Nein zum Kriegseinsatz

d.a. Das Geschehen in Afghanistan und das bis anhin erfolglose Opponieren der deutschen Bevölkerung gegen den Einsatz ihrer Soldaten in diesem Inferno

ist generell von Interesse, da es zeigt, dass von dem von Seiten der Politiker so gern beschworenen Zuwachs an Bürgermitsprache auch nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags keine Rede sein kann. Dies bezeugen die beiden nachfolgenden Briefe:
 
Sehr geehrte Frau Merkel,  
gestatten Sie mir, Ihnen (Jahrgang 1954) als Berliner Kriegskind (Jahrgang 1941)
zum Thema Afghanistan-Krieg zu schreiben. Es ist sicher nicht der erste Brief, der Ihnen wegen dieses unseligen Krieges zugeht, es liegen Ihnen bekanntlich zahlreiche Klagen vor.
 
Die Kriegszeiten habe ich zwar als Kleinkind erlebt, aber bis heute sind mir die Weihnachtsbäume und der Brandgeruch unvergeßlich, und dies wahrscheinlich bis zu meinem Lebensende. Ebenso werden mir die Gräueltaten - leider Folgen eines jeden Krieges - der Alliierten, vor allem der Russen in Berlin, von denen meine Familie und alle, die Berlin überlebten, berichteten, unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Des weiteren hat sich in meine Erinnerung eingebrannt, was meine Mutter schilderte, die  nach 3-facher Ausbombung, inkl. Brandbomben und Verschüttung, schlußendlich mit ihren vier Kindern auf angebrannten, durchnäßten Matratzen in Hofdurchfahrten nächtigen mußte. Aber am schlimmsten war wohl der ewig währende Hunger! Meine Mutter verzichtete auf jedes Stückchen Brot, das wir nach dem Krieg und während der Blockade auf Lebensmittelkarten erhielten, zugunsten ihrer Kinder. Es muß wohl nicht erwähnt werden, welche gesundheitlichen Schäden sie davongetragen hat.
 
Dies vorausgeschickt; deshalb kann ich umso mehr nicht verstehen, wie ein Land wie Deutschland, das nach zwei Weltkriegen bis heute noch mit hohen Reparationszahlungen belastet ist, seine Männer noch einmal in einen Krieg schicken kann. Lernen wir nie dazu? Haben wir nicht genug gelitten?
 
Neben der menschlichen Tragödie dürfen wir auch das finanzielle Drama nicht vergessen:
Warum muß unser hochverschuldetes Deutschland das drittgrößte Geberland für Afghanistan sein? Seit 2002 hat die Regierung unseres Landes allein 1,1 Milliarden € in den Aufbau Afghanistans investiert; im Zuge der Afghanistan-Konferenz wurden die Hilfsmittel noch einmal aufgestockt: Bis 2013 sollen jährlich bis zu 430 Millionen €  nach Afghanistan fließen - das sind pro Jahr 178 Millionen mehr als 2009. Allein die Aufstockung der ISAF-Truppe kostet uns Deutsche für dieses eine Jahr 2010 die Unsumme von 1,1 Milliarden €. Finanzielle Lasten dieser Art erachte ich angesichts des seit Jahren vorhandenen massiven Staatsdefizits als hochgradig verantwortungslos und klar gegen das Wohl der Bevölkerung gerichtet.
 
Ich gehe davon aus, daß Sie als Naturwissenschaftlerin ein rational und logisch denkender Mensch sind: Mit dieser Voraussetzung können Sie doch unmöglich der Überzeugung sein, dass WIR in Afghanistan zum Ziel kommen, in einem Land, das uns nicht nur überhaupt nichts angeht, sondern in dem sich schon die Sowjetunion die Zähne ausgebissen hat, was jetzt das Schicksal der USA und ihrer Verbündeten ist. Damit käme ich zu meiner hauptsächlichsten Frage: Womit kann man diesen Einsatz in Afghanistan von Ihnen erzwingen?  
 
