Afghanistan - Widersprüche

politonline d.a. Während die Kriegsmüdigkeit nicht nur der EU- sondern auch der US-Bürger zunimmt, hat es Bundeskanzlerin Merkel fertiggebracht,

das »kraftvolles Signal« zu begrüssen, das von der Rede Präsident Obamas zu Afghanistan ausgehe, was, wie dies der Regierungssprecher Wilhelm formulierte, »zeige, dass Amerika weiterhin zu hohen Anstrengungen für die Stabilisierung des Landes bereit sei.« Obama habe, heisst es ferner, »den umfassenden Ansatz der Einheit von Sicherheit und Entwicklung« in Afghanistan bekräftigt 1. Dies ist eine Sicht der Dinge, die niemand teilen kann, der sich mit den Gegebenheiten in Afghanistan auseinandergesetzt hat. Bevor Obama seine Rede in West Point hielt, ging ihm der nachfolgende Brief von Michael Moore zu - umsonst.
 
Sehr geehrter Herr Präsident,
wollen Sie wirklich der neue »Kriegspräsident« werden? Wenn sie morgen abend nach West Point gehen und ankündigen, dass Sie die Truppen in Afghanistan aufstocken statt zurückziehen, dann sind Sie der neue Kriegspräsident. Klar und einfach. Und damit werden Sie das Schlimmste tun, was Sie tun könnten: die Hoffnungen und Träume vieler Millionen zerstören, die auf Sie gesetzt haben. Mit nur einer Rede morgen Abend, werden Sie eine Menge junger Leute, die das Rückgrat Ihrer Kampagne waren, zu desillusionierten Zynikern machen. Sie werden sie lehren, dass das, was sie schon immer hörten, wahr ist, nämlich dass alle Politiker gleich sind. Ich kann es einfach nicht glauben, dass Sie dabei sind, das zu tun, was Sie sagen. Bitte sagen sie, dass dies nicht stimmt.
 
Es ist nicht Ihre Aufgabe, das zu tun, was Ihnen Generäle sagen. Wir haben eine Regierung, die von Zivilisten angeführt wird. Wir sagen den Vereinigten Chefs, was zu tun ist - und nicht umgekehrt. Das war General Washingtons Art und Weise: und so müsste es sein. Das war es, was Präsident Truman zu General MacArthur sagte, als dieser in China einfallen wollte: »Sie sind entlassen!« und damit hatte es sich. Und Sie sollten General McChrystal entlassen, wenn er zur Presse geht und dort sagt, was Sie zu tun haben und Ihnen so zuvorkommt. Lassen Sie es mich unverblümt sagen: Wir lieben unsere Kinder in den Militärdiensten, aber wir hassen diese Generäle von Westmoreland in Vietnam bis Colin Powel, dass er die UNO mit seinen Zeichnungen von Massenvernichtungswaffen angelogen hat. [Er hat sich  entschuldigt] Und nun fühlen Sie sich in eine Ecke  gedrängt. Vor 30 Jahren am Thanksgiving Day hatten russische Generäle eine kühle Idee: »Lasst uns Afghanistan überfallen!« Das stellte sich dann als der letzte Nagel zu ihrem UDSSR-Sarg heraus.
 
Es gibt einen Grund, dass man Afghanistan nicht den Garten-Staat nennen (obwohl man es sollte, wenn man sieht, wie der Bruder des korrupten Karzai, den wir unterstützen, mit Drogenhandelt und Mohnanbau im Verbund ist). Afghanistans Spitzname ist Friedhof der Großreiche. Wenn Sie es nicht glauben, rufen Sie die Briten an; ich würde Dschingis Khan anrufen, aber ich habe seine Telefonnummer verloren. Dafür habe ich aber Gorbachews Nummer ( 0041  22789 1662). Ich bin sicher, dass er Ihnen eine Menge historischer Fehler mitteilen könnte, wodurch Sie mehr begreifen würden. Unser wirtschaftlicher Kollaps geht lustig weiter; und unsere kostbaren Männer und Frauen werden auf dem Altar der Arroganz und der Gier geopfert; der Zusammenbruch dieser großen Zivilisation, die wir Amerika nennen, steuert mit Vollgas in die Vergessenheit, wenn Sie der »Kriegspräsident« werden. Herrscher der Weltreiche denken nie daran, dass das Ende so nahe ist, bis das Ende tatsächlich da ist. In Weltreichen denkt man, dass noch mehr üble Gewalt die Heiden dazu zwingen wird, sich zu fügen - doch das hat noch nie funktioniert. Die Heiden haben sie in Fetzen gerissen. Wählen Sie sorgfältig, Präsident Obama. Wenn jemand weiß, dass es nicht so sein soll, dann sind Sie es. Sie haben noch ein paar Stunden Zeit, um auf Ihr Herz und ihre klaren Gedanken zu hören. Sie wissen, dass nichts Gutes davon kommt, wenn noch mehr Truppen um die halbe Welt an einen Ort gesendet werden, den weder Sie noch die anderen kennen, um ein Ziel zu erreichen, das weder Sie noch die anderen kennen, in ein Land, das uns dort nicht haben will. Sie können es gewiss tief in sich spüren. Ich weiß es und Sie wissen es, dass es weniger als hundert Al-Qaeda-Anhänger in Afghanistan gibt. Hunderttausend Soldaten sollen versuchen, hundert in Höhlen lebende Burschen umzubringen. Ist das Ihr Ernst? Haben Sie  Bushs Trank getrunken? Ich weigere mich, dies zu glauben.
 
