Hiroshima-Gedenken

Im Sommer 1945 ist Japan besiegt, aber der Kaiser und seine Generäle geben nicht auf. Seit Monaten fordern die Alliierten die bedingungslose Kapitulation. Doch erst durch das "Manhattan Project" zwingen sie das Kaiserreich endgültig in die Knie. Im folgenden wird der Hergang des ersten Atombombeneinsatzes nachgezeichnet.

Hiroshima, 6. August 1945, 8.15 Uhr. Akihiro Takahashi sieht einen Bomber am Himmel, doch das ist nicht ungewöhnlich. Es gibt Wichtigeres, auf das er in diesem Moment achten muß, den Schulappell. Der 14-Jährige steht auf dem Hof der Städtischen Oberschule. Er ist zusammen mit 59 Klassenkameraden und anderen Schülern angetreten. Die Lehrer verlassen soeben das Gebäude. An den Lehranstalten herrscht militärische Disziplin, schließlich befindet sich das Kaiserreich seit über dreieinhalb Jahren (und eigentlich noch viel länger) im Krieg. Der Schüler ist mit Triumphmeldungen groß geworden: Soldaten haben schon 1910 das Banner der aufgehenden Sonne in Korea aufgepflanzt, danach in den 1930er Jahren in der Mandschurei und in China. Am 7. Dezember 1941 erfolgte der Angriff auf die USA in Pearl Harbor; später waren in Singapur und den Philippinen Siege über die Amerikaner und deren Alliierte zu verzeichnen: Ferne Schlachten.
 
Vor sechs Monaten aber ist der Krieg in Akihiro Takahashis Heimat gekommen. Seither greifen Hunderte von amerikanischen B-29-Bombern japanische Städte an. Im Regen der Spreng- und Brandbomben sind 60 Prozent der 60 größten Städte des Landes untergegangen, Hunderttausende von Menschen gestorben und etwa zehn Millionen obdachlos geworden. Fast alle bedeutenden Städte des Kaiserreiches sind getroffen worden, allerdings nicht Hiroshima. Die Stadt scheint unantastbar. Millionen Flugblätter haben feindliche Piloten abgeworfen, um die Bevölkerung vieler namentlich aufgeführter Städte vor weiteren Angriffen zu warnen. Hiroshima jedoch fehlt auf der Liste.  
 
Dabei ist es ein ideales Ziel: "Große Insel" bedeutet der Name der Stadt, und tatsächlich erstreckt sich Hiroshima über sechs ausgedehnte Eilande im Mündungsdelta des Ota-Flusses im Südwesten der Hauptinsel Honshu. Eine dicht besiedelte Ebene, von bewaldeten Bergen umgeben. 365 000 Menschen leben in der 400 Jahre alten Stadt, der achtgrößten Japans. Sie wohnen in eng verschachtelten hölzernen Häusern. Nur wenige Gebäude ragen aus dem Dächermeer heraus: Die 1915 im klassizistischen Stil errichtete, von einer metallenen Kuppel bekrönte Industrie-Ausstellungshalle etwa oder der Tempel an der Aioi-Brücke. Kirschbäume und vier mächtige Kampferbäume, die fast so alt wie die Stadt selbst sind, säumen die Flußufer. Seit 1868 ist sie Militärbasis, rund 8000 Soldaten sind hier stationiert.
 
Weshalb dann dieser seltsame Frieden inmitten des Bombenregens? Gerüchte laufen in der Stadt um: Womöglich hat der Feind mit Hiroshima etwas Besonderes vor. Seit rund drei Wochen erscheint an jedem Morgen eine B-29 am Himmel. Der schwere Bomber kreist einige Minuten über der Stadt, dann verschwindet er wieder in Richtung Pazifik. Kein japanischer Abfangjäger steigt je auf, um ihn abzuschießen. Kampfflugzeuge sind kostbare Waffen in dem verwüsteten Land, die Armeeführung will sie nicht vorzeitig riskieren, befürchtet doch jeder die baldige Invasion der Amerikaner. Und wozu sollten Jagdflugzeuge starten? Niemals ist etwas geschehen. Die Menschen haben sich an den Anblick der B-29 gewöhnt. "B san" nennen sie den Flieger spöttisch, "Herr B". Also achtet Akihiro Takahashi nicht mehr auf die B-29, die neuneinhalb Kilometer über seinem Kopf dahinfliegt. Er blickt auf die zum Appell bereiten Lehrer. Noch 43 Sekunden, dann wird die Welt untergehen.     
          
Japan ist im Sommer 1945 ein besiegtes Land, aber noch immer ein fürchterlicher Gegner. Denn in den sechs Monaten nach dem Überfall auf Pearl Harbor am 7.12.1941, als die US-Flotte vorübergehend gelähmt war, hatten die Truppen des Tenno ein mehr als 15 Millionen Quadratkilometer großes Gebiet erobert. Der Westpazifik von den Alëuten bis zu den melanesischen Inseln jenseits des Äquators war unter ihrer Kontrolle sowie fast ganz Neuguinea, die Philippinen, Indonesiens Inseln bis wenige Kilometer vor Australiens Küste, Malaysia, Indochina, Thailand und Burma. In mehreren Seeschlachten hatte die wieder erstarkte US-Marine 1942/43 zwar die japanische Flotte vernichtet. Doch die von den Japanern besetzten Länder mußten anschließend dennoch Insel für Insel befreit werden. Sechs Millionen japanische Soldaten verteidigen ihr Imperium; etwa fünf Millionen von ihnen sind in China und in Japan stationiert. Den rund eine Million Japanern auf den Pazifikinseln stehen etwa ebenso viele Amerikaner gegenüber. Und obwohl die US-Militärkräfte zur See und in der Luft erdrückend überlegen sind, zahlen sie für die Eroberungen einen hohen Preis. Allein bei der am 19. Februar 1945 begonnenen Invasion der kleinen japanischen Insel Iwojima ist jeder dritte GI getötet oder verwundet worden.
 
Der US-Generalstab plant für den Herbst 1945 die Invasion der südlichen japanischen Insel Kyushu (Deckname "Olympia") und für März 1946 den Angriff auf die Hauptinsel Honshu ("Coronet"). Kein Militärhistoriker hat bis heute herausgefunden, wer im US-Generalstab erstmals schätzte, daß die Eroberung des japanischen Kernlandes auf Seiten der Amerikaner "eine Million Mann Verluste" kosten würde (was nach gängiger Kriegserfahrung ungefähr 330.000 Tote und doppelt so viele Verletzte bedeutete). Diese Ziffer, oft sogar auf "eine Million Tote" erhöht, bestimmt jedenfalls ab Sommer 1945 die Invasionspläne. (Bis dahin beklagen die USA im Zweiten Weltkrieg an allen Fronten zusammen insgesamt rund 250.000 Tote und Verwundete.) Die Militärs präsentieren dem am 12. April 1945 ins Amt gekommenen Präsidenten Harry S. Truman die Pläne für die Operationen "Olympia" und "Coronet". Der vormalige Vizepräsident, der 1944 aus wahltaktischen Gründen nominiert worden war und ein versierter Innen-, jedoch wenig erfahrener Außenpolitiker ist, hat den Krieg von seinem im Amt verstorbenen Vorgänger Franklin D. Roosevelt geerbt und muß  nun damit rechnen, daß in seinem ersten Amtsjahr eine Million Amerikaner im Kampf fallen könnten, mehr als jemals zuvor in der Geschichte der USA. Allerdings, erfährt Truman von seinem Kriegsminister, gebe es da vielleicht noch einen anderen Weg, um den Konflikt im Pazifik zu beenden: Siegreich, schnell und ohne amerikanische Opfer. Durch eine neue Bombe.
 
