Offener Brief an Dr. Angela Merkel, ihre Israel-Reise betreffend

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie waren vor einigen Tagen mit einer großen Regierungsdelegation in Israel, um die Verbundenheit Deutschlands mit Israel zu bekräftigen. Mit Blick auf die »terroristischen Anschläge der Palästinenser« und der »antiisraelischen Politik des Irans« haben Sie hervorgehoben, dass die Bedrohung Israels auch eine Bedrohung Deutschlands sei. Die Bedrohung durch den Iran sehen Sie - in Übereinstimmung mit der israelischen Regierung und der Regierung der USA - darin, dass der iranische Staatspräsident Ahmadinedschad erklärt habe, Israel müsse von der Landkarte verschwinden, »ausradiert werden«, und dass der Iran den Besitz von Atomwaffen anstrebe.

Weder das eine noch das andere entspricht den Tatsachen. Sicherlich wäre es für den Iran vorteilhaft, wenn er Atomwaffen hätte, um das  Ungleichgewicht zu beseitigen, das darin besteht, dass sowohl Israel als auch sein Hauptverbündeter, die USA, zum Klub der Atommächte gehören. Das zeigt das Beispiel Nordkorea. Hätte diese Land keine Atomwaffen, hätte es sehr wahrscheinlich schon längst das gleiche Schicksal erlitten wie der Irak, der den aggressionslüsternen und hochgerüsteten USA nichts entgegensetzen konnte, was waffentechnisch auch nur annähernd gleichwertig gewesen wäre. Starke Staaten werden von den USA nicht angegriffen Man hält sich an die schwachen, die sich nicht erfolgversprechend zur Wehr setzen können.
                   
Aber der Iran hat keine Atomwaffen. Nach den Feststellungen der Internationalen Atomenergiebehörde ist er auf absehbare Zeit auch nicht in der Lage, solche Waffen herzustellen. Vom Irak hat man damals gefordert, dass er nachweise, keine Massenvernichtungsmittel zu haben. Er hatte keine. Vom Iran verlangt man, nachzuweisen, dass er keine Atombomben haben wolle und auch keine bauen werde. Mir ist nicht bekannt, dass solche unsinnigen Beweise jemals auch von Israel gefordert worden wären.
 
Dass Ahmadinedschad Israel vernichten wolle, ist eine Lüge, deren man sich bedient, um Stimmung gegen den Iran zu machen. Das läßt befürchten, daß die Öffentlichkeit auf einen möglichen Krieg gegen den Iran eingestimmt und vorbereitet werden soll. Die Szenarien gleichen sich. Vor dem Irak-Krieg ließ sich die Bush-Administration haarsträubende Lügen einfallen, um den (schon lange vorher beschlossenen) völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak zu beginnen und ihm einen legalen Anstrich zu geben.
 
Die Süddeutsche Zeitung hat in Ihrer Ausgabe vom 15./16.03.2008 einen Artikel der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur mit der Überschrift »Ein Übersetzungsfehler macht gefährliche Weltpolitik« abgedruckt. Darin weist Frau Amipur nach, dass die Darstellung, Ahmadinedschad habe von der »völligen Zerstörung und Vernichtung des jüdischen Volkes« gesprochen, unrichtig ist, weil seine in Betracht kommende Rede falsch übersetzt worden sei. Auf diesen Fehler hatten vorher auch schon andere Veröffentlichungen hingewiesen.  
 
Frau Amirpur schreibt: Die Vernichtungsphantasien, die Iran unterstellt werden, gehen auf einen einzigen Satz zurück: »Israel must be wiped off the map.« Kein Satz wird so häufig mit dem amtierenden Präsidenten Irans, Mahmud Ahmadinedschad, assoziiert wie dieser: Israel muss von der Landkarte radiert werden. Das Problem ist nur - er hat diesen Satz nie gesagt. Ahmadinedschad hat die Worte für »map« und »wipe off« nie benutzt. Die persische Originalversion von Ahmadinedschads Äußerungen über Israel ist weit weniger martialisch als die Übersetzung, die verschiedene Agenturen verbreitet haben und die wiederum auf der englischen Übersetzung des persischen Originals beruht. … 
 
Was also ist passiert? Am 26.10.2005 sprach Ahmadinedschad auf einer Konferenz, die unter dem Motto stand »Die Welt ohne Zionismus«. Es waren im Wesentlichen die großen westlichen Nachrichtenagenturen, die die Übersetzung dieser Passage lieferten: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (DPA). Ahmadinedschad sagte jedoch wörtlich: »in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad.« Das bedeutet: »Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden.« Oder, weniger blumig ausgedrückt: »Das Besatzerregime muss Geschichte werden.« Das ist keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden.
 