Als die Bundeswehr nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, wurde klar festgelegt, daß unsere Soldaten niemals in Kriegsgebieten zum Einsatz kommen dürfen. Sie selbst, Frau Merkel, haben den Einsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnet. Also haben unsere Soldaten dort überhaupt nichts verloren, vor allem auch deshalb nicht, weil wir Deutschen keinem Kriegseinsatz unserer Truppen zugestimmt haben; inzwischen erheben sich sogar 80 % der Deutschen gegen den Einsatz unserer Soldaten in Afghanistan. Wer gibt den von uns gewählten und bezahlten Volksvertretern eigentlich das Recht, gegen den Willen und die Interessen des Bürgers - quasi ihre Geldgeber - zu handeln? in der freien Wirtschaft würde man dafür fristlos entlassen.
 
Ich denke, wir sind noch immer ein tüchtiges und fleißig arbeitendes Volk, das auf den Geberkonferenzen jeweils substantielle finanzielle Mittel schultert und noch heute der größte EU-Zahler ist. Insofern brauchen wir vor niemandem in die Knie zu gehen.
 
Zur Zeit beträgt unsere Staatschuld die für niemanden mehr vorstellbare Summe von 1.700.000.000.000.- €. Sie lesen richtig. Allein die Zinslast drückt uns unerbittlich zu Boden. Sie und alle MdB dürfen schon heute sicher sein, daß uns unsere Kinder und Enkelkinder deswegen verfluchen werden. Dennoch gehen Sie nicht davon ab, weiterhin nicht vorhandene Milliarden unserer unter immer härteren Umständen erarbeiteten Steuern für Afghanistan zu vergeuden, ganz abgesehen von den 1.1 Milliarden €, die Sie 2010 den Entwicklungsländern für klimarelevante Vorhaben übereignen wollen. Hierzu ist anzumerken, daß die meisten Drittweltländer über immense eigene Ressourcen verfügen, die, verschwänden deren Erlöse nicht immer wieder in den Taschen der herrschenden Schicht und in korrupten Kanälen, die Kosten für derartige Projekte anstandslos aus eigenen Mitteln decken könnten. Können Sie eigentlich in Anbetracht der vor dem Kollaps stehenden Kommunalfinanzen, dem einsetzenden Niedergang unserer Infrastruktur sowie der Tatsache, daß die gesamten Steuereinnahmen des Bundes in diesem Jahr nicht mehr ausreichen, um die Sozialkosten und die Zinsen auf die Bundesschulden zu zahlen, noch ruhig schlafen? 
 
Gerade Sie Frau Merkel, die in einer menschenverachtenden Diktatur großgeworden sind und schon allein deshalb jeden Kriegseinsatz ablehnen müßten, schicken unsere Soldaten in das Afghanistan-Inferno. Auch wenn ich mir bewußt bin, daß Sie nichts allein entscheiden können, so habe ich dennoch nicht das geringste Verständnis dafür, daß Sie diesen Kriegseinsatz mit dem Spruch rechtfertigen: Es gibt keine Alternativen.
 
DOCH, DIE GIBT ES. HOLEN SIE ENDLICH UNSERE MÄNNER AUS AFGHANISTAN HERAUS ! WIR HABEN DORT NICHTS VERLOREN!
Mit freundlichem Grüßen
 
P.S.: Da ich hörte, daß Sie die meisten Schreiben gar nicht erreichen, erlaube ich mir, dieses Schreiben als offenen Brief ins Internet zu stellen.

[Name und Anschrift der Redaktion bekannt]
 
 
Dem an Verteidigungsminister zu Guttenberg gerichteten Schreiben sei vorausgeschickt, dass dieser, wie Hans Fricke schreibt, in Anwesenheit der Bundeskanzlerin die Trauerfeier für vier in Afghanistan getötete Soldaten dazu nutzte, um weitere Kriege und Opfer anzukündigen: »Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein  - nicht nur in Afghanistan.« Dieser Nebensatz ist gewiß nicht nur so dahingesagt, sondern Programm des seit 1990 um Weltgeltung bemühten größer gewordenen Deutschlands und Ausdruck seiner Großmachtambitionen. Diese inhaltsschweren vier Worte zu deuten, dürfte auf Grund gesammelter Erfahrungen nicht schwierig sein. Am 1. März 2010 verkündete Spiegel online: »Die USA gehen auch nach dem Regierungswechsel im Weißen Haus von einer Bedrohung durch den Iran aus. Das Land verfügt nach Ansicht des US-Militärs über genug atomares Material, um damit eine Bombe zu bauen. Das sagte Generalstabschef Admiral Mike Mullen Ende April in einem Interview mit dem Sender CNN.« 1
 