Marianeninsel Tinian, Flugplatz North Field
Das Eiland liegt rund 2700 Kilometer südöstlich Japans. Amerikanische Truppen haben es 1944 erobert und in den größten Flugplatz der Welt verwandelt. Hier starten und landen auf vier bis zu drei Kilometer langen Betonpisten fast Nacht für Nacht Hunderte von B-29-Bombern zu Angriffen auf japanische Städte. In der Nähe liegt ein Hafen mit Pipelines, Tanks, Kais und Lagerhäusern zur Versorgung der Flieger. Die Soldaten leben in Nissenhütten, halbrunden Wellblechbaracken, in denen es in der schwülen Luft unerträglich heiß werden kann. Kaum jemand wagt sich weit vom Flughafen fort: Im Dschungel auf der Insel halten sich noch immer rund 500 japanische Soldaten versteckt. Ein GI wurde bereits von ihnen erstochen.
Abseits der anderen Crews, von Posten der Militärpolizei und des Geheimdienstes bewacht, stehen die Nissenhütten der 509th Composite Group. Die Piloten der 15 Bomber und ihre Besatzung sind vor gut acht Wochen aus der USA eingetroffen, doch haben sie noch nicht an einem der Massenangriffe gegen Japan teilgenommen. "Glory Boys" werden sie von den anderen Crews genannt, hektografierte Spottgedichte über die Neuankömmlinge machen die Runde. Der Hohn der Kameraden ist für die Männer der 509th Composite Group nur schwer erträglich, schließlich gehören sie zu den besten Piloten, Bombenschützen und Navigatoren der Air Force. Doch sie dürfen über ihre Mission nichts verraten. Und, was ihre Nerven noch ärger strapaziert: Sie könnten es auch gar nicht. Denn sie wissen nicht, welchen Einsatz sie fliegen sollen.
 
Selbst die Japaner scheinen mehr zu ahnen. Ihr Propagandasender, deren Sprecherin, die "Rose von Tokio", auch bei den GIs beliebt ist, begrüßt die Männer auf Tinian jedenfalls ironisch. Die Bezeichnung des Geschwaders ist dem Feind ebenso bekannt wie das Datum seiner Ankunft. Der Kommandant der 509th Composite Group hat wenigstens eine ungefähre Vorstellung vom Angriffsplan. Colonel Paul W. Tibbets jr. ist schon 1942 bei den ersten Angriffen gegen Deutschland mitgeflogen. Ende 1943 wurde er Testpilot für die neu entwickelte, schwierig zu fliegende B-29. Am 2. September 1944 hat der Oberst den Befehl bekommen, eine kleine Einheit für Angriffe mit einer "Spezialbombe" auszubilden. Mögliche Ziele: Deutschland und Japan.
 
Tibbets hat es plötzlich mit Wissenschaftlern zu tun, die sich nicht vorstellen, ihm aber genaue Instruktionen geben: Hoch solle der Bomber am Angriffstag fliegen, über neun Kilometer. Schnell müsse er sein, fast halbe Schallgeschwindigkeit. Dennoch müsse die "Spezialbombe" nach Sicht abgeworfen werden, das heißt, der Bombenschütze soll mit Teleskop und Visier das Ziel anpeilen, nicht mit Hilfe des Radargeräts. Und das Seltsamste: Statt wie üblich nach Abwurf der Bombenlast geradeaus weiterzufliegen, muß die B-29 unmittelbar nach dem Ausklinken eine scharfe Kurve fliegen, in so großer Höhe ein halsbrecherisches Manöver. Tibbets fragt sich, wozu dies gut sein soll.
 
Auf einer abgelegenen Basis in der Wüste zwischen Utah und Nevada bildet er seine Crews aus. Alle haben sich ausgezeichnet, alle sind vom FBI auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft worden. Von den 1764 Soldaten unter Tibbets? Kommando, zwölf Soldaten pro B-29, der Rest sind Techniker, Sicherheitsleute und andere, versucht nur ein Einziger, mehr über ihren geheimnisvollen Einsatz herauszufinden: Captain Robert Lewis, ebenfalls ein ehemaliger Testpilot der B-29. Der fährt eines Tages zu einem Stützpunkt, auf dem einige der namenlosen Wissenschaftler arbeiten. Vergebens, ein Sicherheitsoffizier fängt ihn am Eingang ab. Lewis wird trotzdem nicht, wie manche andere Soldaten, aus der Einheit entfernt, denn er ist der beste Pilot der Gruppe.
 
Tibbets wählt im Laufe der Monate im Herstellerwerk 15 neue Maschinen aus. Die Boeing  B-29 ist gut 30 Meter lang und hat eine Spannweite von etwa 43 Metern. Der aus Aluminiumelementen zusammengefügte elegante Bomber schimmert silbern. Er ist die komplizierteste und teuerste konventionelle Waffe, die die USA in diesem Krieg entwickelt hat. Doch für Tibbets ist sie nicht gut genug: Er läßt in jede Maschine vier je 2200 PS starke Wright-R-3350-57-Cyclone-Motoren einbauen. Dazu verbesserte, verstellbare Propeller. Die Panzerung aber, die die Besatzung bei feindlichem Beschuß vor Splittern schützen soll, läßt er herausreißen. Ebenso, bis auf ein Zwillingsmaschinengewehr im Heck, die Maschinengewehre, mit denen der Flieger normalerweise bestückt ist.
 
Seine Männer sehen das gar nicht gern: Sie fühlen sich in den Bombern nun schutzlos. Doch Tibbets weiß, daß die Maschinen durch das eingesparte Gewicht jetzt schneller und höher fliegen können. Im vorderen der beiden Bombenschächte läßt er zudem batteriegespeiste Heizungen installieren, damit der Zünder in der eisigen Höhe am Rand der Stratosphäre nicht einfriert, sowie eine neue Halterung: Fortan kann jede B-29 eine einzige gewaltige Bombe an nur einem Haken tragen.
 