Ich verstehe nicht, warum Sie das nicht zur Kenntnis nehmen, sondern weiterhin mit der Lüge hausieren gehen, der Iran plane, atomar aufzurüsten und Israel zu vernichten. Das verstärkt meinen Verdacht, dass der »Übersetzungsfehler« kein unbeabsichtigter Fehler, sondern das Resultat einer ziel- und zweckgerichteten Verdrehung und Verfälschung der Worte Ahmadinedschads ist, vermutlich ein Gebräu aus der Giftküche der CIA, die auch im Falle des Irak-Krieges den US-Präsidenten und sein Gefolge mit den gewünschten (falschen) Beweisen versorgt hat. Der Krieg gegen den Irak war und ist durch nichts zu rechtfertigen. Er war und ist eine völkerrechtswidrige bewaffnete Aggression, die den Irakern, was voraussehbar war, alles andere als »Demokratie und Freiheit« gebracht hat - mit Ausnahme der Möglichkeit vielleicht, irgendwo auf einem Stimmzettel ein Kreuzchen machen zu dürfen, damit eine von den USA installierte korrupte Regierung ins Amt kommen oder  im Amt bleiben kann.
 
Die Bilanz des Krieges: Millionen Flüchtlinge, Hunderttausende Tote und Verletzte, Bomben, Terror, Elend und Zerstörung. Das einmal für die arabische Region vorbildliche und von der UNO ausgezeichnete Bildungs- und Gesundheitssystem droht zusammenzubrechen. Die Menschen haben weder genügend Nahrung noch Medikamente. Ihnen geht es schlechter als vorher. Mission accomplished! Durch den Krieg gegen den Irak sind nach der im angesehenen britischen Wissenschaftsmagazin The Lancet  im September 2006 veröffentlichten Studie US-amerikanischer Wissenschaftler, die auf seriösen Erhebungen beruht, 650.000 bis 700.000 unschuldige Zivilisten, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, ums Leben gekommen. Nach den Erkenntnissen des  britischen Forschungsinstituts ORB wurden bis Herbst 2007 sogar etwa 1,2 Millionen  Iraker getötet und 1,1 Millionen verwundet.
 
Diese Zahlen, die eigentlich Ihr christliches Gewissen belasten und Ihnen fortwährend schlaflose Nächte bereiten müßten,  lassen Sie allem Anschein nach völlig  kalt.
 
Hunderttausende von Toten in einem Krieg, der dem Völkerrecht diametral entgegensteht und von den USA in Szene gesetzt worden ist, um an die Erdölquellen im Irak zu kommen und den Nahen Osten geostrategisch, nach US-amerikanischen Vorstellungen und Wünschen, neu zu ordnen. Über die Berechtigung des Krieges läßt sich, nachdem sich herausgestellt hat, dass es die von der die US-Administration vorgebrachten Kriegsgründe (Zusammenwirken mit dem Terrornetzwerk Al Quaida, Massenvernichtungswaffen) gar nicht gab, sondern dass diese samt und sonders »erstunken und erlogen« waren, nicht im geringsten mehr streiten. Lügen und Hirngespinste und aberwitzige Theorien (mit denen sich der Generalbundesanwalt beschäftigt hat, um Argumente zu finden, mit denen er die auf Art. 26 GG, § 80 StGB - Friedensverrat - gestützten  Strafanzeigen »abschmettern« konnte) sind keine geeignete Grundlage für Diskussionen, die den Krieg rechtfertigen sollen. Sie werden sich an die 2 ½ stündige Multi-Media-Show erinnern, die Colin Powell, der damalige Außenminister der USA, am 05.02.2003 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zum Besten gab, um den Irak als Schurkenstaat zu überführen. George W. Bush lobte die Powell´sche »Beweisführung« zwei Tage später mit den Worten: »Der Außenminister hat jetzt den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über illegale Waffenprogramme im Irak unterrichtet, und auch über die Versuche, diese Waffen zu verstecken und über die Verbindungen des Iraks zu terroristischen Gruppen. Ich möchte Minister Powell für seine sorgfältige und eindrucksvolle Präsentation der Tatsachen danken ....« Die »Beweisführung« Powells wird in die Geschichte eingehen - als Beispiel dafür, zu welchen Lügen auch Regierungen eines demokratisch verfaßten Staatswesens fähig sind, um die Bevölkerung auf einen Krieg einzuschwören, der nach dem Völkerrecht nicht geführt werden dürfte. Für jeden Menschen, der das Zeitgeschehen aufmerksam verfolgt hatte, war nicht erst später, sondern schon am 05.02.2003 klar, dass Powell keine Fakten, sondern Märchen aus Tausendundeiner Nacht vortrug. Powell erklärte, als er aus dem Amt des Außenministers ausgeschieden war, dass seine Rede im Sicherheitsrat im Februar 2003, mit der er den geplanten Irak-Krieg gerechtfertigt hätte, ein »Schandfleck« in seiner politischen Karriere sei.
 