Ohne mich!
Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke (Die Linke) lehnt die Einladung des Verteidigungsministers Guttenberg, als Beobachter am Bundeswehrmanöver »Extricate Owl 2010« teilzunehmen, ab. In einem offenen Brief erklärt er ihm, warum:
 
Sehr geehrter Herr Minister, verehrter Herr Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,  
Sie haben mich eingeladen, am 29. April 2010 als Beobachter an der Übung der Bundeswehr »Extricate Owl 2010« in Bitburg teilzunehmen, einem Manöver zur »militärischen Evakuierung deutscher Staatsbürger aus einem Krisengebiet«. Ich nehme Ihre Einladung nicht an und möchte über die Gründe öffentlich sprechen. Deshalb wähle ich die Form des offenen Briefes. Kein Manöver, was auch immer im einzelnen geübt werden mag, kommt um die Tatsache herum, daß die Bundeswehr von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer Armee im Krieg gemacht worden ist. Nicht Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, sondern Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Dort geht es nicht zuletzt um die Aufteilung von Interessensphären. Die Opfer dieser Politik sind vor allem afghanische Frauen, Kinder, Schüler, Jugendliche, Männer, deren Vergehen es war, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Die Trauer um diese Menschen hält sich in unserem Land sehr in Grenzen. Über sie wird wenig gesprochen, ihre Namen sind unbekannt. Opfer sind auch Soldaten und Angehörige der Bundeswehr. Viele von ihnen sind der Überzeugung, daß sie in Afghanistan Gutes und Richtiges tun, schließlich hat der Bundestag sie geschickt. Deshalb muß sich jede und jeder einzelne Abgeordnete die Frage stellen: Womit rechtfertigen wir ihren möglichen Tod?
 
Angesichts der Toten und Verletzten redet die Bundeskanzlerin und reden Sie, Herr Verteidigungsminister, von »Helden«, »Ehre« und dem »Eid«, anstatt zunächst einmal über die eigene Schuld und Mitverantwortung nachzudenken. Es hat mich zutiefst entsetzt, daß Sie sogar das Gespräch mit Ihrer kleinen Tochter über Helden und Stolz ins Feld führen, statt schlicht in Trauer zu schweigen, innezuhalten. Umkehr ist nötig aus meiner Sicht, moralisch und politisch. Wir müssen unsere Soldaten aus Afghanistan abziehen, nicht, um das Land alleinzulassen, sondern um ihm eine Chance auf Versöhnung und Entwicklung zu geben.
 
Ich gehöre einer Generation an, für die es selbstverständlich war, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht. Das gab mir für meine Tochter und meine Enkelin die Hoffnung, daß Deutschland zum Frieden und nur zum Frieden beiträgt. Ich wollte, daß wir nie mehr Helden brauchen und stolz nur auf den Mut des Alltags sind. In Bitburg, wo das Manöver stattfinden wird, wurde dieses Selbstverständnis der alten Bundesrepublik gebrochen, als Helmut Kohl und Ronald Reagan 1985 mit einem Händedruck über Kriegsgräbern von Angehörigen der US-Armee, der Wehrmacht und der Waffen-SS ein neues Kapitel der Nachkriegsgeschichte aufschlugen. Es ist jener Geist von Bitburg, der zur angeblichen deutschen Normalität geführt hat, die auch Kriege beinhaltet. Für mich wird Krieg nie normal sein. Ich danke für die Einladung. Ich sage weiter nein! Ohne mich! 2 
Wolfgang Gehrcke
 
1http://www.scharf-links.de/40.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=10027&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=14f3052f5c
28. 4. 10 Ein schwerwiegender Nebensatz - Von Hans Fricke
2 http://www.jungewelt.de/2010/04-29/034.php
Siehe auch http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1499  25. 4. 10
Afghanistan - Wie man uns zu »bearbeiten« trachtet