Im Mai und Juni 1945 fliegen die Männer der 509th Composite Group in so großer Höhe  nach Tinian. Auf der Pazifikinsel gehen die Übungseinsätze weiter, wenn auch erstmals gegen echte Ziele. Rota, eine andere Insel der Marianengruppe, ist so unbedeutend, daß man auf ihr keinen Flugplatz einrichten kann. Mithin ist sie für die Amerikaner uninteressant und deshalb bisher nicht erobert worden. Noch immer halten sich dort rund 3000 japanische Soldaten verschanzt. Tibbets läßt seine Crews nun zum Training 500-Kilo-Bomben aus großer Höhe auf dieses kleine Ziel werfen. Vom 20. Juli 45 an geht es auf rund zwölfstündige Einsatzflüge gegen Japan. Einzeln sollen die B-29 verschiedene Städte im Kaiserreich anfliegen und aus großer Höhe jeweils eine Bombe auf ein vorbestimmtes Ziel abwerfen, etwa einen Bahnhof. Von 38 Sprengsätzen treffen 37 das Ziel. Inzwischen haben die Männer von der "Superbombe" gehört, die zum Einsatz kommen soll. Alle wollen dabei sein. Am 26. Juli 1945 läuft der schwere Kreuzer "USS Indianapolis" in Tinian ein und legt an einem abgesperrten Kai an. An Bord ein mit Blei ausgeschlagener Stahlzylinder, 60 Zentimeter lang und 45 Zentimeter breit, einige hundert Kilo schwer. Ein Major und ein Wissenschaftler lassen ihn keinen Augenblick aus den Augen, als Matrosen ihn entladen und auf einem Lastwagen zum abgesperrten Teil der 509th Composite Group fahren. Im Inneren des Zylinders ruht das Material für die "Superbombe".
    
Die 60 Kilo Uran sowie einige Kilo Plutonium Pu-239 Bomben sind das Ergebnis von mehr als zwei Milliarden Dollar Kosten und vier Jahren Arbeit von 130 000 Menschen, unter ihnen einige der brillantesten Physiker und Chemiker des 20. Jahrhunderts. Es ist die Ausbeute des geheimnisvollsten teuersten und folgenreichsten Geheimprojektes des Zweiten Weltkrieges: des "Manhattan Projects". Begonnen hatte alles wenige Jahre zuvor. Ende 1938 gelang den Deutschen Otto Hahn und Fritz Strassmann die erste Kernspaltung, indem sie Urankerne mit Neutronen beschossen. Dabei zerplatzten die Kerne in mehrere Teile, die zusammen weniger Masse als der Ausgangskern hatten. Die Differenzmasse war in Energie umgewandelt worden. Leó Szilárd, ein jüdisch-ungarischer Physiker, der 1933 das Dritte Reich verlassen hatte und schließlich in die USA emigriert war, erkannte, daß durch die Nuklearspaltung explosionsartig eine sich selbst in Gang haltende Kettenreaktion von Kernspaltungen entstehen kann, durch die innerhalb von weniger als einer Millionstel Sekunde eine ungeheure Energie freigesetzt wird. Eine Energie, welche das Naziregime in eine mörderische Waffe verwandeln könnte.
 
Überzeugungshilfe vom Kollegen Einstein
Aber wer sollte auf ihn, den unbekannten Exilanten hören? Szilárd wählte den Umweg über Albert Einstein. Der berühmte Forscher war schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Princeton gegangen. Der Ungar brachte seinen Fachkollegen dazu, US-Präsident Roosevelt in einem Brief vor der Gefahr einer deutschen Atombombe zu warnen. Dieser Brief war der Startschuß für das "Manhattan Project", auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch niemand so nannte. 6000 Dollar flossen aus dem Etat der Navy an ein erstes Forschungsprojekt. Erst nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor wurden die wissenschaftlichen Anstrengungen potenziert. Jetzt arbeiteten Wissenschaftler in Dutzenden von Universitäten und Laboratorien an der Atombombe. Neben den US-Wissenschaftlern forschten Briten und einige der brillantesten Exilanten Europas, Leó Szilárd etwa oder der Italiener Enrico Fermi. Es waren vor allem drei Fragen, die die Forscher beantworten mußten: Wie kann eine kontrollierte Kettenreaktion gesteuert werden? Noch immer waren viele theoretische Fragen nicht geklärt. Etwa: Welche Materialien sind nutzbar und welche Mengen müssen von ihnen gewonnen werden? Wie kann das fragliche Material in ausreichender Menge hergestellt werden? Wie kann aus dem schließlich gewonnenen Material eine Waffe gebaut werden?
 
Bei der Lösung dieser Probleme konnten die Wissenschaftler zum Teil auf schon bestehende Hypothesen aufbauen. So hatte der dänische Atomforscher Niels Bohr bereits eine Theorie der Kernspaltung entwickelt, wonach bei Uran nur das Isotop U-235 spaltbar ist. Isotope sind Atomarten, deren Kerne gleiche Protonen-, aber unterschiedliche Neutronenzahlen aufweisen. Die chemischen Eigenschaften sind jeweils sehr ähnlich, doch die Masse ist unterschiedlich. 99 Prozent des natürlich vorkommenden Uranerzes bestehen aus dem Isotop U-238, nur knapp ein Prozent entfällt auf U-235. Zum Bau einer Bombe müßte man demnach U-235-Isotope isolieren. Der US-Chemiker Glen Seaborg schlug 1941 das Plutonium-Isotop Pu-239 vor. Doch das muß künstlich erzeugt werden, indem Uran 238 mit Neutronen beschossen wird.      
 
Das Prinzip war bei beiden Materialien gleich: U-235 und Pu-239 senden bei der Spaltung zwei bis drei Neutronen aus. Trifft eines dieser Neutronen einen anderen Atomkern, wird auch er gespalten, wobei abermals zwei bis drei Neutronen freigesetzt werden, die wiederum weitere Atomkerne spalten können, so daß, wie von Szilárd vorhergesagt, eine Kettenreaktion entsteht. Allerdings müssen dafür genügend große Mengen des Materials auf einem begrenzten Raum vereint sein, die sogenannte "kritische Masse". Bei der Überschreitung dieser Masse steigt die Neutronenstrahlung so sehr an, daß eine Kettenreaktion entsteht. 1942 kalkulierten Wissenschaftler, daß sie für eine Bombe etwa 50 bis 100 Kilo U-235 und rund zehn Kilo Pu-239 benötigen würden. Das war die Theorie - wie aber ließen sich die radioaktiven Isotope in derartigen Mengen gewinnen?  
 
