Die Mafia auf dem Vormarsch

»Andere Länder haben die Mafia, in Bulgarien hat die Mafia das Land«, erklärte zum Beispiel der Parlamentsabgeordnete Atanas Atanasov, Anfang November letzten Jahres zur Geschichte seines Landes mit Blick auf die politische Korruption und Gewalt.

Nun ist die Mafia Gegenstand zahlreicher Artikel, seien diese in der Tagespresse, auf diversen websites oder auf politonline erschienen. Daneben ist dieses Thema in zahlreichen Büchern abgehandelt. Jürgen Roth *, der Autor des von uns vorgestellten Buches Mafialand Deutschland kann diesbezüglich als einer der führenden Experten gelten, vor allem was die Verhältnisse im Kosovo betrifft. Wie generell zu konstatieren ist, nimmt das Eindringen der Kriminalität in verschiedene Bereiche des Staates weiter zu. So werden in Süditalien infolge der jetzigen Krise immer mehr Unternehmer vom organisierten Verbrechen abhängig. Wir veröffentlichen nachstehend ein von Micaela Taroni von der jungen Welt mit Piero Grasso geführtes Interview 1. Der Sizilianer Piero Grasso ist Italiens führender Mafiajäger. Zwischen 1999 und 2005 war er Oberstaatsanwalt in Palermo. Unter seiner Leitung wurden in diesen Jahren 1 800 Mafiosi festgenommen, darunter die 30 meistgesuchten Bosse Siziliens. Seit 2005 leitet der 63jährige die nationale Anti-Mafia-Behörde in Rom
 
Auf welche Weise profitiert die Mafia von der aktuellen Rezession?
P.G.: In Süditalien geraten immer mehr Kaufleute und Unternehmer wegen der Krise in finanzielle Nöte. Sie sind zweifach belastet, einmal wegen der Rezession und zweitens wegen des Schutzgeldes, das sie trotz des Einnahmenrückgangs weiterhin zahlen müssen. Wer es nicht mehr schafft, verschuldet sich bei den Wucherern. Der nächste Schritt ist dann, daß die Mafia das Unternehmen komplett übernimmt und den Besitzer nur noch als Angestellten behält. Damit dringt die Mafia immer tiefer in das Wirtschaftssystem ein. In vielen süditalienischen Regionen zahlt die große Mehrheit der Kaufleute Schutzgeld, doch in der letzten Zeit spürt man neuen Wind. Immer mehr Kaufleute verweigern die Schutzgeldzahlung und wenden sich an Anti-Erpressungsverbände, um Hilfe zu erhalten. In Palermo etwa ist der Verband »Addio Pizzo« entstanden, der Konsumenten auffordert, in Geschäften und Supermärkten einzukaufen, die nachdrücklich das Schutzgeld verweigern. Wir werden die Cosa Nostra nur dann besiegen, wenn niemand mehr Schutzgeld zahlt. Dazu müssen auch die Konsumenten beitragen, indem sie keine Produkte mehr in Geschäften kaufen, die Schutzgeld zahlen.
 
Wie wichtig ist das Schutzgeld für die Mafia?
P.G.: Mit dem Schutzgeld werden sämtliche Mafiafamilien erhalten. Mit den Einnahmen werden auch die Anwälte für die inhaftierten Mafiosi bezahlt. Die Mafia spielt die Rolle des Brotgebers. Unsere Ermittlungen haben ergeben, daß Mafiosi Unternehmen zwingen, eine bestimmte Zahl ihrer Schützlinge als Personal einzustellen. Auf diese Weise übernimmt die Mafia auch eine soziale Funktion. Oder sie zwingt Unternehmer, sich an mit den Clans befreundete Zulieferer zu wenden, was die Regeln des freien Markts auf den Kopf stellt. Die hohen Kosten des Schutzgeldes wirken sich ohnehin negativ auf den Endpreis aus, den der Konsument zahlen muß.
 
Wie bewerten Sie die italienischen Antimafiagesetze?
P.G.: Die italienische Gesetzgebung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen ist die fortgeschrittenste der Welt. Sie ist die einzige, die Entschädigung für die Opfer von Wucherern und Erpressung vorsieht, wenn sie Mafiosi anzeigen. Außerdem ist ein neues Gesetz eingeführt worden, wonach Unternehmen, die Schutzgeld zahlen, jegliches Recht verlieren, Aufträge von der öffentlichen Verwaltung zu erhalten.
 