Wäre es, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, nach Ihnen gegangen, hätte sich Deutschland direkt am Krieg gegen den Irak beteiligt. In diesem Falle wäre inzwischen schon der soundsovielte Bundeswehrsoldat in die Heimat zurückgekehrt - in einem Zinksarg, mit allen militärischen Ehren empfangen. Damit es nicht in Vergessenheit gerät (aber vielleicht halten Sie es ja auch  mit Konrad Adenauer, der einmal gesagt hat: »Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern«): Anfang 2003 reisten Sie - und fielen damit der Bundesregierung in den Rücken - nach Washington, um dort in Gesprächen mit hochrangigen Vertretern der amerikanischen Administration Abbitte zu tun für das kategorische »Nein« der deutschen Bundesregierung zu einem Krieg gegen den Irak, das Sie für falsch hielten. In der Bundestagsdebatte am 19.03.2003 erklärten Sie, dass Sie dem Ultimatum, das die USA Saddam Hussein gestellt hatten, nämlich den Irak zur Vermeidung eines Krieges binnen 48 Stunden zu verlassen, nur beipflichten und der deutschen Bundesregierung nur den dringenden Rat geben könnten, sich dem Ultimatum anzuschließen. Auf späteres Befragen eines Journalisten, wie das in Bezug auf einen etwaigen Krieg zu verstehen sei, präzisierten Sie Ihren Standpunkt dahingehend: Wenn wir das Ultimatum unterstützen, impliziert das alle Folgen, die sich aus einem solchen Ultimatum ergeben. Am 20.03.2003, als der Krieg schon begonnen hatte, bekräftigten Sie ihre Sympathie für die Haltung und das Vorgehen der USA nochmals mit den Worten: Deutschland und Europa sind durch gemeinsame Werte mit den USA verbunden. Deshalb stehen wir an ihrer Seite...
 
Mir kam es so vor, als hätten Sie sich damals am liebsten auf den Schoß von George W. Bush gesetzt, wenn dieser Platz nicht schon vom  damaligen britische Premierminister Tony Blair, wie Bush ein übler Kriegstreiber und -betreiber, beansprucht worden wäre. Ich frage mich manchmal, wie es kommt, dass Sie sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Olmert und dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush so gut verstehen. Beide haben völkerrechtswidrige Kriege zu verantworten, denen unzählige Menschen zum Opfer gefallen sind, Bush den Krieg gegen den Irak und Olmert den gegen den Libanon. Beide sind Kriegsverbrecher. Im allgemeinen Sprachgebrauch. Mit solchen Menschen geht man nicht so betont freundschaftlich um, wie Sie das tun. Sie sind in der DDR aufgewachsen und haben die dortigen Schulen besucht. Sie haben eine akademische Ausbildung und waren freiwillig in der FDJ. Bei allen Vorbehalten, die man gegenüber der DDR haben kann: Eines kann man ihr nicht absprechen. Der Frieden in der Welt war ihr ein großes und ernsthaftes Anliegen. Nicht nur verbal. Sie hat nicht zum Krieg, sondern zum Frieden aufgefordert und die jungen Menschen in diesem Sinne erzogen. Warum ist bei Ihnen so wenig davon hängen geblieben? Haben Sie mit dem Negativen auch gleich das Positive abgestreift, das es in der DDR gab?
 
Mit freundlichen Grüßen
Armin Fiand, Hamburg, den 21. 3. 2008