Ab dem 17. September 1942 setzte Colonel Leslie Groves, General und Koordinator des Projekts, die theoretischen Erkenntnisse der Wissenschaftler in praktische Resultate um. Als Erstes ließ er in Oak Ridge, Tennessee, einen gewaltigen Industriekomplex errichten. Hier wurde ab 1943 U-235 hergestellt, das man auf komplizierte Weise vom schwereren U-238 trennte. Ausbeute pro Woche: Wenige Gramm. Und hier wurde auch ein Reaktor zur Produktion von spaltbarem Plutonium gebaut. Den ersten funktionsfähigen Kernreaktor der Welt nahm der Physiker Enrico Fermi am 2. Dezember 1942 in einer Turnhalle der Universität Chicago in Betrieb. Fermi erzeugte damit die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion, indem er die Neutronen, welche die Uran-Isotope aussenden, mit Graphit abbremste. Mit dieser Form der Kernreaktion, die langsam und kontinuierlich ablief, konnte Plutonium Pu-239 hergestellt werden. 1943 wurde Julius Robert Oppenheimer zum wissenschaftlichen Direktor des "Manhattan Projects" ernannt. Die Forscher in den mehr als 30 Laboratorien und Produktionsstätten arbeiteten weitgehend isoliert von der Außenwelt. Keiner wußte: Wie weit waren die Deutschen? 
 
Nur Japan blieb als Angriffsziel übrig
Was Groves und seine Männer nicht ahnten: Die deutschen Wissenschaftler um Hahn hatten nach 1938 nur noch geringe Fortschritte gemacht und das verwüstete Land war militärisch-industriell längst nicht mehr in der Lage, spaltbares Material herzustellen und es in eine Atombombe zu packen. Das Rennen um die Atombombe hatten die Amerikaner bereits 1942 gewonnen. Im April 1945 war absehbar, daß bald ausreichend Material bereitstehen würde: Plutonium für zwei Bomben, Uran für eine Bombe. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Kapitulation des Dritten Reichs nur noch eine Frage von Tagen. Die Angst vor der deutschen Bombe, das wichtigste Motiv zum Start des "Manhattan Projects", hatte sich in nichts aufgelöst. Blieb also nur noch Japan. Am 16. April 1945 trafen sich im Pentagon General Groves, Colonel Tibbets sowie einige Offiziere und Wissenschaftler. Zweck der Konferenz: Ziele für die Atombombe festzulegen. Nach langer Diskussion einigte sich die Runde auf vier, später auf drei weitgehend unverwüstete Städte: Kokura, Nagasaki und, mit oberster Priorität, Hiroshima.
 
An die Bomberverbände erging der Befehl, diese Städte auch fortan zu meiden. Die US-Militärs wollten die "Superbombe" auf unzerstörte Ziele abwerfen, um deren Wirkung besser studieren zu können. Da über Japan oft in 8000 bis 10 000 Meter Höhe Schleierwolken ziehen, wurden Meteorologen befragt, wann mit bester Sicht zu rechnen sei. Ihr Rat: Im August, am besten in der ersten Monatswoche. An jenem Tag in Washington, neun Tage bevor Präsident Truman überhaupt von der Existenz der Atombombe erfuhr, und drei Monate bevor erstmals ein Testexemplar gezündet wurde, war das Schicksal von Hiroshima bereits besiegelt.
 
Das neue Zeitalter begann am 16. Juli 1945 um 5.30 Uhr. In einer Wüstengegend New Mexicos, der die Militärs auf Oppenheimers Vorschlag hin den Codenamen "Trinity",  "Dreifaltigkeit", gegeben hatten, zündeten Wissenschaftler eine der beiden Plutoniumbomben.
Ein Feuerball, so hell wie tausend Sonnen, schmolz den Wüstensand zu Glas. Der Blitz und der Rauchpilz waren noch Dutzende Kilometer weit zu sehen, die Zerstörungskraft von Hitze und Druckwelle übertraf die kühnsten Erwartungen von Militärs und Wissenschaftlern.
"Was für eine Explosion!" meldete Groves in einem Memorandum an den Präsidenten. Der Satz ist, untypisch für einen militärischen Bericht, freigestellt, unterstrichen und mit einem Ausrufezeichen versehen.      
 
Und noch etwas zeugt vom Optimismus und von der Ungeduld der Männer des "Manhattan Projects": Der Zylinder mit dem U-235-Kern für die Uranbombe hatte bereits am 14. Juli die Waffenfabrik in Richtung Tinian verlassen, zwei Tage vor dem ersten Test. Die Atombombe war einsatzbereit. Wie würde sich der Präsident entscheiden? Harry Truman befand sich an diesem Tag in Potsdam. Gemeinsam mit Winston Churchill und Josef Stalin entschied er in einer mehrwöchigen Konferenz über die Ordnung der Nachkriegswelt. Stunden nach der Explosion war ihm ein erster Rapport zugestellt worden. Andererseits hatte er drei Tage vor der Zündung von seinen Diplomaten erfahren, daß sich die japanische Regierung diskret nach den Friedensbedingungen erkundigte. Das Kaiserreich war bereit, sich zu ergeben. Die einzige Bedingung der Japaner: Der Tenno dürfe auf keinen Fall abgesetzt oder gar, wie auf alliierter Seite gefordert, vor ein Gericht gestellt werden.
 
Die Bombe als Alternative zur Invasion?
Doch weder Truman noch Churchill oder Stalin dachten daran, diese Bitte zu erfüllen. Seit 1943 schon hatten die Alliierten die "bedingungslose Kapitulation" Deutschlands und Japans verlangt. Wenn Tokio dies nicht akzeptierte, so sah es Truman, dann würde ab Herbst 1945 die US-Invasion anrollen. Die wiederum, das versicherten ihm seine militärischen Berater, würde eine Million amerikanische Opfer fordern. Wäre es da nicht geradezu human, die Atombombe einzusetzen? Die Bombe als Alternative zur Invasion? Die nukleare Explosion, die im Bruchteil einer Sekunde vollbringt, was sonst nur durch einen monatelangen Landkrieg erreicht werden könnte?
 
Lieber einige zehntausend Opfer durch einen Blitz als einige Hunderttausend durch einen Feldzug? So dachte Truman, so zumindest hat er bis zum Ende seines Lebens argumentiert. Und doch waren seine Motive - und die der Militärs - möglicherweise sehr viel komplexer. Oder sehr viel simpler. Komplexer, weil sich Truman schon kurz nachdem er von der Existenz des Atombombenprogramms erfahren hatte, Ratschläge geben ließ. Er berief ein Komitee aus Wissenschaftlern und Politikern ein, um sie zu fragen, ob die Bombe eingesetzt werden solle. Die Männer, unter ihnen Oppenheimer und Fermi, votierten dafür, Japan ohne Vorwarnung anzugreifen. Andere Atomforscher dagegen, etwa Leó Szilárd, sahen nach der deutschen Kapitulation keine Notwendigkeit mehr für einen Einsatz. In einem Memorandum vom 11. Juni 1945 rieten sie, japanische Beobachter zu einer Testexplosion einzuladen, damit die sich von der schrecklichen Wirkung der Waffe überzeugen konnten.
 
