BP

d.a. Wie die US-Meeresforscherin Riki Ott darlegt, ist die Ölpest ausser Kontrolle. Die Forscherin weiss, wovon sie redet:

seit Jahrzehnten setzt sie sich kritisch mit der Arbeit der Öl-Lobby auseinander. Die nachfolgenden Ausführungen sind einem Interview entnommen, das mit ihr geführt wurde, nachdem die auf Ölverschmutzung spezialisierte promovierte Meerestoxikologin gerade drei Wochen lang an den Küsten von Louisiana, Alabama und Mississippi unterwegs gewesen war:
 
»Die Leute fangen gerade erst an, zu begreifen, was das Öl an der Küste und im Marschland anrichtet. Alle hatten gehofft, das Öl bleibe auf See, doch nun sind alle außer sich, denn die Teerklumpen und das ganze gelöste Öl erreichen die Strände. Große Sorgen macht mir auch die beispiellose Menge an chemischen Lösungsmitteln, also Dispergatoren, die BP sowohl oberhalb als auch unterhalb der Wasseroberfläche versprüht. Es gibt weder eine Überwachung, welche kurzfristigen Folgen das auf das marine Ökosystem und an Land hat, noch was langfristig zu befürchten ist. Die amerikanische Umweltbehörde EPA hat den Konzern BP soeben aufgefordert, nach dem wochenlangen Einsatz der Chemikalie Corexit auf ein weniger toxisches Mittel umzustellen. Doch dieser hat einfach Nein gesagt. Der Konzern treibt die US-Regierung praktisch vor sich her. Es ist, als ob man versuchen würde, ein Feuer mit Kerosin zu löschen. Die Dispergatoren sind giftig für die Umwelt und gesundheitsgefährdend für den Menschen. Der Einsatz ist ein Kompromiß, den BP eingeht, um zu versuchen, die Schäden an der Küste zu minimieren. Es wird in Kauf genommen, Leben im Wasser zu töten, um Tiere an Land zu retten. Dabei sind die Lösungsmittel nur zu 50 bis 60 % effektiv. So oder so gelangt etwa die Hälfte des austretenden Öls unbehandelt an Land.
 
BP versucht meiner Meinung nach nun alles, um seine Haftbarkeit so gering wie möglich zu halten. Das betrifft jegliche Zahlungen, die auf den Konzern zukommen, von den Umweltschäden bis hin zu den Entschädigungen für die Fischer und Gemeinden, die direkt betroffen sind. Das alles zeigt sich an der aggressiven Haltung, die BP einnimmt. Mitarbeiter des Konzerns versuchen, die Medien und Kameras auf Abstand zu halten und verscheuchen Reporter von den Stränden. Zudem haben Sie den Fischern Verträge angeboten, in denen diese darauf verzichten sollen, später Ansprüche gegen BP geltend zu machen. Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Gefahren, denen die angeheuerten Helfer und Fischer ausgesetzt sind. Viele von diesen kommen mit brennenden Augen, Hals- und Kopfschmerzen und anhaltendem Husten an die Küste zurück. Auf See verteilen sie diese giftigen Chemikalien, die teilweise mitverbrannt werden, um das Öl in Schach zu halten. Dabei entstehen giftige Dämpfe - das steht sogar in den Warnhinweisen dieser Mittel. Doch die Fischer haben keine Schutzkleidung dagegen, nicht einmal Atemmasken. Zudem überprüft BP die Luftqualität nicht gründlich genug. Es gibt keine Hinweise, welchen Giften die Helfer in welchem Ausmaß ausgesetzt sind, und welche Gesundheitsrisiken damit verbunden sind. Es gibt viel Kritik am Krisenmanagement von BP.
 