Wie wichtig ist die Unterstützung der zivilen Bevölkerung im Kampf gegen die Mafia?
P.G.: Sie ist von ausschlaggebender Bedeutung. Konsumenten können zum Beispiel Geschäfte boykottieren, die Schutzgeld zahlen und somit kritisches Konsumverhalten fördern. Wichtig ist aber auch, daß der Staat täglich seinen festen Willen beweist, die Mafia zu bekämpfen. Ein starker Staat gibt denjenigen Personen Sicherheit, die ihre Erpresser anzeigen. Wer sich dazu entschließt, Mafiosi anzuzeigen, muß mit menschlicher und legaler Unterstützung rechnen können.
 
Ist die Zahl der Kaufleute, die ihre Erpresser anzeigen, auf Sizilien gestiegen?
P.G.: Immer mehr Menschen entschließen sich dazu, kein Schutzgeld mehr zu zahlen und zeigen ihre Erpresser an. Noch unklar ist, ob sie es mehrheitlich tun, weil sie wirklich mit der Mafia Schluß machen wollen, oder ob sie keine andere Wahl haben, weil sie wegen der Krise kein Schutzgeld mehr zahlen können. Jedenfalls ist es positiv, daß sie den Mut aufbringen, die Mafiosi anzuzeigen.
 
Was die Bundesrepublik Deutschland betrifft, so zeigt eine Studie des Bundeskriminalamts, daß die Mafia dort auf dem Vormarsch ist 2, wozu Thorsten Jungholt u.a. folgendes vermerkt:
Schon lange ist den Ermittlern klar, daß ein Land allein im Kampf gegen die zunehmend über alle Grenzen hinweg operierende Mafia wenig ausrichten kann. Deshalb betonte der Chef der Duisburger Kriminalpolizei, Holger Haufmann, Anfang März die gute Teamarbeit aller beteiligten Behörden. Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Ingo Wolf (FDP) lobte diehervorragende internationale Kooperation. …..  Wilfried Albishausen, der  Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten in Nordrhein-Westfalen erklärte der WELT online gegenüber, da die Mafia längst nicht mehr nur in Italien, sondern auch in Deutschland eine Dauerkriminalitätslage erster Güte bilde. Als Beleg verwies er auf den jüngsten Bericht des Bundeskriminalamts zu den Aktivitäten der Mafia in der BRD. Dieser datiert vom November 2008 und listet rund 230 Clans auf; dort wird auch detailliert festgehalten, in welchen Regionen deren Mitglieder aktiv sind. ’Ndrangheta-Hochburgen sind demnach vor allem das Ruhrgebiet, aber auch einzelne Städte in Süd- und Ostdeutschland. Die ’Ndrangheta habe bundesweit fest verwurzelte Strukturen aufgebaut, es existierten zahlreiche  Stützpunkte, »die als Basis für kriminelle Handlungen dienen.« Deutschland stelle einen Rückzugs- und Aktionsraum für Führungspersönlichkeiten einzelner Clans oder auch Killer der Mafia dar. Weiter heißt es, daß die Mafia hohe Investitionen im Gastronomie- und im  Hotelgewerbe tätige. Eines dieser Investments war das Da Bruno in Duisburg. Trotz der Festnahme betonte Kripo-Chef Haufmann, daß »wir bei den Ermittlungen weiter am Anfang der Fahnenstange stehen.« Zwar sind die Indizien gegen Strangio erdrückend. So wurden in dem von den Tätern benutzten Fluchtauto Schmauchspuren und DNA des Italieners gefunden. Außerdem wurden Telefongespräche abgehört, in denen er vor der Tat eineAbrechnungangekündigt hatte. Offen ist allerdings noch, wer der zweite Todesschütze war. Die Polizei vermutet, daß es sich dabei um Francesco Romeo oder Giuseppe Nirta handeln könnte, zwei Schwager Strangios, die ebenfalls in Amsterdam festgenommen wurden. Unklar ist noch, wo Strangio der Prozeß gemacht werden soll: Sowohl Deutschland als auch Italien wollen Auslieferungsanträge an die Niederlande stellen.
 
Anmerkung: Wie tätig sich die Justiz diesbezüglich die Jahre über verhalten hat, das darf sich hier jeder fragen.   
 
* Jürgen Roth www.juergen-roth.com
Siehe beispielsweise http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1106
Die Mafia in Bulgarien, 21.12.2008, oder
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=929  5.2.09 Ist die Mafia in Brüssel an die Macht gekommen? 
1 http://www.jungewelt.de/2009/03-10/045.php »Mafia dringt immer tiefer ins Wirtschaftssystem ein« 10. 3. 09
2 http://www.welt.de/politik/article3372470/Wie-die-Mafia-in-Deutschland-immer-mehr-Fuss-fasst.html  13.3.09 ’Ndrangheta - Wie die Mafia in Deutschland immer mehr Fuß fasst
Von Thorsten Jungholt