Die US-Militärs lehnten diesen Vorschlag ab: Was wäre, wenn diese erste Explosion einer nie zuvor getesteten Waffe scheitern würde? Statt Japan zu entmutigen, hätte eine Fehlzündung den Kampfeswillen des Feindes gestärkt. Ein mögliches weiteres Motiv für Trumans Entscheidung: Der spätere Außenminister James Byrnes hatte bereits am 3. März 1945 in einer Denkschrift daran erinnert, daß das "Manhattan Project" zwei Milliarden Dollar verschlungen hatte - und zwar aus Geheimfonds. Diese Ausgaben waren dem US-Kongreß verheimlicht worden. Zudem waren zwei für das Projekt wichtige Firmen von staatlichen Ermittlungen wegen Kartellbildung verschont worden. "Wenn das Projekt ein Fehlschlag wird", warnte Byrnes, "wird es zu gnadenlosen Untersuchungen und zur Kritik führen." Mit anderen Worten: Wenn die Regierung heimlich ein Vermögen ausgibt, ohne dafür ein überzeugendes Resultat präsentieren zu können, riskiert sie ihre politische Existenz.
 
Zudem dachten manche amerikanische Politiker bereits nicht mehr an Japan, sondern an die UdSSR. Der US-Präsident hatte Stalin am 24. Juli in Potsdam eher nebenbei über die Existenz einer "neuen Bombe" informiert, der Sowjetherrscher hatte sich freundlich interessiert, aber nicht weiter beeindruckt gezeigt. US-Kriegsminister Henry Stimson dagegen hatte bereits einen Tag zuvor in seinem Tagebuch notiert, daß die Sowjetunion ohne einen amerikanischen Einsatz der Atombombe im Pazifik ungeheuren Einfluß gewinnen werde. Die Bombe sollte also nicht in erster Linie Japan niederzwingen, sondern die UdSSR aus dem Fernen Osten heraushalten. Vielleicht waren Trumans Motive aber auch viel simpler: Die Atombombe wurde abgeworfen, weil sie da war. Schließlich setzten im Zweiten Weltkrieg alle Kontrahenten fast jede Waffe, die einsatzfähig war, auch tatsächlich ein. Und warum sollte man ausgerechnet auf die Japaner Rücksicht nehmen, die den Krieg im Pazifik ja schließlich mit dem Angriff auf Pearl Harbor begonnen hatten, einem infamen Überfall ohne Kriegserklärung, der 2500 Amerikanern das Leben gekostet hatte?
 
Der britische Premier Winston Churchill jedenfalls, dem am 17. Juli ein kodiertes Telegramm mit der Nachricht von der Atombombenexplosion ("Baby problemlos geboren") überreicht worden war, schrieb später über die entscheidenden Tage von Potsdam: "Nicht für einen Augenblick gab es eine Diskussion darüber, ob man die Atombombe einsetzen sollte oder nicht." Ob nun nach sorgfältigem Abwägen oder ohne lange nachzudenken: Am 25. Juli 1945 gibt Truman der Strategischen Luftflotte im Pazifik den Befehl, die "Spezialbombe" nach dem 3. August einzusetzen, "sobald es das Wetter erlaubt". Das Wort "Atombombe" fällt nicht.
 
Tinian, North Field, Samstag, 4. August 1945
Sechs Crews der 509th Composite Group haben die Order, sich im Versammlungsraum einzufinden. In der Nissenhütte ist es stickig von Zigarettenqualm. Captain William Sterling Parsons, ein Marinetechniker, erhebt sich. "Ich habe an der Bombe, die Sie bald abwerfen werden, mitgearbeitet", beginnt er. Dann zeigt er Bilder der ersten Atombombenexplosion in New Mexico, die er selbst an Bord eines Beobachtungsflugzeuges miterlebt hat. Er gibt eine kurze Einführung in das Projekt. Das Wort "Atombombe" benutzt er nicht. Die meisten Männer in der Baracke wissen immer noch nicht genau, was sie bald abwerfen sollen. Doch immerhin dies: Parsons schätzt, daß die Sprengkraft ihrer Bombe der von 20 Kilotonnen TNT gleichkommt. Das entspricht der Zerstörungskraft zweier 1000-Bomber-Angriffe. Dann werden neue Bilder an die Wand geworfen - und jetzt geht erstmals ein Raunen durch die Reihen. Luftaufnahmen einer unzerstörten japanischen Stadt! Niemand hätte es für möglich gehalten, daß es noch unverwüstete Orte beim Feind gibt. "Das ist Hiroshima", sagt Tibbets. Stundenlang werden die Soldaten von Offizieren und Wissenschaftlern eingewiesen: Drei    B-29 werden vorausfliegen, je eine nach Hiroshima, Kokura und Nagasaki. Es sind die Pfadfinder, die das Wetter und mögliche Flugabwehrreaktionen über den Zielstädten auskundschaften sollen. Eine Stunde später wird ihnen die B-29 mit der Atombombe folgen, von einer weiteren Maschine begleitet, welche Meßinstrumente abwerfen soll, und einer dritten, von der aus Film- und Fotoaufnahmen gemacht werden.
 
Den Überlebenden der Atombombenexplosion in Hiroshima ist nicht klar, daß auch der Regen und die Strahlung tödlich sein können. Die US-Generäle drängen darauf, auch die zweite Bombe einzusetzen. Nur weil der Maschine der Sprit ausgeht, wird schließlich Nagasaki zerstört - und nicht die Stadt Kokura. In diesem Moment taumelt auch Akihiro Takahashi aus seiner Bewußtlosigkeit hoch. Sein Schulhof ist 1,4 Kilometer vom Hypozentrum entfernt. Der 14-Jährige findet sich rund zehn Meter neben der Stelle wieder, an der er eben noch gestanden hatte. Er sieht an sich hinunter: Seine Kleidung hängt in Fetzen herab. An Kopf und Rücken, an Armen und Beinen ist er so verbrannt, daß seine Haut streifenförmig abgerissen ist. Der Junge, unter Schock, wandert los, in Richtung Westen, wo irgendwo sein Elternhaus sein muß. Jemand ruft ihn, ein Freund. Die beiden taumeln weiter. Überall Brände. Die Hitze ist unerträglich. Die zwei Jungen kämpfen sich an schwarz verbrannten Menschen vorbei. Eine Mutter hält ihr blutendes Baby in den Armen. Sie kann ihr Kind nicht mehr sehen, denn ihre Augäpfel hängen aus dem Schädel heraus. Akihiro Takahashi stolpert weiter. Irgendwann ist sein Freund nicht mehr da. Er jedoch erreicht den Fluß, schleppt sich über eine erhalten gebliebene Brücke und sinkt am jenseitigen Ufer mit seinem geschundenen Körper ins Wasser. Die Hitze ist unerträglich. Niemals zuvor ist eine solche Verwüstung über die Menschen gekommen. Tausende vergehen schon in der Sekunde der Explosion. Ein Mann, der auf den Stufen vor einer Bank hockt, verbrennt in der Hitze so schnell und vollständig, daß von ihm nur ein dunkler Schatten auf den Steinen bleibt. Qualvoll wird das Ende für viele, welche die erste Sekunde überstanden haben: Unzählige Verbrannte taumeln durch die staubige Luft, ihre Kleider sind weggelodert, die Haut geschwärzt. Andere sind in den Trümmern ihrer Häuser gefangen und verbrennen lebendigen Leibes. Unerträglicher Durst plagt die Menschen. Besinnungslos vor Verzweiflung und Gier nach Wasser stürzen sie sich in den Fluß, in die Zisternen, ins Schwimmbad der Universität. Als dessen Wasser in der Hitze zu kochen beginnt, wird das brodelnde Becken für viele zur Todesfalle. Manche Überlebende berichten später, viele Männer und Frauen, Junge wie Alte, hätten in ihrer Not nach ihren Müttern gerufen. Andere erzählen hingegen davon, wie erschreckend, wie geradezu unmenschlich still die gezeichneten Opfer gewesen seien: Stumme, verbrannte Gestalten, die wie schwarze Geister zwischen brennenden Häusern auftauchten.
 
