Zu den Anschlägen in Indien

politonline d.a. Die Vorstellung, schreibt Paul Joseph Watson [1], »daß Pakistan, das kürzlich zahlreiche Friedenssignale in Richtung Indien aussandte, in irgendeiner Weise davon profitieren sollte, daß verrückte Terroristen wahllos unschuldige Leute niederschießen und Menschen auf der ganzen Welt die grausige Szenerie im Fernsehen betrachten, ist absurd. In Wirklichkeit waren die Anschläge höchstwahrscheinlich nicht das Werk Al Kaidas oder Pakistans, sondern von indischen Moslems.« Der Autor Tariq Ali führt in diesem Zusammenhang aus, daß das Massaker in Mumbai nun als Vorwand für weitere Bombardierungen in Pakistan und für eine Ausweitung des Krieges gegen den Terror unter US-Präsident Barack Obama verwendet werden könnte [2].

Hinzu kommt, so Tariq Ali ferner, »die anhaltend wunde Stelle Kaschmir, das seit Jahrzehnten von  indischen Truppen als Kolonie behandelt wird und wo täglich wahllose Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen der Bewohner von Kaschmir stattfinden. Die Umstände sind viel schlimmer gewesen als in Tibet, haben aber wenig Sympathie im Westen ausgelöst, wo die Verteidigung von Menschenrechten stark instrumentalisiert wird.« Der indische Premier Manmohan Singh, schreibt Ali, hat darauf bestanden, daß die Terroristen ihre Basis außerhalb des Landes hätten. Die indischen Medien haben sich zum Echo dieser Argumentation gemacht und Al Kaida als den gewöhnlichen Verdächtigen genannt. Solches jedoch fiele in Indiens politische Phantasie, deren Funktion es sei, in Abrede zu stellen, daß die Terroristen eine im Lande gewachsene Variante sein könnten, ein Produkt der Radikalisierung junger indischer Muslime, die letztlich den Glauben an ein heimisches politisches System aufgegeben hätten. Und wieso sollte es eine derartige Überraschung sein, wären die Angreifer indische Muslime? Es ist kaum ein Geheimnis, daß sich innerhalb der ärmsten Zweige der muslimischen Gemeinschaft auf Grund der gegen sie betriebenen systematischen Diskriminierung und der gegen sie gerichteten Gewalt viel Zorn aufgestaut hat. Keine dieser Gedanken rechtfertigt den Terrorismus, jedoch sollte dieser die Regierenden in Indien zumindest dazu zwingen, ihren Blick auf das eigenes Land und die dort herrschenden Bedingungen zu lenken. Die wirtschaftliche Ungleichheit ist tief verankert. Die absurde Sicht, daß Effekte des globalen Kapitalismus die meisten Probleme lösen könnten, kann jetzt als das gesehen werden, als das es immer war: ein Feigenblatt zur Verdeckung neuer Methoden der Ausbeutung. Soweit Tariq Ali.
 
Da das Schlagwort Terror ununterbrochen Hochkonjunktur hat, tut sich die Presse inzwischen sozusagen erwartungsgemäß mit den üblichen Schlagzeilen hervor, wie beispielsweise die Financial Times Deutschland, die uns mit der Überschrift »Das neue Gesicht des globalen Terrors« 3 versorgt, ganz so, als wäre dieser in seiner grausamsten Form infolge des Überfalls der USA und ihrer Mitspieler auf den Irak und auf Afghanistan nicht bereits vorhanden. In dem Artikel der FTD wird sogar davon gesprochen, daß in Mumbai »bis dato völlig unbekannte Deccan Mudjaheddin eine neue Qualität des Terrorismus eingeführt haben«. Erstens ist es  unbegreiflich, wie man im Zusammenhang mit dem Terrorismus den Ausdruck Qualität verwenden kann, zweitens kann der Terror der Folter und der Bombardierung, denen sich die genannten Mächte schuldig gemacht haben, in meinen Augen durch nichts mehr übertroffen werden, auch wenn es sämtlichen NATO-Mitgliedern gelingt, die Augen davor zu verschließen. So bezeichnet die FTD die Anschläge auf die zehn Brennpunkte in Mumbais City als »global und gnadenlos«, ohne auch einen Moment lang zu reflektieren, daß der US-Terror im Prinzip gleichermaßen so gesehen werden muß und daß dadurch sämtliche Terroristen dieses Globus - um die Sache zynisch darzustellen - exakte Anleitungen erhalten, wie man gegen eine wehrlose Bevölkerung vorgehen kann. Eine weitere sinnige Bemerkung der FTD gipfelt in folgender Aussage: »Mumbai erlebte seinen 11. September an diesem 26. November«, was nicht der Ironie entbehrt, glaubt man den in ihrer Anzahl nicht geringen Experten, die den 11. 9. längst als hausgemachten US-Anschlag bezeichnen. Dies wiederum führt zu den Gedankengängen von Tariq Ali zurück, der die Möglichkeit, daß die Angreifer durchaus indische Muslime sein könnten, nicht ausschließt. Einer der Schlußbemerkungen des FTD-Artikels lautet: »Wer immer die Drahtzieher hinter den eiskalten jungen Superterroristen sein mögen: Vor ihrem diffusen, mörderischen Zorn ist zukünftig nicht einmal mehr die Bar im Fünf-Sterne-Hotel sicher.« Übersehen wird hier ebenso eiskalt, daß es nicht nur eine Hotelbar ist, die vor den gegen den Iran vorgebrachten mörderischen Kriegsdrohungen nicht mehr sicher ist, sondern außer dem nahen Osten auch der gesamte europäische Kontinent, der in Flammen aufgehen könnte, sollte die von mir als totale Wahnsinnsvorstellung gesehene Kriegsstrategie umgesetzt werden.
 
