Wulff-will-mehr-Migranten-nach-Deutschland-locken.html   21. 6. 10  Von U. Exner und T. Schmid Wulff will mehr Migranten nach Deutschland locken - Deutschland müsse sich der Welt stärker öffnen, fordert CDU-Präsidentenkandidat Christian 
5 http://www.welt.de/wirtschaft/article6949986/Deutschland-muss-die-Einwanderung- taerken.html
6 http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6993405.stm  13.9.07
BBC 13.9.07 - Migrants are good, says Brussels European governments should regard immigration as an enrichment not a threat, EU Justice Commissioner Franco Frattini told a conference in Lisbon
7 EUROPA-MAGAZIN 1/05  http://www.europa-magazin.ch  Die Lissabon-Strategien
8 http://www.welt.de/politik/deutschland/article8108343/Wulff-will-mehr-Migranten-nach-Deutschland-locken.html  20. 6. 10  Wulff will mehr Migranten nach Deutschland locken -
Deutschland müsse sich der Welt stärker öffnen, fordert CDU-Präsidentenkandidat Christian Wulff 9http://www.faz.net/s/Rub9F8AFB0E023642BAAB29EA1AEF2A9296/Doc~EB4EA6E80C12741418BD4661FE783E3B0~ATpl~Ecommon~Sspezial.html   2. 7. 10  Ein Präsident erster Wahl - Von Stefan Dietrich
10  http://www.spatzseite.com/   3. 7. 10  Bist Du nicht willig, dann....

 

http://www.oecd.org/document/51/0,3343,de_34968570_35008940_44898803_1_1_1_1,00.html Deutschland muss die Einwanderung stärken - Interview mit Angel Gurría, OECD-Generalsekretär Welt am Sonntag (Florian Hassel) vom 28. März 2010
* »Die Mitnehmgesellschaft - Die Tabus des Sozialstaats« Das Buch von Jochen Kummer und Joachim Schäfer auf
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1010
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1021
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1075
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1324