Tatsächlich ist das Leiden so heftig, so allumfassend über die Menschen gekommen, daß  viele in einem seltsamen geistigen Schwebezustand sind: Einerseits registrieren sie in kristalliner Klarheit manche Details wie ihre eigene, in Fetzen herabhängende Haut, andererseits fassen sie keinen klaren Gedanken, nicht einmal den, daß sie angesichts des Grauens entsetzt und verzweifelt sein müßten. Niemand kann Hilfe organisieren. Im Stadtzentrum erheben sich nur noch die ausgeglühten Rippen dreier Betonbauten aus der vollständig eingeebneten Trümmerwüste. Über zwei Drittel aller Gebäude sind zerstört, darunter die Zentralen von Präfektur, Stadtverwaltung und Armeekommando. 42 von 45 Krankenhäuser existieren nicht mehr, drei Viertel aller Feuerwehrmänner sind tot oder vermißt. In kleinen Gruppen finden sich Überlebende zusammen. Oft erkennen sich schwer verbrannte Familienangehörige nur an der Stimme. Wer sich noch bewegen kann, der taumelt zum Fluß, in dem Menschen- und Pferdekadaver treiben, um Linderung und Schutz vor den Flammen und dem Durst zu suchen. Oder er kämpft sich hinaus, nur weg aus Hiroshima.
Die Bankangestellte Akiko Takakura flieht vor einem Wirbelsturm aus Flammen. Die am Boden liegenden Körper der Toten und Schwerstverletzten beginnen in der Hitze zu brennen, es sind stets die Fingerspitzen, an denen zuerst Flammen aufzüngeln. Die Gliedmaßen krümmen sich, zischend tröpfelt eine graue Flüssigkeit aus den Körpern.
 
20 Minuten nach der Explosion fällt plötzlich schwarzer Regen auf Hiroshima. Es sind große, schwere, dunkel gefärbte Tropfen, deren Aufschlag auf der Haut schmerzt und welche die Luft schlagartig abkühlen. Es sind Wassertropfen aus dem kondensierenden Atompilz, vermengt mit radioaktivem Dreck. Akiko versucht, mit ihrem offenen Mund die Tropfen aufzufangen, so unerträglich ist ihr Durst. Sie ist gerettet - vorerst. Nachdem sich Akihiro Takahashi, der Schüler, im Fluß abgekühlt hat, kämpft er sich weiter durch die verwüstete Stadt. Er trifft einen anderen Klassenkameraden. Die Fußsohlen dieses Jungen sind so verbrannt, daß rotes Muskelfleisch zu sehen ist. Er kann nicht mehr gehen. Akihiro bleibt bei ihm, läßt ihn auf Armen und Knien kriechen, dann stützt er den Verwundeten, damit dieser einige Schritte auf seinen Fersen taumeln kann. Dann geht es wieder kriechend weiter. Irgendwann erblickt Akihiro seinen Großonkel und seine Großtante. Die Erwachsenen führen die Kinder hinaus. Der Junge ist gerettet - vorerst. Inzwischen liegt Gestank nach Brand und nach Fäulnis über der Stadt. Binnen weniger Stunden haben sich in den offenen Wunden unzähliger Überlebender Maden eingenistet. Schwarze Fliegen summen in dicken Wolken über Hiroshima.
 
Überlebende? Niemand kann dem Blitz von Hiroshima entkommen, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnt. Das Wort "Radioaktivität" ist bei der Einsatzbesprechung der Bomber-Crews kein einziges Mal gefallen. Und in Hiroshima weiß auch Stunden nach der Explosion niemand, was die Stadt getroffen hat. Keiner ahnt, daß auch diejenigen, die Hitze, Druckwelle und Feuer überstanden haben, in Lebensgefahr schweben. Denn radioaktive Strahlen zerstören die Körperzellen. Schon wenige Tage nach der Explosion leiden die ersten Menschen an der Strahlenkrankheit. Sie bluten aus dem Mund und der Haut, ihre Wunden verheilen nicht mehr, ihre Haare fallen aus. Purpurne Flecken breiten sich auf ihrer Haut aus, sie werden immer schwächer, und dann sterben sie.
 
78.150 Tote habe der Angriff auf Hiroshima gekostet, kalkulieren amerikanische Experten einige Wochen später. Grundlage ihrer Schätzung sind die nach dem Angriff nicht mehr abgeholten Lebensmittelkarten der Stadt. Doch in dieser Ziffer sind die Berufspendler nicht eingeschlossen, die sich an jenem Montagmorgen in der Gemeinde aufgehalten haben, und auch nicht die dort stationierten Soldaten (von 8000 Mann sterben 5000). Und auch nicht die Opfer der Strahlung. Bereits bis Ende 1945 hat die Atombombe von Hiroshima, so werden japanische und westliche Mediziner später schätzen, rund 14 0000 Menschenleben gefordert.  Die japanische Regierung hat nur wenig Zeit zu einer Reaktion. Im Hauptquartier in Tokio gehen Stunden nach der Explosion Meldungen aus Militärstützpunkten in der weiteren Umgebung Hiroshimas ein: Berichte von einer gewaltigen Explosion, von Feuer und Rauchwolken. Aus der Stadt selbst meldet sich niemand.
 
Da Tokio gerade wieder von Bomberflotten attackiert wird, sind die Offiziere, die nach Hiroshima fahren sollen, stundenlang in Luftschutzkellern blockiert. Erst am Dienstag, dem 7. August, um 0.15 Uhr, erfährt die japanische Regierung Genaueres; es ist der Feind, der sie informiert. Zu diesem Zeitpunkt hält Präsident Truman eine Rundfunkrede, in der er die Welt erstmals vom Einsatz der Atombombe informiert: "Die Kraft, aus der die Sonne ihre Macht bezieht, ist auf diejenigen losgelassen worden, die dem Fernen Osten Krieg brachten." Wieder fordert der US-Präsident die bedingungslose Kapitulation der Japaner und droht: "Wenn sie unsere Bedingungen nicht akzeptieren, dann mögen sie einen Regen der Zerstörung aus der Luft erwarten, wie er noch nie auf der Erde gesehen worden ist."
 
