Die BIZ warnt: Weltwirtschaft am Wendepunkt

»Marktturbulenzen, wie sie zur Zeit an den weltweit wichtigsten Finanzplätzen zu beobachten sind, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg bisher nicht gegeben [1]. In den USA besteht ein erhebliches Rezessionsrisiko, und in zahlreichen Ländern steigt die Inflationsrate drastisch. Vor diesem Hintergrund wächst die Befürchtung, daß die Weltwirtschaft an einer Art Wendepunkt stehen könnte. Diese Befürchtung ist nicht unbegründet.«

Dieses Zitat stammt aus dem soeben veröffentlichten Jahresbericht der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Zentralbank der Zentralbanken; Lyndon LaRouche beschreibt ihn als »ernstzunehmenden Warnschuß vor einer abrupten Verschlechterung der Weltfinanzlage«. Der Bericht wurde vom Chefökonomen der BIZ, Bill White, verfaßt und ist erstaunlich direkt, was die Gefahren für das Finanzsystem angeht. Die Krise sei alles andere als ausgestanden und das Ausmaß der vor uns liegenden Probleme könnte viel größer sein, als es viele jetzt vorhersehen, ist das Fazit der Analyse. »Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Abbau der Kreditblase nach einer vorübergehend höheren Inflation in eine Deflation mündet, die insbesondere angesichts des hohen nominalen Ausgangsniveaus an Schulden schwer zu bewältigen sein könnte.« Die europäischen Banken hätten auf dem US-Immobilienmarkt bei Nettoverbindlichkeiten von 900 Mrd. $ mehr Verluste hingenommen als die amerikanischen. Deshalb wird die EZB aufgefordert, ihre Kreditdaten mit großer Vorsicht zu behandeln, weil das Ausmaß der Kreditverknappung in den Statistiken vielleicht unterschätzt werde. »Auch zwischen dem Finanzsektor und der Realwirtschaft sind besorgniserregende Wechselwirkungen denkbar. Die größte Sorge besteht im Moment darin, daß die Kreditbedingungen für Schuldner außerhalb des Finanzsektors weiter gestrafft werden... In einer Reihe von Ländern beginnt zudem die Preisentwicklung gewerblicher Immobilien nachzugeben, was sich für die Kreditgeber in der Vergangenheit meist nachteilig auswirkte. Es liegt auf der Hand, daß diese Wechselwirkungen zwischen Realwirtschaft und Finanzsektor zugleich komplex und gefährlich sein könne«, heißt es in dem Bericht. »Des weiteren sind in vielen Ländern die expliziten und impliziten Staatsschulden bereits so hoch, daß Zweifel angebracht sind, ob alle nicht vertraglich festgeschriebenen Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt werden.«    Völlig richtig wird darauf verwiesen, daß die Krise des minderwertigen Hypothekenmarkts nur der Auslöser, nicht jedoch die Ursache des Desasters war. Schuld sei eine allgemein zu lockere Kreditvergabe und Verbriefung von Werten: »Kredite immer schlechterer Qualität wurden vergeben und dann an die Leichtgläubigen und Unersättlichen veräußert.« White schreibt, es werde zu mehr Rettungsaktionen für Banken kommen, und fährt fort: »Sollte der öffentliche Sektor es für nötig halten, direkt einzugreifen, um die Schuldenlast zu lindern, ist entscheidend, daß er sich über eines von vornherein im klaren ist: Sind die Vermögenspreise unrealistisch hoch, müssen sie letzten Endes sinken. Sind die Sparquoten unrealistisch niedrig, müssen sie steigen. Und können Schulden nicht bedient werden, müssen sie abgeschrieben werden. Zu versuchen, das zu leugnen, und statt dessen auf Ablenkung und Beschwichtigung zu setzen, verschlimmert die Lage letztlich nur.« Unausgesprochen wird in dem ungewöhnlich ehrlichen Bericht zugegeben, daß die enormen Finanzblasen sich für immer aufgelöst haben und das Spiel vorbei ist. Jetzt beginnt der Kampf darüber, wer die größeren Verluste einstecken muß und wer am Ende die Oberhand behält.
 