Ihre Entscheidung, den Krieg auszudehnen (während Sie sagen, dass Sie dies tun, »um ihn beenden zu können«) wird mehr tun, um Ihr Vermächtnis in Stein zu hauen als alles andere Große, was Sie in Ihrem ersten Jahr gesagt und getan haben. Werfen Sie den Republikanern noch einen Knochen zu und die Koalition der Hoffnungsvollen und Hoffnungslosen wird dahin sein, und diese Nation wird schneller in den Händen der Hasser sein, als sie teabag schreien können. Überlegen Sie genau, Herr Präsident: Ihre Mitarbeiter werden Sie verlassen, sobald sie merken, dass Sie nur eine Amtsperiode Präsident sein werden und dass die Nation dann sicher wieder in den Händen der üblichen Idioten sein  wird … das könnte am Mittwochmorgen sein. Wir, das Volk. werden Sie weiter lieben. Wir, das Volk, hoffen weiter. Aber wir, das Volk, könnten Ihren Zusammenbruch nicht ertragen. Wir wählten Sie mit einer übergroßen Menge von Millionen, damit Sie das Ziel erreichen und den Job, das Amt bekommen. Haben Sie nicht verstanden, was das für ein überwältigender Sieg war? Täuschen Sie sich nicht, wenn Sie glauben, dass das Hinübersenden von noch mehr Soldaten einen Unterschied machen würde oder Sie dadurch den Respekt der Hasser gewinnen würden? Diese werden nicht aufhören, bis das Land auseinandergerissen und der letzte Dollar aus den Armen und den noch nicht so Armen herausgesaugt ist. Sie können eine Million Soldaten nach drüben schicken und die wahnsinnige Rechte wird noch immer nicht glücklich sein.
 
Präsident Obama, es ist  Zeit nach Hause zu kommen. Fragen Sie Ihre Nachbarn in Chicago und die Eltern der jungen Männer und Frauen, die das Kämpfen und Sterben erledigen, ob sie weitere Milliarden und noch mehr Soldaten nach Afghanistan geschickt haben wollen. Was würde Martin Luther King jr. tun? Nicht noch mehr arme Leute wegschicken, damit sie andere arme Leute töten, die keine Bedrohung für sie darstellen und nicht noch mehr Milliarden ausgeben, während amerikanische Kinder auf den Straßen schlafen und sich wegen Brot anstellen müssen. Wir alle, die wir für Sie gestimmt und gebetet und in der Nacht ihres Sieges vor Freude geweint haben, haben eine Orwell’sche Hölle von 8 Jahren Verbrechen ertragen, die in unserem Namen begangen wurden: Folter, Aussetzen des Grundgesetzes, Überfall auf Nationen, die uns nicht angegriffen haben, das Bombardieren ganzer Stadtteile, in denen Saddam Hussein vermutet wurde, das Morden ganzer Hochzeitsgesellschaften in Afghanistan. Wir beobachteten, wie Hunderttausende von irakischen Zivilisten gemordet und Zehntausende von tapferen Männern und  Frauen getötet, verstümmelt oder lebenslang traumatisiert  wurden, der ganze Terror, den wir kaum erahnen können.
 
Als wir Sie wählten, erwarteten wir keine Wunder. Wir erwarteten nicht einmal einen großen Wandel. Dennoch erwarteten wir etwas. Wir dachten, Sie würden den Wahnsinn und das Töten stoppen und die dumme Idee, dass Männer mit Waffen eine Nation reorganisieren können, die nicht einmal als Nation funktioniert, ja nie eine gewesen ist. Um das Leben junger Amerikaner und afghanischer Zivilisten willen, halt. Um Ihrer Präsidentschaft, um der  Hoffnung und um der Zukunft unserer Nation willen, um Gottes willen, halt! Heute Abend werden wir noch Hoffnung haben. Morgen werden wir sehen. Es liegt jetzt ganz an Ihnen. Sie müssen den Krieg nicht weiterführen. Sie könnten ein Profil an Mut sein. Sie könnten der Sohn Ihrer Mutter sein. Wir rechen mit Ihnen! Michael Moore
 
Die aktuelle Lage hat Knut Mellenthin in seinem Abriss Grün ist die Hoffnung dargelegt:
 