Einen weiteren Atombombenabwurf droht Truman den Japanern jedoch nicht explizit an. Er hat auch keinen Befehl dazu gegeben. Doch auf Tinian werden Tibbets und seine Vorgesetzten nervös. Viele Bomberpiloten hatten geglaubt, schon bei der Landung, rund sechs Stunden nach dem Abwurf über Hiroshima, von der Nachricht des Kriegsendes begrüßt zu werden. Stattdessen kein Wort aus Japan. Dafür melden sich die Meteorologen: Nach dem 11. August müsse man mit einem Sturmtief über dem Inselreich rechnen. Das Wetter wäre dann zu schlecht für einen weiteren Abwurf. Aber es gibt, inzwischen aus den USA eingeflogen, die zweite Atombombe auf dem Flugplatz North Field. Am 8. August 1945 beschließen die Generäle auf dem Pazifikstützpunkt, noch in der folgenden Nacht loszuschlagen. Ihr Motiv: Drohendes schlechtes Wetter. Ihre Befehlsgrundlage: Harry Trumans eher unbestimmte Anweisung vom 25. Juli, "nach dem 3. August" die "Spezialbombe" abzuwerfen. Das Hauptziel des zweiten Bombers: Kokura
 
In der folgenden Nacht steigt ein von zwei Meßflugzeugen begleiteter Bomber auf, ihm voraus zwei Pfadfinder. Es sind zum Teil neue Crews an Bord. Ihr Hauptziel: Kokura. Am frühen Morgen des 9. Augusts meldet der Pfadfinder über Kokura schlechtes Wetter. Der Bomber fliegt dennoch drei Angriffe gegen die Stadt; dreimal bricht der Pilot sie ab. Sein ausdrücklicher Befehl lautet, die Atombombe nur nach Sicht abzuwerfen und die Wolkendecke ist zu dicht. Inzwischen hat die B-29 so viel Treibstoff verbraucht, daß ihre Crew die mehrere Tonnen schwere Bombe irgendwo abwerfen muss. Nur wenn sie das Gewicht los wird, hat sie eine Chance, noch einen US-Stützpunkt zu erreichen. Somit ist das Ziel Nagasaki. Doch auch hier hängen Wolken über der Stadt. Ihr Schicksal liegt in diesem Augenblick in der Hand eines 25-Jährigen: Major Charles W. Sweeney ist Kommandant der B-29. Er greift an. Die Crew verfehlt das Zentrum Nagasakis wegen der schlechten Sicht um mehrere Kilometer. Dies und das hügelige Stadtgebiet, in dem sich Druckwellen schlechter ausbreiten können, reduzieren die Verwüstungen in Nagasaki, obwohl die Plutoniumbombe noch stärker ist als die von Hiroshima. Dem zweiten Atombombenabwurf fallen bis Jahresende weitere 70 000 Menschen zum Opfer. Mehr als 250.000 Tote insgesamt. Der nukleare Doppelschlag hat bis heute mehr als eine Viertelmillion Leben ausgelöscht. Hunderttausende wurden verstümmelt oder litten, oft für den Rest ihres Lebens, an schrecklichen Krankheiten. Erst nach Nagasaki setzen sich der Tenno und gemäßigte Politiker in einem dramatischen Machtkampf gegen ultranationalistische Offiziere durch, die Japan lieber untergehen sähen, als sich zu ergeben. Selbst dann dauert es noch einmal fünf Tage, bis der Kaiser in seiner ersten Radioansprache überhaupt Japans Kapitulation verkündet (ohne allerdings dieses Wort zu gebrauchen). Am 2. September 1945 unterzeichnen japanische Regierungsvertreter die Kapitulationsurkunde - der Zweite Weltkrieg ist endgültig vorüber.
 
War der Einsatz der Atombomben notwendig? Hat er den Krieg verkürzt und damit letztlich mehr Menschen verschont als getötet?
Möglicherweise. Militärisch und medizinisch mag es gleichgültig sein, ob Hiroshima und Nagasaki durch jeweils eine Bombe zerstört worden sind oder, wie andernorts in Japan, durch Tausende von Bomben. Stellt man das Schicksal Tokios in Rechnung (wo allein in der Nacht auf den 10. März 1945 rund 80.000 Menschen vor allem durch Brandbomben ums Leben kamen), so wären wohl bei konventionellen Angriffen in Hiroshima und Nagasaki kaum weniger Menschen gestorben als bei den nuklearen. Doch moralisch war die Wirkung ungleich stärker. Was die Verwüstung der Hauptstadt nicht vermochte, das erreichte die blitzartige Zerstörung der achtgrößten Stadt des Landes: Erst nach Hiroshima, und eben nicht nach dem Brand Tokios, fanden der Tenno und seine gemäßigteren Gefolgsleute die Kraft, sich gegen die Kriegspartei im eigenen Lager durchzusetzen. Insofern mag der Angriff auf Hiroshima tatsächlich den Krieg verkürzt haben. Der auf Nagasaki jedoch nicht. Der Angriff erfolgte, bevor Tokio überhaupt Zeit hatte, sich zu ergeben. Er war militärisch und moralisch sinnlos. Es war ein Massaker, das einzig aus dem Grund unternommen wurde, weil man die Waffe zum Massakrieren hatte.
 
So zeigen das  "Manhattan Project" und die Flüge nach Hiroshima und Nagasaki nicht nur, daß der Mensch fähig ist, die ultimative Waffe zu bauen. Sie zeigen auch, und das ist die beunruhigendste Konsequenz jenes tödlichen Sommers 1945, daß der Mensch bedenkenlos willens sein kann, sie einzusetzen. Und die Flieger und die Opfer von Hiroshima? Die meisten Männer der amerikanischen Crews, die zuvor ohne Skrupel Spreng- und Brandbomben über Japan und Deutschland abgeworfen hatten, waren erschüttert. Noch Jahre später schwankten sie zwischen der Überzeugung, ihre Pflicht erfüllt zu haben, und dem Schrecken darüber, was sie getan hatten. Robert Lewis etwa, der Kopilot der "Enola Gay", wurde von Albträumen heimgesucht. Oft kamen ihm, wenn er an Hiroshima dachte, die Bilder seiner Kinder ins Gedächtnis und die Angst, sie in einem Krieg zu verlieren. Colonel Paul Tibbets aber, der Kommandant der 509th Composite Group, bereute nichts. Hätte es nach Nagasaki eine dritte Atombombe gegeben, er hätte das Flugzeug persönlich gesteuert. Noch 1976 pilotierte der damals 61-Jährige bei einer Flugshow in der USA eine B-29, inklusive eines simulierten Atombombenabwurfs mit einer Rauchbombe, die den Explosionspilz nachahmte.
 