Zu diesen Meldungen ist ein Blick auf die beiden Brennpunkte Pakistan und Afghanistan durchaus angebracht, da die US-Raketenangriffe in Pakistan inzwischen die NATO-Versorgungslinien nach Afghanistan gefährden. Am 20. 11. 08, gleich nachdem der pakistanische General Kayani am 19.11. das Brüsseler NATO-Hauptquartier besucht und zugesagt hatte, die Route über den Chaiberpaß für US-Transporte nach Afghanistan offenzuhalten, unternahm die USA einen weiteren Raketenangriff in Pakistan. Es war der erste von 20 grenzüberschreitenden US-Angriffen aus Afghanistan, der noch über die Stammesgebiete hinausging. Premierminister Yousuf Raza Gilani - von dem viele glauben, er habe den Luftschlägen insgeheim zugestimmt - sagte in einer Rede vor dem Parlament, die Angriffe seien »nicht hinnehmbar und wir unterstützen sie nicht«. Der Vorsitzende der großen islamischen Partei Jamaat-e-Islami drohte mit der Blockade des Chaiberpasses durch Demonstranten, wenn die Luftschläge nicht aufhörten. Der Sprecher der pakistanischen Taliban, Ahmadullah Ahmadi, drohte mit Racheakten in anderen Gebieten. Der Grund für Kayanis Besuch bei der NATO war, daß in der Woche zuvor Aufständische den Chaiberpaß gesperrt hatten und deshalb kein US-Nachschub mehr von der pakistanischen Hafenstadt Karatschi auf LKWs nach Afghanistan gebracht werden konnte. Wie Strategic Alert ausführt, stehen hinter den Aufständischen britische Geheimdienstkreise und ihre saudischen Mittelsmänner, deren Ziel es ist, Pakistan zu spalten. Am 20.11. 08 zitierte das Wall Street Journal US-Militärquellen, laut denen die Taliban in Südafghanistan zwei Dutzend Gerichte organisiert und inoffizielle Gouverneure und Bürgermeister ernannt hätten, die in abgelegenen Gebieten regierten, so daß man von einer Parallelregierung sprechen müsse. Das Ziel der Briten sei, diese Gebiete mit den pakistanischen Stammesgebieten zu einem »Paschtunistan« zu verbinden, wodurch eine Zone dauerhafter Instabilität unter imperialer Kontrolle geschaffen würde 4.
 
Es bleibt zu hoffen, daß der Zeitpunkt, an dem erkannt wird, wie die von der USA ausgehende Bedrohung der alsfailed statesbezeichneten Länder den Terror zwangsweise nähren muß, nicht zu spät eintritt – ein weiteres Inferno wäre nicht mehr verkraftbar, auch nicht für die Urheber.
 
1 http://infokrieg.tv/mumbai_anschlag_medien_rudern_zurueck_2008_11_28.html 28.11.08
Paul Joseph Watson
2 http://www.counterpunch.org/tariq11272008.html India's Leaders Need to Look Closer to Home - The Assault on Mumbai by Tariq Ali
3 http://www.ftd.de/politik/international/:Mumbai-Das-neue-Gesicht-des-globalen-Terrors/445045.html  28. 11. 08
4 Strategic Alert Jahrg. 22, Nr.48 vom 27. November 2008