Weltbank-Bericht: Biotreibstoffe schuld an Lebensmittelinflation
In einem geheimen Bericht der Weltbank, der dem Londoner Guardian zugespielt wurde, wird enthüllt, daß der jüngste Preisanstieg bei Nahrungsmitteln zu 75 % durch die verstärkte Produktion von Biotreibstoffen verursacht wurde 1. Die Studie war schon im April erstellt, aber geheimgehalten worden, um die Behauptungen fast aller westlichen Regierungen, daß der Biotreibstoff nur für etwa 3 % der Nahrungsmittelinflation verantwortlich sei, nicht als Lügen zu entlarven. Eigentlich hätte man den Bericht dem Welternährungsgipfel in Rom Anfang Juni vorlegen und dort zu einem Hauptthema machen müssen. Verspätet lag er jedoch dem G-8-Gipfeltreffen in Hokkaido vor, wo auch die Hungerkrise ein wichtiges Thema war. Der Guardian berichtete nun am 4.7. über diese Studie, die der Weltbank-Ökonom Don Mitchell verfaßt hat. Die weitverbreitete Behauptung, an den galoppierenden Nahrungsmittelpreisen sei die verstärkte Nachfrage in Indien und China schuld, wird dort abgewiesen: »Ein rapides Einkommenswachstum in den Entwicklungsländern hat nicht zu einem großen Anstieg des weltweiten Getreideverbrauchs geführt und war kein wichtiger Faktor für die großen Preiserhöhungen.« Selbst die Trockenheit in Australien habe nur einen marginalen Effekt gehabt. Vielmehr sei es die Kampagne für Biotreibstoffe in der USA und in Europa gewesen, die sich am stärksten auf die Nahrungsmittelversorgung und -preise ausgewirkt habe. »Ohne die vermehrte Produktion von Biotreibstoffen hätten die weltweiten Weizen- und Maisvorräte nicht derart abgenommen und von anderen Faktoren ausgehende Preiserhöhungen wären moderat geblieben«, schreibt der Autor. Von 2002 bis Februar 2008 hatte Mitchell an Hand eines Warenkorbs für jeden Monat ausführliche Berechnungen der Nahrungsmittelpreise   vorgenommen. Insgesamt stiegen die Preise in dieser Zeit um 140 %. Höhere Energie- und Düngemittelkosten machten nur 15 % dieses Preisanstiegs aus, Biotreibstoffe verursachten weitere 75%. Der Guardian schreibt, aus dem Bericht gehe hervor, daß die Produktion von Biotreibstoffen den Nahrungsmittelmarkt in dreifacher Hinsicht verzerrt habe: »Erstens stünden durch die Nutzung von Getreide zur Treibstoffherstellung weniger Nahrungsmittel zur Verfügung. Mehr als ein Drittel des US-Mais wird jetzt zur Produktion von Äthanol benutzt, und ungefähr aus der Hälfte des Pflanzenöls in der EU wird Biodiesel produziert. Zweitens seien Landwirte dazu ermuntert worden, mehr Land für den Anbau der Grundstoffe von Biosprit zu nutzen. Und drittens habe dies die Finanzspekulation mit Getreide ausgelöst, wodurch die Preise noch weiter hochgetrieben wurden.« Seit April muß 2,5 % des Benzins und Dieselkraftstoffs in Großbritannien Biotreibstoff sein, und die EU hat sich bis 2020 einen Anteil von 10 % zum Ziel gesetzt.
 
Agrosprit mutiert zum Klimakiller
Wie der Bericht »Another Inconvenient Truth« [»Eine andere unbequeme Wahrheit«] der Entwicklungs- und Hilfsorganisation Oxfam darlegt 2, trägt die verstärkte Orientierung der Industrieländer auf die Nutzung von Agrotreibstoffen durch den Anbau entsprechender Pflanzen zu gut 30 % zum aktuellen weltweiten Anstieg der Nahrungsmittelpreise bei, wodurch mindestens 30 Millionen Menschen in die Armut getrieben wurden. Diese Politik verschärfe Hunger und Armut auf der Welt, sagte Oxfam-Klimaexperte Jan Kowalzig. Der BRD-Umweltminister Sigmar Gabriel müsse sich in Brüssel für die Rücknahme des EU-weiten 10 % -Ziels für Agrosprit einsetzen. Ansonsten werde sich die Nahrungsmittelkrise »deutlich verschlimmern«. Im vergangenen Jahr sind dem Bericht zufolge in den Industriestaaten bis zu 15 Milliarden US-$ an Subventionen geflossen. Den Erzeugern winkten Steuerbefreiungen, Zollsenkungen und Subventionen, so Kowalzig. Immer mehr Landwirte würden daher Agrosprit statt Nahrungsmittel produzieren. Als Folge seien die Getreidereserven so gering wie nie zuvor. Oxfam sieht durch diese »verfehlte Politik« auch den Klimaschutz gefährdet. Weltweit würden wegen des Agrospritbooms Wälder und Sümpfe in Ackerflächen umgewandelt. In diese Bilanz sind zudem die indirekten Effekte mit einzubeziehen, wenn z. B. die konkurrierende Agrosprit-Produktion den Anbau von Nahrungsmitteln in Regenwaldgebieten verdrängt.
 
1 Strategic Alert, Jahrgang 22,  Nr. 28 vom 10. Juli 2008
2 http://www.jungewelt.de/2008/06-26/043.php 26. 6. 08