Auch wenn es von vielen Medien und Politikern behauptet wird: US-Präsident Obama hat in dieser Woche keinen Abzugsplan aus Afghanistan vorgelegt. In der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat….. so beginnen nicht nur einige alte Märchen. So konnte es passieren, daß ein grüner Spitzenpolitiker im ZDF auftrat und vor sich hinplauderte: »Die USA tun heute das, wovor sich die Bundesregierung drückt, nämlich einen Abzugsplan auch mit Zeitplänen vorzulegen und ein Ende dieses Einsatzes vorzubereiten.« Der Fraktionsvorsitzender des Bündnis90/Die Grünen, Jürgen Trittin, bezog sich dabei am Mittwoch, den 2. 12., zumindest seiner eigenen Überzeugung nach auf die Ansprache, die US-Präsident Barack Obama kurz zuvor in der Militärakademie West Point gehalten hatte. Aber den Text der Rede kann der hoffnungsvolle Politiker nicht gelesen haben, denn dort kamen weder ein Abzugsplan noch Zeitpläne vor. Vielleicht wurde Trittin durch Zeitungskommentare inspiriert, deren Autoren sich die Rede gleichfalls nicht angesehen hatten und dafür ihre Phantasie spielen ließen. Obama sprach lediglich davon, in 18 Monaten damit zu beginnen, »unsere Truppen nach Hause zu holen«. An anderer Stelle seiner rund 30minütigen Ansprache sagte der US-Präsident, der »Transfer unserer Streitkräfte« werde im Juli 2011 beginnen. Er setzte hinzu: »Ebenso wie wir es im Irak gemacht haben, werden wir diesen Übergang verantwortungsvoll durchführen und dabei die realen Bedingungen im Land berücksichtigen.« Diese mittlerweile bekannten Formeln besagen, daß es keinen festen Termin gibt, sondern letztlich die zuständigen Militärs kurzfristig entscheiden werden, was sie für vertretbar halten.
 
Das ist also eine wesentliche Einschränkung der Ankündigung. Außerdem bleibt festzuhalten, daß Obama lediglich vom »Beginn« eines Truppenabzugs gesprochen hat, daß aber seine Rede kein Wort darüber enthielt, in welch ungefährem Umfang und Tempo dieser stattfinden soll. Ein Zeitplan aber hat stets nicht nur einen Anfang, sondern auch ein Ende und ein paar Daten dazwischen. Aus dem Text wird auch nicht klar, ob der Präsident einen generellen Abzug aller US-Besatzungstruppen meinte, oder ob er nur davon sprach, daß einige der 30000 zusätzlichen Soldaten, die in den nächsten Wochen und Monaten nach Afghanistan geschickt werden sollen, ab Juli 2011 zurückgeholt werden könnten. Soviel Unklarheit in einer Rede, an der Ghostwriter, Berater und nicht zuletzt der Präsident selbst mehrere Tage oder sogar Wochen gearbeitet haben, ist höchstwahrscheinlich beabsichtigt. Obama wollte den Kräften in seiner eigenen Partei, die gegen die Eskalation des Krieges sind, ein tröstliches, aber unverbindliches Signal schicken. Von einem Abzugsplan mit Zeitrahmen wollte er nicht sprechen, und er hätte es auch nicht gekonnt, ohne sich einem Proteststurm von der anderen Seite auszusetzen. Auch so fielen die Reaktionen schon heftig genug aus. Neokonservative und republikanische Kommentatoren warfen dem Präsidenten vor, er habe »Al Qaida und die Taliban« zum Durchhalten ermutigt und Zweifel an der Ernsthaftigkeit der US-amerikanischen Kriegsanstrengungen bei den Verbündeten erzeugt. Pentagon-Chef Robert Gates, Außenministerin Hillary Clinton und Generalstabschef Admiral Mike Mullen hatten am Mittwoch (Ortszeit) bei Anhörungen im Streitkräfte-Ausschuß des Senats und im Außenpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses in Washington einen schweren Stand. Obamas Wahlgegner John McCain, der von den Demokraten desertierte Hardliner Joseph Lieberman und andere Parlamentarier, hauptsächlich von den Republikanern, stellten gezielte Frage nach der Existenz eines Abzugsplans und seiner Verbindlichkeit. Gates machte schließlich deutlich, daß es sich bei dem von Obama genannten Termin nur um »unseren derzeitigen Plan« handle. Dieser sei jedoch völlig flexibel. Es sei beabsichtigt, ihn im Dezember 2010 neu einzuschätzen. Er selbst sei immer ein heftiger Gegner von »deadlines« gewesen, schon im Irak und jetzt auch in Afghanistan. Worauf McCain mit der nicht zu konternden Feststellung nachsetzte: »Dann macht es keinen Sinn, daß er ein Datum nennt.« Und: »Man gewinnt Kriege, indem man den Willen des Feindes bricht. Nicht, indem man bekanntgibt, wann man abzieht.«
 
1http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~E99A28B315FBF435EA98407EF0A054833~ATpl~Ecommon~Scontent.html  2. 12. 09
2 http://www.jungewelt.de/2009/12-04/052.php Grün ist die Hoffnung –Von Knut Mellenthin
Quelle des Briefes von Michael Moore:
MMFlint@aol.com   MichaelMoore.com
Übersetzung Ellen Rohlfs