Akihiro Takahashi und Akiko Takakura hatten Glück, wobei "Glück" in Hiroshima ein relativer Begriff ist. Akihiro Takahashi verbrachte sein ganzes Leben lang in ärztlicher Behandlung, zu stark waren die Brand- und Strahlenschäden seines Körpers. Außer ihm überlebten nur neun von 60 Klassenkameraden die Explosion. Akiko Takakura, die junge Bankangestellte, wurde zu einem medizinischen Wunder. Kaum ein anderer Mensch war dem Hypozentrum so nah gewesen wie sie und hatte überlebt. Sie wechselte später ihren Beruf und leitete einen Kindergarten. Hibakusha wurden die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki genannt: "Die Bombenopfer". Etliche bekamen später keine Arbeit, zu groß war vielen Chefs das Risiko, daß diese Menschen häufig krank sein würden. Aus diesen Gründen fanden viele Hibakusha auch keinen Ehepartner. Und manche haben, oft ihr ganzes Leben lang, über den schrecklichen Tag im August geschwiegen. Aus Scham.
 
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In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, den Hergang des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbor so aufzuzeigen, wie er in Wirklichkeit ablief
 
Wir kennen heute die Wahrheit hinsichtlich des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbor. Zu jenem Zeitpunkt stand das stark von Ressourcen-Importen abhängige Japan bereits unter dem Druck wirtschaftlicher Pressionen von Seiten der USA, die in dem amerikanischen Ultimatum vom 25. November 1941 gipfelten. Die von Japan wiederholt angebotenen Einigungsgespräche wurden von Washington regelmässig abgelehnt. Am 25. November 1941 notierte der US-Verteidigungsminister Henry Stimson nach einer Unterhaltung mit Präsident Roosevelt über die Japaner in seinem Tagebuch: "Die Frage war, wie man sie in eine Position manövrieren konnte, in der sie den ersten Schuss abgeben würden, ohne dass uns allzuviel passiert....; es war wünschenswert, sicherzustellen, dass die Japaner dies wären, so dass niemand auch nur den geringsten Zweifel haben könnte, wer der Aggressor war."
 
Um die Japaner zum Erstschlag zu animieren, hatte Franklin D. Roosevelt die Pazifikflotte wie ein Dessertstück vom geschützten Festland weg nach Pearl Harbor verlegt, mit Ausnahme der Flugzeugträger Enterprise, Yorktown und Lexington. Gegen diesen Befehl Roosevelts hatte der amtierende Admiral Richardson protestiert, da Pearl Harbor als besonders verwundbarer Marinehafen galt; er weigerte sich schliesslich sogar, den Befehl auszuführen. Er wurde durch Admiral Kimmel ersetzt, den man nach dem japanischen Angriff wegen Nachlässigkeit vor einen Untersuchungsausschuss brachte. Kimmel wurde freigesprochen, als bekannt wurde, dass man ihm 188 entschlüsselte japanische Nachrichten vorenthalten hatte, aus denen der bevorstehenden Angriff samt Datum und Uhrzeit hervorging. Auch holländische, britische und russische Nachrichtendienste hatten vor einem bevorstehenden Angriff gewarnt, doch auch diese Meldungen waren von den Geheimdiensten in Washington zurückgehalten worden. Roosevelt und die Vereinigten Stabschefs wussten also von dem Angriff, unterliessen es jedoch bewusst, die Kommandanten vor Ort, Flottenadmiral Kimmel und Armeegeneral Short, zu informieren
 
In jüngerer Zeit freigegebene Geheimakten belegen zweifelsfrei, dass F.D. Roosevelt Japan mit Vorsatz in einen Angriff auf diesen Militärhafen manövrierte. Die 'New York Times' meldete auf Seite 13 ihrer Sonderausgabe zu Pearl Harbor vom 8. 12. 1941  - also einen Tag nach dem Angriff -  ganz offen, dass die Zeit und der Ort des Überfalls im voraus (!)  bekannt gewesen waren. Jede Bewegung der gegnerischen Armada war erfasst, da die  amerikanische Abwehr im August 1941 sämtliche Codes der japananischen Seite entziffert hatte und deren militärischen und politischen Funkverkehr verfolgen konnte. Nur die Oberkommandierenden auf Hawai wurden, wie oben bereits dargelegt, wohlweislich nicht informiert. F.D. Roosevelt hat damit die Vernichtung der halben Pazifikflotte in Kauf genommen, nur um sein Volk, das zu 80% nicht in den Krieg hineingezogen werden wollte, durch diesen kriminellen Schock zu einer totalen Kehrtwendung zu veranlassen. Damit brachte der Überfall auf Hawaii 'katalytisch' den Umschwung der öffentlichen Meinung in Richtung Krieg gegen Japan und Deutschland. Am Tag des Angriffs selbst, also am 7. 12. 1941, trug Stimson folgendes in sein Tagebuch ein: "Als die ersten Nachrichten kamen, dass Japan uns angegriffen hatte, war mein erstes Gefühl Erleichterung, dass die Unentschiedenheit vorüber war, und dass die Krise auf eine Art gekommen war, die alle unsere Leute vereinigen würde. Dies blieb mein dominierendes Gefühl, trotz der Nachrichten, die sich schnell entwickelten. Weil ich glaube, dass dieses Land nichts zu fürchten hat, wenn es einig ist .... " Die Art, wie diese Einigung erzielt wurde, scheint ihn nicht bewegt zu haben.
 
Als zwei der zwischen 1920 und 1940 angesehensten Historiker der USA, die Professoren Charles Beard und Harry Elmer Barnes, die offizielle Regierungsversion ablehnten, wurden sie als Spinner und Verrückte denunziert und aus dem Lehrbetrieb entfernt. Die Sekretärin Roosevelts hat im übrigen später vor dem Kongress unter Eid ausgesagt, dass ihr die Ansprache Roosevelts an die Nation noch bevor der Überfall der Japaner stattfand von diesem bereits diktiert worden war.
 
Wir wissen heute ferner, dass die US-Generalstabschefs 1962 zur Zeit der Kubakrise "vorschlugen, einen geheimen und blutigen Terrorkrieg gegen das eigene Land zu führen, um die US-Öffentlichkeit in einen Krieg gegen Kuba zu treiben, was Präsident Kennedy verhinderte." [Washington Insider, Bd.11, Nr. 41, 11.10.01]
 
Quellen:
Mathias Bröckers ?Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.?
ISBN 3-86150-456-1
Andreas von Bülow ?Die CIA und der 11. September - Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste?  ISBN 3-492-04545-6 Harry Elmer Barnes ?Pearl Harbor After a Quarter of a Century?


 
Wir übernhehmen hier einen Artikel von SPIEGEL ONLINE vom 18. April 2005
URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,351899,00.html
Der Text ist die gekürzte Fassung einer historischen Reportage von Cay Rademacher aus "GEO EPOCHE", dem Geschichtsmagazin der GEO-Gruppe.
In dem Heft mit dem Titel "Kriegsende 1945 - Das Finale des Weltenbrandes" werden die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs beschrieben. Von Hitlers Endkampf im verwüsteten Berlin bis zu den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.