Die US-Regierung hat keinerlei Werkzeug, um auf ein solches Desaster zu reagieren. Wir sind vollständig von BP abhängig, was vollkommen inakzeptabel ist. Es ist, als ob man einem betrunkenen Autofahrer die Verantwortung für die Unfallermittlung und die Rettungsmaßnahmen übertragen würde. BP hat selbst die Wissenschaftler behindert, die die über mehrere Kilometer weit verbreiteten Ölschwaden unter der Wasseroberfläche entdeckt haben. Das Angebot der Forscher, die austretende Menge mit geeigneten Instrumenten zu ermitteln, hat BP schlichtweg abgelehnt. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Zudem steht im Raum, daß die zuständigen Behörden entweder ihren Job nicht vernünftig machen oder daran gehindert werden. Wo bleibt zum Beispiel die Luftüberwachung der betroffenen Regionen seitens der Umweltbehörde EPA? Wo bleiben die Studien, die beziffern könnten, was dem Ökosystem droht? Auch von der Ozeanographiebehörde NOAA hört man kaum etwas, und die Osha (Occupational Safety and Health Administration), die sich um die Gesundheit von Arbeitern kümmert, sagt, sie könne nichts tun, weil die Leute außerhalb der Küstengewässer im Einsatz sind. Das ist ein Problem, das der oberste Gerichtshof Amerikas mit zu verantworten hat. Die Ölkonzerne haben praktisch die gleichen in der Verfassung verankerten Rechte wie jeder amerikanische Bürger. So können sich Unternehmen aus ihrer Verantwortung stehlen. Unsere Gesetze sind nicht ausreichend, um BP zu zwingen, sein Versprechen einzuhalten, alle Kosten zu tragen. Als BP im Kongreß aussagen musste, hieß es, man werde die Verantwortung für die Ölpest übernehmen, sofern dies rechtlich vorgesehen ist. Das ist das gleiche Spiel, das wir auch nach der Exxon-Valdez-Katastrophe gesehen haben. Es wird in einem jahrelangen Kampf vor den Gerichten enden - und BP wird mit Sicherheit niemals die kompletten Kosten für all die Schäden zahlen. Unsere Regierung buckelt vor dieser zu reich und mächtig gewordenen Industrie.
 
Das größte Problem ist das abgeknickte Rohr am Meeresgrund. Wir wissen nicht, wieviel Öl austritt und wie stabil das Ganze ist. Wenn es bricht, könnte die Situation noch schlimmer werden. Und die Entlastungsbohrungen dürften sich noch lange hinziehen. In Australien dauerte eine ähnliche Bohrung zehn Wochen. Noch dazu wurde so etwas in einer Tiefe wie im Golf von Mexiko noch nicht gemacht. Außerdem droht eine weitere Gefahr: Theoretisch beginnt im Juni die Hurrikansaison. Zwar sagen die Leute an der Küste, daß die schlimmsten Stürme erst im August aufs Land treffen. Doch nicht auszudenken, was passiert, wenn ein Hurrikan inmitten dieser Arbeiten wütet. Das Öl, das jetzt anlandet, könnte die Marschlandschaften ausradieren und wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis sich das Ökosystem wieder erholt. In Alaska, am Unglücksort der Exxon Valdez, gibt es auch 21 Jahre danach keine Heringe - sie sind die Basis des dortigen Ökosystems.
 
Ich hoffe, daß Amerika endlich dazulernen wird. Wir Amerikaner müssen uns wehren. Deswegen engagiere ich mich dafür, einen Verfassungszusatz zu schaffen, um sicher zu stellen, daß die Ölindustrie künftig nicht mehr das Sagen hat. All dies haben wir schon nach dem Exxon-Valdez-Unglück gesehen und dafür gekämpft. Wir müssen auch einen Weg finden, damit Tiefseebohrungen verboten werden. Der Preis, den Umwelt und Mensch für diese Industrie zahlen müssen, ist zu hoch. Wir brauchen eine Debatte, wie der Übergang von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energiequellen durchgesetzt werden kann.«    
 
Quelle:
http://www.handelsblatt.com/technologie/umwelt-news/interview-zur-oelpest-bp-hat-mehr-macht-als-die-us-regierung;2588696    26. 5. 10
Interview zur Ölpest: »BP hat mehr Macht als die US-Regierung«von Sven Stockrahm
Das Original des Textes erschien bei ZEIT.DE
Die in Alaska lebende Wissenschaftlerin hat sich nach dem Bohrinsel-Unglück am Golf von Mexiko mit Umweltverbänden und dem Gouverneur von Louisiana getroffen, um mit ihrem Wissen zu helfen. Derzeit tritt sie mit einer Kampagne für eine Verfassungsänderung ein, damit Unternehmen bei Umweltschäden stärker zur Verantwortung gezogen werden. Riki Ott schrieb zwei Bücher über die Machenschaften der Verantwortlichen beim Exxon-Konzern und den Kampf der Gemeinde gegen den Ölmulti. Hervorhebungen durch politonline